Leitsatz (amtlich)
1. Im Sinne des FAG SV § 17 Abs 8 ist eine ordnungsmäßig geregelte Unfallversicherung auch dann nicht durchgeführt worden, wenn Personen wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit vom Versicherungsschutz ausgeschlossen gewesen sein sollten.
2. Gemäß FAG SV § 2 ist nach den im Bundesgebiet geltenden Vorschriften auch die Frage zu beurteilen, ob dem geltend gemachten Leistungsanspruch ein Arbeitsunfall zugrunde liegt.
3. Zur Frage des Versicherungsschutzes nach RVO § 543 Abs 1 S 1 bei Unfällen infolge politischer Ausschreitungen.
Orientierungssatz
Zum Sozialversicherungssystem in der Tschechoslowakei alsbald nach Kriegsende.
Normenkette
FRG § 2 Fassung: 1953-08-07, § 17 Abs. 8 Fassung: 1953-08-07; RVO § 543 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juni 1956 wird aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 15. Oktober 1954 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte den Klägerinnen die Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren hat.
Die Beklagte hat den Klägerinnen die außergerichtlichen Kosten auch des zweiten und dritten Rechtszuges zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der in der Nähe von B... (Tschechoslowakei) im Jahre 1887 geborene Ehemann und Vater der Klägerinnen, ... Dr. N., war Prokurist der Firma Sch.... AG. in S.... Diese Stellung hatte er bis zum Zusammenbruch des Deutschen Reiches inne. Nach dem Übergang des Unternehmens in die tschechische Verwaltung blieb Dr. N. Angestellter des Betriebes in S.... Er war trotz seiner Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum für unabkömmlich erklärt worden. Er wohnte mit seiner Familie in A... Der Weg zu seiner Arbeitsstätte führte über die Elbebrücke. Am 31. Juli 1945 geriet er auf dem Heimweg nach Arbeitsschluß auf dieser Brücke in einen Aufruhr, der von tschechischen Bevölkerungsteilen inszeniert worden war und sich gegen die noch in A... lebenden Deutschen richtete. Dabei handelte es sich nicht etwa um eine von amtlichen Stellen gelenkte Aktion, sondern um einen Ausbruch politischen Hasses, dem die staatliche Ordnungsgewalt sogar Einhalt zu gebieten versuchte. Die angreifenden Gruppen überfielen die Deutschen in der Nähe des Marktplatzes und des Bahnhofs; besonders aber wandten sie sich auf der Elbebrücke gegen die hauptsächlich von der Firma Sch.... AG. zum Feierabend heimkehrenden deutschen Betriebsangehörigen; von ihnen wurden viele getötet. Auch Dr. N. kam bei den Ausschreitungen auf der Elbebrücke ums Leben.
Die Klägerinnen, die zunächst in A... wohnen blieben, wurden im Herbst 1946 aus dem tschechoslowakischen Staatsgebiet ausgewiesen; sie wohnen seitdem in R....
Der Tod Dr. N.'s wurde als Schädigung im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) festgestellt; die Klägerinnen erhalten Versorgungsbezüge; ihnen wird außerdem die Witwen- und Waisenrente aus der Angestelltenversicherung gewährt.
Am 7. Oktober 1953 beantragten sie die Gewährung von Hinterbliebenenentschädigung nach dem Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FremdRG) und machten geltend: Sie seien Deutsche im Sinne des Art. 116 des Grundgesetzes und seit dem Jahre 1948 im Besitze des Flüchtlingsausweises. Eine Unfallentschädigung aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes und Vaters sei ihnen bisher noch von keiner Seite gewährt worden.
Durch Bescheid vom 26. Mai 1954 lehnte die Beklagte den Anspruch auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung ab, Dr. N. habe keinen Arbeitsunfall im Sinne des § 543 der Reichsversicherungsordnung (RVO) erlitten, da er auf seinem Heimweg von der Arbeit bei allgemeinen Ausschreitungen gegen Deutsche und damit aus politischen, jedenfalls nicht betrieblichen Gründen ums Leben gekommen sei.
Diesen Bescheid hat die Klägerin zu 1), an die allein er gerichtet war, vor dem Sozialgericht (SG.) in Regensburg angefochten und beantragt, ihr und ihrer im Jahre 1939 geborenen Tochter V... die gesetzliche Hinterbliebenenrente zu gewähren. Das SG. hat der Klage durch Urteil vom 15. Oktober 1954 stattgegeben, die Verurteilung der Beklagten zur Entschädigungsleistung allerdings nicht ausdrücklich auch hinsichtlich der begehrten Waisenrente ausgesprochen. Es hält die Voraussetzungen des FremdRG in der Person der Witwe Dr. N.'s für gegeben und ist der Ansicht, daß er einem Arbeitsunfall im Sinne des § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO erlegen sei, da ihn das Unglück, in den Tumult geraten zu sein, auf dem Heimweg von der Arbeitsstätte betroffen habe, ohne daß rein private Gründe dabei wesentlich mitgewirkt hätten.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und geltend gemacht, daß Dr. N. der Gefahr allerwärts in A. ausgesetzt gewesen sei, dem Heimweg über die Elbebrücke daher nicht die Bedeutung einer wesentlichen Ursache für seinen Tod zukomme.
Die Beklagte hat während des Berufungsverfahrens das erstinstanzliche Urteil durch Gewährung von Witwen- und Waisenrente an die Klägerinnen gemäß § 154 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unter Zugrundelegung eines Jahresarbeitsverdienstes (JAV.) von 2.100,-- DM ausgeführt. Mit Einwendungen vor dem Landessozialgericht (LSG.) hiergegen behaupten die Klägerinnen, der JAV. sei zu niedrig festgesetzt worden.
Das LSG. hat durch Urteil vom 27. Juni 1956 die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Dr. N. habe sich zwar auf dem Heimweg von der Arbeit befunden, als er unterwegs in die Ausschreitungen tschechischer Bevölkerungsteile geriet. Daß er dabei den Tod gefunden habe, sei auf das gewaltsame Vorgehen einer Gruppe von Tschechen gegen die deutschen Passanten der Elbebrücke zurückzuführen. Diese Ursache sei von außen gekommen und von seiner Betriebstätigkeit unabhängig, überdies mit einer für den Betrieb und den Heimweg nicht charakteristischen Gefahr verbunden gewesen. Da der Angriff gegen Dr. N. hiernach rein persönliche Gründe gehabt habe, sei der ursächliche Zusammenhang des Heimwegs mit der Betriebstätigkeit Dr. N.'s zu verneinen. Sein Tod sei daher nicht als Folge eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 543 RVO anzusehen. Die Anwendbarkeit des FremdRG auf den vorliegenden Fall sei unbedenklich; doch bedürfe es insoweit keiner näheren Darlegung, da der streitige Anspruch "in sachlicher Hinsicht" unbegründet sei.
Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses Urteil haben die Klägerinnen durch ihren Prozeßbevollmächtigten Revision eingelegt. Sie rügen lediglich Verletzung des § 543 RVO und führen dazu aus: Das LSG. habe verkannt, daß Dr. N. der Gefahr auf der Elbebrücke deshalb ausgesetzt gewesen sei, weil über diese Brücke sein Weg von der Arbeitsstätte nach Hause gerade zur Zeit der Unruhen geführt habe. Nicht weil er Deutscher war, sei er angegriffen worden; insoweit sei noch nicht einmal festgestellt, daß die Angreifer ihn als Deutschen erkannt hatten. Da er nicht einem persönlichen Racheakt zum Opfer gefallen und der Angriff gegen ihn auch sonst nicht durch persönliche Gründe veranlaßt worden sei, komme es auf einen Zusammenhang des Überfalls mit dem Betriebüberhaupt nicht an.
Die Klägerinnen beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 15. Oktober 1954 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die Rechtsausführungen des angefochtenen Urteils Bezug. Der Tumult auf der Elbebrücke habe nicht wie eine Naturkatastrophe oder wie ein Fliegerangriff im Kriege wahllos sämtliche Passanten, sondern nur Deutsche betroffen. Auf den inneren Zusammenhang zwischen der Gefahr und der Betriebstätigkeit dürfe auch bei Unfällen nicht verzichtet werden, die sich anläßlich von Überfällen und Ausschreitungen eines Ausmaßes der vorliegenden Art ereignen. Mit Recht habe das LSG. diesen Zusammenhang bei dem Unglück Dr. N.'s vermißt.
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, somit zulässig. Sie hatte auch Erfolg.
Der Umstand, daß der Tod Dr. N.'s als eine Schädigung im Sinne des § 1 BVG anerkannt worden ist, steht den aus der gesetzlichen Unfallversicherung geltend gemachten Ansprüchen der Klägerinnen nicht entgegen, da das schädigende Ereignis erst nach dem 8. Mai 1945 eingetreten ist (§ 54 S. 2 BVG).
Die Klägerinnen stützen ihre Ansprüche auf Hinterbliebenenentschädigung aus Anlaß des Todes ihres Ehemannes und Vaters zu Recht auf das FremdRG. Die Voraussetzungen, von denen nach § 1 dieses Gesetzes der Leistungsanspruch abhängt, sind - wie auch das LSG. nicht bezweifelt - in der Person der Klägerinnen erfüllt: Sie haben Antrag auf Entschädigung nach dem FremdRG gestellt (§ 1 Abs. 1 Satz 1) und halten sich seit ihrer Ausweisung aus dem tschechoslowakischen Staatsgebiet in Bayern, also ständig im Bundesgebiet auf (§ 1 Abs. 1 Nr. 1). Ihre Entschädigungsansprüche leiten sie aus einem Versicherungsverhältnis her, das für ihren Ehemann und Vater bei einem tschechoslowakischen, also nicht deutschen Versicherungsträger bestanden haben soll (§ 1 Abs. 2 Nr. 2). Ob diesem gesetzlichen Erfordernis, nämlich daß Dr. N. bei einem tschechischen Versicherungsträger versichert war, genügt ist, läßt sich dem angefochtenen Urteil, welches insoweit keine besonderen tatsächlichen Feststellungen enthält, sowie den sonstigen Unterlagen allerdings nicht eindeutig entnehmen. Da aber in der Tschechoslowakischen Republik alsbald nach Kriegsende wieder eine obligatorische, gegliederte Sozialversicherung bestand, die in ihrem Aufbau weitgehend der Sozialversicherung im Deutschen Reich ähnelte, kann unbedenklich davon ausgegangen werden, daß tschechische Staatsangehörige, die in der gleichen Weise wie Dr. N. beschäftigt waren, unter Versicherungsschutz standen (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1959, Bd. I S. 294 t). Ob aber auch Dr. N. als Deutscher Versicherungsschutz genoß, ist nicht ohne weiteres klar. In dieser Hinsicht ist in Betracht zu ziehen, daß ihm trotz seiner bevorzugten Weiterbeschäftigung in dem Schicht-Werk im Zusammenhang mit einer allgemeinen nachkriegsbedingten Diskriminierung der Sudetendeutschen der Versicherungsschutz versagt war. Für diesen Fall, in dem es an der Voraussetzung des § 1 Abs. 2 Nr. 2 FremdRG fehlte, bliebe aber gleichwohl die Leistungsberechtigung der Klägerinnen nach Abschnitt I des FremdRG auf Grund des § 17 Abs. 8 dieses Gesetzes gewährleistet. Denn diese Vorschrift, welche die Ausnahme von dem Grundsatz bildet, daß Entschädigungsansprüche nach dem FremdRG nur gegeben sein sollen, wenn bei einem deutschen oder nicht deutschen Versicherungsträger tatsächlich ein Versicherungsverhältnis bestand, soll gerade vor solchen Rechtsnachteilen bewahren, die dadurch entstanden sind, daß Personen in Ausweisungsgebieten gesetzlich weder unfall- noch rentenversichert waren. § 17 Abs. 8 FremdRG sieht die Leistungsberechtigung des Abschnittes I dieses Gesetzes für Arbeitsunfälle, welche die Berechtigten nach dem 1. Juli 1944 in Gebieten erlitten haben, aus denen sie ausgewiesen sind, jedenfalls dann vor, wenn nach Bundesrecht Versicherungspflicht vorgelegen hätte, eine ordnungsmäßig geregelte Unfallversicherung nach dem 30. Juni 1944 aber nicht durchgeführt worden ist. Zwar sollten mit dieser Regelung nach ihrer amtlichen Begründung (Bundesrats-Drucksache Nr. 503/52) insbesondere Nachteile vermieden werden, die den Beschäftigten jenseits der Oder/Neiße-Linie wegen ihrer deutschen Staats- und Volkszugehörigkeit erwachsen sind. Es besteht jedoch kein zwingender Grund dafür, ihre Anwendung auf diese Fälle zu beschränken; vielmehr ist die Ausnahmeregelung des § 17 Abs. 8 FremdRG unbedenklich dahin auszulegen, daß alle gleichartigen Verhältnisse erfaßt werden sollen und damit auch Unfälle, welche Deutsche im Sudetenland nach dem staatlichen Zusammenbruch im Mai 1945 erlitten haben und für die ihnen der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung versagt geblieben ist. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß nach dem Wortlaut dieser Vorschrift und ihrem sich aus dem Schutzgedanken des FremdRG allgemein ergebenden Sinn die Lücke ausgefüllt werden soll, die sich im Falle eines etwaigen Ausschlusses der im tschechoslowakischen Staatsgebiet verbliebenen Deutschen vom Unfallversicherungsschutz ergäbe, falls nämlich der Leistungsanspruch von dem Bestehen eines Versicherungsverhältnisses im Herkunftsland ausschließlich abhängig wäre. Ein solcher möglicher Ausschluß Dr. N.'s vom Versicherungsschutz wäre ohne weiteres der Nichtdurchführung einer ordnungsmäßig geregelten Unfallversicherung im Sinne des § 17 Abs. 8 FremdRG gleichmachten. Da die Klägerinnen aus dem Sudetenland ausgewiesen worden sind und Dr. N. offenbar bis zu seinem Tode als Angestellter in einem abhängigen, jedoch freiwillig begründeten Beschäftigungsverhältnis auch zu seinem tschechischen Arbeitgeber stand, nach Bundesrecht also gegen Unfall gesetzlich versichert gewesen wäre, wenn er im Bundesgebiet die gleiche Tätigkeit ausgeübt hätte, könnten ihnen die Hinterbliebenenansprüche jedenfalls nicht deshalb versagt werden, weil ihr Ehemann und Vater nicht bei einem tschechischen Unfallversicherungsträger versichert gewesen wäre. Von § 17 Abs. 8 FremdRG, der eine Ergänzung zu Abschnitt I dieses Gesetzes darstellt, bleiben die übrigen Voraussetzungen, von denen der Leistungsanspruch der Berechtigten nach § 1 abhängt, unberührt (Brackmann a.a.O. S. 294 k II).
Über die bereits oben angeführten Voraussetzungen hinaus sind auch die übrigen erfüllt: Die Klägerinnen sind Deutsche, mindestens weil sie wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit aus der Tschechoslowakei ausgewiesen und als Flüchtlinge in Bayern aufgenommen worden sind (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a) mit aa)). Sie haben für die Folgen des streitigen Unfalls weder von einem tschechischen noch sonstigen Unfallversicherungsträger Leistungen erhalten (§ 1 Abs. 1 Nr. 2). Ob sie sich um die Gewährung einer Entschädigung bei den zuständigen tschechischen Stellen hätten bemühen müssen (§ 1 Abs. 5 Satz 1), konnte in diesem Zusammenhang ungeprüft bleiben, da die Klägerinnen ausgewiesene Deutsche sind. Bei der Art des Unfallgeschehens wäre ihnen die Verfolgung etwaiger Ansprüche gegen einen tschechischen Versicherungsträger jedenfalls nicht zuzumuten gewesen. Im übrigen besteht auch kein Anhalt dafür, daß die Klägerinnen den nach dem FremdRG bequemeren und aussichtsreicheren Weg dem beschwerlichen Vorgehen gegen ausländische Stellen vorgezogen haben, um zu einer Entschädigung zu gelangen (Brackmann a.a.O. S. 294 d X).
Hiernach sind die Merkmale, nach denen der gemäß § 1 FremdRG leistungsberechtigte Personenkreis abgegrenzt wird, in der Person der Klägerinnen gegeben. In dieser Vorschrift ist zwar auf die Leistungen, welche den Berechtigten zustehen, hingewiesen, jedoch sind in ihr nicht sämtliche Voraussetzungen geregelt, unter denen die Entschädigungsleistungen für die Folgen eines Unfalls zu gewähren sind. Diese Regelung enthält in Ergänzung hierzu § 2 FremdRG. Darin ist bestimmt, daß für die Leistungen nach § 1 grundsätzlich die im Bundesgebiet geltenden Vorschriften der Sozialversicherung maßgebend sind. Das bedeutet, daß die nach dem FremdRG Berechtigten von einem Versicherungsträger im Bundesgebiet - im Lande Berlin gilt das Entsprechende - nur diejenigen Leistungen erhalten, die nach Bundesrecht vorgesehen sind. Hierdurch soll sichergestellt werden, daß der in den Vorschriften des § 1 bezeichnete Personenkreis grundsätzlich die gleichen Leistungen erhält wie jeder andere vergleichbare Versicherte im Bereich des Geltungsgebietes des Grundgesetzes. Daraus folgt, daß gemäß § 2 außer Art und Umfang der Leistungen nach Bundesrecht auch die Frage zu beurteilen ist, ob sich der Unfall bei einer Tätigkeit ereignet hätte, die nach dem Dritten Buch der RVO unter Versicherungsschutz stände (Brackmann a.a.O. S. 294 k V; Hoernigk-Jahn-Wickenhagen, Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz, S. 55 Anm. 1 c)).
Die Vorinstanzen sind sonach mit Recht davon ausgegangen, daß die Entscheidung über den Entschädigungsanspruch der Klägerinnen nach § 2 FremdRG davon abhängt, ob ihr Ehemann und Vater einem Arbeitsunfall im Sinne des § 543 RVO erlegen ist. Diese Frage wird in dem angefochtenen Urteil mit Erwägungen verneint, die hinsichtlich der Beurteilung des nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift erforderlichen ursächlichen Zusammenhangs nicht frei von Rechtsirrtum sind. Zwar hat das LSG. nicht verkannt, daß sich Dr. N. auf einem mit seiner vorangegangenen beruflichen Tätigkeit zusammenhängenden Weg befand, als er beim Überschreiten der Elbebrücke in den Tumult geriet. Es sieht jedoch in der Zurücklegung dieses Weges keine rechtlich wesentliche Ursache für die tödlichen Mißhandlungen, die, wie von keiner Seite bezweifelt wird, ein Unfallgeschehen im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung darstellen. Dieser Auffassung des LSG. vermochte sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Nach den das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils ist entgegen der Ansicht des LSG. kein ausreichender Anhalt dafür gegeben, daß durch die gegen Dr. N. verübte Gewalttat der ursächliche Zusammenhang zwischen seinem Heimweg und seiner vorangegangenen Betriebsarbeit schlechthin aufgehoben worden sei. Der Weg, auf dem er den Ausschreitungen gegen die deutschen Passanten auf der Elbebrücke zum Opfer fiel, war sein normaler Heimweg von der Arbeit. Weil er ihn am 31. Juli 1945 zu einer Tageszeit zurücklegen mußte, als die Unruhen stattfanden, ist er an die Stelle gelangt, an der er getötet wurde. Er wäre also der Unfallgefahr, die mit dem Angriff gegen die von der Arbeit heimkehrenden deutschen Betriebsangehörigen der in Schreckenstein gelegenen Fabriken auch für ihn in der verhängnisvollen Weise verbunden war, nicht ausgesetzt gewesen, wenn er den Weg nicht hätte zurücklegen müssen (EuM. 28 S. 442 [443], 24 S. 5). Das bedeutet, daß nicht allein eine zeitliche und örtliche Beziehung des Schadensereignisses zu seinem Heimweg von der Arbeitsstätte gegeben war, sondern daß durch die Zwangsläufigkeit seiner Anwesenheit an dem Unfallort zu der kritischen Zeit auch der für die Annahme eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO erforderliche ursächliche innere Zusammenhang zwischen diesem Weg und der Beschäftigung Dr. N.'s in dem Unternehmen geschaffen war. Dies träfe allerdings nicht zu, wenn Dr. N. aus Gründen angegriffen worden wäre, die in keinerlei Zusammenhang mit seiner Betriebstätigkeit standen, sondern ausschließlich in seiner Person lagen (EuM. 20 S. 70 und 88, 50 S. 2; Brackmann a.a.O. Bd. II S. 488 a); Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl., Stand September 1958, S. 68). Das LSG. sieht diesen Fall für gegeben an. Es erblickt solche die Annahme eines versicherten Wegeunfalls ausschließenden Gründe in der Feststellung, daß sich die Ausschreitungen allgemein gegen die deutsche Bevölkerung gerichtet hätten und Dr. N. davon mit betroffen worden sei, weil er sich in ihren Reihen als deutscher Passant der Elbebrücke befunden habe. Diese Feststellung genügt nach der Auffassung des erkennenden Senats jedoch nicht, um den streitigen Ursachenzusammenhang zu verneinen. Der Umstand, daß die Ausschreitungen weder ihren Beweggründen noch ihrer Zielsetzung nach etwas mit der betrieblichen Tätigkeit Dr. N.'s zu tun hatten, schließt allein nicht aus, daß sein Heimweg von der Arbeitsstätte bei dem Eintritt seiner Schädigung wesentlich mitgewirkt hat. Nach dem vom LSG. auf Grund der "Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen" (herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung der sudetendeutschen Interessen) und der Bekundungen zweier Zeugen, welche die Unruhen in A. miterlebt haben, für erwiesen angesehenen Sachverhalt ist unbedenklich davon auszugehen, daß Dr. N. umgebracht worden ist, weil er zu den sich zum Feierabend heimwärts begebenden deutschen Belegschaftsangehörigen der S. Industriebetriebe, vor allem des Sch...-Werkes, gehörte. Auf die in diesen Belegschaften zusammengeballte Menge der bei den Tschechen verhaßten Deutschen hatten es die Angreifer besonders abgesehen. Hierfür ist einer der in den angeführten Dokumenten enthaltenen Berichte insofern aufschlußgebend, als danach die heimkehrenden Arbeitnehmer beim Verlassen des Sch...-Werkes nach Waffen untersucht wurden. Dafür, daß etwa an Dr. N. aus irgendeinem Grunde persönlich Vergeltung geübt werden sollte, ergeben die Unterlagen keinen Anhalt. Ob die Rechtslage anders zu beurteilen wäre, wenn es sich bei den Überfällen auf die Deutschen um eine von tschechischen Kommandostellen ins Werk gesetzte systematische Aktion gehandelt hätte, brauchte nicht entschieden zu werden; denn nach dem Ablauf der Geschehnisse war das nicht der Fall; sonst wäre, wie sich ebenfalls aus den "Dokumenten" ergibt, behördlicherseits nicht versucht worden, den Greueltaten auf der Elbebrücke Einhalt zu gebieten. Die Ausschreitungen glichen vielmehr einem wilden Massaker, dem hauptsächlich diejenigen Deutschen zum Opfer fielen, die in den überwiegend noch mit deutschen Arbeitern versehenen Betrieben tätig waren. Sie wurden auf ihrem Heimweg von den Tschechen abgepaßt, unter denen sich bezeichnenderweise kaum Ortsansässige befanden. Es kam hinzu, daß die Elbebrücke für die Durchführung der Mißhandlungen eine besonders günstige Gelegenheit bot und deshalb sich an dieser Stelle der Schwerpunkt der Ausschreitungen bildete.
Hiernach hat der Weg, auf dem Dr. N. im Zusammenhang mit seiner Betriebstätigkeit an den Unfallort gelangte, zum Eintritt des Schadensereignisses wesentlich mitgewirkt. Dieser Weg hat jedenfalls im Verhältnis zu anderen Bedingungen - wie insbesondere die deutsche Volkszugehörigkeit Dr. N.'s - keine geringere Beziehung zu den verhängnisvollen Folgen des Vorgehens der Tschechen gegen ihn gehabt (BSG. 1 S. 76, S. 156 h, S. 270). Der zu seinem Tode führende Unfall hat sich somit im Gegensatz zur Ansicht des LSG. auf einem nach § 543 Abs. 1 Satz 1 RVO geschützten Weg ereignet. Dr. N. ist einem Arbeitsunfall erlegen. Da sonach die angefochtene Entscheidung auf einer unrichtigen Auslegung der angeführten Vorschrift beruht, ist die Revision begründet.
Gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 SGG hatte der Senat unter Aufhebung des angefochtenen Urteils in der Sache selbst zu entscheiden. Das Urteil des SG., das im Ergebnis zu bestätigen war, bedurfte insoweit der Klarstellung, als es formell allein die Witwe als Klägerin behandelt hat. Das LSG. hat dies, wie sich aus der Erweiterung des Rubrums seines Urteils auf die Klägerin zu 2) ergibt, entsprechend der auch der erstinstanzlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sach- und Rechtslage in verfahrensrechtlich einwandfreier Weise berichtigt. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG. war daher mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Beklagte den Klägerinnen die Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren hat.
Es war nicht zu beanstanden, daß sich das LSG. nicht mit der Einwendung der Klägerinnen gegen die Feststellung des JAV. anläßlich der Ausführung des erstinstanzlichen Urteils gemäß § 154 Abs. 2 SGG durch die Beklagte befaßt hat. Denn bei dieser Maßnahme der Beklagten handelte es sich nur um eine vorläufige Regelung, die nicht gemäß § 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden war; durch das zweitinstanzliche Urteil war die vorläufige teilweise Ausführung der erstinstanzlichen Entscheidung hinfällig geworden (SozR. SGG § 96 Bl. Da 4 Nr. 11).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen