Verfahrensgang
SG Koblenz (Entscheidung vom 26.11.2021; Aktenzeichen S 10 R 5/20) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 09.06.2022; Aktenzeichen L 1 R 246/21) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 9. Juni 2022 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerinnen begehren eine Halbwaisenrente. Sie sind die 2006 und 2007 geborenen Töchter der Beigeladenen und des verstorbenen D (im Folgenden: Versicherter).
Der Versicherte hatte im Februar 2010 eine Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten beantragt und angegeben, keine Kindererziehungszeiten geltend zu machen. Ausweislich eines Aktenvermerks der Beklagten wurde der Antrag wegen Fehlens der erforderlichen Versicherungszeit abgelehnt. Der Versicherte verstarb am 23.9.2013. Am 10.6.2014 beantragten die Klägerinnen Beitragserstattung aus seiner Versicherung. Die Beklagte entsprach dem Antrag und erstattete den Klägerinnen jeweils 429,56 Euro (Bescheide vom 3.11.2014). Am 30.1.2015 legten die Klägerinnen Widerspruch gegen die Bescheide vom 3.11.2014 ein und beantragten unter Zurückziehung des Antrags auf Beitragserstattung die Gewährung von Halbwaisenrente. Sie machten unter Vorlage einer entsprechenden Erklärung der Beigeladenen geltend, sie seien in gleichem Umfang vom Versicherten und der Beigeladenen erzogen worden. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 4.5.2015). Die Beteiligten führten in der Folge zwei Rechtsstreitigkeiten vor dem SG Koblenz und teilweise auch vor dem LSG, die durch Vergleich (S 5 R 325/15 = L 6 R 194/17) bzw Klagerücknahme (S 17 R 240/18) beendet wurden. In Ausführung des Vergleichs nahm die Beklagte die Bescheide vom 3.11.2014 und den Widerspruchsbescheid vom 4.5.2015 zurück, machte die Beitragserstattung rückgängig und entschied über die Anträge auf Halbwaisenrente. Sie lehnte die Anträge wegen Nichterfüllung der Wartezeit ab (Bescheide vom 18.7.2019; Widerspruchsbescheide vom 13.12.2019).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 26.11.2021), das LSG die dagegen gerichtete Berufung der Klägerinnen mit Urteil vom 9.6.2022 zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Halbwaisenrente bestehe nicht, weil der Versicherungsverlauf des Versicherten lediglich 56 Monate mit Zeiten aufweise, die auf die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (60 Monate) anrechenbar seien. Kindererziehungszeiten seien bei ihm nicht zu berücksichtigen. Nach dem Ergebnis der Sachverhaltsermittlung habe er die Klägerinnen weder allein noch überwiegend erzogen. Eine übereinstimmende Erklärung der Beigeladenen und des Versicherten, die Zeit der gemeinsamen Erziehung dem Versicherten zuzuordnen, sei zu dessen Lebzeiten nicht abgegeben worden. Die Klägerinnen könnten auch nicht im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden, als sei eine solche Erklärung zu Lebzeiten des Versicherten abgegeben worden. Nach dessen Versterben könne eine gemeinsame Erklärung naturgemäß nicht mehr abgegeben werden. Die Erziehungszeiten seien daher gemäß § 56 Abs 2 Satz 8 SGB VI in der bis zum 31.12.2018 geltenden Fassung der Beigeladenen zuzuordnen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber dieser Regelung würden nicht bestehen. Die erforderliche Wartezeit könne nach dem Versterben des Versicherten auch nicht mehr durch die Leistung freiwilliger Beiträge erfüllt werden.
Die Klägerinnen haben gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 5.10.2022 begründet haben.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerinnen ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Es wird kein Revisionszulassungsgrund (§ 160 Abs 2 SGG) in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet.
a) Die Klägerinnen machen allenfalls sinngemäß eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrunds ist eine durch den Rechtsstreit aufgeworfene abstrakte Rechtsfrage zu benennen sowie ihre abstrakte Klärungsbedürftigkeit, ihre konkrete Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Revisionsentscheidung (sog Breitenwirkung) darzutun (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN). Dem entspricht das Beschwerdevorbringen nicht. Die Klägerinnen formulieren die Frage,
"ob Kindererziehungszeiten auch dann noch einem Elternteil zuzuordnen sind, wenn dieser Elternteil verstorben ist und die Kindererziehungszeiten bis dahin noch für keinen Elternteil vorgemerkt waren".
Es ist bereits zweifelhaft, ob sie damit eine abstrakte Rechtsfrage zur Auslegung revisibler (Bundes-)Normen aufwerfen, an der das Beschwerdegericht die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen könnte (vgl dazu BSG Beschluss vom 2.3.2015 - B 12 KR 60/14 B - juris RdNr 15; BSG Beschluss vom 22.4.2020 - B 5 R 266/19 B - juris RdNr 5, jeweils mwN). Sie benennen keine bestimmte Norm, sondern zielen mit ihrer einzelfallbezogenen Frage eher darauf ab zu überprüfen, ob für den Versicherten posthum Kindererziehungszeiten anzurechnen sind. Eine vermeintlich fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall vermag die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache indes nicht zu begründen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 15.6.2022 - B 5 R 56/22 B - juris RdNr 6 mwN).
Will man ihrem Gesamtvorbringen eine Rechtsfrage zur Auslegung von § 56 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB VI entnehmen, legen die Klägerinnen jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit einer solchen Frage nicht hinreichend dar. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort nicht außer Zweifel steht, sich zB nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nicht bereits höchstrichterlich entschieden ist (BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung getroffen wurde oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die nunmehr maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (vgl zB BSG Beschluss vom 6.4.2021 - B 5 RE 16/20 B - juris RdNr 6 mwN). Der gesamte § 56 Abs 1 Satz 2 SGB VI knüpft bei der Anrechnung einer Kindererziehungszeit für einen Elternteil an die Erziehung an. In der Rechtsprechung des BSG ist geklärt, dass der Begriff "Erziehung" im Rentenversicherungsrecht im tatsächlichen Sinne zu verstehen und weit auszulegen ist (vgl BSG Urteil vom 29.3.1978 - 5 RJ 4/77 - SozR 2200 § 1265 Nr 32 S 95 f mwN; vgl auch Schuler-Harms in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl, § 56 SGB VI, Stand: 1.4.2021, RdNr 30). Bereits dies legt nahe, dass auch noch nach dem Tod eines Elternteils festgestellt werden kann, wer das betroffene Kind tatsächlich erzogen hat und wem die Erziehungszeit daher nach Maßgabe von § 56 Abs 2 SGB VI zuzuordnen ist. Die Klägerinnen zeigen nicht auf, inwiefern dies zweifelhaft sein könnte. Sie beschränken sich auf den Vortrag, soweit erkennbar, habe noch kein Gericht (ausdrücklich) über die aufgeworfene Frage entschieden.
Falls die Klägerinnen, was ihr Gesamtvorbringen nahelegt, mit der aufgeworfenen Frage stattdessen geklärt wissen wollen, ob nach Versterben eines Elternteils und Zustimmung des anderen Elternteils die Erziehungszeit losgelöst von den rechtlichen Vorgaben des § 56 Abs 2 SGB VI zugeordnet werden kann, würde es gleichermaßen an einer anforderungsgerechten Darlegung der Klärungsbedürftigkeit fehlen. Sie setzen sich auch unter diesem Aspekt in keiner Weise mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 56 SGB VI auseinander.
b) Verfahrensfehler haben die Klägerinnen nicht hinreichend bezeichnet. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Auch den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerinnen rügen als Verletzung der Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Halbsatz 1 SGG), das LSG habe nicht weiter zum zeitlichen Umfang der Berufstätigkeit der Beigeladenen ermittelt. Die Beschwerdebegründung genügt insoweit schon deswegen nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abgeleiteten Anforderungen (vgl dazu zB BSG Beschluss vom 26.10.2022 - B 5 R 105/22 B - juris RdNr 6), weil kein Beweisantrag bezeichnet wird. Die Klägerinnen behaupten selbst nicht, im Berufungsverfahren einen prozessordnungsgemäßen, bis zum Schluss aufrechterhaltenen Beweisantrag gestellt zu haben, dem das LSG nicht gefolgt sei. Ihr Vorbringen, dem LSG hätten sich insbesondere angesichts des vom SG beigezogenen Versicherungsverlaufs der Beigeladenen weitere Ermittlungen aufdrängen müssen, ist schon deswegen nicht ausreichend, weil eine angebliche Verletzung des § 103 SGG im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nur unter den Einschränkungen des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG rügefähig ist.
Indem die Klägerinnen ausführlich darlegen, aus welchen Gründen zumindest für einzelne Monate von einer überwiegenden Erziehung durch den Versicherten auszugehen sei, wenden sie sich im Kern gegen die Beweiswürdigung des LSG. Hierauf kann nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden. Mit dem in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwurf, die Beklagte habe die Beigeladene trotz verschiedener Anlässe nicht auf vermeintliche Gestaltungsmöglichkeiten bei Zuordnung der Kindererziehungszeiten hingewiesen, wird bereits kein Verfahrensfehler des LSG behauptet.
c) Falls die Klägerinnen damit zugleich vorbringen wollen, ihnen habe ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zugestanden, würden sie sich gegen die inhaltliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung wenden. Auf die Fehlerhaftigkeit einer Entscheidung im Einzelfall kann eine Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nicht gestützt werden (vgl BSG Beschluss vom 3.7.2019 - B 5 RS 10/18 B - juris RdNr 11 mwN). Gleiches gilt für das Vorbringen der Klägerinnen, der im gerichtlichen Verfahren von der Beklagten vorgelegte Versicherungsverlauf sei unvollständig gewesen, tatsächlich sei von insgesamt 62 Monaten Pflichtbeitragszeiten des Versicherten auszugehen. Es ist den Klägerinnen unbenommen, bei der Beklagten eine Überprüfung der Bescheide vom 18.7.2019 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13.12.2019 anzustrengen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15554515 |