Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenkasse. Satzung. Prämienkalkulation. Haushaltsplanung. Festsetzung. Monatsprämie. Aktive. Passive. Soziale Komponente. Umlageverfahren. Leistungsfähigkeit. Mitglieder. Aufstockungsversicherung. Mehrleistungsanspruch. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem Urteil des BSG vom 2.7.2013 - B 1 KR 23/12 R, das vollständig dokumentiert ist.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; SGB IV § 34 Abs. 1; SGB V § 173 Abs. 2a, §§ 194-195; SGB VI §§ 33, 239; SGB X §§ 24, 48; KnVAusbauV § 2 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. November 2011 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Monatsprämien für eine Mehrleistungsversicherung.
Der 1956 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) als Rentner versicherte Kläger bezog seit 1.4.2006 eine Rente für Bergleute in Höhe von 857,56 Euro. Daneben erhielt er vom 1.4.2006 bis 31.3.2011 Anpassungsgeld (APG) an Arbeitnehmer im Steinkohlenbergbau. Zudem bezog er von der Deutschen Steinkohle (DSK) einen monatlichen betrieblichen Zuschuss. Seit dem 1.4.2011 erhält er Knappschaftsausgleichsleistung. Die Krankenversicherung (KV) des Klägers umfasste - seit dem 1.4.2006 - satzungsgemäß Anspruch auf zusätzliche Leistungen (Chefarztbehandlung und Zweibettzimmer). Dafür fiel ab dem 1.7.2006 ein monatlicher Beitrag von 38,59 Euro an (Bescheid vom 9.5.2006), den das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das das APG an den Kläger auszahlte, von diesem einbehielt und an die Beklagte abführte.
Die Beklagte informierte im November 2008 die Mehrleistungsberechtigten darüber, dass sie in ihrer Satzung aufgrund der gesetzlichen Änderung (Einziehung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags) zum Jahresanfang 2009 die Finanzierung des Mehrleistungsanspruchs umstelle. Sie habe für Aktive einkommensunabhängige Prämien in altersabhängigen Stufen konzipiert. Die Satzung sehe einkommensabhängige Monatsprämien dagegen nur noch für Passive vor (Rentner, Rentenantragsteller und Versicherte ab Vollendung des 65. Lebensjahres). Die Beklagte forderte vom Kläger für den Mehrleistungsanspruch ab 1.1.2009 eine monatliche einkommensabhängige Prämie in Höhe von 52,38 Euro (Bescheid vom 28.1.2009; Widerspruchsbescheid vom 9.11.2009, aufgehoben für den Monat Januar 2009).
Das SG hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 8.7.2010). Der Kläger hat mit Wirkung zum 31.12.2010 den Mehrleistungsanspruch gekündigt. Seine Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung ua ausgeführt, die Beklagte habe die Prämien anpassen dürfen, ohne Grundrechte des Klägers zu verletzen. Sie habe die wesentlichen Änderungen in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen mit Blick auf die Neugestaltung der Finanzierung der Mehrleistungsversicherung rechtmäßig berücksichtigt (Urteil vom 24.11.2011).
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG. Zudem bedürfe es einer Beiladung des BAFA.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. November 2011 und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 8. Juli 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 28. Januar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2009 aufzuheben,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. November 2011 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Das LSG hat zu Recht die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Die statthafte und zulässige isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Alt 1 SGG) ist unbegründet, denn die angefochtene Festsetzung der Prämien (Bescheid vom 28.1.2009; Widerspruchsbescheid vom 9.11.2009, aufgehoben für den Monat Januar 2009) ist rechtmäßig. Der erkennende Senat stützt sich hierbei auf die unangegriffenen, ihn bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG). Die nicht erfolgte Beiladung des BAFA hindert den erkennenden Senat nicht daran, in der Sache zu entscheiden (vgl unten II. 1. d) bb) ccc).
1. Die Beklagte setzte gegenüber dem Kläger rechtmäßig durch Verwaltungsakt die zu zahlenden Monatsprämien ab Februar 2009 für seine satzungsmäßigen Mehrleistungsansprüche fest. Sie war hierzu wirksam nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X iVm der Satzung ermächtigt (dazu a), die auf Gesetzesrecht fußt (dazu b) sowie formell (dazu c) und materiell rechtmäßig ist, insbesondere wie ihre Ermächtigungsgrundlage mit Verfassungsrecht in Einklang steht (dazu d). Die Festsetzung war auch im Übrigen formell (dazu e) und materiell rechtmäßig (dazu f).
a) Rechtsgrundlage der Änderungen zum 1.2.2009 ist § 48 Abs 1 S 1 SGB X iVm § 59 Abs 5 Satzung 2009 (Satzung der Beklagten in der ab 1.1.2009 geltenden Fassung des 15. Satzungsnachtrags). Die Satzungsbestimmungen der Beklagten unterliegen revisionsgerichtlicher Kontrolle (§ 162 SGG). Nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. In diesem Sinne ermächtigt § 59 Abs 5 S 5 Satzung 2009 die Beklagte lediglich dazu, ab dem Ersten des Monats, der dem Monat folgt, in dem für das Mitglied eine Änderung eingetreten ist, die Prämie neu festzusetzen. Ausgeschlossen - und damit rechtswidrig - ist eine Änderung der Prämienfestsetzung im laufenden Kalendermonat. Die Satzungsregelung bewirkt nicht, dass sich die Prämienhöhe ohne weiteren Vollzugsakt von selbst ändert. Die Monatsprämien sind vielmehr durch Verwaltungsakt mit Dauerwirkung festzusetzen. Das gilt auch bei einer Änderung der Verhältnisse, soweit sich der Verwaltungsakt nicht erledigt (vgl § 39 Abs 2 SGB X).
Nach § 59 Abs 5 Satzung 2009 hat das Mitglied für den Leistungsanspruch nach Abs 1 iVm Abs 2 vom 1.1.2009 an eine monatliche Prämie zu entrichten. Bei pflicht- und freiwillig versicherten Rentnern, Rentenantragstellern nach § 198 SGB V sowie Mitgliedern ab Vollendung des 65. Lebensjahres richten sich die Prämien nach den in der Anl 11 der Satzung 2009 festgelegten Einkommensklassen. Für die Feststellung des maßgeblichen Einkommens finden die §§ 226 ff, 237 und 240 SGB V Anwendung. Die Prämie ändert sich entsprechend der jeweils aktuellen Prämientabelle nach S 2 ab dem Ersten des Monats, der dem Monat folgt, in dem wegen Einkommensveränderungen ein Wechsel der Einkommensgruppe vorliegt. Die Prämie wird am 15. des Monats fällig, der dem Monat folgt, für den sie zu zahlen ist.
b) Rechtsgrundlage der Satzungsregelung über Monatsprämien für die Mehrleistungsversicherung ist § 173 Abs 2a SGB V (in der durch Art 1 Nr 133 Buchst b Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG - vom 26.3.2007, BGBl I 378, eingefügten Fassung) iVm § 2 Abs 1 S 2 KnVAusbauV (Verordnung über den weiteren Ausbau der knappschaftlichen Versicherung in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 822-4, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art 22 Nr 1 Gesetz über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe vom 22.12.1983 ≪Haushaltsbegleitgesetz 1984 - HBegleitG 1984 -≫, BGBl I 1532). Danach gilt § 2 Abs 1 KnVAusbauV nicht für Personen, die nach dem 31.3.2007 Versicherte der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See werden. Nach § 2 Abs 1 KnVAusbauV bestimmt die Satzung das Nähere über die Zuständigkeit ua der besonderen KKn sowie über die Berechnung des Grundlohns. Sie stellt Richtlinien auf für die Gewährung der Mehrleistungen. Diese können für Arbeiter, Angestellte und Rentner verschieden festgesetzt werden. Bestandteil der Satzung bildet auch die Krankenordnung.
Die Ermächtigung, in der Satzung "Richtlinien für die Gewährung der Mehrleistungen" aufzustellen (§ 2 Abs 1 S 2 KnVAusbauV), umfasst auch die Befugnis, über die Finanzierung der Mehrleistungen als fakultativer Teil der gesetzlichen KV (GKV) mitzuentscheiden. Die Finanzierung der Mehrleistungen ist genuiner Bestandteil der Ausgestaltung des Mehrleistungssystems. Denn die differenzierend jeweils nur für einen Teil der Versicherten der Beklagten vorgesehenen Mehrleistungen sollen nach Entwicklungsgeschichte, Regelungssystem und -zweck jeweils nur von Mitgliedern aus dem Kreis der Begünstigten getragen werden. Das Regelungssystem für Mehrleistungen der knappschaftlichen KV koppelte von Anfang an die Möglichkeit, unterschiedliche Leistungen für spezifische Personenkreise vorzusehen, mit der Finanzierung durch den Kreis der entsprechend Begünstigten. Diese Regelung zielt darauf ab, die Vorteile der differenzierend ausgestalteten Mehrleistungsversicherung nicht durch die Gesamtheit aller Mitglieder der Beklagten finanzieren zu lassen, sondern orientiert an der Gruppennützlichkeit. Die Eingrenzung der Begünstigten bis hin zur Schließung der Mehrleistungsversicherung für neue Mitglieder durch § 173 Abs 2a SGB V hat an diesem Grundprinzip nichts geändert.
Schon die ursprüngliche Regelung in § 2 Abs 1 und § 3 KnVAusbauV (idF vom 19.5.1941, RGBl I 287) sah je nach dem Kreis der Begünstigten unterschiedliche Finanzierungsbestimmungen vor. Die KnVAusbauV legte selbst den Beitrag für die KV der Arbeiter fest (§ 3 Abs 1 KnVAusbauV), während sie dem "Leiter der Reichsknappschaft" die Befugnis übertrug, den Beitrag für die KV der Angestellten festzusetzen (§ 3 Abs 2 KnVAusbauV). Der Gesetzgeber änderte dieses Grundprinzip nicht, als er die übrigen Bestimmungen der KnVAusbauV aufhob und es nur noch bei der Regelung des § 2 Abs 1 KnVAusbauV beließ (vgl Art 22 Nr 1 HBegleitG 1984). Er wollte hiermit lediglich die Finanzierung der knappschaftlichen KV der Rentner an die Finanzierung der KV der Rentner anpassen und hob hierzu alle Bestimmungen auf, die bisher für die knappschaftliche KV der Rentner galten. Er wollte zugleich aber die Befugnis für die Bundesknappschaft erhalten, durch Satzungsbestimmungen Mehrleistungen zu gewähren (vgl Entwurf eines Gesetzes der Bundesregierung über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe, BT-Drucks 10/335 S 61 und S 90, zu Art 20). Auch die Schließung der Mehrleistungsversicherung für neue Versicherte ab 1.4.2007 änderte das aufgezeigte Grundprinzip nicht. Sie trug lediglich der Öffnung der Beklagten für alle in der GKV Versicherungspflichtigen und -berechtigten Rechnung (§ 173 Abs 2 S 1 Nr 4a SGB V, eingefügt durch Art 1 Nr 133 Buchst a DBuchst aa GKV-WSG, Abschaffung des § 177 SGB V und des § 6 Abs 5 SGB V durch Art 1 Nr 136 und Art 1 Nr 3 Buchst d GKV-WSG, mWv 1.4.2007). Sie schaffte die besonderen satzungsrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Beklagten mit Wirkung für die Zukunft ab, um ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile für sie bei den Gestaltungsleistungen zu vermeiden (vgl Entwurf eines Gesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-WSG -, BT-Drucks 16/3100 S 157, zu Nr 133, zu Buchst b).
§ 173 Abs 2a SGB V iVm § 2 Abs 1 S 2 KnVAusbauV ermächtigten die Beklagte auch dazu, in der Satzung zu regeln, dass ab 2009 auf der Basis einer Prämienkalkulation im Rahmen der Haushaltsplanungen für das jeweils folgende Kalenderjahr eine Festsetzung von Monatsprämien durch Verwaltungsakt erfolgt in Form von einkommensunabhängigen Prämien in altersabhängigen Stufen (erste Stufe 0 bis 19 Jahre, anschließend jeweils Fünf-Jahres-Schritte bis 64 Jahre) für Aktive und von einkommensabhängigen Monatsprämien (in Stufen von jeweils 499,99 Euro bis 3500 Euro und mehr) lediglich noch für Passive. § 173 Abs 2a SGB V iVm § 2 Abs 1 S 2 KnVAusbauV fordern als ungeschriebene, systemimmanente Grenze eine Regelung der Finanzierung, die sich innerhalb der allgemeinen Grenzen für die Finanzierung von Zusatzsozialleistungen der KV kraft Satzung hält. Unzulässig wäre etwa eine Finanzierungsregelung, die frei von jeglicher sozialen Komponente allein auf Gewinnerzielung angelegt wäre. Die konkret beschlossene Ausgestaltung als Umlageverfahren mit im Verwaltungsvollzug leicht zu ermittelnden pauschalierenden Stufen aufgrund des prognostizierten Bedarfs unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit der Mitglieder hält sich in den allgemeinen Grenzen, die sich für die Finanzierung von zusätzlich zu Pflichtleistungen vorgesehenen gewillkürten Sozialleistungen kraft Satzung stellen.
c) Die Satzung 2009 der Beklagten ist formell rechtmäßig. Die hierzu kraft Gesetzes berufene Beklagte änderte ihre Satzung mit dem 15. Nachtrag formal korrekt (Beschluss der Vertreterversammlung vom 14.11.2008, § 31 Abs 1 S 1, § 33 Abs 1 S 1 SGB IV; Genehmigung des Bundesversicherungsamts, § 195 Abs 1 und Abs 3 SGB V, § 34 Abs 1 S 2, § 90 Abs 1 SGB IV, Bescheid vom 19.12.2008). Sie machte die geänderte Satzung auch ordnungsgemäß auf ihrer Internetseite unter www.kbs.de öffentlich bekannt (vgl § 34 Abs 2 S 1 und S 3 SGB IV; § 97 Abs 1 Satzung 2009; s auch BSG SozR 4-2500 § 240 Nr 17 RdNr 36, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
d) Die Satzung 2009 der Beklagten ist - soweit hier betroffen - auch materiell rechtmäßig. Sowohl die gesetzliche Ermächtigung zur Regelung der Finanzierung in der Satzung als auch die getroffene Satzungsregelung selbst sind mit Verfassungsrecht vereinbar, insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (dazu aa) und dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz (dazu bb).
aa) Die von der Beklagten gewählte prognostische Kostendeckung durch die Prämien der mehrleistungsberechtigten Mitglieder und die dabei vom Kläger gerügte Differenzierung zwischen den Aktiven und den Passiven in der Satzung verstoßen nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG). Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55 mwN; BVerfGE 117, 316 = SozR 4-2500 § 27a Nr 11; stRspr BSGE 99, 95 = SozR 4-2500 § 44 Nr 13, RdNr 26 mwN). Verboten sind Differenzierungen ohne hinreichenden sachlichen Grund (vgl BVerfGE 92, 53, 71 = SozR 3-2200 § 385 Nr 6 S 21 = DStR 2000, 1353 mit Anm Schlegel; BVerfGE 102, 127 = SozR 3-2400 § 23a Nr 1; vgl zum Ganzen BSGE 109, 230 = SozR 4-2500 § 53 Nr 2, RdNr 15; BSGE 96, 246 = SozR 4-2500 § 47 Nr 4, RdNr 29). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Art 3 Abs 1 GG gebietet nicht nur, dass die Ungleichbehandlung an ein der Art nach sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungskriterium anknüpft, sondern verlangt auch für das Maß der Differenzierung einen inneren Zusammenhang zwischen den vorgefundenen Verschiedenheiten und der differenzierenden Regelung, der sich als sachlich vertretbarer Unterscheidungsgesichtspunkt von hinreichendem Gewicht erweist (vgl BVerfGE 124, 199, 220; 129, 49, 68 f; BVerfG Beschluss ≪Kammer≫ vom 3.6.2013 - 1 BvR 131/13 ua - Juris RdNr 12 mwN). Dabei gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl BVerfGE 75, 108, 157; 126, 400, 416; 129, 49, 69; BVerfG Beschluss ≪Kammer≫ vom 3.6.2013 - 1 BvR 131/13 ua - Juris RdNr 13 mwN).
Das BVerfG gesteht dem Normgeber generell auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts wegen der fortwährenden schnellen Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zu, die nur einer eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl BVerfGE 81, 156, 205 = SozR 3-4100 § 128 Nr 1 S 18). Speziell die Regelung der hier betroffenen KV-Mehrleistungen kraft Satzung unterliegt wegen des fakultativ-ergänzenden Charakters der Leistungen sehr weiten Gestaltungsgrenzen. Bereits der Pflichtleistungskatalog der GKV (vgl § 2 Abs 1 S 1, § 12 Abs 1 SGB V) enthält alle für die Versicherten notwendigen Leistungen, die der Gesetzgeber nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zurechnet. Zudem steht es den berechtigten Mitgliedern offen, jederzeit zum Ablauf des Folgemonats die Mehrleistungsberechtigung insgesamt oder in einem ihrer beiden Teile (Chefarztbehandlung; Zweibettzimmer) mit ihrer finanziellen Last zu beenden (vgl § 59 Abs 4 S 1 Buchst b und c Satzung 2009).
Ausgehend von diesem Prüfmaßstab durfte die Beklagte zunächst an das - wie dargelegt schon historisch verfolgte - Grundprinzip der kostendeckenden Umlage durch die Zahlungen der mehrleistungsberechtigten Mitglieder anknüpfen. Es ordnet sachgerecht der Gruppe der durch Mehrleistungen Begünstigten die erwarteten Kosten der Begünstigung zu. Die Beklagte durfte zudem in ihrer Satzung 2009 in der dargestellten Art und Weise für die Gruppe der Aktiven einkommensunabhängige Prämien in altersabhängigen Stufen (erste Stufe 0 bis 19 Jahre, anschließend jeweils Fünf-Jahres-Schritte bis 64 Jahre) vorsehen und für die Gruppe der Passiven einkommensabhängige Monatsprämien (in Stufen von jeweils 499,99 Euro bis 3500 Euro und mehr). Zwischen beiden Gruppen bestehen Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen. Sie betreffen vorrangig das unterschiedliche Morbiditätsrisiko, aber auch nachrangig den unterschiedlichen Wechsel der Einkommensverhältnisse und der Leistungsfähigkeit in den betroffenen Gruppen.
Die Beklagte berücksichtigte rechtmäßig das unterschiedliche Morbiditätsrisiko zwischen den Gruppen. Es spiegelte sich bereits zuvor bis Ende 2008 in den unterschiedlichen Beitragssätzen wider, die für die Aktiven bei 1,4 vH gegenüber 4,5 vH der in der KV beitragspflichtigen Einnahmen der Passiven lagen. Der Normgeber - auch der Satzungsgeber - ist von Verfassungs wegen berechtigt, jüngere Krankenversicherte von der Finanzierung des höheren Aufwands für Rentner zu entlasten und die Rentner entsprechend ihrem Einkommen grundsätzlich verstärkt zur Finanzierung heranzuziehen (BVerfG SozR 3-2500 § 248 Nr 6 S 30; BVerfG SozR 4-2500 § 229 Nr 5 RdNr 34; zustimmend zB BSG Urteile vom 10.5.2006 - B 12 KR 7/05 R, B 12 KR 21/05 R und B 12 KR 23/05 R - jeweils Juris RdNr 22 mwN). Hier berücksichtigte die Beklagte zugleich durch die Anknüpfung an die - individuell unterschiedlich hohen - konkreten Einkommen in der Gruppe der Passiven auch deren sozialen Schutz und ermöglichte den Solidarausgleich innerhalb ihrer Gruppe entsprechend der finanziellen Leistungsfähigkeit. Die Beklagte trug zudem dem Morbiditätsrisiko innerhalb der Gruppe der Aktiven durch die entsprechend ansteigende Prämienhöhe der Altersklassen Rechnung.
Die gewählte Klassifizierung der Versichertengruppen nach Altersklassen bei Aktiven und Einkommensklassen bei Passiven vermeidet zudem kostenträchtigen Verwaltungsaufwand. Die Altersklassen sind leicht und ökonomisch festzustellen. Das wird auch regelmäßig für die gestuften Einkommensklassen bei den Passiven gelten. Die Erwartung der Beklagten erscheint nachvollziehbar, dass demgegenüber bei den Aktiven, insbesondere bei Arbeitnehmern, in Anbetracht ihrer Berufstätigkeit vielfältige kurzfristige Änderungen ihrer Einkommensverhältnisse typischerweise eher zu erwarten sind als bei der anderen Versichertengruppe der Passiven.
Die Beklagte konnte auch sachlich davon ausgehen, dass die einkommensbezogene Leistungsfähigkeit der Aktiven wegen ihrer geringeren Belastung durch die Monatsprämien eine eher unwesentliche Rolle spielt, auch wenn diese morbiditätsorientiert altersgestuft ansteigen. Die Beklagte durfte aufgrund ihrer Kenntnisse der Strukturen der Gruppe der Begünstigten demgegenüber annehmen, dass bei den Passiven die Leistungsfähigkeit entsprechend dem Solidargedanken stärker zu berücksichtigen ist, um dort allen Berechtigten Versicherungsschutz zu noch tragbaren Bedingungen anbieten zu können. Rein altersabhängige Prämien würden dies jedenfalls tendenziell ausschließen.
bb) Sowohl die Schließung des Mehrleistungssystems der Beklagten für neue Versicherte zum 1.4.2007 (vgl § 173 Abs 2a SGB V; dazu aaa) als auch die Umstellung auf ein Prämiensystem, das zwischen Aktiven und Passiven differenziert (dazu bbb), verstößt nicht gegen verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz, abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den betroffenen Grundrechten (vgl dazu Hauck in Deutsches Anwaltsinstitut, 25. Jahresarbeitstagung Sozialrecht, 2013, Vertrauensschutz in der Rechtsprechung im sozialrechtlichen Beitrags- und Leistungsrecht, unter II. 1. b) aa) bei Fn 6), hier Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG. Der Kläger kann sich gegenüber der Beklagten dagegen schon im Ansatz nicht auf Vertrauensschutz wegen Wegfalls der Zuschüsse zu den Beiträgen von APG-Empfängern durch das BAFA berufen (dazu ccc).
aaa) Die Schließung des Mehrleistungssystems ist ein Fall unechter Rückwirkung. Eine unechte Rückwirkung - oder tatbestandliche Rückanknüpfung - liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Sie ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig (vgl zB BVerfGE 30, 392, 402 f, stRspr). Jedoch können sich aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Das ist dann der Fall, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl statt Vieler BSG SozR 4-5562 § 8 Nr 1 RdNr 28 mwN). Leistungsbegrenzende Rechtsänderungen sind verfassungsrechtlich mit Wirkung für die Zukunft zulässig, sofern sie nicht verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen in die Aufrechterhaltung des zuvor geltenden Rechts verletzen, etwa den KV-Schutz der GKV insgesamt entwerten (vgl zB BSGE 100, 221 = SozR 4-2500 § 62 Nr 6, RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 58 Nr 1 RdNr 20 f; BVerfGE 69, 272, 309 f = SozR 2200 § 165 Nr 81 S 132, alle mwN; Schlegel, Übergangsrecht, VSSR 2004, 313 ff mwN; Hauck in Deutsches Anwaltsinstitut, 25. Jahresarbeitstagung Sozialrecht, 2013, Vertrauensschutz in der Rechtsprechung im sozialrechtlichen Beitrags- und Leistungsrecht, unter II. 1. b) aa) bei Fn 13).
Nach diesen Grundsätzen durfte der Gesetzgeber das Mehrleistungssystem der Beklagten für neue Versicherte zum 1.4.2007 schließen. Die Regelung diente - wie bereits dargelegt - der Öffnung der Beklagten für alle Versicherten unter Vermeidung ungerechtfertigter Wettbewerbsvorteile. Der Ausschluss neuer Versicherter vom Zugang zum Mehrleistungssystem war hierzu erforderlich. Die Schließung schafft die Zusatzleistungen nicht übergangslos ab, sondern führt schrittweise zu einer Verteuerung der Mehrleistungsberechtigung. Sie ist weit davon entfernt, den KV-Schutz der GKV insgesamt oder auch nur in der Gruppe der Mehrleistungsberechtigten zu entwerten. Die Beklagte konnte aus den vorgenannten Gründen die günstige Versicherungsmöglichkeit in eine andere Versicherungsalternative umgestalten, die aber der Gruppe der Mehrleistungsberechtigten und auch der Untergruppe der Passiven weiterhin eine angemessene Sicherung ermöglicht.
bbb) Auch die Umstellung ab 1.1.2009 auf ein Prämiensystem, das zwischen Aktiven und Passiven differenziert, verstößt nicht gegen verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz. Die schlichte Erwartung, das geltende Recht werde auch in der Zukunft unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt (vgl zB BVerfGE 68, 193, 222; 105, 17, 40; 109, 133, 180 f; BVerfGE 128, 90 = SozR 4-1100 Art 14 Nr 23, RdNr 43). Überlässt der Gesetzgeber Versicherungsträgern die Ausgestaltung von Leistungsrechten kraft Satzung, schließt dies die Befugnis zur Umgestaltung und Abschaffung der Rechte mit Wirkung für die Zukunft unter Berücksichtigung der materiellen Anforderungen an Vertrauensschutz ein. Es kann generell kein Schutz des Vertrauens darauf anerkannt werden, dass das Satzungsrecht für alle Zukunft unverändert so bestehen bleiben wird, wie es bei der Begründung einer Mitgliedschaft bestand (vgl BSG Urteil vom 30.5.2006 - B 1 KR 15/05 R - USK 2006-32; Hauck in Deutsches Anwaltsinstitut, 25. Jahresarbeitstagung Sozialrecht, 2013, Vertrauensschutz in der Rechtsprechung im sozialrechtlichen Beitrags- und Leistungsrecht, unter II. 3. b) aa) bei Fn 100). Bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe muss aber die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleiben (vgl BVerfGE 127, 1, 18). So liegt es hier. So wenig sich Vertrauensschutz auf den dauerhaften Bestand der Ausgestaltung von Leistungsrechten kraft Satzung gründen kann, so wenig gilt dies für die Regelungen über die Finanzierung von Gestaltungsleistungen kraft Satzung.
ccc) Der Wegfall der Zuschüsse zu den Beiträgen von APG-Empfängern durch das BAFA berührt nicht das Rechtsverhältnis des Klägers zur Beklagten. Er beruht ausschließlich darauf, dass das BAFA die Zuschüsse lediglich für Beiträge zur GKV gewähren darf (vgl Anm 4.2 Richtlinien über die Gewährung von APG an Arbeitnehmer des Steinkohlenbergbaus vom 25.10.2005, BAnz 2005 Nr 218 S 16032 vom 18.11.2005; ebenso die nachfolgende Fassung vom 12.12.2008, BAnz 2008 Nr 196 S 4697 vom 24.12.2008, mWv 1.1.2009). Die Zuschüsse sind kein Bestandteil der Mehrleistungsfinanzierung, die die Beklagte regelte. Es bedarf dementsprechend keiner Beiladung (§ 75 SGG) des BAFA.
e) Die hierfür zuständige Beklagte setzte die Prämien für 2009 gegenüber dem Kläger formell rechtmäßig fest. Insbesondere hörte sie den Kläger zur beabsichtigten Umstellung der Finanzierung des Mehrleistungsanspruchs durch das an alle Mehrleistungsberechtigten gerichtete Rundschreiben von November 2008 ausreichend "zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen" an (§ 24 Abs 1 SGB X). Sie informierte ihn hierdurch und mittels der bereits dargelegten Bekanntmachung der Satzung über die sachlichen und zeitlichen Einzelheiten der Umstellung des Mehrleistungsanspruchs auf Prämienfinanzierung sowie ihre Gründe und Auswirkungen auf die individuelle Prämienberechnung.
f) Die Prämienfestsetzung ab 1.2.2009 gegenüber dem Kläger war auch materiell rechtmäßig. Die Beklagte setzte ordnungsgemäß eine einkommensabhängige Prämie anstelle des bisher erhobenen Beitrags fest. Der Kläger war iS des § 59 Satzung 2009 mehrleistungsberechtigt. Die Beklagte qualifizierte ihn wegen des Bezuges einer Rente für Bergleute zutreffend als "Passiven". Sie berechnete in Einklang mit § 59 Abs 5 S 3 nebst Anl 11 Satzung 2009 einkommensabhängig eine monatliche Prämie in Höhe von 52,38 Euro.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 5961966 |
SGb 2013, 519 |