Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verletzung der Amtsermittlungspflicht. Beweisantrag. Bezeichnung. Ablehnungsgesuch. Prozessuale Überholung. Beweiswürdigung. Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung
Leitsatz (redaktionell)
1. Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht stützt, muss u.a. einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten.
2. Aus Sinn und Zweck des Ablehnungsgesuchs ergibt sich, dass es nur bis zum Erlass der Endentscheidung des Gerichts zulässig ist, dem der abgelehnte bzw. die abgelehnten Richter angehören; nach Beendigung der Instanz kann ein Ablehnungsgesuch nicht mehr gestellt werden, da es dann prozessual überholt ist.
3. Auf die Beweiswürdigung durch das LSG bzw. die vermeintliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung betreffende Rügen kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden.
Normenkette
SGG §§ 103, 109, 124 Abs. 2, § 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 3, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
SG Chemnitz (Entscheidung vom 07.12.2018; Aktenzeichen S 9 R 740/16) |
Sächsisches LSG (Entscheidung vom 14.07.2020; Aktenzeichen L 5 R 31/19) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 14. Juli 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Mit Urteil vom 14.7.2020 hat das Sächsische LSG einen solchen Anspruch des Klägers wegen Fehlens der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen verneint und seine Berufung gegen den Gerichtsbescheid des SG Chemnitz vom 7.12.2018 zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt und Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend gemacht.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Beschlusses besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund der bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (stRspr; aus jüngster Zeit BSG Beschluss vom 25.9.2020 - B 8 SO 42/20 B - juris RdNr 14 mwN). Hierzu gehört die Darlegung, dass ein Beweisantrag gestellt und bis zuletzt noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten wurde. Daran fehlt es hier. Der Kläger bezeichnet keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag, den er vor dem LSG gestellt und aufrechterhalten hat. Er trägt lediglich vor, das LSG habe die gebotene Sachaufklärung zu einem Beratungsfehler der Beklagten verweigert, und benennt Beweise, die aus seiner Sicht hätten berücksichtigt werden müssen. Dabei beziehen sich die Beweisantritte im Übrigen nur auf die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen im Mai 2015, nicht hingegen auf einen möglichen früheren Eintritt der Erwerbsminderung (vgl zum Krankheitsverlauf Gutachten Dr. P. vom 22.1.2018). Den Anforderungen an die Rüge einer Verletzung des § 103 SGG ist mit diesem Vortrag nicht genügt. Der Kläger beanstandet im Kern die Beweiswürdigung durch das LSG nach § 128 SGG. Eine solche Rüge ist indes nach dem eindeutigen Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausgeschlossen.
Soweit der Kläger die Befangenheit der Richter L. und K. rügt, bezeichnet er keinen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Selbst wenn man diesen Vortrag als nachträgliches Ablehnungsgesuch deuten wollte, wäre dieses unzulässig, weil das Verfahren vor dem LSG bereits beendet ist. Aus Sinn und Zweck des Ablehnungsgesuchs ergibt sich, dass es nur bis zum Erlass der Endentscheidung des Gerichts zulässig ist, dem der abgelehnte bzw die abgelehnten Richter angehören. Nach Beendigung der Instanz kann ein Ablehnungsgesuch nicht mehr gestellt werden; es ist dann prozessual überholt (BSG Beschluss vom 16.1.2020 - B 10 ÜG 15/19 B - juris RdNr 12 mwN).
Die übrigen Rügen des Klägers ("Falschberatung der Rentenversicherung ... völlig ignoriert"; "Zuerkennung einer Arbeitsmarktrente … nicht geprüft"; "Gutachten von Frau Dr. S. ... vollständig ignoriert") betreffen wiederum die Beweiswürdigung durch das LSG bzw die vermeintliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Hierauf kann eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht gestützt werden (vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
Mit dem Vorbringen, er habe seine Meinung dem Gericht persönlich dartun wollen, das Gericht habe gleichwohl ohne mündliche Verhandlung entschieden, legt der Kläger keinen Verstoß gegen § 124 Abs 2 SGG substantiiert dar. Dass er keine wirksame Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erteilt hat, ist nicht vorgetragen.
Zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG enthält die Beschwerdeschrift keinerlei nähere Ausführungen. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Fichte/Jüttner, SGG, 3. Aufl 2020, § 160a RdNr 32 ff). Entsprechende Darlegungen finden sich in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14285346 |