Leitsatz (amtlich)

Die Tatsache, daß ein schwerbeschädigter Berufssoldat vor seiner Wiedereinstellung in die Bundeswehr ruhegehaltsähnliche Leistungen nach Landesrecht und Bundesrecht erhalten hat, schließt einen Berufsschaden in Gestalt eines gemäß SVG § 70 Abs 4 (Nichtanrechnung dieser Leistungsbezugszeiten auf die ruhegehaltsfähige Dienstzeit) geminderten Ruhegehalts nicht aus.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs. 3-4; BVG§30Abs3u4u5DV § 8 Abs. 2 Fassung: 1977-01-18; G131 § 68 Abs. 1 S. 2; SVG § 70 Abs. 4 Fassung: 1971-08-10, Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 13.12.1977; Aktenzeichen L 4 V 924/75)

SG Marburg (Entscheidung vom 28.07.1975; Aktenzeichen S 1 V 22/74)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. Dezember 1977 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Tenor des Urteils des Sozialgerichts Marburg vom 28. Juli 1975 wie folgt neu formuliert wird:

"Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab 1. September 1970 Berufsschadensausgleich zu gewähren, wobei als Vergleichseinkommen für die Zeit bis zum 31. Dezember 1973 75 vH des Endgrundgehalts der Besoldungsgruppe A 14 des Bundesbesoldungsgesetzes und ab 1. Januar 1974 75 vH des Gehalts der Dienstaltersstufe 15 der Besoldungsgruppe A 15 des Bundesbesoldungsgesetzes, jeweils vermehrt um die gesetzlichen Zuschläge, zugrunde zu legen ist."

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Der 1914 geborene Kläger bezieht wegen des 1944 erlittenen Verlusts seines rechten Armes -Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 70 vH - Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Er war vom 6. April 1936 bis zum 8. Mai 1945 Berufssoldat, arbeitete sodann nach erfolgreichem Studium zwei Jahre als Diplomvolkswirt im Angestelltenverhältnis und gehörte schließlich als Berufssoldat vom 16. März 1956 bis zum 31. März 1970 - bis zur Altersgrenze als Oberstleutnant - der Bundeswehr an. Sein Ruhegehalt erreicht nur 70 vH der ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge, weil ihm die Zeit vom 1. April 1949 bis zum 15. März 1956 gemäß § 70 Abs 4 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) wegen Bezuges von Ruhegehalt und ruhegehaltsähnlichen Bezügen nicht als ruhegehaltsfähig anerkannt worden ist. Mit dem Hinweis darauf beantragte der Kläger im Jahre 1970 Berufsschadensausgleich. Der Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 14. August 1972 und Abänderungsbescheid vom 14. Dezember 1973 ab; der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 1974).

Das Sozialgericht (SG) Marburg hat mit Urteil vom 28. Juli 1975 die vorbezeichneten Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab 1. September 1970 Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Ruhegehaltsbezüge zu gewähren, die er bei Anrechnung auch der Zeiten vom 1. April 1949 bis zum 15. März 1956 erhalten würde. Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 13. Dezember 1977 die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Das Zurückbleiben des Ruhegehalts des Klägers um 5 vH beruhe zwar auf dem SVG; es sei aber auch durch die Schädigungsfolgen verursacht, ohne die der Kläger in der Zeit von April 1949 bis März 1956 keinen Unterhaltsbeitrag bzw kein Ruhegehalt erhalten hätte.

Der Beklagte rügt mit der zugelassenen Revision die Verletzung des § 30 Abs 3 und 4 BVG sowie der §§ 4 Abs 2 und 8 Abs 1 der Durchführungsverordnung (DVO) idF vom 11. April 1974 und der §§ 4 Abs 3 und 8 Abs 1 und 2 iVm § 17 DVO idF vom 18. Januar 1977. Das LSG habe die Kürzung des Vergleichseinkommens auf 75 vH nur mit dem Zitat eines Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) begründet. Dabei habe es übersehen, daß dieses Urteil einen anderen Sachverhalt betreffe. In der Zeit vor dem 1. Juli 1977 sei der weit überwiegende Teil der Einkommensminderung des Klägers durch die besondere Altersgrenze der Berufssoldaten und nur der Rest (höchstens 5 vH) durch Schädigungsfolgen verursacht. Hierfür sei aber bereits in den Jahren von 1949 bis 1956 Ruhegehalt in das Vermögen des Klägers geflossen. Ab 1. Juli 1977 sei rechnerisch kein Einkommensverlust mehr entstanden.

Der Beklagte beantragt,

unter Aufhebung der Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. Dezember 1977 und des Sozialgerichts Marburg vom 28. Juli 1975 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Sie ist zurückzuweisen.

Nach § 30 Abs 3 BVG in der hier maßgeblichen, redaktionell zwar geänderten, inhaltlich aber gegenüber dem 1970 geltenden Wortlaut gleich gebliebenen Fassung vom 16. Dezember 1971 (BGBl I S 1985) erhalten Schwerbeschädigte, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen gemindert ist (Einkommensverlust), nach Anwendung des Abs 2 einen Berufsschadensausgleich. Einkommensverlust ist nach § 30 Abs 4 Satz 1 und 2 BVG der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Vergleichseinkommen ist das monatliche Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der der Beschädigt ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte. Das Vergleichseinkommen ist nach der von der Bundesregierung erlassenen DVO zu ermitteln. Maßgeblich sind hier also die zu § 30 Abs 3 und 4 BVG ergangenen DVOen vom 28. Februar 1968 - DVO 1968 - (BGBl I 194) vom 11. April 1974 - DVO 1974 - (BGBl I 927) und vom 18. Januar 1977 - DVO 1977 - (BGBl I 162). Für den als Oberstleutnant in den Ruhestand getretenen Kläger ist Vergleichseinkommen nach der DVO 1968 das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 14 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) und nach den DVOen 1974 und 1977 das Gehalt der Dienstaltersstufe 15 der Besoldungsgruppe A 15 BBesG.

Da der Kläger schon im Ruhestand war, als er den Berufsschadensausgleich beantragte, haben die Vorinstanzen das sich aus den DVOen 1968, 1974 und 1977 ergebende Vergleichseinkommen auf 75 vH gekürzt, obwohl dies ausdrücklich erst § 8 Abs 2 Satz 2 der DVO 1977 für die Zeit ab 1. Januar 1977 vorsieht. Der Kläger hat das nicht beanstandet. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob für die Zeit vor dem 1. Januar 1977 das Urteil des erkennenden Senats vom 16. Oktober 1974 (BSGE 38, 160 = SozR 3100 § 30 Nr 3) oder die klarstellende Bedeutung des § 8 Abs 2 Satz 2 der DVO 1977 diese Kürzung rechtfertigt. Jedenfalls hat die hiervon ausgehende Vergleichsberechnung des Beklagten ergeben, daß beim Kläger in den Monaten Januar bis März 1974 Einkommensverluste vorliegen. Dies rechtfertigt die von den Vorinstanzen vorgenommene, die Festlegung der für den einzelnen Monat zustehenden Leistung einer gesonderten Berechnung vorbehaltende Verurteilung des Beklagten dem Grunde nach. Zur Klarstellung erschien dem Senat allerdings die im Urteilstenor enthaltene Neuformulierung des Urteils erster Instanz angezeigt.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der Einkommensverlust des Klägers durch die anerkannten Schädigungsfolgen mitverursacht worden. Der Kläger hat Unterhaltsbeträge nach dem Hessischen Gesetz über die Zahlung von Unterhaltsbeträgen an ehemalige berufsmäßige Wehrmachtsangehörige und ihre Hinterbliebenen vom 30. November 1949 (Hessisches GVBl 1949, 168) ua deshalb bezogen, weil er - wegen seiner Verwundung - 50 Prozent der Erwerbsfähigkeit einer körperlich und geistig gesunden Person von ähnlicher Vorbildung und Beschäftigung verloren hatte (§ 1 Abs 1 Nr 1 aaO). Aus diesem Grunde erhielt er nach § 68 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art 131 des Grundgesetzes (GG) fallenden Personen - G 131 (BGBl 1951 I S. 307) einen Unterhaltsbeitrag bis zur Höhe der nach dem G 131 zu gewährenden Versorgungsbezüge (vgl Brosche, Kommentar zum G 131, 3. Aufl, § 53 Anm 8 S. 395). Während des Bezuges dieses Unterhaltsbeitrages galt er als im Ruhestand befindlich (§§ 35, 53, 68 Abs 1 Satz 2 des G 131). Deshalb konnte die Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum Eintritt des Klägers in die Bundeswehr am 16. März 1956 gemäß § 70 Abs 4 SVG idF v. 20. Februar 1967 (BGBl I S. 201) bei der Festsetzung des Besoldungsdienstalters und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit nicht berücksichtigt werden. Ohne die Beschädigung und die daran anknüpfenden Leistungen wäre sie für den Kläger nach § 70 Abs 1 SVG ruhegehaltfähig gewesen, weil seine Wiedereinstellung in die Bundeswehr vor dem 31. März 1970 erfolgt ist und er dort mindestens drei Jahre Wehrdienst geleistet hat. In diesem Falle hätte der Kläger nach den gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des SG aber das Höchstruhegehalt von 75 vH erreicht. Die Kausalkette reicht somit von der Kriegsverletzung über die Leistungen nach hessischem Recht und nach dem G 131 bis zur Fiktion des Ruhestandes, der daraus folgenden Nichtanrechnung der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 16. März 1956 und dem deshalb niedrigeren Ruhegehalt. Hierfür ist neben den gesetzlichen Regelungen die Schädigung eine mindestens gleichwertige Bedingung und damit nach der für die Kriegsopferversorgung (KOV) geltenden Kausalitätsnorm Ursache im Rechtssinn (vgl BSGE 1, 72, 76, 150, 157).

Der Berufsschaden ist auch nicht, wie der Beklagte meint, dadurch beseitigt worden, daß der Kläger in den Jahren von 1949 bis 1956 Ruhegehalt bezogen hat. Das Ruhegehalt ist nämlich für Zeiten gezahlt worden, in denen es den Anspruch auf Berufsschadensausgleich noch nicht gab, während der Berufsschaden des Klägers, dessen Ausgleich er begehrt, erst nach seiner Pensionierung entstanden ist. Bereits im Urteil vom 30.November 1971 - 10 RV 150/70 - (SozR Nr 53 zu § 30 BVG) hat der erkennende Senat entschieden, daß weder während der Umschulung bezogene Leistungen einen späteren Berufsschadensausgleich noch ein bereits eingetretener Berufsschaden den Eintritt eines weiteren Berufsschadens hindert.

Der Beklagte kann auch nicht mit dem Argument durchdringen, ein "Rentenschaden" sei die Fortsetzung eines im aktiven Erwerbsleben erlittenen Schadens, weshalb der Kläger, der als Berufsoffizier stets voll gearbeitet habe, einen solchen Schaden nicht haben könne. Der Beklagte verkennt insoweit nämlich, daß bei Berufsoffizieren nicht nur die bei der Wehrmacht und bei der Bundeswehr verbrachte Zeit ruhegehaltfähig ist, sondern auch die Zwischenzeit (vgl § 70 Abs 1 und 2 SVG). Ein solcher Zeitraum kann aber beim Kläger nach § 70 Abs 4 SVG gerade wegen der Fiktion des § 68 Abs 1 Satz 2 des G 131 idF v. 13. Oktober 1965 (BGBl I S. 1685) nicht berücksichtigt werden, weil er wegen der Schädigungsfolgen eine als Ruhegehalt geltende Leistung bezogen hat. Sein niedrigeres Ruhegehalt ist deshalb wirtschaftlich eine mittelbare Schädigungsfolge.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1652589

BSGE, 224

Breith. 1980, 129

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