Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschiedenenwitwenrente. Unterhalt. Zur Zeit seines Todes. letzter wirtschaftlicher Dauerzustand

 

Orientierungssatz

1. Das in RVO § 1265 Abs 1 S 1 (= AVG § 42 Abs 1 S 1) enthaltene gesetzliche Merkmal "zur Zeit seines Todes" versteht das BSG "als letzten wirtschaftlichen Dauerzustand". Wenn auch diese Formel nicht einheitlich und in der zeitlichen Erstreckung nicht nach festen Maßstäben angewendet worden ist (vgl BSG vom 14.1.1969 - 4 RJ 71/68 = SozR Nr 48 zu § 1265 RVO), umfaßt der letzte wirtschaftliche Dauerzustand grundsätzlich die Zeit vor dem Tode des Versicherten, soweit er nach der Scheidung liegt (vgl BSG vom 23.3.1961 - 4 RJ 13/60 = SozR Nr 1 zu § 1266 RVO; BSG vom 16.6.1961 - 4 RJ 25/59 = SozR Nr 8 zu § 1265 RVO). Dabei ist nur die Zeit von der Rechtskraft des Scheidungsurteils an zu verstehen, nicht aber von der Verkündung des Urteils an.

2. Für den Bezug einer Hinterbliebenenrente iS des RVO § 1265 Abs 1 S 1 Nr 3 ist die echte Unterhaltsleistung Voraussetzung.

 

Normenkette

RVO § 1265 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23; AVG § 42 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. Juni 1971 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin aus der Rentenversicherung ihres am 23. Mai 1968 verstorbenen früheren Ehemannes Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten, aus der die im Jahre 1952 geborene Tochter Inge hervorgegangen ist, wurde am 13. Januar 1968 rechtskräftig aus Verschulden des Versicherten geschieden. Der Versicherte hat nicht wieder geheiratet.

Seit 1945 hatte der Versicherte eine Versorgungsrente, die zuletzt 53,-- DM monatlich betrug. Im Jahre 1966 bezog er als Hilfsarbeiter ein Bruttoarbeitsentgelt von 5.753,89 DM. Im Jahre 1967 arbeitete er vom 20. bis zum 27. April, am 13. Juni und vom 10. Oktober bis zum 24. November, wofür er ein Bruttoarbeitsentgelt von 1.250,48 DM erhielt; soweit er beschäftigungslos war, erhielt er Arbeitslosengeld zwischen 59,70 DM und 94,20 DM wöchentlich. Die Klägerin bekam davon für die Zeit vom 23. Mai bis zum 4. Dezember 1967 43,20 DM. Vom 5. Dezember 1967 bis zum 14. März 1968 und vom 4. April 1968 bis zu seinem Tode (23. Mai 1968) wurde dem Versicherten Arbeitslosenhilfe von 70,80 DM bewilligt, wovon der Klägerin für die Tochter Inge 12,-- DM als Familienzuschlag ausgezahlt wurden. In der Zeit vom 15. März bis 3. April 1968 war er arbeitsunfähig krank und erhielt Krankengeld von 200,60 DM.

Durch notariellen Vertrag vom 22. Dezember 1967 verkaufte und übertrug der Versicherte als Verkäufer der Klägerin als Käuferin "seinen unabgeteilten 1/2 - Bruchteilsanteil" an den im Vertrag näher bezeichneten Grundstücken "samt aufstehenden Gebäuden und allem Zubehör. Der Kaufpreis beträgt 2.250,-- - zweitausendzweihundertfünfzig - und ist in Höhe von 1.250,-- durch Verrechnung gegenüber Unterhaltsansprüchen der Klägerin bezahlt; der Rest ist ebenfalls bezahlt".

Die Beklagte lehnte es ab, der Klägerin, die angegeben, hatte, "seit Jahren" als Zeitungsbotin 200,-- DM monatlich verdient zu haben und im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten in der Lage gewesen zu sein, sich selbst zu unterhalten, Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 RVO zu gewähren; es sei nicht nachgewiesen, daß ihr der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode tatsächlich Unterhalt geleistet habe; der vom Arbeitsamt gewährte Familienzuschuß sei nur vor der Ehescheidung gezahlt worden; sie habe zudem mit dem aus eigener, zumutbarer Erwerbstätigkeit erzielten Einkommen ihren angemessenen Unterhalt bestreiten können (Bescheid vom 29. August 1968).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Rente nach § 1265 RVO zu zahlen (Urteil vom 23. Oktober 1969).

Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 11. Juni 1971).

Die Klägerin hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt, mit der sie unrichtige Anwendung des § 1265 RVO rügt.

Die Klägerin beantragt,

Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. Juni 1971 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 23. Oktober 1969 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 RVO.

Nach § 1265 Satz 1 RVO wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden, für nichtig erklärt oder aufgehoben ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetz (EheG) oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Ist - wie im vorliegenden Fall - keine Witwenrente zu gewähren, so ist die geschiedene Frau auch dann rentenberechtigt, wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht bestanden hat.

Das in dieser Vorschrift enthaltene gesetzliche Merkmal "zur Zeit seines Todes" versteht das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Rechtsprechung "als letzten wirtschaftlichen Dauerzustand". Danach soll für die unterhaltsrechtlichen Beziehungen der geschiedenen Ehegatten nicht auf den Zeitpunkt des Todes, sondern auf einen längeren Zustand abgehoben werden, " der Kraft genereller Vermutung ohne den Tod des Versicherten und ohne die damit zusammenhängenden Ereignisse " wahrscheinlich fortbestanden hätte (BSG SozR Nr. 22 zu § 1265 RVO), um so Unbilligkeiten zu vermeiden, die häufig einer "schematischen Abgrenzung nach Jahren und Monaten anhaften" (BSG 14, 129, 132 = SozR Nr. 1 zu § 1266 RVO). Wenn auch die Formel vom "letzten wirtschaftlichen Dauerzustand" in der Rechtsprechung des BSG nicht einheitlich und in der zeitlichen Erstreckung nicht nach festen Maßstäben angewendet worden ist (vgl. das Nähere in: SozR Nr. 48 zu § 1265 RVO, Blatt Aa 58), umfaßt er grundsätzlich die Zeit vor dem Tode des Versicherten, soweit er nach der Scheidung liegt (BSG SozR Nr. 1 zu § 1266 RVO; Nr. 8 zu § 1265 RVO). Dabei ist entgegen der Auffassung der Revision jedoch nur die Zeit von der Rechtskraft des Scheidungsurteils an zu verstehen, nicht aber von der Verkündung des Urteils an (vgl. BSG SozR Nr. 24 zu § 1265 RVO). Das war hier die Zeit vom 13. Januar 1968 (Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsurteils) bis zum 23. Mai 1968 (Tod des Versicherten). Im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand standen dem Versicherten nach den unangefochtenen Feststellungen des LSG zur Verfügung: die monatliche Versorgungsrente von 53,-- DM, ferner bis zum 14. März 1968 und vom 4. April bis zum Tode die um den Familienzuschlag gekürzte Arbeitslosenhilfe von insgesamt 58,80 DM (70,80 ./. 12,-- DM) sowie vom 15. März bis zum 3. April 1968 Krankengeld von 200,60 DM. Die wirtschaftliche Lage des Versicherten im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand war ersichtlich von Arbeitslosigkeit und Krankheit geprägt. Der Versicherte soll zwar drei Tage vor seinem Tode die Arbeit wieder aufgenommen haben. Diese Zeit war jedoch viel zu kurz, um zu einer anderen Beurteilung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes zu gelangen. Demgegenüber verdiente die Klägerin in derselben Zeit als Zeitungsbotin 200,-- DM monatlich.

Wenn auch bei den dürftigen wirtschaftlichen Verhältnissen im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand der Versicherte nicht unterhaltsfähig war, würde dies dann der Gewährung einer Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 Satz 2 RVO nicht entgegenstehen - die Voraussetzung, daß eine Witwe nicht vorhanden war, ist erfüllt -, wenn die Klägerin unterhaltsbedürftig gewesen wäre. Gerade dies hat das LSG aber nicht feststellen können. Die Klägerin war nämlich bei ihrem monatlichen zumutbaren Arbeitseinkommen von 200,-- DM nicht unterhaltsbedürftig. Die Revision hält indes die Tätigkeit der Klägerin als Zeitungsbotin wegen der Rückenbeschwerden für unzumutbar. Wenn die Revision hierzu vorbringt, die Rückenschmerzen hätten die Klägerin nur deshalb nicht von ihrer Tätigkeit als Zeitungsbotin abgehalten, weil sie nicht auf Sozialhilfe habe angewiesen sein wollen, so kann sie schon allein deshalb hiermit nicht mit Erfolg gehört werden, weil sie die tatsächlichen Feststellungen des LSG nicht angefochten hat. Damit hat die Klägerin keinen Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der 1. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO.

Da kein Anhalt für einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der 2. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO besteht, könnte das Begehren der Klägerin nur noch auf die 3. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO gestützt werden. Das LSG hat einen auf diese Vorschrift gegründeten Anspruch zutreffend verneint. Das Berufungsgericht hat dazu unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG ausgeführt, als Zeit einer tatsächlichen Unterhaltsleistung sei hier nur die Zeit zwischen der rechtskräftigen Scheidung und dem Tod des Versicherten, auch wenn sie nicht den Zeitraum eines vollen Jahres umfasse, maßgebend. Mit Recht hat es daher die bis zum 4. Dezember 1967 aus der Arbeitslosenversicherung des Versicherten gewährten Zahlungen und die Regelungen aus dem notariellen Kaufvertrag vom 22. Dezember 1967 außer Betracht gelassen.

Soweit die Revision die im Anschluß an das Urteil des erkennenden Senats vom 29. Oktober 1963 - 12/3 RJ 176/59 - (SozR Nr. 19 zu § 1265 RVO) getroffene Feststellung, die Klägerin habe zwar nach der Übertragung des Bruchteilsanteils des Versicherten auf sie Nutzungen aus dem Hausgrundstück ziehen können, jedoch seien dies dann Nutzungen aus ihrem eigenen Vermögen gewesen, nicht gelten lassen will, mögen zwar Fälle denkbar sein, in denen mit der Übertragung nicht unbeträchtlicher Vermögensteile und -werte die zukünftigen Unterhaltsansprüche aus einer derartigen Substanz gesichert sein sollen. Abgesehen davon, daß für eine solche Regelung klare Vereinbarungen notwendig wären, solche aber fehlen, besteht hier für eine andere Rechtsbetrachtung vor allem deshalb kein Anlaß, weil nach den Feststellungen des LSG der Wert des Hausgrundstücks nur geringfügig war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669945

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