Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtsfrage. Grundsätzliche Bedeutung. Widerspruch per Mail
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Darlegung, ob die Frage, ob ein Widerspruch per Mail ausreichend ist oder nicht, grundsätzliche Bedeutung hat, bedarf einer Auseinandersetzung mit der konkreten gesetzlichen Vorgabe in § 84 Abs. 1 S. 1 SGG zur Einlegung in elektronischer Form sowie damit, warum angesichts dieser Vorgabe ein auf elektronischem Weg eingereichtes Dokument der Schriftform unterfallen soll.
2. Ob das beklagte Jobcenter ein (späteres) Schreiben des Bevollmächtigten der Kläger als Widerspruch hätte auslegen müssen oder Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist zur Einlegung des Widerspruchs zu gewähren gewesen wäre, sind Fragen der Rechtsanwendung im Einzelfall, die nicht zu einer Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führen können.
Normenkette
SGG § 84 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169 Sätze 2-3; SGB I § 36a Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 4. November 2021 werden als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG sind als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 SGG).
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache haben die Kläger in der Begründung der Beschwerde nicht schlüssig dargelegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG vom 16.11.1987 - 5b BJ 118/87 - SozR 1500 § 160a Nr 60). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung prüfen zu können (vgl Krasney in Krasney/Udsching, Hdb SGG, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 181). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (klärungsbedürftig) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (klärungsfähig) ist (vgl BSG vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen oder so gut wie unbestritten ist, wenn sie praktisch außer Zweifel steht, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist oder wenn sich für die Antwort in vorliegenden höchstrichterlichen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (zusammenfassend BSG vom 2.10.2015 - B 10 LW 2/15 B - RdNr 6 mwN), weshalb sich die Beschwerdebegründung mit diesen Punkten substantiiert auseinandersetzen muss.
Als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung formulieren die Kläger, "ob ein Widerspruch per Mail ausreichend ist oder nicht". Hinsichtlich dieser Frage erfüllt die Beschwerdebegründung die Darlegungsanforderungen für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht.
Der Beschwerdebegründung fehlt es bereits an einer Auseinandersetzung mit der sich aus dem Wortlaut des Gesetzes ergebenden Rechtslage. Gemäß § 84 Abs 1 Satz 1 SGG(idF durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.2017, BGBl I 2208) ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 36a Absatz 2 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Hinsichtlich der formgerechten Einlegung eröffnet das Gesetz demnach drei Möglichkeiten, von denen der Kläger die Einlegung eines Widerspruchs per (einfacher) E-Mail als die Schriftform wahrend wissen will. Angesichts des Wortlauts des § 84 Abs 1 Satz 1 SGG, der zwischen schriftlicher Einreichung und derjenigen in elektronischer Form trennt, hätte es einer Auseinandersetzung mit der konkreten gesetzlichen Vorgabe zur Einlegung in elektronischer Form bedurft sowie damit, warum angesichts dieser Vorgabe ein auf elektronischem Weg eingereichtes Dokument der Schriftform unterfallen soll. Diese Befassung mit der Rechtslage leistet die Beschwerdebegründung nicht.
Ob das beklagte Jobcenter ein (späteres) Schreiben des Bevollmächtigten der Kläger als Widerspruch hätte auslegen müssen oder Wiedereinsetzung in eine versäumte Frist zur Einlegung des Widerspruchs zu gewähren gewesen wäre, sind Fragen der Rechtsanwendung im Einzelfall, die nicht zu einer Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führen können.
Die Verwerfung der Beschwerden erfolgt in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
S. Knickrehm Siefert Neumann
Fundstellen
Dokument-Index HI15148894 |