Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 29.04.1964)

 

Tenor

Die Revision der beigeladenen Landesversicherungsanstalt Berlin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 29. April 1964 wird zurückgewiesen, soweit es sich um die Kläger B., B., C., Sch., S., B., B., E., G., G., H., O., Sch., F., G., P., Sch., K., L., S., S., E., P., P., S., S., L., H. und L. handelt.

Die beigeladene Landesversicherungsanstalt hat diesen Klägern die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die Kläger haben die Prüfung als Schwimmeister abgelegt und sind in den Berliner Stadtbädern Charlottenburg, Kreuzberg, Poststadion, Tiergarten, Spandau, Wedding und Reinickendorf beschäftigt. Sie erhalten eine Vergütung nach der Tarifordnung A für Angestellte im öffentlichen Dienst (TO.A) VIII. Für sie wurden zunächst Beiträge zur Angestelltenversicherung, später zur Arbeiterrentenversicherung entrichtet. Die beklagte Betriebskrankenkasse (BKK) stellte in einem Bescheid vom 2. Dezember 1960 fest, daß die Kläger der Versicherungspflicht in der Arbeiterrentenversicherung unterlägen; der Widerspruch wurde am 14. Februar 1961 zurückgewiesen.

Die Klagen gegen diese Bescheide hat das Sozialgericht (SG) am 7. November 1962 abgewiesen, weil der Schwimmunterricht hinter der reinen Aufsichtsführung im Bad und den sonst noch zu verrichtenden körperlichen Tätigkeiten zurücktrete und weil eine verwaltende Tätigkeit dem Aufgabenkreis der Kläger nicht das Gepräge gebe. Auf die Berufung der Kläger hat das Landessozialgericht (LSG) festgestellt, die Kläger seien in der Angestelltenversicherung versicherungspflichtig (Urteil vom 29. April 1964). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt:

Alle Kläger seien Angestellte im Sinne des § 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) alter Fassung und des § 3 AVG neuer Fassung. Der Bewertung der Kläger als überwiegend körperlich tätiger Arbeiter stehe die Tatsache entgegen, daß „Schwimmeister mit staatlicher Prüfung” tariflich seit Jahrzehnten als Angestellte eingestuft seien. Dieser sich daraus ergebenden Verkehrsanschauung sei im Sozialversicherungsrecht wie auch im Arbeitsrecht das entscheidende Gewicht beizumessen. Für die Verkehrsanschauung habe das Berufsgruppenverzeichnis der Angestelltenversicherung vom 28. März 1924 in der Fassung der Verordnung vom 4. Februar 1924 und 15. Juli 1927 (RGBl. 1924 I, S. 274 und S. 410; 1927 I, S. 58, 222) eine besondere Bedeutung. Schwimmeister seien zwar im Berufsgruppenverzeichnis nicht erwähnt; daraus folge jedoch nicht, daß sie Arbeiter seien, weil die Verkehrsanschauung sich nicht nur im Berufsgruppenverzeichnis, sondern auch in Tarifverträgen niederschlage. Schon seit 1928 seien die im Dienst der Stadt Berlin beschäftigten Schwimmeister tarifrechtlich Angestellte. Bei dieser Verkehrsanschauung sei es auch in der folgenden Zeit geblieben. Auch spreche das Merkmal der Vergütungsgruppe VIII „Angestellte mit schwierigerer Tätigkeit” für die Zugehörigkeit zur Gruppe der Angestellten im versicherungsrechtlichen Sinne. Ausschlaggebend sei die jahrzehntelange gleichmäßige Übung, wonach Schwimmmeister mit staatlicher Prüfung in Berlin seit fast 40 Jahren als Angestellte angesehen würden.

Den Klägern obliege die Beaufsichtigung des Schwimm- und Badebetriebes und die Kontrolle der Betriebseinrichtung; sie hätten das Schwimmbad zur Vermeidung von Unglücksfällen dauernd zu überwachen. Sie hätten in Gefahr befindliche Badende zu retten und in Sicherheit zu bringen, Erste Hilfe zu leisten und, falls erforderlich, auf unverzügliche ärztliche Versorgung hinzuwirken. Sie seien für die Reinigung der Badeanstalt verantwortlich, hätten die Reinigungsarbeiten zu beaufsichtigen und seien dem Badepersonal gegenüber weisungsberechtigt, wobei sie sich allerdings angemessen an den Reinigungsarbeiten zu beteiligen hätten. Außerdem hätten sie sich bei Antritt des Dienstes von der einwandfreien Beschaffenheit aller Geräte und Einrichtungen zu überzeugen, hätten regelmäßige Kontrollen durchzuführen und dafür zu sorgen, daß das ihnen unterstellte Personal seinen Dienst ordnungsgemäß versehe; sie hätten Schäden und Mängel, die nicht durch sie beseitigt werden könnten, unverzüglich der Leitung der Badeanstalt mitzuteilen; sie seien notfalls auch berechtigt und verpflichtet, den Badebetrieb ganz oder teilweise einzustellen. Endlich hätten die Schwimmeister Erwachsenen und Kindern Schwimmunterricht zu erteilen und darüber eine Liste zu führen.

Bei einer gemischten Tätigkeit sei nicht der Aufwand an Zeit entscheidend, der auf den einen oder anderen Aufgabenkreis entfalle, vielmehr komme es auf die Gesamtheit in ihrem für den Zweck des Betriebes wesentlichen Erscheinungsformen an. Die Gesamttätigkeit erhalte aber ihr Gepräge durch den öffentlich-rechtlichen Zweck der Badeanstalten, die der Gesundheitspflege dienten.

Die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) hat gegen das Urteil Revision eingelegt.

Sie rügt Verletzung der §§ 1226 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF, 1227 RVO nF, § 1 AVG aF, §§ 2 und 3 AVG nF sowie des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG): Das LSG sei unter Außerachtlassung der tatsächlichen Tätigkeitsmerkmale bei der Beurteilung der Versicherungszugehörigkeit zu Unrecht ausschließlich davon ausgegangen, die Schwimmeister seien seit Jahrzehnten tarifrechtlich als Angestellte eingestuft, so daß nur diese Tatsache als Verkehrsanschauung zu werten und für die Versicherungszugehörigkeit maßgebend sei. Denn daraus, ob ein Arbeitnehmer nach der TO.A bzw. nach dem Bundesangestelltentarif (BAT) bezahlt werde, könne nicht auf die Versicherungszugehörigkeit geschlossen werden, weil nach § 1 Abs. 1 TO.A, § 1 Abs. 2 BAT mit Arbeitnehmern in einer der Rentenversicherung unterliegenden Tätigkeit im Tarifvertrag vereinbart werden könnte, daß sie als Angestellte beschäftigt würden. Maßgebend sei vielmehr, ob die betreffenden Arbeitnehmer unter die Vorschriften der §§ 2 und 3 AVG fielen. Da die Schwimmeister nicht im Berufsgruppenverzeichnis der Angestellten aufgeführt seien, sei zu prüfen, ob sie eine überwiegend geistige oder körperliche Beschäftigung ausübten und somit nach der Verkehrsanschauung bzw. im Wege der Auslegung zu den Angestellten zu rechnen seien. Dabei hätten aber die tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten eine entscheidende Bedeutung. Diese tatsächlichen Tätigkeitsmerkmale habe das LSG aber nicht aufgeklärt. Es sei kein Nachweis dafür geführt, daß die Kläger überwiegend Schwimmunterricht erteilten; das LSG habe hierzu keine Feststellungen getroffen. Nach den Feststellungen der Überwachungsbeamten der LVA betrage der Anteil des Schwimmunterrichts 10%, in einzelnen Fällen höchstens 30% der Gesamttätigkeit.

Die beigeladene LVA beantragt,

das Urteil des LSG Berlin vom 29. April 1964 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen die Urteile des SG Berlin vom 7. November 1962 zurückzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die beigeladenen Bezirksämter und die beklagte BKK stellen keinen Antrag.

Die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte schließt sich sinngemäß dem Antrag der Revisionsklägerin an.

Der Senat hat durch Teilurteil nur über die Versicherungszugehörigkeit der im Urteilsausspruch genannten 29 Kläger entschieden, weil nur bei diesen der Nachweis des Erhalts der Mitteilung über den Verhandlungstermin geführt werden konnte. Die Revision ist in diesen Fällen nicht begründet.

Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 27. April 1961 (SozR AVG § 3 Nr. 5) ausgesprochen, daß Bade- und staatlich geprüfte Schwimmeister, denen die gesamte Verwaltung des Bades obliegt und die die anfallenden schriftlichen Arbeiten selbständig zu erledigen haben, angestelltenversicherungspflichtig sind. In der Begründung ist ausgeführt, die Bade- oder Schwimmeister seien weder in § 165 b RVO noch in § 1 AVG aF aufgenommen, auch nicht im Berufsgruppenverzeichnis der Angestelltenversicherung erwähnt; die Erteilung von Schwimmunterricht begründe auch nicht die Eigenschaft als Angestellter in einem Beruf der Erziehung oder des Unterrichts (§ 165 b Abs. 1 Nr. 6 RVO). Jedoch schließe die Nichterwähnung in den genannten Vorschriften nicht aus, daß die Betreffenden Angestellte seien, weil es sich bei der Anführung der Angestelltenberufe in § 165 b RVO nur um eine beispielhafte Aufzählung handele. Der Angestelltenbegriff sei deshalb durch Auslegung unter Berücksichtigung der jeweils herrschenden Verkehrsanschauung zu bestimmen. Nach dieser Verkehrsanschauung hänge die Zuteilung zu der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestellten davon ab, ob der Betreffende eine überwiegend geistige Beschäftigung verrichte oder als Handarbeiter vorwiegend körperlich tätig sei.

Von diesen Grundsätzen ist auch im vorliegenden Fall auszugehen, allerdings mit der vom erkennenden Senat in seinem Urteil vom 25. April 1962 – 3 RK 12/58 – (SozR AVG § 3 Nr. 7, Bl. A a 5) zum Ausdruck gebrachten Verdeutlichung, daß in erster Linie die Verkehrsauffassung über die Zugehörigkeit von Arbeitnehmern zur Angestelltengruppe entscheide, in Ermangelung einer festen Verkehrsanschauung aber maßgebend bleibe, ob der Arbeitnehmer eine überwiegend geistige Beschäftigung verrichte oder ob er vorwiegend körperlich tätig sei. Zu Unrecht hat das LSG eine feste Verkehrsauffassung, daß Schwimmeister Angestellte im versicherungsrechtlichen Sinne seien, schon daraus entnommen, daß in der Stadt Berlin seit Jahrzehnten die „Schwimmmeister mit staatlicher Prüfung” tarifrechtlich als Angestellte behandelt werden. Wohl kann dem LSG darin beigepflichtet werden, daß die in § 1 Abs. 1 TO.A (jetzt § 1 BAT) vorgesehene Möglichkeit, auch Arbeiter im versicherungsrechtlichen Sinn tarifrechtlich zu Angestellten zu erklären, hier entfällt und daß die Einstufung der genannten Schwimmeister als „Angestellte mit schwierigerer Tätigkeit” die Überzeugung der Tarifpartner zum Ausdruck bringt, diese Schwimmeister seien als Angestellte im versicherungsrechtlichen Sinn tätig. Indessen kann der bundesrechtliche Angestelltenbegriff nur durch eine feste Verkehrsanschauung auf Bundesebene konkretisiert werden. Er kann nicht regional verschieden verstanden werden. Deshalb genügt nicht der Hinweis auf die Tarifvertragspraxis in der Stadt Berlin, um damit das Vorliegen einer festen Verkehrsanschauung im Bundesgebiet zu belegen. Die tarifrechtliche Übung in Berlin bildet zwar ein wertvolles Indiz für die hier zur Entscheidung stehende Frage, entbindet aber entgegen der Auffassung des LSG nicht von der letztlich ausschlaggebenden Prüfung, ob die Kläger vorwiegend körperlich tätig sind oder nicht.

Bei den Klägern handelt es sich um Schwimmeister, deren Aufgabenbereich teils einfacher, teils schwieriger Art. ist. Dabei tritt jedoch die körperliche Tätigkeit im Vergleich zu der mit besonderer Verantwortung verbundenen Aufsichts- und Ordnungsfunktion zurück. Die Schwimmeister führen, wie das LSG im einzelnen dargelegt hat, neben der Erteilung von Schwimmunterricht die Aufsicht über den Badebetrieb, haben für dessen Sicherheit und ordnungsgemäße Durchführung zu sorgen sowie bei Störungen einzuschreiten und sind dem übrigen Personal gegenüber weisungsberechtigt. Sie haben ferner Kontrollen durchzuführen und sind schließlich befugt, notfalls selbständig den Badebetrieb ganz oder teilweise einzustellen. Dieser Aufgabenbereich und nicht eine körperliche Arbeit gibt ihrer Tätigkeit das Gepräge.

Die Revision muß daher bezüglich der im Urteilsausspruch genannten Kläger zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

 

Unterschriften

Dr. Langkeit, Schroeder-Printzen, Dr. Krebs

 

Fundstellen

Dokument-Index HI927534

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