Leitsatz (amtlich)

Ersatzzeiten liegen einer beamtenrechtlichen Versorgung iS von § 1260c Abs 1 RVO nicht zugrunde, wenn sie nach früheren beamtenrechtlichen Vorschriften keine ruhegehaltfähigen Dienstzeiten sind und das Ruhegehalt nach Durchführung einer Vergleichsberechnung aufgrund dieser Vorschriften festgesetzt worden ist.

 

Normenkette

RVO § 1260c Abs. 1 Fassung: 1982-12-20; BeamtVG § 78 Abs. 1 Fassung: 1976-08-24

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 14.10.1982; Aktenzeichen L 10 J 75/82)

SG Osnabrück (Entscheidung vom 22.01.1982; Aktenzeichen S 1 J 20/81)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anrechenbarkeit der Zeiten vom 2. November 1938 bis zum 25. März 1939 und vom 14. April 1939 bis zum 31. Mai 1945 als Ersatzzeiten (Reichsarbeitsdienst, Wehrdienst, Kriegsgefangenschaft) bei der Berechnung der Rente des Klägers.

Der am 1. Mai 1919 geborene Kläger, der seit dem 2. September 1957 in Niedersachsen im Beamtenverhältnis gestanden hatte, ist mit dem 31. August 1980 in den Ruhestand versetzt worden. Seine Versorgungsbezüge wurden gemäß § 78 Abs 1 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) vom 24. August 1976 (BGBl III 2030-25) iVm § 252 des Niedersächsischen Beamtengesetzes (NBG) idF vom 28. September 1978 (NiedersGVBl S 677) - ohne Anrechnung der streitigen Zeiten - nach dem Deutschen Beamtengesetz (DBG) vom 26. Januar 1937 (RGBl I S 39, ber. S 186) berechnet, was gemäß § 89 DBG zur Berücksichtigung einer Dienstzeit von 22 Jahren und 364 Tagen zu einem Ruhegehaltssatz von 72 vH führte. Die im Vergleich hierzu vorgenommene Berechnung des Ruhegehalts nach den Vorschriften des BeamtVG - unter voller Berücksichtigung der streitigen Ersatzzeiten - ergab bei 31 Dienstjahren lediglich einen Ruhegehaltssatz von 71 vH, so daß sie als ungünstiger zurücktrat.

Die Beklagte gewährte dem Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab März 1980. Im Bescheid vom 7. August 1980 stellte sie fest, die Zeiten zwischen 1938 und 1945 könnten als Ersatzzeiten gemäß § 1260c Reichsversicherungsordnung (RVO) bei der Rentenberechnung nicht berücksichtigt werden, weil sie bereits bei einer Versorgung aus einem vor dem 1. Januar 1966 begründeten öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zugrunde gelegt worden seien.

Widerspruch und Klage gegen diesen Bescheid blieben erfolglos.

Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat in seinem die Berufung zurückweisenden Urteil vom 14. Oktober 1982 hinsichtlich der Anrechenbarkeit von Ersatzzeiten auf den Begriff "zugrunde gelegt" in § 1260c RVO abgestellt und ausgeführt: Die streitigen Ersatzzeiten müßten bei den Versorgungsbezügen des Klägers nicht tatsächlich angerechnet worden sein und zu einer Erhöhung dieser Leistung geführt haben. Die Voraussetzungen des § 1260c RVO seien schon dann erfüllt, wenn die Ersatzzeiten als ruhegehaltfähig anerkannt und als solche bewertet worden seien, unabhängig davon, ob sie zu einer Erhöhung der Versorgungsleistungen führten. Es gälten die zu § 18 Abs 3 Fremdrentengesetz (FRG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I S 93) idF der vor dem 1. Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (1. RVÄndG) entwickelten Grundsätze, wonach eine Zeit nicht als Beitrags- oder Beschäftigungszeit zu berücksichtigen sei, wenn sie einer Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen "zugrunde gelegt" worden sei. Ziel des durch das Gesetz zur Zwanzigsten Rentenanpassung und zur Verbesserung der Finanzgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 27. Juni 1977 (BGBl I S 1040; 20. Rentenanpassungsgesetz -20. RAG-) eingefügten § 1260c RVO sei eine Einschränkung der Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, um möglichst eine Doppelversorgung zu vermeiden. Diesem Sinn des § 1260c RVO widerspreche eine Anrechnung der Ersatzzeiten auf die Rente, denn tatsächlich seien sie bei der Berechnung des Ruhegehalts nach geltendem Recht angerechnet worden. Der Umstand, daß dem Kläger eine weitere Vergünstigung zustehe, nach der sein Ruhegehalt nach altem Recht zu berechnen sei, ändere nichts an der Anerkennung der Ersatzzeiten als ruhegehaltfähig für die Versorgung.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 1260c RVO. Er ist der Ansicht, die Zeiten zwischen November 1938 und Mai 1945 seien lediglich bei der Kontrollberechnung nach dem BeamtVG, nicht aber bei der hier maßgebenden Berechnung der beamtenrechtlichen Versorgung nach dem DBG zugrunde gelegt worden. § 18 Abs 3 FRG betreffe einen nicht vergleichbaren Sachverhalt, weil im vorliegenden Fall die Ersatzzeiten nur rein rechnerisch bei der Kontrollberechnung erfaßt worden seien.

Der Kläger beantragt, die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 14. Oktober 1982 und des Sozialgerichts Osnabrück vom 22. Januar 1982 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 7. August 1980 und 12. Januar 1981 zu verurteilen, die Zeiten vom 2. November 1938 bis 25. März 1939 und vom 14. April 1939 bis 31. Mai 1945 als Ersatzzeiten bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen und ihm eine höhere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und verweist ergänzend auf die zum Fremdrentenrecht (§ 18 Abs 3 FRG) ergangenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 1. Dezember 1964 - 11/1 RA 280/63 (= SozR Nr 1 zu § 18 FRG) und vom 15. Juli 1969 - 1 RA 67/68 = SozR Nr 10 zu § 16 FRG), wonach eine als ruhegehaltfähige Dienstzeit anerkannte Ersatzzeit der Versorgung auch dann zugrunde gelegt sei, wenn sie nicht zu einer Erhöhung der Versorgungsleistung führe oder bei einer gesetzlich vorgesehenen Vergleichsberechnung tatsächlich unberücksichtigt bleibe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch darauf, daß in die Berechnung seiner Erwerbsunfähigkeitsrente die Zeiten des Reichsarbeitsdienstes, des Wehr- bzw Kriegsdienstes und der anschließenden Kriegsgefangenschaft als Ersatzzeiten einbezogen werden.

Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit, daß der Kläger in der Zeit von November 1938 bis Mai 1945 nach § 1251 Abs 2 RVO anrechnungsfähige Ersatzzeiten zurückgelegt hat. Streitig ist jedoch, ob diese Ersatzzeiten bei der Berechnung der Versichertenrente des Klägers außer Ansatz bleiben müssen.

Maßgebend hierfür ist § 1260c Abs 1 RVO (die Vorschrift wurde gemäß Art 2 § 1 Nr 14, Art 3 § 6 20. RAG mit Wirkung vom 1. Januar 1980 eingefügt und ist seit dem 1. Januar 1983 infolge Anfügung eines Absatzes 2 durch Art 19 Nr 33 des Gesetzes zur Wiederbelebung der Wirtschaft und Beschäftigung und zur Entlastung des Bundeshaushalts - HaushaltsbegleitG '83 - vom 20. Dezember 1982, BGBl I S 1857, Abs 1 geworden). Danach bleiben ua Ersatzzeiten bei der Berechnung der Versicherten- und Hinterbliebenenrenten unberücksichtigt, soweit sie bei einer Versorgung aus einem vor dem 1. Januar 1966 begründeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Arbeitsverhältnis mit Anspruch auf Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen zugrunde gelegt sind oder bei Eintritt des Versorgungsfalls zugrunde gelegt werden.

Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Beklagten sind die vom Kläger zurückgelegten Ersatzzeiten der beamtenrechtlichen Versorgung nicht zugrunde gelegt worden.

Dabei geht es hier nicht um die Frage, ob eine Zeit bei der Versorgung auch dann zugrunde gelegt ist, wenn sie nicht zu einer konkreten Erhöhung der Versorgungsbeträge führt. Vielmehr besteht die Besonderheit des vorliegenden Falles darin, daß vor der Festsetzung der Versorgung gemäß § 78 Abs 1 BeamtVG eine Vergleichsberechnung auf Grund (früherer) landesrechtlicher Vorschriften angestellt werden muß. Sofern diese Berechnung zu einem günstigeren Ruhegehaltssatz führt, ist sie allein für das Ruhegehalt anzuwenden. Die landesrechtlichen Vorschriften gelten insofern weiter und bewirken, daß die ruhegehaltfähige Dienstzeit und der Hundertsatz der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge nach den vor Inkrafttreten des nach Kapitel I des Beamtenrechtsrahmengesetzes ergangenen Landesbeamtengesetzen geltenden Vorschriften zu berechnen sind. Wenn demzufolge für die Vergleichsberechnung die ruhegehaltfähige Dienstzeit und der Ruhegehaltssatz ausschließlich nach früherem Recht zu ermitteln und dem sich aus dem BeamtVG ergebenden Ruhegehaltssatz gegenüberzustellen ist, so bedeutet dies, daß der Versorgung die ruhegehaltfähige Dienstzeit und der Ruhegehaltssatz nach dem früheren Recht - hier: § 252 NBG iVm § 89 Bundesbeamtengesetz (BBG) - zugrunde zu legen ist (vgl Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsgesetz, Stand Juli 1983, § 78 Anm 3). So aber verhält es sich beim Kläger, dessen Ruhegehalt nach § 252 NBG iVm § 89 BBG mit 72 vH (gegenüber 71 vH nach dem BeamtVG) ermittelt wurde, ohne daß hierbei die - rentenrechtlichen - Ersatzzeiten als ruhegehaltfähige Dienstzeiten zum Ansatz kamen, also dem Ruhegehalt nicht zugrunde gelegt wurden. Das entspricht dem Grundsatz des § 4 Abs 3 BeamtVG, wonach das Ruhegehalt "auf der Grundlage" der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnet wird.

Zum gleichen Ergebnis führt der Gesetzeswortlaut des § 1260c Abs 1 RVO. Denn nach den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Vorschrift bleiben die beitragslosen Zeiten bei der Rentenberechnung nur unberücksichtigt, soweit sie bei einer Versorgung aus einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zugrunde gelegt sind. Aus dieser Begrenzung ergibt sich, daß sich die Nichtberücksichtigung der Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten auf den tatsächlichen Umfang ihrer "Zugrundelegung" bei der beamtenrechtlichen Versorgung beschränkt. Deshalb liegt eine Zeit insoweit der Versorgung nicht zugrunde, als sie zwar zunächst als ruhegehaltfähig anerkannt worden, dann aber - wegen der Anwendung anderer Vorschriften - nach durchgeführter Vergleichsberechnung völlig ausgeklammert geblieben ist. Das BSG hat nämlich dem Wort "soweit" in ständiger Rechtsprechung eine Begrenzung dem Umfang nach beigemessen (vgl Urteil des 5a Senats vom 20. April 1983 - 5a RKn 8/82 - mit eingehenden Nachweisen). Danach werden die Wörter "wenn" und "soweit" in der ihnen schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch zukommenden unterschiedlichen Bedeutung auch vom Gesetzgeber unterschiedlich verwendet (BSG in SozR 4100 § 160 Nr 2).

Schon aufgrund des unterschiedlichen Gesetzeswortlauts sieht sich der Senat auch nicht durch die Rechtsprechung des BSG zu § 18 Abs 1 Satz 1 FRG aF (vgl Urteil vom 1. Dezember 1964 - 11/1 RA 280/63 = SozR Nr 1 zu § 18 FRG) an seiner Entscheidung gehindert. Nach jener Vorschrift iVm Nr 6 Abs 4 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift nach § 18 Abs 4 FRG (BAnz Nr 151/82) lag, wenn von einer Gesamtzeit nur ein Teil bei der Bemessung der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berücksichtigt war, nicht nur dieser Teil, sondern die Gesamtzeit der Versorgung zugrunde. Abweichend von der Vorschrift des § 1260c Abs 1 RVO enthielt § 18 Abs 3 Satz 1 FRG aF die Einschränkung "soweit" also gerade nicht. Vom Urteil des 1. Senats des BSG vom 15. Juli 1969 - 1 RA 67/68 (= SozR Nr 10 zu § 16 FRG) zu § 18 Abs 3 Satz 1 FRG nF weicht der Senat ebenfalls nicht ab. Denn jene Entscheidung betraf § 18 Abs 3 FRG idF vom 9. Juni 1965 (nF) und hob zudem in ihrer Begründung wesentlich auf Gesichtspunkte des Fremdrentenrechts ab. Es erübrigt sich deshalb auch, auf das dort angesprochene Problem der "doppelten Vergünstigung" (infolge von Sonderregelungen früheren Beamtenrechts) näher einzugehen.

Der Zweck des § 1260c Abs 1 RVO, nämlich im Falle der Gewährung einer gesetzlichen Rente an einen versorgungsberechtigten Beamten eine Doppelversorgung aus einer beitragslosen Zeit auszuschließen, spricht eher für als gegen die vom Senat vorgenommene Auslegung. Allein durch die Berücksichtigung solcher Zeiten sowohl bei der Beamtenversorgung gemäß §§ 6 ff BeamtVG als auch bei den anrechnungsfähigen Versicherungsjahren der gesetzlichen Rentenversicherung wird eine Überversorgung noch nicht bewirkt. Von einer solchen kann vielmehr erst dann gesprochen werden, wenn die Berücksichtigung der beitragslosen Zeiten Auswirkungen auf die Höhe sowohl der beamtenrechtlichen Ruhebezüge als auch der Rente hat. Die Vermeidung einer Doppelanrechnung von Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten ist auch der maßgebliche Grund für die Einfügung des § 1260c RVO durch das 20. RAG gewesen; die vorstehende Auslegung des Begriffes "zugrunde gelegt" läßt sich mithin ergänzend auf die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift stützen. Die im Regierungsentwurf des 20. RAG (BR-Drucks 75/77, BT-Drucks 8/165) noch nicht enthaltene Vorschrift ist erst während der Beratungen des Gesetzesentwurfes im Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung eingefügt worden (vgl Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 8/337, S 26) mit der Begründung (aaO, S 86 und 90), die Doppelanrechnung von Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten sowohl bei der Versorgung als auch in der Rentenversicherung solle in den Fällen, in denen sie zu Überversorgungen führen könne, dh bei Beamten, bei denen das Beamtenverhältnis vor 1966 begründet worden sei, beseitigt werden und eine Anrechnung der Ersatz-, Ausfall- und Zurechnungszeiten bei der Berechnung der Rente in der Rentenversicherung nicht mehr erfolgen, wenn diese Zeiten bereits bei der Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen berücksichtigt seien (so auch BSG Urteil vom 19. April 1983 - 5b RJ 16/82).

Da das Ruhegehalt des Klägers lediglich auf den seit dem 2. September 1957 zurückgelegten Dienstzeiten beruht, können mithin die militärischen bzw militärähnlichen Zeiten zwischen November 1938 und Mai 1945 bei seiner Versorgung nicht iS von § 1260c Abs 1 RVO zugrunde gelegt sein. Es liegt kein Fall einer Doppelanrechnung vor. Die streitigen Ersatzzeiten sind daher bei der Berechnung der Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers rentensteigernd zu berücksichtigen.

Mit dieser Entscheidung weicht der Senat wegen in mehrfacher Hinsicht unterschiedlicher Sach- und Rechtslage nicht vom Urteil des 11. Senats des BSG vom 17. März 1983 - 11 RA 59/82 ab; denn dort waren zum einen die Ersatzzeiten bei der Beamtenversorgung - und nicht nur bei einer Vergleichsberechnung - als ruhegehaltfähige Zeiten zugrunde gelegt worden. Zum anderen hatte der Kläger in dem vom 11. Senat entschiedenen Fall offenbar eine ruhegehaltfähige Dienstzeit vom 35 Dienstjahren zurückgelegt und dadurch einen Ruhegehaltssatz von 75 vH erdient.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Breith. 1984, 773

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge