Verfahrensgang
LSG Hamburg (Urteil vom 13.12.2022; Aktenzeichen L 3 R 40/21) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 28.04.2021; Aktenzeichen S 33 R 1112/19) |
Nachgehend
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Dezember 2022 wird abgelehnt.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Dezember 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die klagende Person wurde im Jahr 1972 nach eigenen Angaben zweigeschlechtlich geboren und legt Wert auf die Anrede "Hermaphrodit" (kurz: "Herm"). Sie bezieht vom beklagten Rentenversicherungsträger seit dem 1.1.2012 eine - mittlerweile auf Dauer gewährte - Rente wegen Erwerbsminderung. Sozialgerichtliche Verfahren über die zutreffende Höhe der Rente unter besonderer Berücksichtigung der im Kindesalter vorgenommenen geschlechtsangleichenden Operationen und der Behandlung mit dem Medikament Androcur blieben ohne Erfolg (zB Urteil des SG vom 18.4.2017 - S 33 R 1064/13 -, Beschluss des LSG vom 5.3.2019 - L 3 R 41/17 -, Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ≪PKH≫ für ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren durch Beschluss des BSG vom 1.7.2020 - B 13 R 7/19 BH -).
Auch gegen die Rentenanpassungsmitteilung zum 1.7.2019 erhob die klagende Person unter Bezugnahme auf sämtliche Begründungen zu den Klagen, die sich gegen die Rentenhöhe richteten, Widerspruch (Schreiben vom 18.8.2019). Ein "durch medizinische Nazifolter" schwerbehinderter Mensch habe nach Art 14 des Übereinkommens vom 10.12.1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl II 1990, 247 - oftmals mit der englischsprachigen Abkürzung "CAT" bezeichnet) Anspruch auf eine Rente mindestens in der durchschnittlichen Höhe eines im Jahr 1972 geborenen und bei der Beklagten versicherten Menschen. Der Rechtsbehelf ist ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 23.10.2019, Gerichtsbescheid des SG vom 28.4.2021, Urteil des LSG vom 13.12.2022). Die klagende Person hat ua gegen die Terminsmitteilung (Schreiben des LSG vom 21.11.2022) sowie gegen die Ablehnung von PKH (Beschluss des LSG vom 29.11.2022) Verfassungsbeschwerde erhoben, die nicht zur Entscheidung angenommen wurde (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 21.3.2023 - 1 BvR 2294/22 - juris).
Gegen das am 5.1.2023 zugestellte LSG-Urteil vom 13.12.2022 hat die klagende Person mit Telefax vom 5.2.2023 beim BSG Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und PKH für das Beschwerdeverfahren beantragt. Eine weitere Begründung für den PKH-Antrag wurde "bis zum 05. März 2023 um 24:00 Uhr" angekündigt, ist aber nachfolgend nicht eingegangen.
II
1. Der Senat entscheidet über das Rechtsschutzgesuch in der im Rubrum dieses Beschlusses bezeichneten Besetzung.
a) Die von der klagenden Person im Schreiben vom 5.2.2023 angekündigte nähere Begründung für die vorsorglich erhobene "Besetzungsrüge" ist nicht vorgelegt worden. Konkrete Gründe dafür, dass der Senat mit den im Rubrum genannten Richtern fehlerhaft besetzt sein könne, sind auch sonst nicht ersichtlich. Welche Richter innerhalb eines mit mehreren Richtern besetzten Spruchkörpers zur Entscheidung berufen sind, richtet sich nach dem senatsinternen Geschäftsverteilungsplan (vgl § 202 Satz 1 SGG iVm § 21g GVG) und nicht danach, ob die Richter gegebenenfalls mit einzelnen persönlichen Merkmalen einer Gruppe angehören, der sich die rechtsschutzsuchende Person zugehörig fühlt (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 27.6.2023 - 1 BvR 1050/23 - RdNr 2, veröffentlicht unter www.bundesverfassungsgericht.de).
b) Soweit die klagende Person im Schreiben vom 5.2.2023 sämtliche Richterinnen und Richter des BSG wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnt, gegen die sich ihre Strafanzeige vom 21.12.2022 "wegen Völkermord" bzw "wegen gemeinschaftlicher Begehung sowie Beteiligung und Billigung rassenhygienisch motivierten Genozides an intergeschlechtlichen Kindern/Menschen" richtet, hat das für die hier zu treffende Entscheidung keine Bedeutung. Die im Rubrum genannten Richterinnen und Richter sind in der Strafanzeige vom 21.12.2022 nicht aufgeführt.
2. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.
Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann PKH nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Das ist hier nicht der Fall. Nach Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen vorinstanzlichen Gerichtsakten ist nicht ersichtlich, dass ein Prozessbevollmächtigter in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen das LSG-Urteil vom 13.12.2022 erfolgreich zu begründen.
Die Revision kann nach ordnungsgemäß begründeter Beschwerde nur zugelassen werden, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
a) Dass dem Verfahren eine grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte, ist nicht erkennbar. Grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine ernsthaft sich stellende Frage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Rechtsvorschrift mit höherrangigem Recht aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Dass solche Fragen hier von Bedeutung sein könnten, ist nicht zu erkennen. Das gilt insbesondere auch mit Rücksicht auf den bereits im Gerichtsbescheid des SG und erneut im LSG-Urteil hervorgehobenen Umstand, dass Gegenstand des Verfahrens nicht die zutreffende Festsetzung der Rentenhöhe im Rahmen einer Feststellung des sog "Stammrechts" auf Rente wegen Erwerbsminderung ist. Vielmehr ist Regelungsinhalt der hier angefochtenen Bescheide lediglich eine Anpassung des Zahlbetrags der Rente zugunsten der klagenden Person nach einer Rechtsänderung, die ausschließlich den aktuellen Rentenwert als Berechnungselement für die Rentenhöhe betrifft (vgl § 64 Nr 3 iVm §§ 65, 68, 69 Abs 1 SGB VI sowie § 48 Abs 1 SGB X). Lediglich ergänzend nimmt der Senat zu den von der klagenden Person auch hier geltend gemachten Gesichtspunkten auf den Beschluss des 13. Senats vom 1.7.2020 (B 13 R 7/19 BH - juris RdNr 5 ff) Bezug (zu menschenrechtlichen Aspekten geschlechtsverändernder Eingriffe bei intergeschlechtlichen Kindern s auch Göttsche, Weibliche Genitalverstümmelung/Beschneidung, 2020, S 92 ff, 143 f). Er verweist im Übrigen auf sein Urteil vom 10.11.2022 (B 5 R 29/21 R - juris, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4 vorgesehen), demzufolge die unterbliebene Einbeziehung von Rentenbeziehern, deren Erwerbsminderungsrente bereits vor dem 1.1.2019 begann, in die ab diesem Zeitpunkt vorgesehene Verlängerung der Zurechnungszeit verfassungsgemäß ist (s dazu auch BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 12.6.2023 - 1 BvR 847/23 - juris).
b) Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass das LSG bei seiner Entscheidung einen Rechtssatz in Abweichung von einem solchen des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hätte und damit von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen wäre (Zulassungsgrund der Divergenz, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG).
c) Ebenso wenig ist ein Verfahrensmangel ersichtlich, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Insbesondere sind keine Umstände erkennbar, die es einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten ermöglichen könnten, mit Erfolg zu rügen, dass an der Entscheidung des LSG am 13.12.2022 ein Richter mitgewirkt hat, der nicht hätte mitwirken dürfen. Zwar findet sich in der Gerichtsakte ein am 12.12.2022 im Nachtbriefkasten des SG/LSG eingegangenes Schreiben der klagenden Person an das LSG vom 9.12.2022. Dieses Schreiben enthält jedoch kein Ablehnungsgesuch iS von § 60 Abs 1 SGG iVm § 44 Abs 1 ZPO, sondern ausschließlich Ausführungen dazu, dass der klagenden Person als zweigeschlechtlich geborener Mensch und im Hinblick auf ihre "zwei gegengeschlechtlichen Vornamen" eine Erwerbsminderungsrente in doppelter Höhe zustehe. Auch das weitere Schreiben der klagenden Person vom 10.12.2022, das - obgleich an das LSG adressiert - am 10.12.2022 (Samstag) in den Gerichtsbriefkasten des Amts- und Landgerichts eingelegt wurde und erst am 13.12.2022 das LSG erreichte, enthält kein Befangenheitsgesuch gegenüber einem bestimmten Richter. Dort finden sich lediglich umfangreiche Ausführungen dazu, dass "sämtliche deutsche Verfahrensordnungen (…) im verfassungswidrigen und für Hermaphroditen rassistischen Zweigeschlechtersystem aus Mann und Frau verfasst" und deshalb unanwendbar seien. Zudem sei es "jedem einzelnen Richter und jeder einzelnen Richterin als repräsentierender Einzelperson des Gesamtsystems Bundesrepublik Deutschland unmöglich, intergeschlechtlichen Menschen unbefangen gegenüber zu treten". Diese Darlegungen sind jedoch zur Begründung einer Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet und hindern die geschäftsplanmäßig zur Entscheidung berufenen Richter nicht an einer Entscheidung (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 21.3.2023 - 1 BvR 2294/22 - juris RdNr 1; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 27.6.2023 - 1 BvR 1050/23 - RdNr 1).
Da nach alledem PKH nicht zu bewilligen ist, entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (vgl § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
3. Die von der klagenden Person selbst eingelegte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (vgl § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG). Sie entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Im Verfahren vor dem BSG (ausgenommen im PKH-Verfahren) müssen sich die Beteiligten - anders als in erster oder zweiter Instanz - von einem zugelassenen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen (vgl § 73 Abs 4 SGG). Über diesen "Vertretungszwang" ist in der Rechtsmittelbelehrung des LSG-Urteils (Umdruck S 8 f) ausführlich belehrt worden. Er soll sicherstellen, dass das Verfahren vor einem obersten Gerichtshof des Bundes von einer fachkundigen Person mit qualifizierten Kenntnissen des Rechts verantwortlich geführt wird. Das soll auch einen Beitrag dazu leisten, dass die personellen Ressourcen der Justiz effektiv eingesetzt werden können und nicht durch aussichtslose Verfahren blockiert werden (vgl BSG Beschluss vom 26.10.2022 - B 5 R 108/22 AR - juris RdNr 9).
4. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 183 Satz 1 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15912604 |