Leitsatz (redaktionell)
Ein Versicherter hatte zur Zeit seines Todes der geschiedenen Ehefrau keinen Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten, wenn die geschiedene Ehefrau nicht unterhaltsbedürftig war.
Der geschiedenen Ehefrau steht auch keine Hinterbliebenenrente nach RVO § 1265 Abs 1 Alternative 2. zu, wenn der geschiedene Ehemann aufgrund eines Unterhaltsvergleichs für die geschiedene Ehefrau und einen in Berufsausbildung befindlichen Sohn monatlich 50 DM zu zahlen hat.
Normenkette
RVO § 1265 Abs. 1 Alt. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Mai 1971 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat der Beigeladenen deren außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten; im übrigen sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin aus der Rentenversicherung ihres am 10. Februar 1966 verstorbenen früheren Ehemannes Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.
Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten, aus der die Kinder K.-H., geboren am 8. März 1939, und E. O., geboren am 25. April 1946, hervorgegangen sind, wurde am 15. Oktober 1950 rechtskräftig aus alleinigem Verschulden des Versicherten geschieden. Am 14. Mai 1955 schlossen der Versicherte und die Beigeladene die Ehe; aus dieser Ehe sind keine Kinder hervorgegangen.
Vor der Scheidung hatte sich der Versicherte durch gerichtlichen Vergleich vom 5. September 1949 verpflichtet, an die Klägerin und die beiden Kinder eine wöchentliche Unterhaltsrente von insgesamt 24,-- DM zu Händen der Klägerin zu zahlen. Nach der Ehescheidung wurde keine gerichtliche Unterhaltsregelung getroffen. Die Klägerin betrieb mehrfach aufgrund des gerichtlichen Vergleichs die Zwangsvollstreckung in den Lohnanspruch des Versicherten, da dieser nur unzureichend und unregelmäßig Unterhalt leistete. Nachdem der Versicherte etwa ab April 1952 nicht mehr auffindbar war und erst im Jahre 1954 wieder ermittelt werden konnte, wurde er durch Urteil des Amtsgerichts Alzey vom 18. Januar 1955 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 170 b des Strafgesetzbuches (StGB) zu einer Gefängnisstrafe von einem Monat verurteilt; die Strafe wurde jedoch zur Bewährung ausgesetzt, wobei davon ausgegangen wurde, daß der Versicherte sich zumindest gegenüber den beiden Kindern einer Unterhaltspflichtverletzung schuldig gemacht habe. In der Hauptverhandlung hatte sich der Versicherte bereit erklärt, künftig 40,--DM monatlich als Unterhalt für die gemeinsamen Kinder an die Klägerin zu übersenden. Durch gerichtlichen Vergleich vom 24. Februar 1956 wurde diese Regelung dahin abgeändert, daß er nur noch einen wöchentlichen Unterhalt von 20,-- DM an die Klägerin und die beiden Söhne zu zahlen hätte.
Von 1951 bis 1954 hat die Klägerin Sozialhilfe bezogen. Seit 1959 arbeitet sie wieder. Sie verdiente 1964 und 1965 monatlich etwa 460,-- DM netto. Der Sohn K.-H. gründete etwa 1960 einen eigenen Hausstand; der Sohn E. O. verließ den mütterlichen Haushalt etwa im September 1965.
Der Versicherte war zuletzt als Dreher beschäftigt. Seit 1. Mai 1965 bezog er eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von monatlich 308,60 DM. Von 1964 bis einschließlich Februar 1966 hatte der Versicherte regelmäßig monatlich 50,-- DM zu Händen der Klägerin gezahlt. Insgesamt bestanden bis zu diesem Zeitpunkt noch rückständige Unterhaltsverpflichtungen in Höhe von über 4.000,-- DM zu Gunsten der Klägerin und der beiden Söhne.
Die Beigeladene ist berufstätig.
Die Beklagte gewährte der Beigeladenen die Witwenrente mit Wirkung vom 1. März 1966 (Bescheid vom 22. März 1966).
Den Antrag der Klägerin, ihr Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 RVO zu gewähren, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 2. Januar 1967). Sie begründete dies im wesentlichen damit, die Klägerin habe ihren Lebensunterhalt selbst verdient, so daß sie keinen Unterhaltsanspruch gegenüber dem Verstorbenen zur Zeit des Todes gehabt habe. Soweit dieser tatsächlich Unterhalt geleistet habe, sei dieser zu geringfügig gewesen, um eine wesentliche Verbesserung der Lebensführung der Klägerin zu ermöglichen. Ein Rentenanspruch gemäß § 1265 RVO bestehe aber nicht bei Zahlungen ohne wirtschaftliche Bedeutung.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 RVO aus der Rentenversicherung des Verstorbenen zu gewähren (Urteil vom 12. Dezember 1969). Auf die Berufung der Beklagten und der Beigeladenen hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen; es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 28. Mai 1971).
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt, mit der sie Verletzung des § 1265 RVO und der §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) rügt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Mai 1971 aufzuheben und die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 12. Dezember 1969 zurückzuweisen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 Satz 1 RVO.
Hit Recht hat das Berufungsgericht das Begehren der Klägerin, ihr Hinterbliebenenrente aus der Rentenversicherung ihres verstorbenen geschiedenen Ehemannes zu gewähren, nur anhand der Vorschrift des § 1265 Satz 1 RVO in allen Alternativen geprüft. Satz 2 des § 1265 RVO mußte außer Betracht bleiben, da der Beigeladenen als Witwe des Versicherten eine Witwenrente (§ 1264 RVO) gewahrt wird.
Zunächst hat das LSG festgestellt, daß der Versicherte zur Zeit seines Todes der Klägerin keinen Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes zu leisten hatte. Es ist zur Beurteilung der Unterhaltspflicht des Versicherten gegenüber der Klägerin von § 58 des Ehegesetzes (EheG) ausgegangen, hat sie aber "zur Zeit seines Todes" verneint, wobei es zur Auslegung dieses Zeitbegriffs auf die von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelte. Formel "des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes" zurückgegriffen hat (vgl. SozR Nr. 8, 9, 22, 32 zu § 1265 RVO). Damit ist der Zustand gemeint, von dem zu vermuten ist, daß er ohne den Tod des Versicherten wahrscheinlich fortbestanden hätte; bei dieser Betrachtung wird verhindert, daß vorübergehende Besonderheiten in den unterhaltsrechtlichen Beziehungen der geschiedenen Ehegatten in der Zeit zwischen der Scheidung und dem Tod des Versicherten für die Gewährung oder Versagung der Hinterbliebenenrente den Ausschlag geben. Das LSG hat als den hier maßgeblichen wirtschaftlichen Dauerzustand die Zeit nach der Zahlung des letzten Lohnes und Krankengeldes angenommen (Juli 1965). Nach Juli 1965 verfügte der Versicherte lediglich über seine Versichertenrente von monatlich 308,60 DM, die Klägerin hingegen über ein monatliches Durchschnittseinkommen von 460,-- DM netto. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Klägerin ihren Sohn E. O. bis zu dessen Gesellenprüfung (September 1965) teilweise mit zu unterhalten hatte, hat das LSG angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse der geschiedenen Ehegatten eine Unterhaltspflicht des Versicherten verneint, weil die Klägerin in dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand nicht unterhaltsbedürftig war. Diese Feststellungen sind frei von Rechtsfehlern. Die Revision macht zwar geltend, daß § 1603 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bei der Prüfung der Frage, ob Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten gewesen sei, nicht zu berücksichtigen sei, was wohl dahin zu verstehen sein soll, wie sie dies an anderer Stelle der Revisionsbegründung auch ausspricht, daß die unterhaltsrechtlichen Folgen der Ehescheidung außer Betracht zu bleiben hatten. Dem kann schon nach dem Wortlaut der 1. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO nicht gefolgt werden, wonach die Gewährung einer Hinterbliebenenrente davon abhängt, daß der Versicherte seiner geschiedenen Ehefrau zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten hatte. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift soll ersichtlich die Hinterbliebenenrente an die scheidungsrechtlichen Unterhaltsfolgen, wie sie im EheG geregelt sind, anknüpfen und die Hinterbliebenenrente insoweit an die Stelle des Unterhaltsanspruchs nach den Vorschriften des EheG treten.
Das Berufungsgericht hat auch zu Recht der Klägerin einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach der 2. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO (Unterhalt "aus sonstigen Gründen") versagt. Es hat dem am 5. September 1949 - vor der Scheidung - abgeschlossenen und am 24. Februar 1956 - nach der Scheidung - abgeänderten Unterhaltsvergleich die Wirkung einer Unterhaltsverpflichtung "aus sonstigen Gründen" deshalb abgesprochen, weil der Versicherte die Wirkungen dieses gerichtlichen Vergleichs im Zeitpunkt seines Todes dadurch habe beseitigen können, daß er nach den Vorschriften der §§ 523 oder 767 der Zivilprozeßordnung (ZPO) gegen die Klägerin habe klagen können. Wegen seiner schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse seit Juli 1965 wäre er nach Auffassung des LSG mit einer Klage nach § 323 ZPO durchgedrungen, so daß er zur Zeit seines Todes "aus sonstigen Gründen" nicht verpflichtet gewesen sei, der Klägerin Unterhalt zu leisten.
Die Revision bekämpft diese Feststellungen des Berufungsgerichts damit, es sei unerheblich, ob der Versicherte nach den Vorschriften der §§ 323 oder 767 ZPO erfolgreich hätte klagen können, jedenfalls habe er es nicht gewollt und auch nicht getan. Sie verkennt dabei den Ausgangspunkt der Erwägungen des LSG, bei denen es sich, freilich ohne dies zu erwähnen, auf den Beschluß des Großen Senats des BSG vom 27. Juni 1963 - GS 5/61 - (BSG 20, 1) gestützt hat. In diesem Beschluß hat der Große Senat des BSG u.a. ausgesprochen, daß ein vollstreckbarer Unterhaltstitel - dazu zählt auch ein gerichtlicher Unterhaltsvergleich - ausnahmsweise "kein sonstiger Grund" mehr ist, wenn der Versicherte "zur Zeit seines Todes" die Wirkungen des Titels nach den Grundsätzen der §§ 323, 767 ZFO hätte beseitigen können (BSG 20, 1, 5 f.). Dabei ___AMPX_‚_SEMIKOLONX___Xist es nicht entscheidend, ob der Versicherte tatsächlich von einer der Klagemöglichkeiten Gebrauch gemacht hat, sondern allein, ob dies objektiv möglich war. Der innere Grund für diese rechtliche Betrachtung liegt darin, daß die Hinterbliebenenrente nach der 2. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO an die Stelle der Unterhaltsverpflichtung tritt und nur dann der Versichertengemeinschaft die Gewährung einer solchen Rente zugemutet werden kann, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes zur Unterhaltsleistung verpflichtet gewesen wäre, was hier die Prüfung mit einschließt, ob der gerichtliche Unterhaltsvergleich im Wege der Abänderungsklage gemäß § 323 ZPO hätte beseitigt werden können. Daß dies der Fall war, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt.
Dasselbe ist von den Feststellungen des LSG zur 3. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO zu sagen. Nach den Feststellungen des LSG hat der Versicherte zwar in den letzten Jahren vor seinem Tode regelmäßig 50,-- DM monatlich an die Klägerin gezahlt. Dieser Betrag war aber, wie das LSG zutreffend festgestellt hat, erst ab September 1965, nach dem der zweite Sohn E. O. seine Gesellenprüfung bestanden hatte, als nur für den Unterhalt der Klägerin bestimmte Leistung anzusehen, nicht aber für die Zeit davor, weil damals zumindest; auch noch der Sohn E. O. unterhaltsberechtigt war; dessen monatlichen Unterhaltsanspruch hat das LSG mit wenigstens 45,-- DM angenommene Gewiß wären dann der Klägerin bis Mitte September 1965 monatlich 5,-DM verblieben. Jedoch reicht ein solcher Betrag nicht aus, um eine Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 1 RVO auszulösen in der Regel sind etwa 25 v.H. des zeitlich und örtlich notwendigen Mindestbedarfs eines Unterhaltsberechtigten zu fordern. Dies hat das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden (BSG 22, 44 = SozR Nr. 26 zu § 1265 RVO; Nr. 41, 49). Trotz der dagegen gerichteten Angriffe der Revision, die die einschränkende Auslegung des BSG als mit dem Gesetz nicht in Einklang stehend nicht gelten lassen möchte, wird an dieser Rechtsprechung festgehalten. Im Zeitraum nach September 1965 bis Februar 1966 standen zwar die monatlichen Zahlungen des Versicherten von 50,-- DM der Klägerin ungeschmälert zur Verfügung. Sie waren auch Unterhalt im Sinne der o.a. Rechtsprechung des BSG. Jedoch war dieser Zeitraum zu kurz, um durch die darin erfolgten Unterhaltszahlungen den Hinterbliebenenrentenanspruch auslösen zu können. Dazu wäre, wie es das Gesetz fordert, notwendig gewesen, daß der Versicherte der Klägerin den Unterhaltsbetrag von monatlich 50,-- DM "im letzten Jahr vor seinem Tode" geleistet hätte, also regelmäßig insgesamt 12 Monate lang (vgl. BSG SozR Nr. 48, 55 zu § 1265 RVO).
Zur Stütze ihrer Rüge der Verletzung der §§ 103, 128 SGG hat die Revision demgegenüber geltend gemacht, die vom LSG festgestellte und zum Ausgangspunkt seiner Erwägungen genommene monatliche Lehrlingsvergütung von 75,-- DM habe der Sohn der Klägerin E.-O. nur im ersten Lehrjahr erhalten. Im zweiten und dritten Lehrjahr sei die Lehrlingsvergütung jedoch jeweils um 25,-- DM monatlich angehoben worden. Die Revision kann mit dieser Rüge jedoch nicht durchdringen. Sie entspricht nämlich nicht dem Formerfordernis des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG, wonach bei der Rüge von Verfahrensmängeln die Revisionsbegründung die Tatsachen und Beweismittel zu bezeichnen hat, die den Mangel ergeben. Daran hat es die Revision fehlen lassen. Zwar meint die Revision, über die von ihr behauptete Anhebung der Lehrlingsvergütung im zweiten und dritten Lehrjahr bedürfe es keiner ausdrücklichen Feststellung, da die Lehrlingsvergütungen allgemein geregelt seien. Insoweit will sie sich ersichtlich auf eine nicht beweisbedürftige gerichtsbekannte Tatsache berufen. Die Revision verkennt jedoch, daß bei der Vielgestaltigkeit des Lehrlings- und Ausbildungswesens ohne den Nachweis im Einzelfalle nicht auszukommen ist. Dafür bestand hier vor allem auch deshalb Veranlassung, weil die Klägerin bei ihrer Anhörung vor dem SG am 23. Januar 1969 ausdrücklich erklärt hatte, ihr Sohn habe "bis zuletzt eine Lehrlingsvergütung von 75,-- DM gehabt" (Blatt 36 der SG-Akten) und das SG in seinem Urteil vom 12. Dezember 1969 diese Angaben in seine Feststellungen übernommen hatte. Letztlich steht das Vorbringen der Revision in Widerspruch zu dem, was die Klägerin in ihrem Schreiben vom 16. November 1966 an die Beklagte (Blatt 121 der Rentenakten) mitgeteilt hat:
"Mein Sohn E. konnte wegen körperlicher Schwäche erst mit 7 Jahren in die Volksschule aufgenommen werden. Nach Beendigung der Volksschule erlernte er das Kraftfahrzeughandwerk. Im 1. Jahr erhielt er 45,-- DM, im 2. Jahr 55,-- DM, für das letzte 1 1/2 Jahr wurde er mit 75,-- DM pro Monat entlohnt".
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen