Leitsatz (redaktionell)

ZPO § 404 Abs 1 - Beschränkung in der Auswahl:

Bei der Auswahl nach ZPO § 404 Abs 1 kann sich das Tatsachengericht auf die Ernennung eines einzigen Sachverständigen beschränken und anstelle eines zuerst ernannten Sachverständigen auch einen anderen ernennen. Eine verfahrensrechtliche Verpflichtung zur Einholung eines Gutachtens von einem Facharzt als Sachverständigen oder aber zur Einholung eines "Obergutachtens" besteht grundsätzlich nicht.

Die Rechtsprechung hat dieses dem Tatsachengericht nach ZPO § 404 Abs 1 eingeräumte Ermessen jedoch dann ausnahmsweise eingeschränkt, wenn es sich um besonders schwierige Fragen handelt oder aber den vorhandenen Gutachten grobe Mängel anhaften. Dann ist das Tatsachengericht in der Auswahl des Sachverständigen beschränkt und darf unter Berücksichtigung der zu beantwortenden Beweisfrage nur solche Sachverständigen ernennen, die aufgrund ihrer zu jener Frage besonderen Sachkunde geeignet sind zur Aufklärung des Sachverhalts in ausreichendem Maße beizutragen.

 

Normenkette

ZPO § 404 Abs. 1

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. Dezember 1967 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Gründe

Auf den Antrag des Klägers, ihm wegen der Folgen eines Schußbruchs des rechten Unterarms und einer Splitterverletzung des Dickdarms sowie des Darmbeines Versorgung zu gewähren, erkannte die Versorgungsbehörde aufgrund des versorgungsärztlichen Gutachtens vom 24. Juni 1953 mit Bescheid vom 16. September 1953 "1. Bewegungsbehinderung des rechten Unterarms nach Ellenschußbruch; 2. geringe Dickdarmverwachsung nach Splitterverletzung des Bauchraumes" als Schädigungsfolgen an und gewährte ihm Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v. H. vom 1. August 1952 an. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Berufung (alten Rechts) ein, die nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) am 1. Januar 1954 als Klage auf das Sozialgericht (SG) überging. Das SG holte zu der Frage, ob der Kläger durch die anerkannten Schädigungsfolgen in seinem Beruf besonders betroffen ist, ein Gutachten von Dr. V ein (Gutachten vom 3. Mai 1957). Bei der Untersuchung gab der Kläger an, seit seiner Verwundung seien Schwellungen am linken Bein mit einer Krampfaderbildung aufgetreten. Hierzu führte der Sachverständige aus, daß die am linken Bein beschriebenen Krampfaderveränderungen sich nur dann ursächlich mit der Kriegsbeschädigung in einen Zusammenhang bringen ließen, wenn bewiesen werden könne, daß bei der Bauchverletzung das große abwärtsführende Gefäß des linken Beines mit beschädigt worden sei. Zur Beurteilung wäre der genaue Operationsbericht der damaligen Bauchoperation erforderlich, der nicht vorliege. Deshalb würden vom Sachverständigen die beschriebenen Veränderungen am linken Bein bei der Beurteilung der Kriegsbeschädigung nicht mitberücksichtigt. Zu der vom SG gestellten Beweisfrage führte der Sachverständige aus, daß die MdE durch die anerkannten Schädigungsfolgen auch unter Berücksichtigung des Berufes des Klägers als Buchhalter mit 40 v. H. zu bemessen sei. Das SG hörte im Termin vom 19. Februar 1959 noch den Sachverständigen Dr. Sch, der sich zu der Krampfaderbildung am linken Bein nicht näher äußerte, und wies die Klage mit Urteil vom 15. Oktober 1959 ab. Dieses Urteil hob das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 4. Oktober 1963 auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das SG zurück (§ 159 SGG), weil das Verfahren des SG an einem wesentlichen Mangel leide; das SG habe nämlich fehlerhaft keine Entscheidung zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs der Krampfaderbildung am linken Bein des Klägers mit schädigenden Einwirkungen im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) getroffen, obwohl der Kläger neben der Erhöhung der MdE auch die Anerkennung dieses Leidens als Schädigungsfolge begehrt habe.

In dem erneuten Verfahren vor dem SG hat dieses eine Stellungnahme von Dr. St eingeholt, der am 14. Februar 1964 ausgeführt hat, daß zur Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs des Beinleidens des Klägers mit der Bauchschußverletzung eine röntgenologische Kontrastdarstellung der Venen des linken Beines und von da ausgehend derjenigen Venen, welche zur unteren Hohlvene gingen, sowie der unteren Hohlvene selbst erforderlich wäre. Bei dem bereits bestehenden Krampfaderleiden sei eine solche Untersuchung nicht ganz ungefährlich, weil an Krampfadern sehr leicht Venenentzündungen auftreten könnten; dies um so mehr, wenn mit körperfremden Kontrastmitteln gearbeitet werde. Der Kläger hat eine entsprechende Untersuchung mit der Begründung abgelehnt, daß er zuckerkrank sei, und in der mündlichen Verhandlung vom 11. September 1964 dem SG gegenüber erklärt, auch der Direktor der Universitäts-Strahlenklinik und der Direktor der Chirurgischen Universitätsklinik in M hätten ihm die Auskunft gegeben, daß es zur Feststellung eines Zusammenhangs seines Krampfaderleidens links mit dem Wehrdienst der von Dr. St beschriebenen und für notwendig gehaltenen Untersuchungsmethode bedürfe. Daraufhin hat das SG mit Urteil vom 11. September 1964 die Klage erneut abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt.

Das LSG hat am 21. März 1967 einen Beweisbeschluß erlassen, nach dem gemäß § 103 SGG darüber Beweis erhoben werden soll, "ob nicht allein schon aufgrund der allgemeinen fachmedizinischen Erfahrung (Georg Schöneberg, 3. Aufl., Die ärztliche Beurteilung Beschädigter, S. 301) in diesem Fall ein ursächlicher Zusammenhang des Beinleidens des Klägers mit der erwiesenen Bauchschußverletzung wahrscheinlich ist, und wie hoch die dadurch bedingte Einzel- und Gesamt-MdE des Klägers zu bewerten ist, durch Einholung eines Fachgutachtens, um dessen Erstattung nach stationärer Untersuchung des Klägers (ohne die vom Kläger abgelehnte Kontrastdarstellung) Herr Prof. Dr. P, L, ersucht werden soll". Prof. Dr. P hat diesen Gutachtensauftrag mit Schreiben vom 7. April 1967 wegen Überlastung abgelehnt. Daraufhin hat das LSG mit Beweisverfügung vom 17. April 1967 den praktischen Arzt Prof. Dr. G in F mit der Begutachtung beauftragt und einen ausführlichen Auszug aus dem in der Beweisanordnung vom 21. März 1967 zitierten Buch von Schöneberg beigefügt. Prof. Dr. G hat unter dem 12. Juli 1967 das Gutachten erstattet; er ist zu dem Ergebnis gelangt, daß zweifellos Folgezustände nach einer Beckenvenenthrombose mit Stauungsinduration des Unterschenkels und Krampfaderbildung sowie chronischen Hautveränderungen bestünden, die eine Einzel-MdE um wenigstens 30 v. H. bedingten; die Gesamt-MdE betrage 60 v. H.. Der Sachverständige hat dazu insbesondere ausgeführt, daß zwar nicht bewiesen werden könne, daß die Vena Cava des Klägers verletzt worden sei, aber eine Verletzung des linken Unterbauches mit Narbenzug viel leichter zu Stauungen und Krampfadern führe als rechts, weil die linke Vena spermatica in einem kleineren Winkel als die rechte in das abführende Gefäß münde. Da bei dem Kläger eine 15 cm lange, nach unten breiter werdende Narbe im linken Unterbauch und ein Narbenherd über dem linken Darmbeinkamm vorhanden seien, müsse nach den Erfahrungen von Prof. Dr. P das linksseitige Krampfaderleiden des Klägers als Schädigungsfolge angesehen werden. Hiergegen hat der Ärztliche Dienst des Beklagten (Dr. F) Stellung genommen und ausgeführt, daß nach medizinischen Erfahrungen und Untersuchungen bei etwa 50% aller Arbeiter Erweiterungen der Beinvenen gefunden worden seien und das linke Bein hiervon häufiger betroffen gewesen sei als das rechte. Der Umstand, daß die Verletzung des Klägers im Bereich des linken Unterbauchs stattgefunden und die Krampfadern auf der linken Seite ausgeprägt seien, spreche noch nicht für die Annahme eines Zusammenhangs mit der Bauchverletzung. Entscheidend sei vielmehr, ob es durch den Bauschuß zu einer Beckenvenenthrombose gekommen sei. Nach allem bestehe daher nur die Möglichkeit, aber nicht die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs des Krampfaderleidens des Klägers am linken Bein mit der Bauchschußverletzung.

Das LSG hat mit Urteil vom 12. Dezember 1967 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 11. September 1964 zurückgewiesen. Es hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß es nicht wahrscheinlich sei, daß das Krampfaderleiden am linken Bein des Klägers mit der Bauchverletzung in einem ursächlichen Zusammenhang stehe. Nach dem Vorbringen des Klägers sei davon auszugehen, daß das Krampfaderleiden vor der schweren Granatsplitterverletzung der linken Hüfte im Juli 1944, die allein als wehrdienstbedingte Ursache in Betracht komme, noch nicht vorhanden gewesen, sondern erst längere Zeit danach entstanden sei. Dies sei deshalb bedeutsam, weil demgemäß keine Verschlimmerung, sondern nur ein Zusammenhang im Sinne der Entstehung zu erwägen sei. Dieser Zusammenhang sei an sich nicht ausgeschlossen; für den Zusammenhang spreche ein gewichtiger Umstand, nämlich, daß der Kläger eine erhebliche Verletzung des linken Unterleibs erlitten habe und nach seinen Angaben davon ausgegangen werden müsse, daß er etwa ein halbes Jahr nach der Genesung noch einmal wegen einer Thrombose im linken Bein erneut in Lazarettbehandlung gelangt sei. Die sekundäre Krampfaderbildung des postthrombotischen Syndroms träte gerade nach Bauchschüssen häufig auf. Dies genüge jedoch nicht, den ursächlichen Zusammenhang des Leidens des Klägers mit der Verwundung als wahrscheinlich anzusehen. Wegen der grundsätzlichen Anlagebedingtheit von Krampfadern müßten noch weitere Umstände nachgewiesen werden, die in stärkerem Maße auf einen Zusammenhang dieser Krampfadern mit dem Wehrdienst schließen ließen. Krampfadern seien nur dann als wehrdienstbedingt anzusehen, wenn infolge der Verwundung eine Thrombose aufgetreten und hierdurch der Blutabfluß für dauernd gestört worden sei. Es sei jedoch nicht erwiesen, daß eine Thrombose infolge der Verwundung aufgetreten sei. Der Operationsbericht und das Krankenblatt seien weder vorhanden noch zu beschaffen. Die von dem Kläger erwähnte Thrombose habe sich erst so lange nach der Verwundung und der dadurch bedingten Bettruhe ereignet, daß sie nicht mehr ohne weiteres hierauf zurückgeführt werden könne. Der Kläger könne sich auch nicht darauf berufen, daß einzelne Forscher für mindestens die Hälfte aller Krampfaderbeingeschwüre postthrombotische Kreislaufstörungen verantwortlich machten, denn bei ihm handle es sich nicht um ein Krampfaderbeingeschwür, sondern vorwiegend um Schwellungen und livide Verfärbungen. Eine Anerkennung könne somit nur dann erfolgen, wenn eine bestimmte Gefäßschädigung nachgewiesen sei, die nach Art und Lokalisation sowohl als Ursache des Krampfaderleidens als auch als Folgeerscheinung der Verwundung oder einer durch diese bedingten Thrombose angesehen werden könnte. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die zur Feststellung derartiger Schädigungen allein geeignete Untersuchungsmethode, nämlich die röntgenologische Kontrastdarstellung der Venen, habe der Kläger abgelehnt. Der Versuch, ohne diese Untersuchungsmethode allein aufgrund der medizinischen Erkenntnisse und Erfahrungen diesen Nachweis zu führen, sei mißlungen. Prof. Dr. G habe weder in seiner Stellungnahme vom 28. Oktober 1964 noch in seinem Gutachten vom 12. Juli 1967 überzeugend darlegen können, daß die Verwundung oder eine hierdurch bedingte Thrombose bleibende Gefäßstörungen hervorgerufen habe und welcher Art diese seien. Er habe sogar ausdrücklich hervorgehoben, daß eine Schädigung der Vena Cava nicht mehr zu beweisen sei. Der Schlußfolgerung dieses Sachverständigen, wonach wegen der Verwundung auf der linken Bauchseite zweifellos ein Zusammenhang des Krampfaderleidens am linken Bein mit der Verwundung und hierdurch bedingter Thrombosen anzunehmen sei, könne nicht beigetreten werden. Diese Auffassung sei im wesentlichen darauf gestützt, daß die linke Vena spermatica in einem kleineren Winkel als die rechte in das weiter abwärts führende Gefäß münde; dies sei aber ein Umstand, der nicht durch die Verwundung bedingt und auch nicht beim Kläger allein vorhanden sei, sondern bei fast allen Menschen. Der weitere Hinweis des Sachverständigen, daß durch die Besonderheit der linksseitigen Verletzungen leichter als rechts Krampfadern auftreten könnten, reiche nicht aus, den Zusammenhang des Krampfaderleidens des Klägers am linken Bein mit der Verwundung als wahrscheinlich anzusehen.

Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.

Der Kläger hat gegen dieses ihm am 9. Januar 1968 zugestellte Urteil mit einem am 6. Februar 1968 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz vom 5. Februar 1968 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 9. April 1968 mit einem an diesem Tage eingegangenen Schriftsatz vom 9. April 1968 begründet.

Er beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG Rheinland-Pfalz vom 12. Dezember 1967 nach den vom Kläger zuletzt gestellten Anträgen zu entscheiden.

In seiner Revisionsbegründung, auf die Bezug genommen wird, rügt der Kläger eine Verletzung des § 103 SGG durch das LSG und trägt hierzu insbesondere vor, das LSG habe selbst die in der ersten Instanz eingeholten Gutachten nicht für sachdienlich gehalten. Nachdem sich die Aufklärung des Sachverhalts als besonders schwierig erwiesen habe, wäre zu seiner Klärung die Einholung eines Gutachtens durch einen Durchblutungsspezialisten erforderlich gewesen. Statt dessen habe das LSG einen praktischen Arzt, nämlich Prof. Dr. G, mit der Begutachtung beauftragt, von dem eine ausreichende Aufklärung nicht zu erwarten gewesen sei. Aus dem ursprünglichen Gutachtensauftrag an Prof. Dr. P ergebe sich aber, daß das LSG selbst die Einholung eines Gutachtens eines Angiologen für erforderlich gehalten habe. Der Umstand, daß Prof. Dr. P die Erstattung des Gutachtens wegen Überlastung abgelehnt habe, könne nicht dem Kläger angelastet werden; denn neben Prof. Dr. P gebe es noch weitere Durchblutungsspezialisten, die vom LSG hätten beauftragt werden können, so zB. die Klinik für Durchblutungsstörungen in D. Jedenfalls habe das Gericht trotz der von ihm beigezogenen medizinischen Literatur nicht selbst die erforderliche Sachkunde gehabt, um die im vorliegenden Fall sehr schwierige medizinische Frage abschließend nur aufgrund der ihm vorliegenden ärztlichen Äußerungen zu beantworten.

Der Beklagte beantragt, zugleich für die beigeladenen Länder Hessen und Nordrhein-Westfalen,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Er ist der Auffassung, daß der vom Kläger gerügte wesentliche Mangel im Verfahren des LSG nicht gegeben ist. Zur weiteren Darstellung seines Vorbringens wird auf die Revisionserwiderung vom 14. Mai 1968 verwiesen.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 26. Mai 1970 und der Kläger mit Schriftsatz vom 27. Mai 1970 die Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) erteilt.

Da die Beteiligten ihre Zustimmung erteilt haben, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG entscheiden.

Der Kläger hat die Revision form- und fristgerecht eingelegt und diese auch rechtzeitig begründet (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gerügt wird und vorliegt (BSG 1, 150) oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Der Kläger rügt zutreffend eine Verletzung des § 103 SGG durch das LSG. Nach dieser Vorschrift erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; es ist hierbei an das Vorbringen und die Anträge der Beteiligten nicht gebunden. Für die Frage, ob das LSG seine Pflicht, den Sachverhalt zu erforschen, nicht erfüllt und dadurch § 103 SGG verletzt hat, kommt es darauf an, ob der Sachverhalt, wie er dem LSG zur Zeit der Urteilsfällung bekannt gewesen ist, von dessen sachlich-rechtlichem Standpunkt aus zur Entscheidung des Rechtsstreits ausreichte oder ob er das LSG zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen (BSG in SozR SGG § 103 Nr. 7 und § 162 Nr. 20). Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß eine Anerkennung des Krampfaderleidens am linken Bein des Klägers als Schädigungsfolge im Sinne des BVG nur dann in Betracht kommt, wenn der ursächliche Zusammenhang dieser Gesundheitsstörung mit der Bauchschußverletzung wahrscheinlich ist. Es hat die auf medizinischem Gebiet zu beantwortende Frage, ob das Beinleiden des Klägers durch die Folgen des Bauchschusses verursacht wird, selbst für beweiserheblich gehalten und deshalb von dem praktischen Arzt Prof. Dr. G das Gutachten vom 12. Juli 1967 eingeholt, nachdem der für die Beurteilung von Durchblutungsstörungen besonders qualifizierte Prof. Dr. P den Gutachtensauftrag des LSG vom 21. März 1967 wegen Arbeitsüberlastung nicht angenommen hatte. Die Einholung des Gutachtens von einem praktischen Arzt genügte aber im vorliegenden Fall nicht zu einer ausreichenden Klärung des Sachverhalts, vielmehr hätte sich das LSG gedrängt fühlen müssen, wie der Kläger zutreffend vorbringt, bei der hier zu beantwortenden besonders schwierigen Frage, ein Gutachten eines qualifizierten Sachkenners in der Beurteilung von Durchblutungsstörungen einzuholen. Zwar erfolgen die Auswahl der zuzuziehenden Sachverständigen und die Bestimmung ihrer Anzahl gemäß § 404 der Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm § 118 SGG durch das Prozeßgericht; dieses kann sich auf die Ernennung eines einzigen Sachverständigen beschränken und anstelle eines zuerst ernannten Sachverständigen auch einen anderen ernennen. Eine verfahrensrechtliche Verpflichtung zur Einholung eines Gutachtens von einem Facharzt als Sachverständigen oder aber zur Einholung eines "Obergutachtens" besteht grundsätzlich nicht. Die Rechtsprechung hat dieses dem Tatsachengericht nach § 404 Abs. 1 ZPO iVm § 118 SGG eingeräumte Ermessen jedoch dann ausnahmsweise eingeschränkt, wenn es sich um besonders schwierige Fragen handelt oder aber den vorhandenen Gutachten grobe Mängel anhaften (BGH in MDR 1953, 605; BGH, Urteil vom 16. Dezember 1963 in Vers-Recht 1964, 440 mit weiteren Hinweisen). Das bedeutet, daß das Tatsachengericht bei der Beurteilung eines besonders schwierigen Falles in der Auswahl des Sachverständigen beschränkt ist und unter Berücksichtigung der zu beantwortenden Beweisfrage nur solche Sachverständigen ernennen darf, die aufgrund ihrer zu jener Frage besonderen Sachkunde geeignet sind, zur Aufklärung des Sachverhalts in ausreichendem Maße beizutragen. Ein solcher Fall liegt aber hier vor. Aus der Auskunft von Dr. St vom 14. Februar 1964 ergab sich bereits, daß die medizinische Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs des Beinleidens des Klägers mit der Bauchschußverletzung grundsätzlich nur unter Anwendung einer schwierigen und nicht ungefährlichen Untersuchungsmethode möglich ist. Dr. St hat offenbar gerade deshalb vorgeschlagen, die Begutachtung in der Klinik von Prof. Dr. P vornehmen zu lassen. Dr. St hat also selbst einen besonderen Spezialisten auf dem Gebiete der Beurteilung von Durchblutungsstörungen als den geeigneten Sachverständigen bezeichnet. Diesen Umstand, nämlich die besondere Schwierigkeit der Beantwortung der medizinischen Frage, hat das LSG auch offensichtlich selbst erkannt und deshalb ursprünglich Prof. Dr. P mit der Begutachtung beauftragt. War schon aus dem Schreiben von Dr. St vom 14. Februar 1964 die besondere Schwierigkeit des Falles in medizinischer Hinsicht erkennbar, so war die Aufklärung des Sachverhalts - die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs des Beinleidens des Klägers mit seiner Bauchschußverletzung - noch dadurch weiter erschwert, daß der Kläger die Vornahme der von Dr. St für notwendig erachteten röntgenologischen Kontrastdarstellung bestimmter Venen aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt hatte. Auch diese weitere Erschwerung in der Sachaufklärung hat das LSG durchaus erkannt; denn es hat schon in dem ursprünglichen Gutachtensauftrag an Prof. Dr. P ausdrücklich auf medizinische Literatur zu dem entsprechenden medizinischen Problem (Georg Schöneberg, Ärztliche Beurteilung Beschädigter, 3. Aufl., S. 301) hingewiesen. Ein solcher Hinweis an einen für die Beantwortung der medizinischen Frage qualifizierten medizinischen Sachverständigen ist aber durchaus ungewöhnlich und erscheint nur dann sinnvoll und notwendig, um den Sachverständigen auf die besondere Schwierigkeit hinzuweisen oder sie ihm doch zumindest anzudeuten. In gleicher Weise ist der Umstand zu bewerten, daß das LSG später dem Gutachtensauftrag an Prof. Dr. G noch einen besonderen Auszug aus jenem Werk von S mitübersandt hat. War aber die Beweisfrage im vorliegenden Fall besonders schwierig zu beantworten, so genügte die Einholung eines medizinischen Gutachtens von einem praktischen Arzt nicht der dem LSG obliegenden Pflicht, gemäß § 103 SGG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Das LSG konnte sich bei seiner Entscheidung auch nicht auf andere, zur Beantwortung der Frage von Durchblutungsstörungen im Bauchraum besonders qualifizierter Sachverständiger beziehen; jedenfalls ergibt sich aus den versorgungsärztlichen Stellungnahmen, insbesondere der vom 27. Oktober 1967 nicht, daß diese ärztlichen Äußerungen von derart auf dem Sondergebiet der Durchblutungsstörungen erfahrenen medizinischen Sachverständigen abgegeben worden sind, so daß sich die Anhörung eines ärztlichen Spezialisten erübrigte. Der Kläger weist zudem auch zutreffend darauf hin, daß sich das LSG bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs des Krampfaderleidens am linken Bein des Klägers mit seiner Bauchverletzung zur Widerlegung des Gutachtens von Prof. Dr. G nicht allein auf die dem LSG zugängliche medizinische Literatur stützen konnte. Ist im Einzelfall die Beantwortung einer Beweisfrage besonders schwierig, so daß nur besonders qualifizierte medizinische Sachverständige im Rahmen des § 103 SGG herangezogen werden können, so kann nicht angenommen werden, daß ein aus medizinischen Laien bestehendes Gericht selbst aufgrund erworbener allgemeiner Kenntnisse aus der medizinischen Literatur zur Beantwortung des Fragenkomplexes in der Lage ist. Somit hat das LSG § 103 SGG verletzt, so daß sein Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Die Revision ist daher gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Sie ist auch begründet, weil nicht ausgeschlossen werden kann, daß das LSG ohne den bezeichneten Verfahrensmangel zu einem anderen, für den Kläger günstigen Ergebnis gelangt wäre. Daher mußte das angefochtene Urteil aufgehoben werden. Da zu der Frage des ursächlichen Zusammenhangs des Krampfaderleidens am linken Bein des Klägers mit schädigenden Einwirkungen im Sinne des BVG noch die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens erforderlich und da es dem Revisionsgericht verwehrt ist, insoweit selbst Beweise zu erheben, mußte die Sache an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670333

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