Entscheidungsstichwort (Thema)
82jähriger Kläger. Feststellung seiner körperlichen und geistigen Rüstigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Dem Tatsachengericht ist es grundsätzlich nicht verwehrt, im Wege der Augenscheinseinnahme Beweise zu erheben oder bei der Feststellung von Tatsachen Erfahrungssätze zu verwerten.
Bei der Beurteilung medizinischer Fragen darf das Gericht von der Anhörung eines Sachverständigen nur absehen, wenn es die erforderliche Sachkunde selbst besitzt und darlegt, worauf diese beruht. Die Feststellung, daß der Kläger trotz seines hohen Alters (82 Jahre) körperlich und geistig außerordentlich rüstig und daher in der Lage ist, als selbständiger Unternehmer einen Betrieb zu leiten, kann das Gericht nicht auf Grund eines einmaligen Eindrucks in einer mündlichen Verhandlung treffen.
Normenkette
SGG § 128 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 1967 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Der am 7. März 1884 geborene Kläger bezog auf Grund des Bescheides vom 12. Januar 1948 wegen "Verletzung des Nervus ischiadicus und Atrophie des ganzen rechten Beines" Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v. H.. Die zuständige Versorgungsbehörde erkannte mit Bescheid vom 8. Juni 1949 zusätzlich "Geschwürsbildung an der rechten Fußsohle" als weiteres Versorgungsleiden an und gewährte dem Kläger vom 1. Mai 1949 an Rente nach einer MdE um 100 v. H.. Schädigungsfolgen und Höhe der MdE wurden mit Bescheid vom 15. Mai 1951 nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) übernommen.
Im August 1960 beantragte der Kläger die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs. Er gab hierzu an, er habe bis 1898 die Volksschule besucht, sei von 1898 bis 1904 Tiefbaugehilfe im Unternehmen seines Vaters gewesen und habe von 1911 bis 1950 ein eigenes Tiefbauunternehmen geführt. Er sei auf das Trockenlegen und Dränieren von Äckern und Wiesen spezialisiert gewesen. Der Kläger selbst bezeichnete sich als "Wiesenbauer". Nach den eingeholten Ermittlungen meldete er sein Unternehmen im Jahre 1947 ab.
Die Versorgungsbehörde lehnte den Antrag des Klägers auf Berufsschadensausgleich mit Bescheid vom 12. November 1963 ab und führte hierzu aus, es sei nicht nachgewiesen, daß der Kläger eine Gesellen- oder Meisterprüfung im Tiefbaugewerbe abgelegt habe. Da er am 1. Juni 1960 schon das 76. Lebensjahr vollendet gehabt habe und schon seit Jahren aus dem Berufsleben ausgeschieden gewesen sei, sei es nicht wahrscheinlich, daß er unter diesen Umständen noch ein Einkommen erzielt hätte, welches die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs rechtfertigen könnte. Es sei nicht nachzuweisen, daß der Kläger durch seine Schädigungsfolge einen Einkommensverlust erlitten habe. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 1964).
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 17. Januar 1966 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 20. Januar 1967 das Urteil des SG Detmold vom 17. Januar 1966 abgeändert und den Beklagten verurteilt, unter Aufhebung des Bescheides vom 12. November 1963 und des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 1964 dem Kläger ab 1. Juni 1960 Berufsschadensausgleich zu gewähren. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 3 BVG i. d. F. des Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453 - 1. NOG) setze einen bestimmten Einkommensverlust, in erster Linie eine besondere berufliche Betroffenheit durch die Art der Schädigungsfolgen voraus. Der Kläger sei besonders beruflich betroffen. Weiterhin sei außerdem das Vorhandensein einer Wehrdienstbeschädigung als Anspruchsvoraussetzung erforderlich. Die Feststellung eines besonderen beruflichen Betroffenseins sei nicht "ein Akt der Prüfung eines weiteren ursächlichen Zusammenhangs mit dem Ergebnis, daß die Ursachenkette zwischen der Kriegsdiensteinwirkung und der durch sie bewirkten Gesundheitsstörung um das weitere Glied des für eine Versorgungsleistung erforderlichen Schadensmerkmals verlängert wird oder nicht", vielmehr trete die Rechtsfolge, "daß ein Anspruch wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins entsteht, kraft der Anordnung eines Rechtssatzes ein", und dafür sei "wertend festzustellen, was nach Art und Umfang dem wirtschaftlichen Schaden, der mit der durch eine geschützte Kriegseinwirkung verursachten Gesundheitsstörung eingetreten ist, z. B. als MdE im allgemeinen Erwerbsleben oder im Beruf oder als Berufsschaden mit Einkommensminderung, rechtlich zuzuordnen ist." Für die Frage, ob die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a BVG erfüllt seien, komme es auf den Zustand der Schädigungsfolgen beim Eintritt der letzten Verschlimmerung an, also auf den Schaden, der bestanden habe, als das Einwirken des nach dem BVG geschützten schädigenden Ereignisses, hier der Verwundung, geendet habe. Das gelte nicht allein für die Feststellung der MdE im Sinne des § 30 Abs. 1 und 2 BVG, sondern auch für den Berufsschadensausgleich. Einen wirtschaftlichen Schaden habe der Kläger erlitten, als er seinen Wiesenbaubetrieb im Jahre 1947 aufgab, wozu er durch die Folgen der Beinverwundung, die sich zuvor verschlimmert hätten, gezwungen worden sei. Zwar habe der Kläger trotz der im ersten Weltkrieg erlittenen Verwundungsfolgen seinen Betrieb noch ausüben können, mit dem Auftreten des Geschwürsleidens am rechten Fuß sei er aber gezwungen gewesen, den Betrieb aufzugeben. Dieses neu hinzugetretene und von. der Versorgungsbehörde anerkannte Leiden habe es dem Kläger unmöglich gemacht, die in seinem Betrieb anfallenden Handarbeiten weiterhin zu bewältigen. Der "rechtserhebliche Schaden", der auch einen beruflichen Schaden im Sinne des § 30 Abs. 2 und 3 BVG umfasse, wirke sich noch in der Zeit seit Juni 1960 aus. Das sei für den Anspruch auf Berufsschadensausgleich entscheidend, weil der Beschädigte gerade in dem Zeitraum, für den er diese Leistung begehre, besonders beruflich betroffen sein müsse. Die Schädigungsfolgen hätten sich seit 1947 nicht wesentlich gebessert; dem Kläger sei es auch nicht zuzumuten gewesen, seinen Betrieb wieder in Gang zu setzen. Dabei wäre ihm zwar die technische Entwicklung zu Hilfe gekommen; bei einer Mechanisierung wäre der Kläger nicht mehr auf die Verwertung seiner Körperkraft angewiesen gewesen, er hätte sich auf kaufmännische und aufsichtsführende Funktonen beschränken können, bei denen er möglicherweise durch die Art der Schädigung nicht besonders behindert gewesen wäre. Eine "fortwirkende Schädigung" in der Art eines besonderen beruflichen Betroffenseins seit 1960 sei nicht etwa dadurch ausgeschlossen, daß Wiesenbaubetriebe überhaupt nicht mehr existierten. Auch das hohe Alter hätte den Kläger seit 1960 nicht schlechthin gehindert, in seinem Beruf tätig zu sein. Regelmäßig müßte er sich entsprechend der altersbedingten Leistungsminderung als Unternehmer auf die kaufmännischen und aufsichtsführenden Funktionen beschränken. Selbständige Unternehmer in solchen Kleinbetrieben pflegten nicht etwa stets, wenn auch vielfach, im Alter von 65 Jahren, spätestens bis zum 70. Lebensjahr, ihr Geschäft auf einen anderen zu übertragen oder ganz einzustellen. Dies werde durch die Auskunft der Handwerkskammer bestätigt, nach der sogar noch 80-jährige als Unternehmer tätig sein könnten. Gerade Selbständige wie der Kläger, die keine andere Altersversorgung hätten, seien auf eine Betätigung bis in ihr höchstes Alter angewiesen. Jedenfalls sei nicht erwiesen, daß der Kläger seinen Betrieb bis 1960 aus anderen Gründen als wegen der anerkannten Schädigungsfolgen aufgegeben hätte, falls es nicht 1947 dazu gekommen wäre. Die ungewöhnliche körperliche und geistige Rüstigkeit des Klägers, von der sich der Senat in der mündlichen Verhandlung habe überzeugen können, lasse vielmehr annehmen, daß der Kläger heute noch berufstätig wäre, falls er seinen Betrieb nicht 1947 wegen der Schädigungsfolgen hätte aufgeben müssen. Selbst wenn der Kläger wider Erwarten ohnedies in der Zeit seit 1960 sein Geschäft wegen Altersbeschwerden nicht mehr führen könnte, bliebe er weiterhin "durch die Art der Schädigungsfolgen besonders beruflich betroffen". Er hätte dann entweder einen Betriebsleiter einstellen oder das Unternehmen verkaufen oder verpachten können und würde von dem Gewinn, dem Verkaufserlös oder dem Pachtzins leben. Alle diese Maßnahmen seien durch die Schädigungsfolgen im Jahre 1947 verhindert worden.
Der Kläger habe auch einen hinreichenden Einkommensverlust. Gegenüber der Ausgleichsrente sei sein Einkommen um mindestens 100 DM geringer als diejenigen Einkünfte, die er voraussichtlich ohne die Schädigungsfolgen in seinem früher ausgeübten Beruf hätte erzielen können. Insoweit sei auch ein vergleichbares Einkommen der Besoldungsgruppe A 6 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) zuzüglich des Ortszuschlags nach Ortsklasse A der Berechnung zugrunde zu legen.
Dieser Anspruch bestehe auch nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG i. d. F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85 - 2. NOG) und der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung. Das vergleichbare Durchschnittseinkommen bestimme sich hier nach der Besoldungsgruppe A 7 des BBesG.
Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Der Beklagte hat gegen dieses ihm am 9. Februar 1967 zugestellte Urteil mit einem am 7. März 1967 eingegangenen Schriftsatz vom 3. März 1967 Revision eingelegt und sie nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 9. Mai 1967 mit einem an diesem Tage beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz vom 8. Mai 1967 begründet.
Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 1967 aufzuheben und die Streitsache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
In seiner Revisionsbegründung, auf die Bezug genommen wird, rügt er in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung der §§ 103, 128 und 136 Abs. 1 Nr. 6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Er greift die Feststellung des LSG an, daß der Kläger auf Grund seiner noch bestehenden körperlichen und geistigen Rüstigkeit, von der sich der Senat in der mündlichen Verhandlung überzeugt habe, auch nach dem Jahre 1960 noch als selbständiger Wiesenbauer tätig wäre, wenn er nicht durch die anerkannten Schädigungsfolgen hieran gehindert sein würde. Diese Feststellung sei unter Verletzung der §§ 103 und 128 SGG zustande gekommen. Insoweit handele es sich nämlich um die Beantwortung einer medizinischen Frage, die das Gericht nicht aus eigenem Wissen hätte entscheiden können, vielmehr sei es insoweit verpflichtet gewesen, ein medizinisches Gutachten einzuholen. Diese Verpflichtung habe um so mehr bestanden, als der Prozeßbevollmächtigte des Klägers selbst in seinem Schriftsatz vom 25. Oktober 1966 ausgeführt habe, daß es "infolge des Alters des Klägers äußerst schwierig" sei, von ihm Informationen zu erhalten.
Ferner habe das Gericht - wie sich aus den Entscheidungsgründen, jedoch nicht aus dem Urteilstenor ergebe - offenbar angenommen, daß der Kläger nach seiner Volksschulbildung eine abgeschlossene Berufsausbildung durchgemacht habe; anders sei es jedenfalls nicht zu verstehen, wenn das LSG die Besoldungsgruppen A 6 und A 7 des BBesG als Vergleichsgrundlage zur Berechnung des Berufsschadensausgleichs annehme. Hierbei habe das LSG aber keine Feststellungen darüber getroffen, ob der Kläger überhaupt nach Absolvierung der Volksschule eine Berufsausbildung genossen und diese Ausbildung auch abgeschlossen habe. Das LSG habe offensichtlich dabei übersehen und somit seine Entscheidung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen (Verletzung des § 128 SGG), daß der Kläger selbst nur angegeben habe, er sei nach der Volksschule als Gehilfe in dem Betrieb seines Vaters tätig gewesen. Insoweit sei das LSG zumindest verpflichtet gewesen, den Kläger im einzelnen dazu anzuhören, welchen Berufsweg er genommen habe, ob er eine Ausbildung durchgemacht und diese abgeschlossen habe.
Mit weiterer Begründung rügt der Beklagte noch Verletzungen der §§ 103, 128, 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen und dem Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Revisionsverfahren aufzuerlegen.
Er ist der Auffassung, daß die vom Beklagten erhobenen Rügen wesentlicher Mängel im Verfahren des LSG nicht gerechtfertigt sind. Zur Darstellung seines Vorbringens wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 18. Juli 1967 verwiesen.
Die Revision des Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Da das LSG die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen hat und für die Statthaftigkeit der Revision eine Gesetzesverletzung bei der Anwendung der in der Kriegsopferversorgung geltenden Kausalitätsnorm im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG im vorliegenden Fall deshalb ausscheidet, weil das LSG nicht über den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung im Sinne des BVG, sondern über die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs an den Kläger entschieden hat, ist die Revision nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG gerügt wird und vorliegt (BSG 1, 150). Der Beklagte rügt in mehrfacher Hinsicht die Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften durch das LSG, nämlich Verletzungen der §§ 103, 128 und 136 Abs. 1 Nr. 6 SGG. Greift eine seiner Rügen durch, so kommt es für die Statthaftigkeit der Revision im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht mehr darauf an, ob auch die anderen gerügten Verfahrensmängel vorliegen (siehe dazu BSG in SozR SGG § 162 Nr. 122). Zutreffend rügt der Beklagte eine Verletzung des § 103 SGG durch das LSG in bezug auf die Feststellung, daß der Kläger auf Grund seiner "ungewöhnlichen körperlichen und geistigen Rüstigkeit" - von der sich das LSG in der mündlichen Verhandlung überzeugt habe - heute noch berufstätig wäre, falls er seinen Betrieb nicht 1947 wegen der Schädigungsfolgen hätte aufgeben müssen. Nach § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen; es ist hierbei an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Für die Frage, ob das LSG seine Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, nicht erfüllt und dadurch § 103 SGG verletzt hat, kommt es darauf an, ob der Sachverhalt, wie er dem LSG zur Zeit der Urteilsfällung bekannt gewesen ist, von dessen sachlich-rechtlichem Standpunkt aus zur Entscheidung des Rechtsstreits ausreichte oder ob er das LSG zu weiteren Ermittlungen hätte drängen müssen (BSG in SozR SGG § 103 Nr. 7 und § 162 Nr. 20). Nach dem vom LSG vertretenen sachlich-rechtlichen Standpunkt war es für die Frage, ob der Kläger Anspruch auf einen Berufsschadensausgleich hat, rechtserheblich, daß er im Jahre 1960 - also beim Inkrafttreten der Vorschriften über den Berufsschadensausgleich durch das 1. NOG - noch in der Lage war, seinen Beruf als selbständiger Unternehmer (Wiesenbauer) auszuüben. Das hat das LSG bejaht und dazu die Feststellung getroffen, "die ungewöhnliche körperliche und geistige Rüstigkeit des Klägers, von der sich der Senat in der mündlichen Verhandlung überzeugen konnte, läßt vielmehr annehmen, daß der Kläger heute noch berufstätig wäre, falls er seinen Betrieb nicht 1947 wegen der Schädigungsfolgen hätte aufgeben müssen". Es ist dem Tatsachengericht zwar grundsätzlich nicht verwehrt, im Wege der Augenscheinseinnahme Beweise zu erheben oder bei der Feststellung von Tatsachen Erfahrungssätze zu verwerten. Jedoch darf das Gericht bei der Beurteilung medizinischer Fragen von der Anhörung eines Sachverständigen nur absehen, wenn es die erforderliche Sachkunde selbst besitzt und darlegt, worauf diese beruht (BSG in SozR SGG § 128 Nr. 45). Die Feststellung des LSG, daß der Kläger in seinem hohen Alter - er stand im Zeitpunkt der Entscheidung des LSG kurz vor Vollendung seines 83. Lebensjahres - körperlich und geistig außerordentlich rüstig und daher in der Lage sei, als selbständiger Unternehmer einen Wiesenbaubetrieb zu leiten, konnte das LSG im vorliegenden Fall - worauf der Beklagte zu Recht hinweist - nicht auf Grund eines einmaligen Eindrucks in einer mündlichen Verhandlung treffen. Ob eine Person in einem Alter von mehr als 80 Jahren nicht nur körperlich und geistig rüstig erscheint, sondern so außergewöhnlich körperlich und geistig rüstig ist, daß sie noch ein selbständiges Unternehmen leiten kann, bei welchem körperliche Arbeiten oder auch Aufsichtsfunktionen zu verrichten sind, ist nur zu beurteilen, wenn dazu Tatsachen festgestellt sind, die über die körperlichen oder geistigen Fähigkeiten Aufschluß geben, oder wenn dazu ein medizinischer Sachverständiger gehört wird. Im vorliegenden Falle durfte sich das LSG schon deshalb nicht allein auf seinen in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck verlassen, weil der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, der ihn während einer längeren Zeit vertreten und daher beobachtet hat, in seinem Schriftsatz vom 25. Oktober 1966 die Vorlage von weiterem Beweismaterial mit der Begründung abgelehnt hatte, es sei "infolge des Alters des Klägers äußerst schwierig", von ihm "Informationen zu erhalten". Diese auf eine Minderung der geistigen Rüstigkeit des Klägers deutende Mitteilung einer Person, die über einen längeren Zeitraum mit dem Kläger in Kontakt stand, mußte dem LSG Anlaß geben zu der Frage, ob er trotz seines hohen Alters noch als Unternehmer tätig sein konnte. Dazu mußte es weitere Ermittlungen anstellen und insbesondere einen medizinischen Sachverständigen hören. Es durfte sich nicht mit dem einmaligen Eindruck in der mündlichen Verhandlung begnügen, daß der Kläger noch so außergewöhnlich geistig und körperlich rüstig sei, um in seinem hohen Alter einen selbständigen Betrieb als Wiesenbauer leiten zu können. Das LSG hat nicht angegeben, daß ihm Tatsachen bekannt waren oder eine besondere Sachkunde zur Verfügung stand, so daß es in der Lage war, die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Klägers zu beurteilen und insbesondere die sich aus der Mitteilung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 25. Oktober 1966 ergebenden Bedenken hinsichtlich der geistigen Rüstigkeit des Klägers auszuräumen.
Das LSG hat somit seine Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG), verletzt; hierin liegt ein wesentlicher Mangel im Verfahren des LSG im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG, so daß die Revision statthaft ist.
Bei einer nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaften Revision ist das angefochtene Urteil in vollem Umfang materiell-rechtlich nachzuprüfen (BSG in SozR SGG § 162 Nr. 61). Der Kläger macht einen Berufsschadensausgleich für die Zeit vom Inkrafttreten des 1. NOG, also vom 1. Juni 1960 an geltend; da es sich hierbei um eine laufende Leistung handelt, richtet sich sein Anspruch nach § 30 Abs. 3 und 4 BVG idF des 1., 2. und 3. NOG. Nach § 30 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG erhält einen Berufsschadensausgleich in bestimmter Höhe, wer als Erwerbsunfähiger durch die Art der Schädigungsfolgen beruflich besonders betroffen ist und deshalb ein um mindestens 100,- DM geringeres Einkommen erzielt, als er ohne die Schädigungsfolgen in seinem derzeitigen oder früher ausgeübten, dem begonnenen oder nachweislich angestrebten Beruf erzielt hätte. § 30 Abs. 3 BVG idF des 2. NOG sieht vor, daß derjenige nach Anwendung des Abs. 2 einen bestimmten Berufsschadensausgleich erhält, wer als Schwerbeschädigter durch die Schädigungsfolgen beruflich insoweit besonders betroffen ist, als er einen Einkommensverlust von monatlich mindestens 75,- DM hat. Diese Bestimmung ist durch das 3. NOG nunmehr dahingehend gefaßt, daß nach Anwendung des Abs. 2 Schwerbeschädigte Berufsschadensausgleich erhalten, deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen gemindert ist (Einkommensverlust). Voraussetzung für die Gewährung eines Berufsschadensausgleichs nach § 30 Abs. 3 BVG in allen seinen Fassungen ist - trotz der unterschiedlichen Wortfassung dieser Bestimmung -, daß der Beschädigte einen wirtschaftlichen Schaden erlitten hat, der durch die Schädigungsfolgen verursacht worden ist; das bedeutet also, daß zwischen dem wirtschaftlichen Schaden und der Schädigung ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muß (siehe dazu BSG 29, 208, 210; Urteil des erkennenden Senats vom 23. Juli 1969 - 10 RV 711/67; Urteil des 9. Senats des BSG vom 17. März 1970 - 9 RV 88/69). Das Erfordernis dieses ursächlichen Zusammenhangs geht aus den Worten "durch die Art der Schädigungsfolgen beruflich besonders betroffen ... und deshalb" (§ 30 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG) bzw. "durch die Art der Schädigungsfolgen beruflich insoweit besonders betroffen ..." (§ 30 Abs. 3 idF des 2. NOG) bzw. "... deren Erwerbseinkommen durch die Schädigungsfolgen gemindert ist" (§ 30 Abs. 3 idF des 3. NOG) hervor. Nach der in der Kriegsopferversorgung herrschenden Kausalitätsnorm besteht dieser ursächliche Zusammenhang im Rechtssinne dann, wenn die Schädigungsfolgen für den wirtschaftlichen Schaden, der nach § 30 Abs. 3 BVG in einem Einkommensverlust besteht, eine wesentliche Bedingung sind. Der Kausalzusammenhang zwischen Schädigungsfolge und Einkommensverlust ist für den Anspruch auf Berufsschadensausgleich erforderlich, aber auch genügend (s. dazu Urteil des erkennenden Senats vom 23. Juli 1969 - 10 RV 711/67, - sowie Urteil des 9. Senats des BSG vom 17. März 1970 - 9 RV 88/69). Maßgebend ist demnach nicht etwa, wie das LSG meint, daß der Beschädigte im Zeitpunkt der Geltendmachung des Berufsschadensausgleichs noch tatsächlich ohne die Schädigungsfolgen seinen früher ausgeübten Beruf ausüben könnte; entscheidend ist vielmehr allein, ob der Beschädigte durch die Schädigungsfolgen denjenigen Beruf, den er ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich ausüben würde, ganz oder teilweise nicht mehr ausüben kann, und daß er dadurch einen wirtschaftlichen Schaden, nämlich einen Einkommensverlust erleidet, wobei dieser Einkommensverlust im Zeitpunkt der Antragstellung noch bestehen muß. Der Einkommensverlust, also der durch die Schädigungsfolgen verursachte wirtschaftliche Schaden, ergibt sich wiederum aus § 30 Abs. 4 BVG, der idF des 1., 2. und 3. NOG unverändert geblieben ist. Danach ist Einkommensverlust der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente und dem höheren Durchschnittseinkommen der Berufs- oder Wirtschaftsgruppe, der der Beschädigte ohne die Schädigung nach seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten und dem bisher betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen wahrscheinlich angehört hätte. Allgemeine Vergleichsgrundlage zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die amtlichen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes für das Bundesgebiet und die jeweils geltenden beamten- oder tarifrechtlichen Besoldungs- oder Vergütungsgruppen des Bundes. Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger durch die Schädigungsfolgen erwerbsunfähig ist; damit gehört er grundsätzlich zu dem Kreis der Beschädigten, die nach § 30 Abs. 3 BVG einen Berufsschadensausgleich erhalten können. Ferner hat das LSG festgestellt, daß der Kläger durch die Art der Schädigungsfolgen seinen Beruf als selbständiger Wiesenbauer im Jahre 1947 aufgeben mußte. Hiergegen sind vom Beklagten keine begründeten Revisionsrügen erhoben worden, so daß diese Feststellung für den Senat gemäß § 163 SGG bindend ist. Gleichermaßen hat das LSG mit näherer Begründung festgestellt, daß der Kläger durch die schädigungsbedingte Aufgabe seines Berufs einen wirtschaftlichen Schaden erlitten hat, weil er nach Aufgabe seines Betriebes durch berufliche Tätigkeit kein Einkommen mehr erzielen konnte, und er dadurch auch gehindert war, für seine Altersversorgung zu sorgen. Auch diese Feststellung ist vom Beklagten nicht angegriffen worden, so daß sie für den Senat bindend ist (§ 163 SGG). Offenbar geht auch der Beklagte selbst davon aus, daß der Kläger durch seine Schädigungsfolgen zur Berufsaufgabe gezwungen worden ist und sich hieraus ein im Zeitpunkt der Antragstellung bestehender wirtschaftlicher Schaden (Einkommensverlust) ergibt, denn anders ist das Vergleichsangebot des Beklagten, an den Kläger einen Berufsschadensausgleich auf der Grundlage eines Durchschnittseinkommens nach der Besoldungsgruppe A 3 bzw. A 5 BBesG zu gewähren, nicht zu verstehen. Auf Grund dieser vom LSG getroffenen Feststellungen steht dem Kläger somit der Berufsschadensausgleich zu, wenn er in der Zeit vom 1. Juni 1960 bis 31. Dezember 1963 einen Einkommensverlust von mindestens DM 100,- monatlich (§ 30 Abs. 3 BVG idF des 1. NOG), in der Zeit vom 1. Januar 1964 bis 31. Dezember 1966 einen Einkommensverlust von mindestens DM 75,- monatlich (§ 30 Abs. 3 BVG, idF des 2. NOG) und vom 1. Januar 1967 überhaupt einen Einkommensverlust gehabt hat. Ob dies der Fall ist, kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden. Das LSG hat zwar ausgeführt, dem Kläger stehe "auch wegen eines hinreichenden Einkommensverlustes dem Grunde nach" ein Berufsschadensausgleich zu, weil die Ausgleichsrente als sein einziges derzeitiges Einkommen um mindestens DM 100,- geringer sei als die Einkünfte, die der Kläger voraussichtlich ohne die Schädigungsfolgen in dem früher ausgeübten Beruf als selbständiger Wiesenbauer erzielen würde, "und die in Höhe von 70 % des Grundgehaltes der Besoldungsgruppe A 6 Bundesbesoldungsgesetz ... berechnet werden"; jedoch rügt der Beklagte insoweit zutreffend, daß das LSG keine Feststellungen darüber getroffen hat, welchen beruflichen Werdegang der Kläger gehabt hat, so daß für das Revisionsgericht nicht nachprüfbar ist, ob das vom LSG für die Berechnung des Einkommensverlustes zugrunde zu legende Durchschnittseinkommen (§ 30 Abs. 4 BVG), die Besoldungsgruppe A 6 bzw. A 7 BBesG, im vorliegenden Fall überhaupt zum Vergleich herangezogen werden kann. Es ist unstreitig, daß der Kläger zur Wirtschaftsgruppe der Selbständigen gehört und demzufolge das Durchschnittseinkommen nach § 2 i. V. m. § 5 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG in der jeweils gültigen Fassung zur Berechnung des Einkommensverlustes i. S. des § 30 Abs. 4 BVG heranzuziehen ist. Die Höhe des Durchschnittseinkommens ist aber in § 5 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG von der Schul- und Berufsausbildung und teilweise auch davon abhängig, ob der Beschädigte bestimmte Prüfungen abgelegt hat. Im Geltungszeitraum des 1. NOG - also für die Zeit vom 1. Juni 1960 bis zum 31. Dezember 1963 - ist bei selbständig Tätigen gemäß § 5 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1961 (BGBl I, 115) als Durchschnittseinkommen die Besoldungsgruppe A 6 des BBesG zuzüglich der gesetzlichen Zuschläge anzunehmen, wenn der Beschädigte Volksschulbildung und eine abgeschlossene Berufsausbildung durchgemacht hat; dieselben Voraussetzungen gelten für die Zuerkennung der Besoldungsgruppe A 7 des BBesG zuzüglich der gesetzlichen Zuschläge im Geltungsbereich des 2. und 3. NOG (§ 5 Abs. 1 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964 - BGBl I 574 - und vom 28. Februar 1967 - BGBl I 164). Dabei ist für die Berechnung des fiktiven Durchschnittseinkommens wegen des Alters des Klägers die in § 3 Abs. 4 (DVO 1961) bzw. § 3 Abs. 5 (DVO 1964) bzw. § 3 Abs. 6 (DVO 1968) vorgesehene Minderung des Durchschnittseinkommens zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 2 bzw. Abs. 3 der DVO zu § 30 Abs. 3 und Abs. 4 BVG in der jeweils gültigen Fassung). Ob dem Kläger diese Besoldungsgruppen in dem jeweiligen Zeitraum zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens und damit auch seines Einkommensverlustes i. S. des § 30 Abs. 4 BVG zuerkannt werden können, hängt also davon ab, daß er nach der Volksschulbildung eine Berufsausbildung abgeschlossen hat. Hierzu fehlt es aber - worauf der Beklagte zutreffend hinweist - an entsprechenden Feststellungen des LSG, so daß der Senat in der Sache selbst noch nicht entscheiden konnte. Somit war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 SGG), das nunmehr noch die erforderlichen Feststellungen treffen muß.
Fundstellen