Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Begründung. Abweichung

 

Orientierungssatz

1. Wird die Beschwerde auf Divergenz gestützt, muß die Beschwerdebegründung erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz im angezogenen Urteil enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (vgl BSG vom 29.11.1989 - 7 BAr 130/88).

2. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfalle, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung.

 

Normenkette

SGG § 160a Abs 2 S 3, § 160 Abs 2 Nr 2

 

Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Entscheidung vom 18.02.1992; Aktenzeichen L 2 Ar 8/89)

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig; ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn einer der drei abschließend in § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) genannten Zulassungsgründe vorliegt. Das ist der Fall, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers stützt sich auf § 160 Abs 2 Nr 2 SGG; denn der Kläger macht geltend, die Rechtsprechung des LSG weiche von der des BSG ab, wie diese in dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil des Senats vom 19. März 1992 - 7 RAr 128/90 - niedergelegt sei. Wird Abweichung geltend gemacht, muß die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG bezeichnet werden.

Zwar hat der Kläger die Entscheidung nach Gericht, Datum und Aktenzeichen genannt, von der nach seiner Meinung das Urteil des LSG abweicht. Damit ist indes das Erfordernis, die Nichtzulassungsbeschwerde zu begründen (§ 160a Abs 2 Satz 1 SGG), in der Regel nicht schon erfüllt. Sowenig Satz 3 des § 164 Abs 2 SGG den notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung erschöpfend umschreibt (BSG SozR 1500 § 164 Nrn 20 und 25), sowenig gilt dies für die in § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genannten Erfordernisse zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde. Zu den Erfordernissen nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG treten vielmehr weitere - in Satz 1 vorausgesetzte - Erfordernisse hinzu, die sich erst aus der Pflicht zur Begründung allgemein und aus dem Sinn und Zweck der nur durch Prozeßbevollmächtigte iSd § 166 SGG vornehmbaren Beschwerdebegründung ergeben (vgl BSG aaO). Hierzu gehört bei der Beschwerde wegen Abweichung, daß die Abweichung aufgezeigt wird.

Abweichung bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder, anders gewendet, das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen Rechtssatz des BSG oder des Gemeinsamen Senats aufgestellt hat (vgl BAG AP Nr 11 zu § 72a ArbGG 1979 Divergenz; Hennig/Danckwerts/König, Komm zum SGG, Stand Januar 1990, Erl 8.4 zu § 160; Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 4. Aufl 1991, § 160 Rz 13). Das LSG muß also die Rechtsfrage entschieden und darf diese nicht etwa übersehen haben (BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 147). Es genügt auch nicht, wenn das LSG lediglich Tatsachen anders beurteilt hat, als dies in der angezogenen Entscheidung geschehen ist (BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 128; BFHE 129, 313). Eine Abweichung liegt daher nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfalle, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung.

Wird die Beschwerde auf Divergenz gestützt, muß die Beschwerdebegründung mithin erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz im angezogenen Urteil enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 21, 29 und 67). Das ist hier nicht geschehen.

Der Kläger macht geltend, nach den Grundsätzen des BSG sei für die Frage der objektiven Verfügbarkeit entscheidend, ob der Arbeitslose zu längerer als kurzzeitiger Beschäftigung objektiv in der Lage sei. Daß das LSG diesem Rechtssatz widersprochen hätte, wird nicht einmal behauptet. Lediglich in tatsächlicher Hinsicht führt der Kläger aus, daß er neben seiner Tätigkeit als Assistenzarzt mit einer vorgeschriebenen Arbeitszeit von 40 Wochenstunden eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit mindestens 18 Arbeitsstunden pro Woche hätte ausüben können. Die Nichtzulassungsbeschwerde wirft dem LSG ferner vor, daß es von einer Belastungsobergrenze ausgehe, die das Gesetz nicht vorsehe. Allerdings hat der erkennende Senat in dem Urteil vom 19. März 1992 - 7 RAr 128/90 - ausgeführt, daß eine von der Physis des Menschen bestimmte allgemein gültige zeitliche Grenze, wieviele Stunden jemand in der Woche regelmäßig arbeiten könne, nicht bei 48 Stunden liege. Aus der Nichtzulassungsbeschwerde ergibt sich indes nicht, daß das LSG von einer allgemein gültigen Belastungsobergrenze von 48 Stunden in der Woche ausgegangen ist. Das hätte der Kläger auch nicht vortragen können. Das LSG hat nämlich hierzu lediglich ausgeführt, der Kläger habe die Voraussetzung des § 103 Abs 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) während der Zeit seines Praktikums nicht erfüllt, weil er in dieser Zeit wöchentlich rund 40 Stunden in Anspruch genommen sei, was eine weitere, nicht nur kurzzeitige Beschäftigung ausschließe. Insoweit hat das LSG auf das Urteil des Sozialgerichts (SG) verwiesen. Dies hatte aber dahin erkannt, daß die ordnungsgemäße Erfüllung des Praktikums, die auch Nachtdienst eingeschlossen habe, einen Arbeitsaufwand voraussetzte, der es dem Kläger nicht ermöglichte, daneben noch eine mehr als kurzzeitige Beschäftigung auszuüben. Von einer allgemein geltenden zeitlichen Obergrenze ist weder in dem Urteil des LSG noch in dem des SG die Rede; die Formulierung des SG läßt eher darauf schließen, daß es den 1982 45 Jahre alten Kläger angesichts der konkreten Anforderungen des Praktikums nicht als fähig ansah, neben dem Praktikum noch eine mehr als kurzzeitige arbeitsmarktübliche Beschäftigung auszuüben.

Soweit der Kläger sich gegen die Rechtsanwendung des LSG im vorliegenden Einzelfalle wendet, ist sein Vortrag unerheblich. Mit bloßen Angriffen gegen die inhaltliche Richtigkeit der Berufungsentscheidung kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht begründet werden; denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist lediglich, ob die Revision zuzulassen ist, nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

Entspricht die Beschwerdebegründung hiernach nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Sätze 1 und 3 SGG, muß die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig verworfen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1667971

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