Verfahrensgang
SG Meiningen (Entscheidung vom 12.12.2017; Aktenzeichen S 12 VE 1355/13) |
Thüringer LSG (Urteil vom 22.08.2019; Aktenzeichen L 5 VE 732/18) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 22. August 2019 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Gewährung eines höheren Berufsschadensausgleichs auf der Grundlage eines Vergleichseinkommens als Baufacharbeiter anstelle einer Eingruppierung in die Tarifregelung für Kraftfahrer/Kurierfahrer im öffentlichen Dienst wegen eines rechtsstaatswidrig erlittenen Freiheitsentzugs in der früheren DDR (Bescheide vom 30.4. und 3.5.2012; Widerspruchsbescheide vom 30.5.2013; Urteil des SG vom 12.12.2017). Diesen Anspruch hat das LSG verneint, weil der Kläger die begonnene Bauarbeiterlehre vor der Inhaftierung und damit nicht schädigungsbedingt beendet habe. Er habe zu keiner Zeit nach der Inhaftierung als Bauarbeiter gearbeitet. Dass er hierzu schädigungsbedingt nicht in der Lage gewesen wäre, sei nicht ersichtlich. Der Senat habe die Sache nicht an das SG zurückverweisen müssen, obwohl dessen Urteil mangels Einhaltung der Fünf-Monats-Frist für die Absetzung der Urteilsgründe verfahrensfehlerhaft ergangen sei, weil eine umfangreiche Beweisaufnahme nicht erforderlich sei (Urteil vom 22.8.2019).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Er macht das Vorliegen einer Divergenz und von Verfahrensmängeln geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil weder die behauptete Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) noch ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
1. Eine Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb sie miteinander unvereinbar sein sollen. Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (stRspr, zB Senatsbeschluss vom 25.10.2018 - B 9 V 27/18 B - juris RdNr 8 mwN). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Zwar benennt der Kläger einen (vermeintlichen) Rechtssatz aus der Entscheidung des LSG in dessen angefochtenem Urteil, der nicht im Einklang mit den vom BSG aufgestellten Grundsätzen stehe. Das Urteil des Berufungsgerichts stehe im Widerspruch zu den Entscheidungen des BSG vom 27.10.1989 (9 RV 40/88 - SozR 1300 § 45 Nr 49) und vom 16.12.2014 (B 9 V 6/13 R - SozR 4-7945 § 3 Nr 1). Der Kläger hat jedoch gerade bezogen auf diese BSG-Entscheidungen eine Divergenz nicht nachvollziehbar dargestellt. Denn das LSG stützt sich bei seiner Argumentation auf die im Falle des Klägers anzuwendenden gesetzlichen Vorgaben, ohne eine BSG-Entscheidung zu benennen. Vor diesem Hintergrund hätte der Kläger für die Bezeichnung einer Abweichung iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG darlegen müssen, dass das LSG die von ihm herangezogene Rechtsprechung des BSG im angefochtenen Urteil in Frage stellt, was aber nicht schon dann der Fall ist, wenn es einen höchstrichterlichen Rechtssatz missverstanden oder übersehen und deshalb das Recht fehlerhaft angewendet haben sollte (stRspr, zB BSG Beschluss vom 24.7.2019 - B 5 R 31/19 B - juris RdNr 51; BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 73). Daran fehlt es. Im Kern kritisiert der Kläger nur eine - vermeintlich - falsche Rechtsanwendung des LSG durch Verkennung höchstrichterlich entwickelter Maßstäbe in dem konkret zu entscheidenden Rechtsstreit. Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist aber nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl stRspr, zB BSG Beschluss vom 29.4.2019 - B 12 R 59/18 B - juris RdNr 14). Sein Vortrag geht daher über eine im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unbeachtliche Subsumtionsrüge nicht hinaus (vgl BSG Beschluss vom 8.11.2017 - B 13 R 229/17 B - juris RdNr 8).
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie hier - ebenfalls darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Auch diese Voraussetzungen erfüllt die Beschwerde nicht.
a) Für die vom Kläger vorgebrachte Rüge der Verletzung des § 159 Abs 1 Nr 2 SGG durch das LSG mangelt es letztlich an hinreichenden Darlegungen, die einen solchen Verfahrensfehler des Berufungsgerichts begründen könnten. Er bringt insoweit vor, das LSG habe selbst über die Sache entschieden, anstatt diese gemäß § 159 Abs 1 Nr 2 SGG unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung an das SG zurückzuverweisen. Hinsichtlich der Frage der Zurückverweisung sei vom LSG eine Ermessensfehlentscheidung getroffen worden, weil es über die Ansprüche des Klägers ohne eine umfangreiche erforderliche Beweisaufnahme durch das SG entschieden habe.
Insoweit fehlt es aber bereits an dem Vortrag, dass der Kläger in der Berufungsinstanz die Zurückverweisung der Sache an das SG beantragt habe (vgl BSG Beschluss vom 1.8.2017 - B 13 R 323/16 B - juris RdNr 12 mwN). Aber selbst wenn das Urteil des LSG unter dem vom Kläger behaupteten Verfahrensmangel leiden sollte, genügen die Darlegungen der Beschwerde nicht, um die Zulassung der Revision mit einem Verstoß des LSG gegen § 159 Abs 1 SGG zu begründen. Denn es steht im Ermessen des Gerichts, ob es von der Möglichkeit der Zurückverweisung Gebrauch machen will, wenn die Voraussetzungen von § 159 Abs 1 SGG gegeben sind. Dabei ist es nicht ermessensfehlerhaft, eine Zurückverweisung als Ausnahme anzusehen und bei Entscheidungsreife hiervon Abstand zu nehmen (vgl BSG Beschluss vom 1.8.2017 - B 13 R 323/16 B - juris RdNr 13; BSG Beschluss vom 14.2.2006 - B 9a SB 22/05 B - juris RdNr 7, jeweils mwN). Insbesondere hätte der Kläger insoweit auch aufzeigen müssen, welche weiteren Ermittlungen aus Sicht des LSG erforderlich gewesen wären, die seiner abschließenden Entscheidung entgegengestanden und eine Zurückverweisung an das SG erforderlich gemacht hätten. Der Kläger behauptet jedoch nicht, dass zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 22.8.2019 keine Entscheidungsreife vorgelegen habe. Er bezieht sich nur auf Beweisangebote, dagegen auf keinen konkreten Beweisantrag, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Eine lediglich andere Rechtsauffassung des Berufungsgerichts als die des Klägers begründet eine Zurückverweisung an das SG nicht (vgl BSG Beschluss vom 1.8.2017 - B 13 R 323/16 B - juris RdNr 13).
b) Soweit der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) rügt, ist auch dieser Verfahrensfehler nicht hinreichend bezeichnet. Ein solcher Verstoß liegt nur vor, wenn das Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in seine Erwägungen einzubeziehen, nicht nachgekommen ist oder sein Urteil auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht haben äußern können (vgl stRspr, zB Senatsbeschluss vom 2.12.2015 - B 9 V 12/15 B - juris RdNr 20; BSG Beschluss vom 1.8.2017 - B 13 R 323/16 B - juris RdNr 14, jeweils mwN).
Mit seinen Ausführungen hat der Kläger jedoch nicht dargelegt, dass er mit der vom LSG getroffenen Sachentscheidung nicht habe rechnen können. Der Kläger behauptet nicht, daran gehindert worden zu sein, sämtliche ihm wichtig erscheinenden Aspekte vorzutragen. Vielmehr führt er selbst aus, mit Schriftsatz vom 16.8.2019 seine Gesichtspunkte zu den Ursachen des Ausbildungsabbruchs und zur fehlenden Arbeitstätigkeit vor der Inhaftierung und einer fehlenden Arbeitstätigkeit im Baubereich nach der Inhaftierung gegenüber dem Gericht dargestellt zu haben. Es gibt indes keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, den Vortrag eines Beteiligten als zutreffend zu übernehmen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet nur, dass ein Beteiligter mit seinem Vortrag "gehört", nicht jedoch "erhört" wird. Die Gerichte werden durch Art 103 Abs 1 GG nicht dazu verpflichtet, sich mit jedem Vortrag eines Beteiligten auseinanderzusetzen oder seiner Rechtsansicht zu folgen (Senatsbeschluss vom 28.9.2018 - B 9 V 21/18 B - juris RdNr 11; BSG Beschluss vom 20.11.2018 - B 8 SO 43/18 B - juris RdNr 9).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Beschwerde ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2, § 169 SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13976004 |