Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines freiwillig Versicherten auf Familienkrankenpflege für seine Mutter
Tenor
Die Revision der beklagten Krankenkasse gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. September 1967 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger, der bei der beklagten Krankenkasse freiwillig versichert ist, für seine Mutter Anspruch auf Familienkrankenpflege hat. Die Satzung der Beklagten sieht Familienkrankenpflege auch für die Eltern eines Versicherten vor, die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben und von ihm überwiegend unterhalten werden (§ 205 Abs. 3 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-). Die Mutter des Klägers lebt mit ihm in häuslicher Gemeinschaft; streitig ist, ob er sie überwiegend unterhält. Er gewährt ihr aufgrund eines Vertrages vom Jahre 1954 durch den ihm die elterliche Landwirtschaft übergeben worden ist, als Altenteil freie Kost, Wohnung, die erforderliche Kleidung, "überhaupt den gesamten Lebensbedarf in standesgemäßer und ortsüblicher Weise" einschließlich der Kosten für Arzt, Apotheke und Krankenhaus sowie ein wöchentliches Taschengeld von 4,00 DM. Daneben bezieht sie seit dem Tode ihres Mannes im Jahre 1959 von der landwirtschaftlichen Alterskasse ein Altersgeld, das bis April 1965 60.- DM betrug und sich seitdem auf 100.- DM beläuft.
Nach Ansicht der Beklagten unterhält der Kläger seine Mutter nicht überwiegend: Die 17 ha große Landwirtschaft werfe im Jahr einen Reinertrag von ca. 4.600,00 DM oder knapp 390,00 DM im Monat ab, wenn man dabei die Hälfte des steuerlichen Ertragswerts von hier 546.- DM je Hektar und Jahr zugrundelege; unter Hinzurechnung bestimmter Nebeneinkünfte des Klägers als Bürgermeister (früher 65,00 DM, seit 1965 88,00 DM monatlich) und des Altersgeldes der Mutter habe das Gesamteinkommen der - sechsköpfigen - Familie bis Ende 1.964.511,00 DM, danach zunächst 534,00 DM und seit Mai 1.965.574,00 DM im Monat befragen; auf die erwachsenen Familienmitglieder sei deshalb ein Anteil von früher etwas weniger, später etwas mehr als 100,00 DM entfallen; zu diesem Unterhaltsanteil habe die Mutter des Klägers aus ihrem eigenen Einkommen (60,00 DM bzw. 100,00 DM Altersgeld) jeweils mehr als die Hälfte beigesteuert.
Das Sozialgericht (SG) hat einen Familienhilfeanspruch des Klägers schon deshalb verneint, weil seinen Altenteilsleistungen an die Mutter ein entgeltlicher Übergabevertrag zugrundeliege, so daß er ihr überhaupt keinen Unterhalt gewähre. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Klaganspruch dagegen für begründet gehalten; es hat das im Übergabevertrag ausbedungene Altenteil nicht als Gegenleistung für die Übergabe der Landwirtschaft, sondern als eine auf vorweggenommener Erbfolge beruhende Verbindlichkeit des Klägers und dementsprechend seine Leistungen als Unterhaltsleistungen angesehen; diese Leistungen seien auch höher als die eigenen Einkünfte der Mutter zu bewerten, da sie mindestens den notwendigen Lebensbedarf im Sinne des Sozialhilferechts umfaßten, die dafür maßgebenden Richtsätze aber einen Betrag von 100,00 DM erheblich überstiegen. Das LSG hat demgemäß die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, daß die Beklagte dem Kläger Familienkrankenhilfe für seine Mutter zu gewähren habe (Urteil vom 27. September 1967).
Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klagabweisungsbegehren weiter. Sie beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 27. September 1967 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 7. Oktober 1965 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt unter Hinweis auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Die Revision der beklagten Krankenkasse hat keinen Erfolg. Das LSG hat die vom Kläger erhobene Feststellungsklage (Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Familienkrankenpflege für seine Mutter) mit Recht als zulässig (BSG 11, 198) und als begründet angesehen.
Die Beklagte gewährt nach ihrer Kassensatzung Familienkrankenpflege auch für Eltern eines Versicherten, die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben und von ihm überwiegend unterhalten werden (vgl. § 205 Abs. 3 Satz 1 RVO). Der Kläger lebt mit seiner Mutter in häuslicher Gemeinschaft; streitig ist unter den Beteiligten nur ob er seine Mutter überwiegend unterhält.
Für die Beurteilung dieser Frage kommt es, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, allein auf die Tatsache der Unterhaltsleistung an (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 408 i); ohne Bedeutung ist dagegen, ob der Unterhalt aus freien Stücken oder aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung gewährt wird, Beruht die Unterhaltsleistung, wie hier, auf einem Vertrage, so kann ihr auch eine Verbindlichkeit des anderen Teils gegenüberstehen (gegenseitiger Vertrag), sofern die Leistungsverpflichtung, des einen Vertragspartners wirklich auf Gewährung von Unterhalt, d.h. auf Befriedigung der - in der Regel schwankenden - Lebensbedürfnisse des anderen, gerichtet ist, der gegenseitige Vertrag also nicht nur den Austausch von Leistungen bezweckt, die die Vertragspartner als gleichwertig angesehen haben; letzte res könnte etwa bei Überlassung eines Grundstücks gegen das Versprechen einer festen, nach dem Grundstückswert bemessenen Geld- oder Naturalrente der Fall sein, würde indessen für den vom Kläger geschlossenen Übergabevertrag auch dann nicht zutreffen, wenn darin ein gegenseitiger Vertrag zu sehen wäre (vgl. Scheyhing, Höfeordnung, S. 189; Sozialrecht Nr. 5 zu § 2 GAL aF, Bl. Aa 7 Rucks.). Zum Wesen eines solchen Übergabevertrags, wie er besonders in bäuerlichen Verhältnissen üblich ist, gehört gerade, daß er mit Rücksicht auf die künftige Erbfolge geschlossen wird, diese gleichsam vorwegnimmt, und der "Erbe" dem durch die Vermögensübertragung bedürftig gewordenen "Erblasser" den Lebensunterhalt nach Maßgabe seiner Bedürfnisse, nicht nach dem Wert des übergebenen Vermögens, gewährt (vgl. dazu Herminghausen, DOK 1953, 35, 37).
Unerheblich ist ferner, ob die in einem Übergabevertrag, ausbedungenen Unterhaltsleistungen überwiegend aus dem übernommenen Vermögen bestritten werden oder zum größeren Teil aus eigenen Mitteln oder der Arbeitskraft dessen herrühren, der das Vermögen übernommen hat. Eine solche Fragestellung mag früher für die Anwendung des § 50 des Bundesversorgungsgesetzes -BVG- aF bedeutsam gewesen sein, der die Gewährung einer Elternrente u.a. davon abhängig machte, daß der Verstorbene der "Ernährer" seiner Eltern gewesen war. Für diese Vorschrift konnte in der Tat zweifelhaft sein, ob die Eltern durch den Tod eines Sohnes, der ihnen den Unterhalt überwiegend aus dem übergebenen Vermögen gewährt hatte, ihren "Ernährer" verloren hatten, zumal wenn ihre Altenteilsrechte als dingliche Lasten auf dem Grundbesitz ruhten und damit ohne weiteres auf den Erben übergingen (vgl. Nr. 3 der Verwaltungsvorschriften zu § 50 BVG idF vom 14. August 1961, Bundesanzeiger Nr. 161 vom 23. August 1961; Wilke, Kommentar zum BVG, 1960, Anm. 5 zu § 50 BVG). Im Gegensatz zu § 50 BVG aF, der den entgangenen Unterhalt durch eine Versorgungsrente des bisherigen Unterhaltsempfängers ausgleichen sollte, also Unterhaltsersatzfunktion hatte, will § 205 Abs. 3 Satz 1 RVO einem Versicherten, der für den Unterhalt von Angehörigen aufkommt, die Tragung der Unterhaltslasten durch Gewährung von Familienhilfeansprüchen erleichtern (Entlastungsfunktion). Um Unterhaltslasten des Versicherten handelt es sich aber im Rechtssinne auch dann, wenn dieser sie, wirtschaftlich gesehen, im wesentlichen aus dem übernommenen Sachvermögen deckt. Im übrigen wäre es in vielen Fällen praktisch kaum feststellbar, ob die Unterhaltsleistung dem übernommenen Vermögen oder mehr den eigenen Mitteln bzw. der Arbeitskraft des Übernehmers zuzurechnen ist. Diese Unterscheidung hat deshalb für die Frage, ob der Versicherte einen Angehörigen im Sinne des § 205 Abs. 3 Satz 1 RVO ganz oder überwiegend unterhält, keine Bedeutung (a.A. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 205 RVO Anm. 11 vorletzter Absatz).
Leistet der Kläger mithin seiner Mutter Unterhalt im Sinne des § 205 Abs. 3 Satz 1 RVO, mag dies auch aufgrund eines gegenseitigen Vertrags und möglicherweise aus dem Ertrag des übernommenen Vermögens geschehen, so hat das LSG auch die weitere Frage, ob der Kläger seine Mutter "überwiegend" unterhält, im Ergebnis zutreffend bejaht. Entscheidend, ist dabei für den Senat die - von der Revision nicht beanstandete - Feststellung des LSG, der Kläger sei seiner vertraglichen Verpflichtung, der Mutter "den gesamten Lebensbedarf in standesgemäßer und ortsüblicher Weise zu gewähren" , seit Übernahme des Anwesens nachgekommen. Damit steht fest, daß der Kläger seiner Mutter bisher nicht nur den überwiegenden, sondern sogar den vollen Lebensunterhalt gewährt hat. Einen anderen Sinn konnte die im Übergabevertrag übernommene Altenteilsverpflichtung bei Abschluß des Vertrags im Jahre 1954 Auch nicht haben, weil zu dieser Zeit sonstige Einkünfte der Mutter des Klägers (und seines damals noch lebenden Vaters) offensichtlich nicht in Betracht kamen. Das Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte vom 27. Juli 1957 mit den darin vorgesehenen Barleistungen trat erst später in Kraft. Auch nachdem aufgrund dieses Gesetzes der Mutter des Klägers ein Altersgeld bewilligt worden war, wurde die Unterhaltsverpflichtung des Klägers ihr gegenüber nicht eingeschränkt; selbst das wöchentliche Taschengeld zahlt der Kläger weiter. Da seine Natural- und Barleistungen somit den ganzen, im Übergabevertrag näher umschriebenen Lebensbedarf seiner Mutter decken, unterhält er sie nach wie vor im vollen Umfange. Daran ändern die von der Alterskasse geleisteten Zahlungen ebensowenig, wie Zinserträge aus einem Sparkonto der Mutter oder sonstige Leistungen von dritter Seite an der Tatsache ihres vollen Unterhalts durch den Kläger etwas ändern würden. Nur wenn ihre eigenen Einkünfte zum Anlaß genommen worden wären, die umfassende Unterhalts Verpflichtung des Klägers aus dem Übergabevertrag zu mindern, oder wenn sie ihr Altersgeld für den Unterhalt der ganzen Familie zur Verfügung gestellt hätte, wofür nach dem angefochtenen Urteil kein Anhalt besteht, hätte sich die Frage erhoben, ob und in welchem Verhältnis sie selbst zu ihrem Unterhalt beigetragen hat und beiträgt. Da es auf diese Frage hier nicht ankommt, kann unentschieden bleiben, nach welchem Maßstab der von einem Versicherten aufgrund einer Altenteilsverpflichtung geleistete Naturalunterhalt zu bewerten ist, ob dabei insbesondere, wie die Beklagte meint, von den steuerlichen Ertragswerten der Landwirtschaft auszugehen ist, oder ob, wie der Kläger will, die tatsächlich gewährten Leistungen nach den amtlich festgesetzten Sachbezugswerten zu bemessen sind, oder ob schließlich mit dem LSG die Richtsätze des Sozialhilferechts zugrunde zu legen sind (vgl. zur Bewertung von Altenteilsleistungen auch BGHZ 8, 213, 221).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Langkeit
Dr. Krebs
Spielmeyer
Fundstellen