Orientierungssatz

Ein Soldat, der zu Beginn seines Wehrdienstes seine Familienwohnung, dh den räumlichen Mittelpunkt des privaten Lebens bei seinen Eltern hatte, befindet sich nicht auf einem, nach SVG § 81 Abs 3 Nr 4 in den Wehrdienst einbezogenen Weg nach der ständigen Familienwohnung, wenn er auf der Fahrt zu seiner Braut, bei der er häufig die Wochenenden verbringt, verunglückt. Dieser Unfall ist der Freizeit zuzurechnen und wird vom Versorgungsschutz nicht umfaßt.

 

Normenkette

SVG § 81 Abs. 1 Fassung: 1971-09-01, Abs. 3 Nr. 4 Fassung: 1971-09-01

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. August 1975 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der 1950 geborene Kläger, der seit 1970 Soldat auf Zeit ist, verunglückte am 26. Mai 1972 (nachmittags) in der Freizeit während einer Autofahrt von Kerpen bei Köln, seinem Dienstort, zu seiner Verlobten. Infolge des Unfalls verlor er den rechten Unterarm. Zu seinem Antrag auf einen Ausgleich nach § 85 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) gab er an: Vor dem Wehrdienst habe er bei seinen Eltern in Borken (Westfalen) gewohnt. Bis September 1971 habe er sie an jedem freien Wochenende besucht, danach nur Weihnachten 1971 und dann noch höchstens einmal monatlich. Im November 1971 habe er seine Verlobte kennengelernt. Bei ihren Eltern in Eschenau bei Kaufbeuren (Ostallgäu) sei der Mittelpunkt seines Lebens gewesen. Er habe seine Braut dort dreimal monatlich an dienstfreien Wochenenden aufgesucht. Im Haus ihrer Eltern sei jedesmal seine Kleidung und Wäsche in Ordnung gebracht worden. Dort habe er bei seinen Besuchen ein gemeinsames Zimmer mit seiner Braut gehabt, seit sie sich im April 1972 verlobt hätten. Im Juni 1972 hätten sei heiraten wollen. Infolge des Unfalls sei die Eheschließung erst im September 1972 möglich gewesen. Zur Zeit des Unfalles habe schon in Kerpen eine Bundeswehrwohnung für sie zur Verfügung gestanden. Auch habe sich für seine Braut bereits in der Nähe von Kerpen ein Arbeitsplatz finden lassen. Nach Kerpen habe er am Unfalltag seine Verlobte aus Kaufbeuren, ihrem Arbeitsort, wo sie eine Zweitwohnung gehabt habe, holen wollen, weil in der zukünftigen Ehewohnung Renovierungsarbeiten vorgesehen gewesen seien.

Das Wehrbereichsgebührnisamt lehnte einen Ausgleich ab, weil der Kläger in der Freizeit nicht auf einer Fahrt zu seiner Familienwohnung verunglückt sei (Bescheid vom 31. Juli 1973). Beschwerde, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Bescheid vom 10. Dezember 1973; Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 21. August 1974, Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 14. August 1975 - Breithaupt 1976, 136; AMBl By 1976, B 34): Der Kläger sei nicht durch eine Wehrdienstbeschädigung verletzt worden; denn er sei nicht auf dem Wege nach seiner ständigen Familienwohnung (§ 81 Abs. 3 Nr. 4 SVG) verunglückt. Diese habe nicht am Wohnort seiner Verlobten bestanden. Der Kläger habe nicht seit seinem Verlöbnis die maßgebende familienrechtliche Beziehung zur Familie seiner Braut gehabt. Für einen Ausnahmefall von diesem Grundsatz bestehe kein Anhalt.

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 81 Abs. 3 Nr. 3 SVG. Für eine Verlegung der Familienwohnung vom Elternhaus zur Wohnung der Verlobten benötige der volljährige Soldat keine Zustimmung seiner Eltern. Der Kläger habe durch seine Verlobung zum Ausdruck gebracht, daß er nunmehr das Elternhaus seiner Braut als den räumlichen Mittelpunkt seiner Lebensinteressen betrachte. Eine Familienwohnung sei nicht von einer rechtsgültigen Ehe abhängig. Häufige Besuche, die Einrichtung eines gemeinsamen Zimmers und das Versorgen der Wäsche und Kleidung hätten nach den Verhältnissen in der modernen Gesellschaft genügt, einen Familienverband mit der Braut in ihrer elterlichen Wohnung zu begründen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG sowie der angefochtenen Bescheide die Beklagte zu verurteilen, den Verlust seines rechten Armes als Wehrdienstbeschädigung anzuerkennen und ihm für die Zeit vom 26. Mai 1972 bis zum Ausscheiden aus der Bundeswehr einen Ausgleich nach § 85 SVG zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Wie die Vorinstanzen im Ergebnis mit Recht entscheiden haben, steht dem Kläger während seiner Wehrdienstzeit kein Ausgleich in Höhe der Grundrente nach § 85 Abs. 1 SVG in der hier anzuwendenden (BSGE 28, 190, 192 = SozR Nr. 6 zu § 4 Bundesversorgungsgesetz - BVG -), einschlägig nicht geänderten Fassung der Bekanntmachung vom 1. September 1971 (BGBl I 1481) zu; denn der Kläger hat den rechten Unterarm nicht durch eine Wehrdienstbeschädigung verloren. Als Wehrdienstbeschädigung in diesem Sinn kommt nach § 81 Abs. 1 SVG bei der Sachlage des vorliegenden Falls allenfalls eine gesundheitliche Schädigung durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall in Betracht. Dafür genügt nicht, daß sich der Unfall während des Dienstverhältnisses zur Bundeswehr ereignete. Vielmehr wäre ein zeitlicher Zusammenhang mit einer tatsächlichen Dienstausübung erforderlich (BSGE 12, 78, 79 = SozR Nr. 44 zu § 1 BVG; SozR Nr. 50 zu § 1 BVG; BSGE 33, 141, 143 = SozR Nr. 1 zu § 81 SVG 1964; SozR Nr. 1 zu § 81 SVG 1967; BSGE 41, 153, 154 = SozR 3200 § 81 Nr. 9; SozR 3200 § 81 Nr. 6 m.w.N.; BverwG, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1964, 2031). Daran fehlt es. Der Kläger verunglückte in der Freizeit; diese wird grundsätzlich nicht vom Versorgungsschutz umfaßt (BSGE 28, 193; 33, 143; BSG, Bundesversorgungsblatt - BVBl - 1973, 6 m.w.N.).

Die Autofahrt, auf der sich der Unfall ereignete, gehörte auch nicht nach § 81 Abs. 3 Nr. 4 SVG zum Wehrdienst i.S. des Abs. 1; sie ist weder als ein mit dem Dienst zusammenhängender Weg von der Dienststelle (Halbs. 1; neuerdings: Abs, 3 Satz 1 Nr. 4) anzusehen noch als ein Weg nach einer ständigen Familienwohnung eines Soldaten, der wegen der Entfernung vom Dienstort an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat (Halbs. 2; jetzt: Satz 2).

Der Kläger hatte zu Beginn seines Wehrdienstes seine Familienwohnung, d.h. den räumlichen Mittelpunkt des privaten Lebens, bei seinen Eltern in Borken und behielt diesen, was nicht umstritten ist, auch nachdem er Soldat geworden war, als räumlichen Schwerpunkt seiner Freizeit bei. Daran änderte sich durch den Eintritt seiner Volljährigkeit allein nichts (für die Unfallversicherung - UV -: BSG SozR Nr. 24 zu § 543 - Reichsversicherungsordnung - RVO a.F.; für die Beamtenunfallfürsorge: BVerwG Buchholz 232 § 135 BBG Nr. 41). Diese Zuordnung entspricht dem allgemeinen Verständnis des Begriffes der "ständigen Familienwohnung", wie es die Rechtsprechung zu der hier anzuwendenden Vorschrift des Soldatenversorgungsrechtes ebenso wie zu den gleichen Bestimmungen der Kriegsopferversorgung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe c, Satz 2 BVG; BSG, BVBl 1973, 6), der Unfallversicherung (§ 543 RVO a.F., § 550 RVO n.F.; BSGE 1, 171, 173; BSGE 37, 98, 99 = SozR 2200 § 950 Nr. 2 m.w.N.) und der Beamtenunfallfürsorge (§ 135 - Bundesbeamtengesetz - BBG; BVerwG Buchholz 232 § 135 BBG Nrn. 37 u. 38) entwickelt hat. Grundsätzlich sind diese einschlägigen Vorschriften einheitlich auszulegen (BSGE 33, 239, 242 f = SozR Nr. 2 zu § 81 SVG 1964; teilweise abweichend: BSGE 28, 193 f). Nachdem der Kläger seine jetzige Ehefrau im November 1971 kennengelernt hatte, verbrachte er zwar häufig die Wochenenden bei ihr. Daraus folgt indes nicht, daß er seine "ständige Familienwohnung" von Borken zu den Eltern seiner jetzigen Ehefrau in Eschenau verlegt gehabt hätte. Von einer solchen Veränderung ist auch nicht seit der Verlobung im April 1972 auszugehen. Wohl gaben der Kläger und seine Braut mit dem Verlöbnis nach allgemeinem Verständnis und im Sinn der Rechtsordnung (§ 1297 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) zu erkennen und bekundeten nach außen, daß sie eine Dauerbindung anstrebten. Aber diese Verbindung verpflichtet erst von der Eheschließung an zu einer Lebensgemeinschaft, die regelmäßig in einer eigenen ehelichen Familienwohnung vollzogen zu werden pflegt (§ 1253 BGB). Auch wenn der Kläger und seine Verlobte bereits vor der Verheiratung tatsächlich wie Eheleute in dem Zimmer der Braut, das in der Wohnung ihrer Eltern seit der Verlobung eingerichtet war, an den Wochenenden zusammen waren und wenn durch ein solches Verhalten bereits vor der Eheschließung eine "Familienwohnung" im Rechtsinn begründet werden könnte, fehlt es unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles an dem zusätzlichen Merkmal einer "ständigen" Wohnung, wie sie das Gesetz für den angestrebten Versorgungsschutz verlangt. Diese Art von räumlichem Mittelpunkt des Privatlebens muß nach dem Willen der Beteiligten und nach dem äußeren Erscheinungsbild, in dem dieser zu erkennen ist, durch Dauerhaftigkeit und Beständigkeit gekennzeichnet und daher für nicht unerhebliche Zeit manifestiert worden sein (für die UV: BSG, Breithaupt 1966, 383; BSGE 35, 32 33 = SozR Nr. 21 zu § 550 RVO; BSGE 37, 99). Das Brautpaar wollte aber bereits im Juni 1972, also kurze Zeit nach der Verlobung, heiraten und eine bereits zur Verfügung gestellte Dienstwohnung direkt am Standort Kerpen, mithin weit entfernt von Eschenau, beziehen. Bei dieser tatsächlichen Gestaltung bestand um die Zeit der Unfallfahrt von Kerpen nach Süddeutschland lediglich ein Übergangsstadium; ihm fehlte eine Mindestdauer, die dem Zustand einer Familienwohnung eigen sein muß, wenn sie eine "ständige" sein soll. Die Wochenendfahrten des Klägers stellten sich als übliche Besuchsreisen zur Verlobten dar.

Wenn der Kläger auch in der kurzen Zeit zwischen der Verlobung und dem Zeitpunkt im Juni 1972, in dem er heiraten und einen ehelichen Wohnsitz am Standort begründen wollte, die elterliche Wohnung nur noch seltener aufsuchte, so hatte er doch seine dortige Verwurzelung nicht bereits völlig aufgegeben. In dieser Zwischenzeit hatte er noch keinen anderen, auf Dauer angelegten Mittelpunkt für seine privaten Lebensbeziehungen gefunden. Sein auf eine endgültige Bleibe ausgerichteter Wille zielte auf die neue Wohnung in Kerpen. Deshalb erschiene es nicht situationsgemäß, von einer vorübergehenden Verlegung der ständigen Familienwohnung vom Wohnort seiner Eltern zum Wohnsitz der zukünftigen Schwiegereltern auszugehen. Anderenfalls müßte man die Absicht unterstellen, daß die Familienwohnung nur für etwa zwei Monate verlagert und dann an den Standort abermals verlegt werden sollte. Einen Anhalt dafür bieten aber die besonderen Fallgegebenheiten nicht, insbesondere nicht die Lebensplanung und Einstellung des Klägers, welche sich aus seinem damaligen Verhalten entnehmen ließen. Bei dieser Sachlage brauchte nicht näher auf die Ansicht eingegangen zu werden, daß zusammenlebende Personen eine "Familienwohnung" auch ohne eheliche Bindung haben können (für die UV: BSGE 17, 270, 271 f = SozR Nr. 38 zu § 543 RVO a.F.; BSGE 25, 93, 95, 96 = SozR Nr. 60 zu § 543 RVO a.F.; BSG in KV-Leistungen 1971, 217; außerdem in bezug auf einen minderjährigen Wehrpflichtigen BSG SozR Nr. 7 zu § 4 BVG mit zustimmender Anmerkung von Getrost, Sozialgerichtsbarkeit 1971, 104; ebenso für das Beamtenrecht: BVerwG, NJW 1964, 2031; anders: SG Bayreuth, ZfS 1973, 91). Hier brauchte auch nicht im einzelnen erörtert zu werden, aus welchen Tatsachen allgemein auf die Erfüllung des Tatbestandes der "Familienwohnung" geschlossen werden kann und ob im Fall des Klägers für Eschenau genügend derartige Umstände gegeben waren.

Fall der Kläger am 26. Mai 1972 nicht nach Eschenau zur Wohnung seiner zukünftigen Schwiegereltern fahren, sondern, wie er im Verwaltungsverfahren angab und wie den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegt wurde, seine Verlobte in ihrer Zweitwohnung an ihrem Arbeitsort Kaufbeuren abholen wollte, um mit ihr direkt nach Kerpen zurückzureisen, wäre der Versorgungsschutz aus einem anderen Grund ausgeschlossen. In Kaufbeuren sollte nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht seine "ständige Familienwohnung" bestehen, so daß eine Familienheimfahrt völlig außer Betracht liegt. Schließlich kann die Fahrt, bei der er verunglückte, nicht allein deshalb dem Wehrdienst zugerechnet werden, weil sie "von der Dienststelle" weg führte. Nicht jeder Weg von der Dienststelle in beliebigen Richtungen und zu jedem Ziel ist derart versorgungsrechtlich geschützt. Vielmehr muß ein Weg, der dem Wehrdienst im Sinne des § 81 Abs. 1 SVG zuzuordnen sein soll, mit dem Dienst zusammenhängen; das schreibt das Gesetz ausdrücklich zur Begrenzung vor. Dieser zweckbezogene Zusammenhang mit dem Dienst (für die UV: BSGE 37, 100; SozR 2200 § 550 Nr. 6 m.w.N.), in der Rechtsprechung gelegentlich als "innerer" oder "wesentlicher" oder "ursächlicher" Zusammenhang bezeichnet (für die Kriegsopferversorgung: BSG SozR Nr. 1 § 81 SVG 1967), kommt allgemein in Betracht für den Weg vom Dienst zur dienstlichen Unterkunft oder - mangels einer solchen - zur Wohnung, wo der Soldat sich in der Freizeit für den Dienst zu erholen pflegt. Diese Beschränkung des geschützten Weges folgt zusätzlich aus der ergänzenden Vorschrift über den Weg zur Familienwohnung, die vom Dienstort entfernt liegt. Der Schutz hätte auf diesen Weg nicht erstreckt zu werden brauchen (vgl. zur Entstehungsgeschichte: BSGE 2, 79, 81; BSGE 24, 159, 160 f = SozR Nr. 58 zu § 543 RVO a.F.), falls alle Wege "von der Dienststelle" dem Wehrdienst zuzurechnen wären. Der Kläger befand sich auf der Fahrt nach Süddeutschland nicht auf einem Weg vom Dienst zu einer solchen Privatwohnung. Bei derart weiten Reisen, die nach den Gegebenheiten dieses Falles nicht zu einer " Familienwohnung" führen, fehlt der für Fahrten nach auswärts üblicherweise zu fordernde andere Bezugs- oder Orientierungspunkt, der solche geschützten Familienheimfahrten räumlich und vom Bezug zum Dienst her begrenzt (BSG, BVBl 1973, 6; für die UV: BSGE 25, 95; BSG SozR Nr. 32 zu § 543 RVO a.F.; BSGE 22, 60 = SozR Nr. 54 zu § 543 RVO a.F.; BSG, NJW 1975, 711; BSG SozR 2200 § 550 Nr. 6; Bayer. LSG, Breithaupt 1957, 409).

Aus diesen Gründen muß die Revision des Klägers zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1649473

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