Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. hinreichende Bezeichnung des Verfahrensmangels
Orientierungssatz
Ein Verfahrensmangel wird nur dann iS des § 160a Abs 2 S 3 SGG hinreichend bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl BSG vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B = SozR 3-1500 § 160 Nr 33 sowie vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B = SozR 4-1500 § 160 Nr 30).
Normenkette
SGG §§ 62, 103, 118 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3; ZPO §§ 373, 445, § 445 ff.; GG Art. 103
Verfahrensgang
SG Berlin (Entscheidung vom 23.06.2016; Aktenzeichen S 11 R 6815/14) |
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 21.06.2018; Aktenzeichen L 33 R 592/16) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. Juni 2018 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Mit Urteil vom 21.6.2018 hat das LSG Berlin-Brandenburg einen Anspruch der Klägerin auf Witwenrente nach ihrem am 13.9.2013 verstorbenen Ehemann S. verneint. Die Ehe wurde am 10.9.2013 geschlossen, nachdem die Eheleute bereits von 1972 bis 1975 miteinander verheiratet waren.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich ausschließlich auf Verfahrensmängel (Zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
II. Die Beschwerde der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 S 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Die Klägerin macht ausschließlich geltend, die angegriffene Entscheidung des LSG beruhe auf Verfahrensmängeln (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG), weil sie trotz ausdrücklichen Antrags in der Sitzung vom 21.6.2018 nicht persönlich angehört worden sei. Hierdurch habe das LSG gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 103 SGG) und den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) verstoßen.
1. Ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist der Verstoß des Gerichts im Rahmen des prozessualen Vorgehens im unmittelbar vorangehenden Rechtszug (vgl zB BSG Urteil vom 29.11.1955 - 1 RA 15/54 - BSGE 2, 81 - Juris RdNr 4; BSG Urteil vom 24.10.1961 - 6 RKa 19/60 - BSGE 15, 169 = SozR Nr 3 zu § 52 SGG - Juris RdNr 29). Neben der Geltendmachung des Vorliegens eines Verstoßes gegen das Verfahrensrecht ist mit der Beschwerdebegründung darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung auf diesem Verstoß beruhen kann. Zu Grunde zu legen ist die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des LSG (BSG Urteil vom 28.5.1957 - 3 RJ 219/56 - SozR Nr 79 zu § 162 SGG; BSG Beschluss vom 31.1.1979 - 11 BA 166/78 - SozR 1500 § 160 Nr 33; BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - Juris RdNr 23). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Daran fehlt es.
2. Die Klägerin hat die von ihr allein geltend gemachten Verfahrensmängel - Verletzung der Sachaufklärungspflicht und des rechtlichen Gehörs (§ 103 SGG bzw § 62 SGG iVm Art 103 Abs 1 GG) nicht hinreichend bezeichnet. Hierfür fehlt es schon an einer - zumindest knappen - Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Vorliegend wird bereits der Gegenstand des Rechtsstreits nicht eindeutig kenntlich gemacht. Nur aufgrund eines Halbsatzes am Ende von Seite 7 der Beschwerdebegründung vom 5.12.2018 sowie des Inhalts anschließend wiedergegebener Rechtsprechung des BSG lässt sich erahnen, dass es in dem der Beschwerdebegründung zugrundeliegenden Rechtsstreit um die Frage einer sog Versorgungsehe und - wie daraus abzuleiten ist - um einen Anspruch auf Witwenrente geht. Ein Verfahrensmangel wird jedoch nur dann iS des § 160a Abs 2 S 3 SGG hinreichend bezeichnet, wenn der Beschwerdeführer diesen hinsichtlich aller ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen darlegt, sodass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Begründung darüber befinden kann, ob die angegriffene Entscheidung des LSG möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 16.11.2000 - B 4 RA 122/99 B - SozR 3-1500 § 160 Nr 33 - Juris RdNr 16 mwN; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Demgegenüber ist es nicht Aufgabe des erkennenden Senats, sich den maßgeblichen Sachverhalt aus den Akten oder dem angegriffenen Urteil herauszusuchen (vgl BSG Beschluss vom 31.5.2017 - B 5 R 358/16 B - Juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 26.1.2018 - B 13 R 309/14 B - Juris RdNr 3 f).
3. Unabhängig vom Fehlen der erforderlichen Sachverhaltsdarstellung wird der gerügte Verfahrensmangel wegen Verletzung der Amtsermittlungspflicht auch im Übrigen nicht anforderungsgerecht bezeichnet.
Die Amtsermittlungspflicht sieht die Klägerin verletzt, weil sie in der letzten mündlichen Verhandlung am 21.6.2018 den Antrag zu Protokoll gestellt habe, "… dass die Klägerin zum Ergebnis der heutigen Beweisaufnahme, insbesondere den drei Zeugenerklärungen in gleicher Angelegenheit persönlich befragt wird". Vor dem Hintergrund der zuvor gemachten Aussagen der Zeugin M. hätte sich das LSG gedrängt fühlen müssen, sie hierzu konkret anzuhören, und sie aufzufordern, die von der Zeugin erwähnten Eheringe sowie eine Rechnung hierüber vorzulegen. Die Ablehnung des Beweisantrags durch das LSG sei nicht hinreichend begründet, denn sie beruhe auf einer vorweggenommenen Beweiswürdigung.
Mit diesen Darlegungen hat die Klägerin jedoch keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnet. Denn im sozialgerichtlichen Verfahren ist eine Parteivernehmung auf Antrag oder von Amts wegen nicht vorgesehen, weil § 118 Abs 1 S 1 SGG nicht auf die §§ 445 ff ZPO verweist (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 27.5.2011 - B 12 KR 79/10 B - Juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 15.8.2018 - B 13 R 387/16 B- Juris RdNr 6). Selbst wenn in eng begrenzten Ausnahmefällen eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht iS des § 103 SGG bei abgelehnter Parteivernehmung angenommen werden könnte (vgl BSG Beschluss vom 14.10.2008 - B 13 R 407/08 B - Juris RdNr 18), so genügt der Antrag der bereits vor dem LSG anwaltlich vertretenen Klägerin jedenfalls nicht den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Beweisantrag iS der § 118 Abs 1 S 1 SGG, § 373 ZPO. Denn ein zu einer Zulassung der Revision führender Beweisantrag kann grundsätzlich nur ein solcher sein, der in prozessordnungsgerechter Weise formuliert ist, das Beweisthema möglichst konkret angibt und insoweit wenigstens umreißt, was die Beweisaufnahme ergeben soll (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 160 RdNr 18a mwN). Entsprechende Angaben fehlen in der Beschwerdebegründung. Einen auf Inaugenscheinnahme der Eheringe oder Urkundenvorlage (Vorlage der Rechnung für diese Ringe) gerichteten Beweisantrag gestellt zu haben, hat die Klägerin bereits nicht behauptet.
4. Schließlich wird mit der Beschwerdebegründung auch kein Verfahrensmangel wegen Verletzung des Grundsatzes rechtlichen Gehörs den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG genügend bezeichnet. Schon aufgrund der fehlenden Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts (so unter 2.) kann der Senat nicht beurteilen, ob der wegen krankheitsbedingter Abwesenheit der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21.6.2018 unterbliebene, auf Seite 13 der Beschwerdebegründung wiedergegebene Vortrag, neue Tatsachen enthalten hätte und nicht lediglich eine Wiederholung oder Bekräftigung früheren schriftsätzlichen Vorbringens gewesen wäre. Zudem ist nicht zu erkennen, ob dieser Vortrag - bei Zugrundelegung der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des LSG (hierzu oben unter 1.) - tatsächlich hätte entscheidungserheblich sein können.
Im Kern richtet sich das gesamte Vorbringen der Klägerin gegen die vom LSG vorgenommene Beweiswürdigung. Insoweit gilt jedoch, dass die Einschränkungen des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG für die Geltendmachung eines Verfahrensmangels wegen Verletzung des § 128 Abs 1 S 1 SGG (freie Beweiswürdigung) auch nicht durch die Berufung auf die vermeintliche Verletzung des Anspruch auf rechtliches Gehör umgangen werden können (vgl BSG Beschluss vom 18.5.2016 - B 5 RS 10/16 B - Juris RdNr 8 mwN; BSG Beschluss vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - Juris RdNr 10). Dass die Klägerin das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
6. Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 13500496 |
ZAP 2019, 999 |