Entscheidungsstichwort (Thema)
Verpflichtung der Ersatzkassen
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage der Haftung aufgrund der sogenannten "Anstaltslast".
2. Zum Kreis der Umlagepflichtigen für die Konkursausfallversicherung gehören alle Körperschaften des öffentlichen Rechts, bei denen der Konkurs rechtlich möglich ist und der Bund, ein Land oder eine Gemeinde nicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift die Zahlungsfähigkeit sichert (AFG § 186c Abs 3 iVm § 186c Abs 2 S 2).
Leitsatz (redaktionell)
1. Ersatzkassen sind zur Entrichtung der Konkursausfallgeldumlage AFG § 186c Abs 3 verpflichtet.
2. Da bei Ersatzkassen grundsätzlich der Konkurs zulässig ist, sind auch diese Kassen zur Entrichtung der Konkursausfallgeldumlage verpflichtet.
Orientierungssatz
Die Einbeziehung von Körperschaften des öffentlichen Rechts, bei denen der Konkurs praktisch nicht eintreten kann - wie bei den Ersatzkassen - stellt keine gegen GG Art 3 Abs 1 verstoßende willkürliche "Übermaßregelung" dar. Es steht dem Gesetzgeber bei Einführung eines Systems der sozialen Sicherung grundsätzlich frei, den Mitgliederkreis so abzugrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist (vgl BVerfG 1977-02-09 1 BvL 11/74 = BVerfGE 44, 70).
Normenkette
AFG § 186c Abs. 3 Fassung: 1974-07-17, Abs. 2 S. 2 Fassung: 1974-07-17; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; KOÄndGEG Art. 4 Fassung: 1898-05-17
Verfahrensgang
SG Bremen (Entscheidung vom 18.01.1977; Aktenzeichen S U 17/76) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 18. Januar 1977 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Ersatzkassen nach § 186 c Abs 2 Satz 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) von der Konkursausfallgeldumlage befreit sind.
Die Klägerin ist eine Ersatzkasse. Sie wurde von der beklagten Verwaltungsberufsgenossenschaft mit Beitragsbescheid für das Jahr 1974 ua zur Umlage für das Konkursausfallgeld herangezogen (Bescheid vom 12. Mai 1975). Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Begründung, daß sie den in § 186 c Abs 2 Satz 2 AFG genannten Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, bei denen der Konkurs unzulässig sei, gleichgestellt werden müsse, weil bei ihr der Konkurs praktisch ausgeschlossen sei. Widerspruch und Klage hatten jedoch keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 23. Januar 1976; Urteil des Sozialgerichts (SG) Bremen vom 18. Januar 1977). Das SG hat die Auffassung vertreten, daß der Wortlaut des § 186 c Abs 2 Satz 2 AFG diese Fälle nicht umfasse und auch keine Anhaltspunkte vorhanden seien, die eine ausdehnende Auslegung rechtfertigten.
Mit der - vom SG zugelassenen - Sprungrevision (§ 161 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) macht die Klägerin weiterhin geltend, daß bei ihr ein Konkurs praktisch ausgeschlossen sei, weil sie bei höherer Belastung entsprechend höhere Beiträge erheben könne. Die Reichsversicherungsordnung (RVO) und die §§ 80 bis 90 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV) enthielten Vorschriften, die den Bestand der Ersatzkassen garantierten, ohne daß ernsthaft der Konkursfall in Betracht gezogen werden könne. Ein Konkurs sei auch dadurch ausgeschlossen, daß für Körperschaften des öffentlichen Rechts - und somit auch für die Klägerin - nach öffentlich-rechtlichen Grundsätzen stets diejenige Gebietskörperschaft einzustehen habe, die diese Einrichtung ins Leben rufe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG und den Bescheid vom 12. Mai 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Januar 1976 aufzuheben und festzustellen, daß die Handelskrankenkasse keine Konkursausfallgeldumlage zu entrichten hat.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Mit Recht gehen die Beteiligten und das SG davon aus, daß die Klägerin nicht zu den in § 186 c Abs 3 iVm § 186 c Abs 2 Satz 2 AFG genannten Körperschaften des öffentlichen Rechts gehört. Es gibt keine Vorschrift, die den Konkurs von Ersatzkassen generell für unzulässig erklärt. Es bestehen im Gegenteil sogar ausdrückliche Vorschriften für den Fall des Konkurses (vgl Art 2 § 2 der 12. Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung - Ersatzkassen der Krankenversicherung - vom 24. Dezember 1935 - BGBl III 8230 - 13 iVm §§ 50 bis 52 und 88 des Gesetzes über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmen vom 6. Juni 1931 BGBl III 7631 - 1). Auch gelten für die Klägerin keine landesrechtlichen Bestimmungen aufgrund des Art IV des Einführungsgesetzes zu dem Gesetz betreffend Änderungen der Konkursordnung vom 17. Mai 1898 (RGBl S 248). Für den Bereich der Freien Hansestadt Bremen sind derartige Vorschriften nicht erlassen worden. Es braucht deshalb auch der Streitfrage, ob derartige Vorschriften überhaupt noch wirksam sind (vgl dazu Everhardt/Gaul, BB 1976, 467; Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, Kommentar zum Betriebsrentengesetz Bd I § 17 Rz 104), nicht nachgegangen zu werden.
Es gibt auch keine gesetzliche Regelung, die dem Bund, den Ländern und den Gemeinden auferlegt, die Zahlungsfähigkeit von Ersatzkassen zu sichern, wie dies etwa für die kommunalen Sparkassen in den Sparkassengesetzen der Länder vorgesehen ist (vgl dazu Wolff/Bachof Verwaltungsrecht II, 4. Aufl, § 100 II c 4 - S. 406). Die Auffassung der Klägerin, daß unabhängig von einer gesetzlichen Regelung der Bund für die Zahlungsfähigkeit der Ersatzkassen einzustehen habe, weil die Zulassung von Ersatzkassen sich auf Bundesrecht gründet, entbehrt der Rechtsgrundlage. Es kann hier dahinstehen, ob und in welchem Umfang es eine sogenannte "Anstaltslast" außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Gewährsträgerhaftung gibt, wie dies verschiedentlich vertreten wird (Wolff/Bachof aaO; Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, aaO § 17 Rz 110; Everhardt/Gaul aaO). Selbst wenn man eine solche Anstaltslast bejaht, kann sie nur für Anstalten gelten, die von Bund, Ländern oder Gemeinden als eigene Anstalten errichtet werden. Mehr kann auch der Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. Juni 1887 - I. 872 - (PreußVerwBl 19, 280 ff), auf die gelegentlich verwiesen wird, nicht entnommen werden. Die Ersatzkassen sind keine solche Anstalten, die vom Bund, einem Land oder einer Gemeinde als "Muttergemeinwesen" gegründet worden sind. Sie sind vielmehr ursprünglich von den Mitgliedern gegründet worden und haben lediglich durch gesetzliche Vorschriften die Rechtstellung öffentlich rechtlicher Körperschaften erhalten. Eine sog "Anstaltslast" kommt daher als Haftungsgrundlage für den Bund bei Zahlungsunfähigkeit der Klägerin nicht in Betracht.
Zu Unrecht rügt die Revision auch die Einbeziehung von Körperschaften des öffentlichen Rechts, bei denen der Konkurs praktisch nicht eintreten könne - wie bei den Ersatzkassen - stelle eine gegen Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) verstoßende willkürliche "Übermaßregelung" dar. Sie verkennt dabei, daß dem Gesetzgeber bei Einführung eines Systems der sozialen Sicherung grundsätzlich frei steht, den Mitgliederkreis so abzugrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist (BVerfGE 44, 70, 90). Der abgabenrechtliche Grundsatz, daß zu Beiträgen nur herangezogen werden darf, wer von einem bestimmten öffentlichen Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil zu erwarten hat, gilt dabei nicht. Die Sozialversicherung wird nämlich von dem Grundsatz des sozialen Ausgleichs (Solidaritätsprinzip) beherrscht (BVerfGE 11, 105, 117; 14, 312, 318). Dieses Solidaritätsprinzip erlaubt es nicht, die Frage des "Übermaßes" allein daran zu messen, ob die Einbeziehung eines bestimmten Einzelnen für diesen notwendig, geeignet oder verhältnismäßig ist. Ob eine gegen das Übermaßverbot verstoßende willkürliche Regelung vorliegt, beurteilt sich vielmehr nur danach, ob das System der sozialen Sicherung, so wie es geschaffen und so wie der Kreis der zur Leistung Verpflichteten abgegrenzt worden ist, den Anforderungen des Art 3 Abs 1 GG genügt. Die Notwendigkeit einer solchen am Solidaritätsprinzip orientierten Betrachtungsweise wird von der Beklagten verkannt. Der Gesetzgeber hat bei der Festlegung des Kreises der Umlagepflichtigen für die Konkursausfallversicherung nicht willkürlich gehandelt. Zur Sicherung aller Arbeitnehmer im Konkurs, zur Erzielung einer möglichst niedrigen Umlage durch breite Verteilung der Lasten, zum Zwecke klarer Abgrenzung des Kreises der Umlagepflichtigen und schließlich zur Verwaltungsvereinfachung für die Berufsgenossenschaften (BT-Drucks 7/1750, A 4, S. 11, § 186 c Abs 2 S. 15; BT-Drucks 7/2260, I. 2, S. 3) war es sachlich gerechtfertigt, alle Körperschaften einzubeziehen, bei denen ein Konkurs rechtlich möglich ist. Die sachliche Rechtfertigung wird besonders daran deutlich, daß jede andere Abgrenzung nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit eines Konkurses bei den vielen möglichen tatsächlichen und rechtlichen Absicherungen vor Insolvenzfällen zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten führen würde und auch immer wieder die Frage aufwerfen müßte, wieso gerade an dieser oder jener Stelle die Grenze gezogen wurde und nicht andere Unternehmen, die nahe dieser Grenze liegen, auch noch von der Umlage befreit wurden. Bei dieser Rechtslage bedarf es keines weiteren Eingehens darauf, ob und inwieweit sich die Klägerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts überhaupt auf Grundrechtsverstöße des Gesetzgebers berufen kann. Die Beklagte hat deshalb die Klägerin zu Recht - wie alle anderen Mitglieder - zur Konkursausfallgeldumlage herangezogen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen