Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt. Anspruch gegen für ihn zuständige Kassenärztliche Vereinigung. Arbeitseinkommen im Sinne von § 850 Abs 2 ZPO. Revision. keine allgemeine Überprüfung des Rechtsstreits in der Sache
Orientierungssatz
1. Die Ansprüche eines Vertragsarztes gegen die für ihn zuständige Kassenärztliche Vereinigung sind als Arbeitseinkommen im Sinne von § 850 Abs 2 ZPO einzuordnen (vgl zB BGH vom 11.5.2010 - IX ZR 139/09 = NJW-RR 2010, 1353).
2. Die enumerative Aufzählung der Zulassungsgründe in § 160 Abs 2 SGG zeigt, dass die Revision nicht einer allgemeinen Überprüfung des Rechtsstreits in der Sache dient (vgl zB BSG vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B = SozR 3-1500 § 160 Nr 26).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2; ZPO § 850 Abs. 2
Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 11.05.2016; Aktenzeichen S 2 KA 275/15) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 20.03.2019; Aktenzeichen L 11 KA 39/16) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. März 2019 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 17 078,43 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger, ein bis 2013 im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Internist, begehrt die Festsetzung eines Pfändungsfreibetrages und Auszahlung von vertragsärztlichem Honorar. Er trat im Jahr 1986 zum Zwecke der Kreditaufnahme den pfändbaren Teil seines gegenwärtigen und künftigen Arbeitseinkommens im Sinne des § 850 ZPO an die beigeladene Bank ab. Im Jahr 2002 wurde über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet, welches mit Beschluss vom 22.12.2012 aufgehoben worden ist. Restschuldbefreiung wurde dem Kläger nicht gewährt. Die Schlussverteilung wurde im August 2015 beendet.
Wegen Überschreitung von Heilmittelrichtgrößenvolumina verfügte der Beschwerdeausschuss für die Jahre 2007 bis 2010 gegen den Kläger Regresse. Für die Jahre 2008 bis 2010 zahlte der Insolvenzverwalter die insoweit festgesetzten Regresssummen in voller Höhe an die Beklagte. Im Rahmen von gerichtlichen Vergleichen zwischen dem Kläger und der Beklagten wurden die Regresse für die Jahre 2007 bis 2010 sodann um jeweils 20 % (insgesamt 17 078,43 Euro) reduziert. Anträge des Klägers, des Insolvenzverwalters und des früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers auf Auszahlung dieses Betrages lehnte die Beklagte ab.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 22.4.2016 (71 IN 25/02) die Nachtragsverteilung nach § 203 Insolvenzordnung (InsO) ua hinsichtlich "rechtsgrundlos" an die Beklagte "ausgezahlter Heilmittelregresse für die Jahre 2008 bis 2011" angeordnet.
Mit rechtskräftigem Zwischenurteil über den Grund vom 27.5.2015 (S 2 KA 350/14) hat das SG die Beklagte verurteilt, die Regresserstattungsbeträge wegen Überschreitung der Heilmittelrichtgrößen für die Jahre 2007 bis 2010 in Höhe der jeweils unpfändbaren Beträge an den Kläger auszuzahlen. Das SG hat sodann die hinsichtlich der Höhe der an den Kläger auszuzahlenden Regressbeträge weitergeführte Klage abgewiesen (Urteil vom 11.5.2016 - S 2 KA 275/15). Auf die vom Insolvenzverwalter an die Beklagte gezahlten Regressbeträge bestehe kein Anspruch, da die Nachtragsverteilung angeordnet sei. Eine Bestimmung der Pfändungsfreigrenze nach § 850i ZPO sei nicht möglich, da es an quantifizierbaren Angaben des Klägers zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen fehle. Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 20.3.2019).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Verfahrensfehler (Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG) geltend.
II. Die Beschwerde des Klägers bleibt ohne Erfolg.
1. Bezogen auf die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist die Beschwerde jedenfalls nicht begründet. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 29.11.2006 - B 6 KA 23/06 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 28.10.2015 - B 6 KA 12/15 B - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sich die Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus schon vorliegender Rechtsprechung klar ergibt (BSG Beschluss vom 11.10.2017 - B 6 KA 29/17 B - juris RdNr 4). Klärungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstünde oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB BSG Beschluss vom 13.2.2019 - B 6 KA 17/18 B - juris RdNr 7). Nach diesen Maßstäben ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache hier zu verneinen.
Der Kläger bezeichnet allein folgende Rechtsfrage als grundsätzlich bedeutsam:
"Umfaßt die Abtretung des pfändbaren Teils des gegenwärtigen und zukünftigen Arbeitseinkommens i.S.d. § 850 ZPO (insbesondere die Ansprüche gegen den jeweiligen Arbeitgeber und gegen die jeweils zuständige Kassenärztliche- oder Kassenzahnärztliche Vereinigung) bzw. Sozialhilfeleistungsansprüche gegen den jeweiligen Leistungsträger im Rahmen eines zur Praxisgründung beantragten Darlehens auch die Erstattungsansprüche aus der Überschreitung der Heilmittelverordnung?"
Es ist bereits zweifelhaft, ob die in der Beschwerdebegründung aufgestellte allgemeine Behauptung der Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG genügt (vgl BSG Beschluss vom 13.2.2019 - B 6 KA 17/18 B - juris RdNr 13). In der Beschwerdebegründung muss dargelegt werden, dass die Antwort auf die gestellte Frage noch offen und nicht durch die schon ergangene Rechtsprechung geklärt ist. Der Kläger hätte sich deshalb mit der Rechtsprechung des BGH auseinandersetzen müssen, welcher die Ansprüche eines Vertragsarztes gegen die für ihn zuständige KÄV als "Arbeitseinkommen" im Sinne von § 850 Abs 2 ZPO einordnet (BGH Urteil vom 11.5.2010 - IX ZR 139/09 - juris RdNr 12; BGH Urteil vom 11.5.2006 - IX ZR 247/03 - BGHZ 167, 363; BGH Urteil vom 5.12.1985 - IX ZR 9/85 - BGHZ 96, 324; BGH Beschluss vom 28.9.1989 - III ZR 280/88 - juris RdNr 4). Zudem zielt die Beantwortung der Frage auf den konkreten Einzelfall. Der Sache nach rügt der Kläger, dass das Berufungsgericht zu rechtsfehlerhaften Annahmen gelangt sei. Mit inhaltlichen Angriffen gegen die materiell-rechtliche Auffassung der Vorinstanz kann die Zulassung der Revision aber nicht erreicht werden.
Jedenfalls aber kommt es auf die Beantwortung dieser Rechtsfrage für die Entscheidung nicht an. Es fehlt an der Klärungsfähigkeit dieser vom Kläger als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage insbesondere deshalb, weil das Berufungsurteil hierauf nicht beruht. Das SG hat die Beklagte mit (formell) rechtskräftigem Zwischenurteil über den Grund (Urteil vom 27.5.2015; § 202 SGG iVm § 304 ZPO) verurteilt, die Regresserstattungsbeträge aus den Verfahren wegen Überschreitung der Heilmittelrichtgrößen in Höhe der jeweils unpfändbaren Beträge an den Kläger auszuzahlen. Dieses Urteil war als Endurteil (§ 304 Abs 2 ZPO) selbstständig mit der Berufung anfechtbar und wäre daher nur in einem solchen Rechtsmittelverfahren überprüfbar gewesen; ein entsprechendes Verfahren wurde jedoch nicht durchgeführt. Dagegen ist in dem tatsächlich nach Rechtskraft des SG-Urteils vom 27.5.2015 vom Kläger eingeleiteten (Berufungs-)Verfahren zur Höhe des unpfändbaren Anteils nicht mehr überprüfbar, ob das SG die Beklagte zu Recht zur Zahlung der unpfändbaren Beträge an den Kläger verurteilt hat. Vielmehr war das LSG insoweit an das (formell) rechtskräftige Grundurteil des SG gebunden (§ 202 SGG iVm § 512 ZPO).
Das LSG hat seine Entscheidung - durch Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG - tragend darauf gestützt, dass eine Ermittlung des unpfändbaren Teils der Regresserstattungsbeträge wegen fehlender Angaben des Klägers über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht möglich sei. Dass LSG hat zur Begründung seiner Entscheidung somit - aufgrund der Bindungswirkung des Grundurteils des SG - nicht auf die Frage abgestellt, deren Klärung der Kläger im Revisionsverfahren erwartet.
2. Soweit der Kläger Verfahrensfehler rügt, ist die Beschwerde unzulässig. Der Kläger hat einen Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, bereits nicht hinreichend bezeichnet.
Sollte mit dem Vorbringen, dass die "Vordergerichte die Sach- und Rechtslage lediglich unzureichend gewürdigt" haben, sinngemäß eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung gerügt werden, verkennt der Kläger die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG, demzufolge eine Revisionszulassung ausscheidet, wenn eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Entscheidung des Gerichts nach freier, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnener Überzeugung) geltend gemacht wird.
Auch soweit der Kläger mit seinem Vorbringen möglicherweise die Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) rügen will, genügt dies den Anforderungen nicht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein geltend gemachter Verfahrensmangel auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dazu enthält das Vorbringen des Klägers bereits keine Angaben.
Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzureichende Rechtsanwendung des LSG rügen wollte. Auf die Behauptung der fehlerhaften Rechtsanwendung kann die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden. Wie schon die enumerative Aufzählung der Zulassungsgründe in § 160 Abs 2 SGG zeigt, dient die Revision nicht einer allgemeinen Überprüfung des Rechtsstreits in der Sache (vgl zB BSG Beschluss vom 27.1.1999 - B 4 RA 131/98 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 26).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).
4. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht der Festsetzung der Vorinstanz, die von keinem Beteiligten in Frage gestellt worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 13586871 |
NZI 2020, 152 |
ZInsO 2020, 783 |