Leitsatz (amtlich)
Ein Gericht handelt nicht verfahrensfehlerhaft, wenn nach seiner materiellrechtlichen Auffassung ein Vorverfahren nicht erforderlich ist und es deshalb nichts zur Nachholung des Vorverfahrens veranlaßt (Abgrenzung zu BSG 1969-08-01 4 (12) RJ 280/67 = SozR Nr 49 zu § 150 SGG).
Normenkette
SGG § 160 Fassung: 1974-07-30, § 150 Fassung: 1974-07-30
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 07.07.1978; Aktenzeichen L 1 An 141/77) |
SG Berlin (Entscheidung vom 16.08.1977; Aktenzeichen S 16 An 1480/76) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen, die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 7. Juli 1978 wird zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers konnte keinen Erfolg haben.
Der Kläger macht zu Unrecht als Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend, das Landessozialgericht (LSG) habe seine Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Denn das LSG hat die Berufung des Klägers zutreffend als nicht zulässig erachtet, da die allein streitige Rückforderung von 241,50 DM die Wertgrenze von 1.000,-- DM nicht übersteigt (§ 149 SGG). Die Berufung war auch nicht nach § 150 Nr 2 SGG zulässig. Der Kläger hatte mit der Berufung zwar gerügt, das Sozialgericht (SG) habe verfahrensfehlerhaft (§ 78 Abs 1 SGG) über die Klage in der Sache entschieden, da das gemäß § 78 Abs 2 SGG erforderliche Vorverfahren nicht durchgeführt worden sei. Damit hat der Kläger vor dem LSG offensichtlich nicht rügen wollen, das SG Klage als unzulässig abweisen müssen - dann wäre er nicht beschwert gewesen -; die Rüge ist im wohlverstandenen Interesse des Klägers vielmehr dahin zu verstehen, daß der Kläger einen Hinweis des SG auf die Notwendigkeit des Vorverfahren vermißt und gemeint hat, das SG habe die Nachholung des Vorverfahrens veranlassen müssen - obgleich von seinem Rechtsstandpunkt aus erster Linie dazu verpflichtet war.
Die Verpflichtung der Tatsachengerichte, bei fehlendem Vorverfahren die Klage nicht als unzulässig abzuweisen, sondern den Beteiligten Gelegenheit zu geben, das Vorverfahren nachzuholen, ist von der Rechtsprechung entwickelt worden (BSGE 20, 199; 25, 66). Derartige Verfahrenspflichten sind mit der Beurteilung der materiellen Rechtslage eng verbunden. Bei der Prüfung, ob die Verfahrenspflicht verletzt ist, ist zum materiellen Recht von der Rechtsansicht des SG auszugehen (vgl BSG SozR Nr 35 zu § 150 SGG; Nr 79 zu § 162 SGG; Nr 25 zu § 109 SGG; BSGE 2, 84, 87).
Dem steht das Urteil des 4. Senats vom 1. August 1969 (BSG SozR Nr 49 zu § 150 SGG) nicht entgegen. Ist ein - objektiv entbehrliches - Vorverfahren nicht durchgeführt worden, so stellt nach dieser Entscheidung der Erlaß eines Sachurteils durch das SG auch dann keinen wesentlichen Mangel im Verfahren dar, wenn das SG von seiner materiell-rechtlichen Auffassung her ein Vorverfahren hätte verlangen müssen.
Hier war demgegenüber nach der materiell-rechtlichen Ansicht des SG ein Vorverfahren nicht erforderlich. Das SG hat ausgeführt, daß § 80 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) nach seinem Tatbestand und dem ihm zugrunde liegenden Gedanken des Vertrauensschutzes auf die von der Beklagten geltend gemachte Rückforderung nicht anwendbar sei. Ob diese Ansicht zutrifft, darf hier, wie ausgeführt, nicht überprüft werden. Das SG hat als Rechtsgrundlage einen nicht in das Ermessen der Beklagten gestellten Bereicherungsanspruch (wegen späteren Wegfalls eines zunächst gegebenen Leistungsgrundes) angenommen. Nach dieser Rechtsauffassung bedurfte es keines Vorverfahrens und brauchte das SG nichts zu dessen Nachholung zu veranlassen.
Die Revision war auch nicht nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Denn eine Zulassung der Revision würde nicht zur Klärung der als grundsätzlich angeführten Rechtsfrage führen, ob bei Umwandlung einer Erwerbsunfähigkeitsrente in ein Altersruhegeld (§ 31 Abs 2 AVG) und späterer Aufhebung des Umwandlungsbescheides wegen der ungünstigen Auswirkungen bei der Rentenanpassung das zwischenzeitlich gezahlte Altersruhegeld iS des § 80 AVG zu Unrecht gewährt wurde. Denn das Revisionsgericht könnte, da die Berufung nicht zulässig ist, diese materiell-rechtliche Rechtsfrage nicht beantworten.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen