Entscheidungsstichwort (Thema)
Befreiung von Rundfunkgebührenpflicht. Wirksamkeit der befristeten Befreiung. "Vorschlag" des Sozialamtes
Orientierungssatz
1. Eine auf Vorschlag des Sozialamtes - auf einen inzwischen abgelaufenen Zeitraum - von der Rundfunkanstalt befristet ausgesprochene Freistellung von der Rundfunkgebührenpflicht ist für Feststellungen der Versorgungsverwaltung nach § 3 Abs 4 SchwbG und für einen Schwerbehindertenausweis nach § 3 Abs 5 S 1 SchwbG nicht verbindlich (vgl ua BSG vom 1982-12-08 9a RVs 2/82).
2. Die Stellungnahme des Sozialamts, daß die Voraussetzungen für eine Gebührenbefreiung gegeben seien, ist lediglich ein "Vorschlag" für die Rundfunkanstalt, mithin kein feststellender Verwaltungsakt, der über den Geltungszeitraum der Freistellung hinaus wirksam bleiben könnte.
Normenkette
SchwbG § 3 Abs 4; SchwbG § 3 Abs 5 S 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 27.05.1982; Aktenzeichen L 7/Vs 11/81) |
SG Landshut (Entscheidung vom 18.11.1980; Aktenzeichen S 8 Vs 412/79) |
SG Landshut (Entscheidung vom 18.11.1980; Aktenzeichen S 8 Vs 411/79) |
Tatbestand
Der Kläger, der Schwerbehinderter ist, wurde durch den Bayerischen Rundfunk für die Zeit von April 1977 bis Ende März 1980 von der Rundfunkgebührenpflicht befreit; in dem Bescheid hat das Sozialamt der Stadt Straubing am 2. Februar 1977 festgestellt, daß die Voraussetzungen dafür gegeben sind.
Die Versorgungsverwaltung erkannte beim Kläger auf einen Antrag vom August 1978 den Verlust des linken Beines mit Phantomschmerzen, Verbiegung der Wirbelsäule, Herzkreislaufstörungen bei labiler Hypertonie, Hypercholesterinämie, linksseitigen Senkspreizfuß und Muskelriß des linken Bizeps als Behinderungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) an und setzte den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 90 vH fest (Bescheid vom 30. Oktober 1978, Teil-Abhilfebescheid vom 25. Juni 1979). Der Widerspruch, mit dem der Kläger ua die Anerkennung der gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht begehrte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 1979). Das Sozialgericht (SG) verurteilte den Beklagten, als weitere Behinderung "Kniearthrose rechts" festzustellen und die MdE mit 100 vH zu bewerten; im übrigen wies es die Klage ab (Urteil vom 18. November 1980). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 27. Mai 1982): Bei ihm seien die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht gegeben; denn er sei nicht wegen seiner Leiden ständig von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen (§ 1 der Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht -RGVO- vom 30. September 1975/24. März 1981). Die Versorgungsverwaltung sei nicht an die frühere Freistellung gebunden, die eine andere Behörde ausgesprochen habe, die nicht auf § 3 Abs 4 SchwbG beruhe, die einen anderen Inhalt gehabt habe und die auf einen inzwischen abgelaufenen Zeitraum befristet gewesen sei.
Der Kläger rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 3 Abs 4 und 5 und des § 45 Abs 2 SchwbG sowie des § 1 Abs 4 iVm § 3 Abs 1 Nr 4 der 4. Verordnung zur Durchführung des SchwbG. Die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht sei von der Versorgungsverwaltung zu übernehmen, und demgemäß müsse das Merkmal "RF" auf dem Schwerbehindertenausweis eingetragen werden. Wenn nach § 45 Abs 2 SchwbG Vergünstigungen aufgrund schon gültiger Vorschriften unberührt bleiben sollten, so sollten dadurch Nachteile, die durch die neuen Regelungen des SchwbG für die einzelnen Schwerbehinderten entstehen könnten, vermieden werden. Eine wesentliche Besserung der Verhältnisse, die der Bindung entgegenstehe, sei nicht eingetreten. Außerdem seien gemäß § 3 Abs 2 SchwbG Feststellungen nach Abs 4 dann nicht zu treffen, wenn - wie hier - bereits das Sozialamt eine Vergünstigung ausgesprochen habe.
Der Kläger beantragt, unter Änderung der Urteile des LSG und des SG sowie des Bescheides vom 30. Oktober 1978, des Teil-Abhilfebescheides vom 25. Juni 1979 und des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 1979 den Beklagten zu verpflichten, beim Kläger die Voraussetzungen für die Rundfunkgebührenbefreiung als vorliegend anzusehen, hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, ist der Beklagte nicht für verpflichtet zu erklären, nach § 3 Abs 4 iVm Abs 1 des Gesetzes zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft - SchwbG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 1979 (BGBl I 1649) die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht festzustellen (vgl zur Zuständigkeit der Versorgungsverwaltung: BSGE 52, 168, 170 ff = SozR 3870 § 3 Nr 13; 3870 § 3 Nr 14). Im Fall des Klägers, dessen Erwerbsfähigkeit um über 80 vH gemindert ist, kommt allein der Freistellungstatbestand in Betracht, daß der Behinderte wegen seiner leiden an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen kann (§ 1 Abs 1 Nr 3 der Bayerischen Verordnung über die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht vom 30. September 1975 -GVBl 341-/21. Juli 1978 -GVBl 505-/24. März 1981 -GVBl 74-). Eine solche gesundheitliche Gegebenheit besteht nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht angegriffen worden und deshalb für das Revisionsgericht verbindlich sind (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), beim Kläger nicht. Das Berufungsurteil läßt keinen Fehler bei der rechtlichen Würdigung dieser Tatsachen erkennen (vgl dazu BSGE 53, 175 = SozR 3870 § 3 Nr 15).
Die Revision richtet sich ausschließlich gegen die Meinung der Vorinstanzen, daß die dreijährige Befreiung von der Gebührenpflicht durch die Rundfunkanstalt (nicht durch das Sozialamt § 4 Abs 2 RGVO 1975) nicht für die nunmehr begehrte Feststellung der Versorgungsverwaltung verbindlich sei. Die Vorinstanzen haben aber auch dies zutreffend beurteilt.
Die frühere Freistellung wurde gemäß § 4 Abs 4 Satz 2 RGVO 1975 lediglich befristet bis zum 31. März 1980 ausgesprochen. Über diesen Zeitpunkt hinaus kann sie auch für Feststellungen der Versorgungsverwaltung nach § 3 Abs 4 SchwbG und für einen Schwerbehindertenausweis nach § 3 Abs 5 Satz 1 SchwbG nicht wirksam sein (BSG 19. August 1981 -9 RVs 5/81-; BSG SozR 3870 § 3 Nr 11 aE; BSG 8. Dezember 1982 -9a RVs 2/82-; für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht: BSG 17. März 1982 -9a/9 RVs 6/81in SozR 3870 § 3 Nr 15 nicht voll abgedruckt).
Die Stellungnahme des Sozialamtes, daß die Voraussetzungen für eine Gebührenbefreiung gegeben seien, war lediglich ein "Vorschlag" für die Rundfunkanstalt (§ 4 Abs 2 Satz 3 RGVO 1975), mithin kein feststellender Verwaltungsakt, der über den Geltungszeitraum der Freistellung hinaus wirksam bleiben könnte.
Bei dieser Rechtslage kann dahingestellt bleiben, ob eine von der Rundfunkanstalt getroffene unbefristete Entscheidung überhaupt für die Versorgungsverwaltung hätte verbindlich sein können, ob mit Vergünstigungen, die nach § 45 Abs 2 SchwbG unberührt bleiben, individuell zuerkannte Vorteile oder nur allgemeine gesetzliche Regelungen gemeint sind und ob die Übergangsvorschrift des Art III § 5 Abs 3 des Gesetzes vom 24. April 1974 (BGBl I 981) und idF des 8. AnpG-KOV vom 14. Juni 1976 (BGBl I 1481) überhaupt auf andere gesundheitliche Voraussetzungen als die MdE (§ 3 Abs 4 SchwbG) anzuwenden ist.
Da mithin die frühere Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht nicht mehr wirksam ist, muß die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dr. Schmitt Kieswald Dr. Wulfhorst
Fundstellen