Entscheidungsstichwort (Thema)
Beiladung von Rehabilitanden bei Streit über deren versicherungsrechtliche Beurteilung. Unterlassen einer notwendigen Beiladung als Verfahrensmangel
Leitsatz (redaktionell)
Bei Streit zwischen der Krankenkasse und dem Rehabilitationsträger über Beitragspflicht zur Krankenversicherung nach RVO § 381 Abs 3a Nr 2 sowie über die Rentenversicherungspflicht nach RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 8a Buchst c (AVG § 2 Abs 1 Nr 10a Buchst c) in den Fällen, in denen der Anspruch auf Übergangsgeld wegen rückwirkender Zubilligung von Erwerbsunfähigkeitsrente aus der Rentenversicherung nachträglich wegfällt, ist der Rehabilitand notwendig beizuladen.
Orientierungssatz
In einem Beitragserstattungsstreit, der sich auch auf das Kranken- und Rentenversicherungsverhältnis eines Versicherten auswirkt, ist das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach SGG § 75 Abs 2 Alt 1 bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten. Eine solche Beiladung ist notwendig, wenn die in einem Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift (vgl BSG 1960-01-29 2 RU 76/56 = BSGE 11, 262).
Normenkette
SGG § 75 Abs. 2 Alt. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO § 381 Abs. 3a Nr. 2, § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 8a Buchst. c; AVG § 2 Abs. 1 Nr. 10a Buchst. c
Verfahrensgang
SG Mannheim (Entscheidung vom 06.10.1976; Aktenzeichen S 7 Kr 1138/76) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 6. Oktober 1976 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin die von dieser als Rehabilitationsträger auf Grund von Übergangsgeldzahlungen getragenen Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung des Versicherten K (K.) zurückzuzahlen hat, nachdem die Beigeladene dem Versicherten K. rückwirkend eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der Arbeiterrentenversicherung gewährt.
Die Klägerin zahlte dem Versicherten K., der wegen einer Berufskrankheit vom 27. Januar 1975 an wieder arbeitsunfähig war, nach § 562 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Übergangsgeld vom 10. März bis 18. Oktober 1975. Auf Grund des Bezugs von Übergangsgeld entrichtete sie an die Beklagte Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung des K. Mit Bescheid vom 21. Januar 1976 gewährte die Beigeladene dem Versicherten K. Rente wegen Erwerbsunfähigkeit rückwirkend vom 1. Juni 1975 an. Die Klägerin forderte daraufhin von der Beklagten die von ihr vom 1. Juni bis 18. Oktober 1975 entrichteten Sozialversicherungsbeiträge für den Versicherten K. mit 2.951,82 DM als zu Unrecht entrichtet zurück, da mit der rückwirkenden Rentenbewilligung der Anspruch auf Übergangsgeld nachträglich weggefallen und sie daher nicht beitragspflichtig sei. Die Beklagte verweigerte die Rückzahlung der Beiträge.
Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 6. Oktober 1976).
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Sprungrevision eingelegt, der die Beklagte schriftlich zugestimmt hat. Die Klägerin rügt eine Verletzung des § 381 Abs 3a Nr 2 RVO.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des SG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr die zur Kranken- und Rentenversicherung des K. für die Zeit vom 1. Juni bis 18. Oktober 1975 gezahlten Beiträge in Höhe von 2.951,82 DM zurückzuzahlen,
hilfsweise,
das Urteil des SG aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das SG oder das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil nach § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zurückzuverweisen.
Das SG hat den Versicherten K. in diesem Rechtsstreit nicht notwendig beigeladen (§ 75 Abs 2 SGG). Das war aber in dem Beitragserstattungsstreit der Beteiligten, der sich auch auf das Kranken- und Rentenversicherungsverhältnis des Versicherten K. auswirkt, erforderlich. Nach dem Beschluß des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. März 1974 - 2 S 1/74 - ist das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2, 1. Alternative SGG bei einer zulässigen Revision vom Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten (SozR 1500 § 75 Nr 1). Eine solche Beiladung ist notwendig, wenn die in einem Rechtsstreit zu erwartende Entscheidung über das Rechtsverhältnis zugleich in die Rechtssphäre eines Dritten unmittelbar eingreift (BSGE 11, 262 = SozR Nr 17 zu § 75 SGG). Wie der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist der Versicherte jedenfalls dann nach § 75 Abs 2 SGG notwendig beizuladen, wenn von dem Streit der Beteiligten sein Versicherungsverhältnis mit betroffen wird (vgl Urteil vom 16. Dezember 1976 - 12/3/12 RK 23/74, Breith. 1977, 846 = USK 76212; Urteile vom 27. Januar 1977 - 12/3 RK 90/75, USK 7727; - 12 RK 8/76, USK 7727; Urteile vom 23. Februar 1977 - 12/3 RK 30/75, USK 7739; - 12 RK 14/76, USK 7736 = DAngVers 1977, 297; Urteil vom 28. April 1977 - 12 RK 30/76, USK 7743 = SozSich 1977, 338).
Nach § 381 Abs 3a Nr 2 RVO hat der das Übergangsgeld gewährende Rehabilitationsträger - hier die Klägerin - die Beiträge zur Krankenversicherung zu tragen "für die übrigen Versicherten, die Übergangsgeld beziehen, das nicht nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes berechnet ist, vom Beginn der 7. Woche des Bezugs von Übergangsgeld an". Der ursprünglich in der Krankenversicherung als Mitglied der Beklagten versicherte K. (§§ 165 Abs 1 Nr 1, 306 Abs 1 RVO) blieb während der von der Klägerin gewährten Rehabilitationsmaßnahmen deshalb Mitglied der Beklagten, weil er von der Klägerin als Rehabilitationsträger Übergangsgeld bezog. Das Versicherungsverhältnis des K. zur Krankenversicherung bestand also in der Zeit, in der er von der Klägerin Übergangsgeld bezog, fort. Die mit diesem Versicherungsverhältnis verbundenen Krankenversicherungsbeiträge hatte allein die Klägerin nach § 381 Abs 3a Nr 2 RVO zu tragen. K. war, solange der Übergangsgeld bezog, zwar weiterhin in der Krankenversicherung versichert, jedoch nicht verpflichtet, die Krankenversicherungsbeiträge anteilig mit zu tragen. Falls die Beklagte, weil dies die Klägerin begehrt, die von ihr getragenen Krankenversicherungsbeiträge zu erstatten hätte, weil das Übergangsgeld zu Unrecht gezahlt worden war, würde sich dies zwangsläufig auch auf das Versicherungs- und Mitgliedschaftsverhältnis des K. zur Beklagten auswirken. Damit würde in die Rechtssphäre des K. unmittelbar eingegriffen.
Ebenso wäre es, falls die Beklagte der Klägerin die von dieser getragenen Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter des K. zu erstatten hätte. K. war nach § 1227 Abs 1 Nr 8a Buchst. c RVO als Person, der "ein sonstiger Träger der Rehabilitation mindestens einen Kalendermonat Übergangsgeld zahlt, für die Zeit des Bezugs von Übergangsgeld" in der Arbeiterrentenversicherung versicherungspflichtig. Die mit dieser Versicherungspflicht verbundenen Pflichtbeiträge zur Arbeiterrentenversicherung hatte die Klägerin als Rehabilitationsträger nach § 1385 Abs 4 Buchst. g RVO zugunsten des K. allein zu tragen. Diese wirksam entrichteten Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung, durch die K. Beitragszeiten erlangt hatte (§ 1250 Abs 1 Buchst. a RVO), würden dem K. verlorengehen, falls die Beiträge der Klägerin zu erstatten wären. Auch insoweit würde in die Rechtssphäre des K. unmittelbar eingegriffen.
Daraus folgt, daß die Entscheidung gegenüber der Klägerin und dem Versicherten K. nur einheitlich ergehen kann. Daher ist die Beiladung des Versicherten K. notwendig. Dies nachzuholen wird Sache des LSG Baden-Württemberg sein, an das der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen wird (§ 170 Abs 2 Satz 2, Abs 4 SGG). K. wird so Gelegenheit haben, sich zur Sache zu äußern.
Nach der notwendigen Beiladung des K. wird das LSG nicht umhinkönnen, vor seiner Entscheidung folgendes mit zu erwägen:
Die Klägerin hat sich darauf beschränkt, eine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) zu erheben. Das SG hat nicht festgestellt, daß die Beklagte die streitigen Beiträge durch einen Beitragsbescheid von der Klägerin gefordert hat. Sollte die Beklagte die Beiträge durch einen Beitragsbescheid festgestellt und von der Klägerin angefordert haben, wäre die Klägerin zur Klageänderung dahin zu veranlassen (§ 106 Abs 1 SGG) zu beantragen, den Beitragsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die streitigen Beiträge zurückzuzahlen (§ 54 Abs 1 und 4 SGG). Die Beklagte war, wenngleich sie sonst als Versicherungsträger dieselbe Rechtsstellung wie die Klägerin hat und insoweit dieser gleichgeordnet ist, berechtigt, gegenüber der Klägerin Verwaltungsakte (Beitragsanforderungen) zu erlassen. Sie ist nämlich durch Gesetz hierzu besonders beauftragt und im Rahmen dieses Auftrags als Einzugsstelle auf Grund ihrer auch gegenüber der Klägerin übergeordneten Stellung tätig geworden (§ 1399 RVO). Hierzu hat der Senat in seinen zur Veröffentlichung bestimmten Urteilen vom heutigen Tage - 12 RK 17/76 und 12 RK 29/77 - auf die verwiesen wird, Näheres ausgeführt.
Die Entscheidung über die Kosten (§ 193 Abs 1 und 4 SGG) bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen