Entscheidungsstichwort (Thema)
Stammrechte auf Altersrente und Einzelansprüche hieraus – verspätete Antragstellung – Verjährung
Leitsatz (amtlich)
1. Stammrechte auf Rente wegen Alters und Einzelansprüche hieraus entstehen als eigentumsgrundrechtlich geschützte Rechte kraft Gesetzes, ohne daß es hierfür oder für die Fälligkeit der Einzelansprüche auf einen Antrag oder eine Verwaltungsentscheidung ankommt (Weiterführung ua von BSG vom 1.7.1970 – 4 RJ 13/70 = SozR Nr 55 zu § 1248 RVO; BSG vom 18.12.1986 – 4a RJ 73/85 = BSGE 61, 108 = SozR 2200 § 1269 Nr 3; BSG vom 23.6.1994 – 4 RA 70/93 = SozR 3-2600 § 300 Nr 3; BSG vom 27.2.1997 – 4 RA 104/95 = SozR 3-2600 § 315 Nr 1).
2. Der den verwaltungstechnischen „Rentenbeginn” als Zahlungsbeginn festlegende materiellrechtliche Einwand der späten Antragstellung nach Ablauf von drei Monaten seit der Entstehung des Stammrechts hat nur einzelanspruchsvernichtende Bedeutung (Weiterführung ua von BSG vom 18.12.1986 – 4a RJ 73/85 = BSGE 61, 108 = SozR 2200 § 1269 Nr 3; BSG vom 23.6.1994 – 4 RA 70/93 = SozR 3-2600 § 300 Nr 3).
3. Der materiell-rechtliche (einzel-)anspruchsvernichtende Einwand der Nachleistungsbegrenzung auf vier Jahre konkretisiert auch in der Angestelltenversicherung keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz und ist nicht „analogiefähig” (Weiterführung ua von BSG vom 26.5.1987 – 4a RJ 49/86 = BSGE 62, 10 = SozR 2200 § 1254 Nr 7; Aufgabe von BSG vom 9.9.1986 – 11a RA 28/85 = BSGE 60, 245 = SozR 1300 § 44 Nr 24, von BSG Urteil vom 9.9.1986 – 11a RA 10/86 – und von BSG vom 21.1.1987 – 1 RA 27/86 = SozR 1300 § 44 Nr 25).
Stand: 9. April 2001
Normenkette
SGB VI §§ 33, 35, 99 Abs. 1; SGB I §§ 40, 45; GG Art. 14 Abs. 1; RVO § 1248 Abs. 5, § 1545; SGB X § 44 Abs. 4; SGB VI § 300 Abs. 4; AVG § 67 Abs. 1 S. 1; RVO § 1290 Abs. 1 S. 1; AVG § 25 Abs. 5
Beteiligte
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte |
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Juli 1999 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, für welchen Monat die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) erstmals einen Zahlungsanspruch der Klägerin aus ihrem Recht auf Regelaltersrente (RAR) erfüllen muß.
Die am 1. November 1924 geborene Klägerin beantragte am 15. Dezember 1997, ihr wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. November 1989 Altersrente zu leisten. Die BfA bewilligte ihr wiederkehrende Geldzahlungen als RAR ab 1. Januar 1993; sie lehnte Zahlungen für frühere Leistungszeiträume ab, weil – wie sich aus § 44 Abs 4 SGB X ergebe – Sozialleistungen längstens bis zu vier Jahren vor Beginn des Jahres der Antragstellung erbracht werden dürften (Bescheid vom 24. März 1998; Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 1998). Das Sozialgericht (SG) Aachen hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Altersrente ab 1. Januar 1992 zu leisten; es hat die Klage im übrigen abgewiesen (Urteil vom 30. Oktober 1998). Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung der BfA zurückgewiesen (Urteil vom 23. Juli 1999) und folgendes ausgeführt: Die Klägerin habe – wie sich aus dem Antragserfordernis des § 99 Abs 1 Satz 2 SGB VI ergebe – Rente erst ab Dezember 1997 beanspruchen können. Die BfA habe aber im Grunde zu Recht anerkannt, daß der Klägerin ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zustehe. Denn sie habe eine am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Beratungspflicht verletzt, die aus § 115 Abs 6 SGB VI herzuleiten sei. Die Klägerin sei daher so zu stellen, als hätte sie den Antrag am 1. Januar 1992 gestellt. Dem stehe der sachlich nicht einschlägige Leistungsausschlußgrund des § 44 Abs 4 SGB X nicht entgegen; dieser enthalte keinen die Verjährungsvorschrift des § 45 Abs 1 SGB I verdrängenden Grundgedanken. Die Einrede der Verjährung habe die Beklagte ausdrücklich nicht erhoben.
Die Revision erhebt die Sachrüge, das Berufungsgericht habe zu Unrecht die Begrenzung der Nachgewährung von Sozialleistungen (§ 44 Abs 4 SGB X) nicht beachtet.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Juli 1999 aufzuheben sowie das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 30. Oktober 1998 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die BfA hat auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung bestätigt, sie habe die Verjährungseinrede (§ 45 SGB I) nicht erhoben und mache Verjährung nicht geltend.
II
Die zulässige Revision der BfA ist unbegründet. Zwar ergeben die Entscheidungsgründe des LSG eine (nicht gerügte) Verletzung von Bundesrecht; die Zurückweisung der Berufung der BfA stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar; deren Revision war daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das SG hat die Entscheidung der BfA, die monatlichen Zahlungsansprüche der Klägerin aus ihrem Recht auf Regelaltersrente frühestens ab 1. Januar 1993 zu erfüllen, im Ergebnis zu Recht aufgehoben und die BfA zutreffend verurteilt, die wiederkehrenden Geldzahlungen schon für frühere Einzelansprüche zu erbringen. Soweit das SG allerdings die Zahlungspflicht für die Einzelansprüche der Klägerin verneint hat, die vor dem 1. Januar 1992 entstanden und fällig geworden waren, und soweit es deshalb die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) abgewiesen hat, ist das Urteil des SG rechtskräftig und ist deshalb der Streit insoweit nicht Revisionsgegenstand geworden.
A. Die Entscheidung des LSG ist aus folgenden Gründen im Ergebnis richtig:
Die Klägerin hat mit Vollendung des 65. Lebensjahres am 1. November 1989 kraft Gesetzes ein als ihr Eigentum iS des Art 14 Abs 1 GG geschütztes (Voll-)Recht auf Regelaltersrente erworben (früher Altersruhegeld genannt; zum Sprachgebrauch siehe § 300 Abs 4 Satz 2 SGB VI). Dieses sozialversicherungsrechtliche subjektive vermögenswerte Recht ist so, wie es die inhaltsbestimmenden Normen des AVG ausgestaltet haben, das Grundrecht der Klägerin. Eigentumsgrundrechtlicher Kerngehalt dieses Rechts ist, soweit es seine leistungsrechtlichen Rechtsfolgen betrifft, die Rechtsmacht, vom verpflichteten Rentenversicherungsträger monatlich wiederkehrende Geldzahlungen („Rente”) zu verlangen. Aus diesem Grundrecht entstehen daher als dessen bestimmungsgemäßen Rechtsfrüchte (§ 99 Abs 2 BGB) Monat für Monat jeweils einzelne Zahlungsansprüche (sog Einzelansprüche) und zwar jeweils in Höhe des Wertes des Vollrechts auf Rente (verwaltungstechnisch als „Monatsbetrag der Rente” bezeichnet – § 64 SGB VI). Auch diese Einzelansprüche sind jeweils als solche „Eigentum” der Versicherten iS von Art 14 Abs 1 GG.
Der erste Einzelanspruch der Klägerin ist zum Ablauf des Monats November 1989 entstanden und fällig geworden (§§ 40 Abs 1, 41 SGB I, § 67 Abs 1 Satz 1 AVG). „Fälligkeit” bedeutet auch im Angestelltenversicherungsrecht den Zeitpunkt, von dem ab der Gläubiger die Leistung als eine jetzt zu erbringende verlangen kann. Das besagt: Die Klägerin hatte seit dem 1. November 1989 das eigentumsgrundrechtlich geschützte Recht, erstmals zum Ablauf des November 1989 und seither ununterbrochen für jeden Kalendermonat von der BfA Zahlung eines Betrages in Höhe des Wertes ihres Rechts auf Rente zu verlangen (ggf abzüglich von Verrechnungs- oder Aufrechnungsbeträgen oder zuzüglich von Rechten auf „Zusatzleistungen”). Durch ihren Antrag hatte sie im Dezember 1997 den Eintritt der (potestativen) Feststellbarkeits- und dadurch der (faktischen) Erfüllbarkeitsbedingung der Geltendmachung des subjektiven Rechts auf Rente („Antrag”) herbeigeführt. Nunmehr mußte die Beklagte das Recht auf Rente feststellen und die Einzelansprüche erfüllen, da (einzel-)anspruchsvernichtende Einwände dem nicht entgegenstanden. Der Antragseinwand des § 99 Abs 1 SGB VI gilt nicht, wenn das Recht auf RAR vor dem 1. Januar 1992 entstanden ist, die Nachzahlungsbegrenzung des § 44 Abs 4 SGB X ist bei der Erstfeststellung von Leistungsrechten nicht anwendbar. Die BfA hat dauerhafte Einreden (hier: Verjährung – § 45 SGB I) nicht erhoben. Zwar lagen im Blick auf die Einzelansprüche der Klägerin für die Leistungsmonate von Dezember 1989 bis Ende 1992 die tatbestandlichen Voraussetzungen der Verjährung (§ 45 SGB I) vor; die Beklagte hat aber ihr Ermessen in der Frage, ob sie diese Einrede erheben wolle, zugunsten der Klägerin betätigt und die Einrede nicht erhoben. Das LSG durfte die Rechtmäßigkeit dieser Ermessensbetätigung schon deshalb nicht prüfen, weil subjektive Rechte der Klägerin durch sie nicht einmal möglicherweise verletzt sein könnten (§ 54 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 2 SGG iVm Art 19 Abs 4 Satz 1 GG). Anspruchsvernichtende Rechtsänderungen sind seit 1989 nicht eingetreten. Eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage dafür, der Klägerin (ihr Grundrecht auf Altersrente und) die Einzelansprüche für die Zeit von Dezember 1989 bis zum Ablauf des Jahres 1992 zu entziehen, hat die BfA auch auf Befragen nicht angegeben; eine solche ist auch nicht ersichtlich.
Demgemäß war der Verwaltungsakt, die Erfüllung der vor 1993 entstandenen Einzelansprüche zu versagen, ein ungerechtfertigter Grundrechtseingriff, der zu Recht aufgehoben worden ist. Die Beklagte ist ferner zutreffend durch ein nach § 201 SGG vollstreckbares Grundurteil (iS des § 130 Satz 1 Regelung 1 SGG) zur Erfüllung jedenfalls der noch offenen Forderungen der Klägerin ab 1. Januar 1991 verurteilt worden.
B. Das Vorbringen der BfA gegen diese Rechtslage greift nicht durch.
Sie meint, die Klägerin habe durch § 99 Abs 1 des zum 1. Januar 1992 in Kraft gesetzten SGB VI grundsätzlich alle Einzelansprüche verloren, die nach „alter” Rechtslage des AVG vor dem Monat der Antragstellung (Dezember 1997) entstanden wären. Denn durch § 99 Abs 1 SGB VI, der auch auf Rechte und Ansprüche anzuwenden sei, die schon vor dem Inkrafttreten des SGB VI bestanden hätten, seien auch das Recht auf RAR oder zumindest die monatlichen Einzelansprüche hieraus antragsabhängig geworden. Dies bedeute: Im Zeitpunkt des Antragseingangs sei nach der dann bestehenden Rechtslage von der Verwaltung zu entscheiden, ob dem Petenten überhaupt und in welcher Höhe vom Hoheitsträger Leistungen zu gewähren seien (sog Rentenbeginnprinzip). Deshalb könne die Klägerin Zahlung für Zeiträume vor Dezember 1997 nur aufgrund des – von der BfA zugestandenen – sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs verlangen, weil die Hinweispflicht auf das Antragserfordernis bei der RAR verletzt worden sei. Wegen des Herstellungsanspruchs müsse die Klägerin zwar grundsätzlich so gestellt werden, als hätte sie den Antrag im Januar 1992 gestellt; jedoch stehe Rentenzahlungen für Zeiten vor dem 1. Januar 1993 – entgegen dem LSG – der Leistungsausschlußgrund des § 44 Abs 4 SGB X entgegen, so daß nur für das Antragsjahr und die vier davorliegenden Jahre zu zahlen sei.
Das positive geschriebene Verfassungs- und Gesetzesrecht stützte diese Ansicht nicht. Die BfA hat nicht beachtet, daß
- die eigentumsgrundrechtlich geschützten („Rentenanwartschaften” und) Vollrechte auf Rente unmittelbar kraft Gesetzes des Deutschen Bundestages (AVG, SGB VI) entstehen und insoweit von keiner Antragstellung und von keiner Verwaltungsentscheidung abhängig sind,
- auch die Einzelansprüche aus den subjektiven Stammrechten auf Rente unmittelbar kraft Gesetzes als deren Rechtsfrüchte entstehen und fällig werden und insoweit ebenfalls von keinem Antrag und von keiner Verwaltungsentscheidung abhängen,
- für das Entstehen und den Bestand von Rechten und Einzelansprüchen, die auf Leistungszeiträume bis zum Ablauf des Jahres 1991 bezogen sind, nur das AVG materiell-rechtlich wirksam ist, und daß nach dem AVG der Beginn der wiederkehrenden Geldzahlungen („Rentenbeginn”) bei Ansprüchen aus einem Recht auf RAR nicht von einem Antrag abhängig ist,
- das SGB VI materiell-rechtliche Wirksamkeit für Rechte und Einzelansprüche bezogen auf Bezugszeiträume vor dem 1. Januar 1992 ausschließlich in den in Art 85 Abs 2 ff RRG 1992 abschließend geregelten Fällen beansprucht,
- die Erstreckung des (im übrigen im Vergleich mit § 67 Abs 1 und 2 AVG bei Rechten aus eigener Versicherung unverändert ausgestalteten) anspruchsvernichtenden Antragseinwandes auf Einzelansprüche aus einem Recht auch auf RAR durch § 91 Abs 1 SGB VI nur auf Einzelansprüche anwendbar ist, die ab dem 1. Januar 1992 entstanden sind,
- der sachliche Geltungsbereich des § 99 Abs 1 SGB VI keine Rechte auf RAR erfaßt, deren erster dem Antragseinwand nicht ausgesetzter Einzelanspruch vor dem 1. Januar 1992 entstanden ist,
- der anspruchsvernichtende Leistungsausschlußgrund des § 44 Abs 4 SGB X Geltung nur hat, soweit ein „belastender” Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben worden ist und aufgrund dessen in der Vergangenheit entstandene und fällig gewordene Ansprüche nach deren (Neu-)Feststellung noch zu erfüllen sind.
Der Senat beschränkt sich auf folgende Hinweise:
1. Für die rechtliche Beurteilung der Frage, ob Versicherte vor dem 1. Januar 1992 ein gegen ihren Rentenversicherungsträger gerichtetes (Voll-)Recht auf Rente und Einzelansprüche hieraus und damit entsprechende Grundrechte erworben hatten, kommt es allein auf das damals materiell-rechtlich wirksame Recht des AVG an (stRspr des Senats seit seinen Urteilen vom 25. Februar 1992, SozR 3-2600 § 300 Nr 1 = SozR 3-6050 Art 46 Nr 5 und BSGE 70, 138 = SozR 3-2600 § 300 Nr 2 = SozR 3-6180 Art 13 Nr 2).
Das RRG 1992 idF durch das RÜG hat in seinem Art I das SGB VI im wesentlichen und in den hier maßgeblichen Teilen durch Art 85 Abs 1 RRG 1992 zum 1. Januar 1992 in Kraft gesetzt. Es hat in Art 83 Nr 1 RRG 1992 ausdrücklich iS von Art 82 Abs 2 GG bestimmt, daß das AVG für die materiell-rechtliche Rechtslage zwischen den Versicherten und ihren Rentenversicherungsträgern bis zum Ablauf des Jahres 1991 maßgeblich bleibt (stellv BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 3 und Urteil vom 22. Februar 1995 – 4 RA 88/94 –).
Soweit das SGB VI im Vergleich zur materiellen Rechtslage vor seinem Inkrafttreten am 1. Januar 1992 Rechtsänderungen (nicht bloße Textänderungen – dazu § 300 Abs 4 Satz 2 SGB VI) eingeführt hat, berührt dies den Bestand und Wert der vorher entstandenen und auf Leistungsmonate vor dem 1. Januar 1992 bezogenen Rechte und Einzelansprüche der Versicherten nicht. Anders verhält es sich nur, soweit das RRG 1992 selbst für bestimmte Normen einen früheren Beginn seiner eigenen materiell-rechtlichen Wirksamkeit oder sogar eine – nur ausnahmsweise verfassungsrechtlich zulässige – „echte” Rückwirkung selbst angeordnet hat. Eine solche Rückbewirkung von Rechtsfolgen („echte” Rückwirkung) liegt nur vor, soweit das Inkrafttreten (dh der Beginn der materiell-rechtlichen Wirksamkeit) des Gesetzes auf einen Zeitpunkt vor seiner Verkündung (dh vor Eintritt seiner äußeren Wirksamkeit) festgesetzt ist. Diese Ausnahmefälle sind in Art 85 Abs 2 ff RRG 1992 abschließend geregelt. In allen anderen Fällen beansprucht das SGB VI ausdrücklich keine innere (materiell-rechtliche) Wirksamkeit für Rechte und Ansprüche, die auf Leistungszeiten vor dem 1. Januar 1992 bezogen sind. Insbesondere enthält das RRG 1992 keine (ggf verfassungswidrige) Ermächtigung für Verwaltung oder Rechtsprechung, im Einzelfall Rechtsfolgen des SGB VI auf Ansprüche und Rechte für Beitrags- oder Leistungszeiten vor dem 1. Januar 1992 rückzubewirken und dadurch in Grundrechte einzugreifen oder willkürliche Begünstigungen zu verteilen. Das bedeutet: Die eigentumsgrundrechtlich geschützten Rechte und Einzelansprüche der Versicherten für Bezugszeiten vor dem 1. Januar 1992 werden von dem zeitlichen Geltungsbereich des SGB VI nicht erfaßt; sie bleiben daher insoweit unverändert nach Maßgabe des AVG bestehen (stellv BSG SozR 3-2600 § 300 Nrn 7, 10).
Aus diesem Grunde entfällt – wie § 300 Abs 4 Satz 1 SGB VI die Verfassungsrechtslage deklaratorisch umschreibt – „der Anspruch auf Leistung, der am 31. Dezember 1991 bestand, nicht allein deshalb, weil die Vorschriften, auf denen er beruht, durch Vorschriften dieses Gesetzbuches ersetzt worden sind”. Falls und soweit mit dem „neuen Gesetz” überhaupt inhaltlich „neues Recht” gesetzt wurde, erfaßt es also die Rechte und Ansprüche, die vorher bestanden haben, (auch verfassungsrechtlich) notwendig erst vom Zeitpunkt seines eigenen Inkrafttretens an, wie § 300 Abs 1 SGB VI ausdrücklich bestätigt.
In den Dauerrechtsverhältnissen der gesetzlichen Rentenversicherung sind alle Einzelansprüche (auf Renten und auf Beiträge) ua notwendig auf bestimmte Zeitabschnitte (Tage oder Kalendermonate) bezogen. „Neues” Recht (also jede Rechtsänderung) erfaßt damit solche Einzelansprüche (auf Renten oder auf Beiträge), die ab seinem Inkrafttreten entstehen, bereits bestehende Rechte aber nur, soweit sie „für” Zeiten nach dem Beginn der materiell-rechtlichen Wirksamkeit der Rechtsänderung bestehen (vgl auch Senatsurteil vom 30. Juni 1997 – 4 RA 2/97 – und SozR 3-2600 § 295a Nr 1).
Allerdings weist die BfA zutreffend darauf hin, daß § 300 Abs 1 SGB VI nicht nur eine Wiederholung der verfassungsrechtlichen Inkrafttretensanordnung, sondern selbst auch eine an sich lediglich sog Richterrecht aufhebende „Rechtsänderung” enthält. Die Bestimmung läßt im „Grundsatz” (so die Überschrift aaO) und unter Aufgabe des (bis Ende 1991 nach Richterrecht maßgeblichen) sog Versicherungsfallprinzips eine sog unechte Rückwirkung, dh eine tatbestandliche Rückanknüpfung, zu, dies jedoch – was die BfA nicht beachtet – ausdrücklich eben nur „von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an”. Damit enthält § 300 Abs 1 SGB VI eine Normenkonkurrenzregel, die an die Stelle des bis dahin richterrechtlich entwickelten (vermeintlichen) Konkurrenzgrundsatzes des sog Versicherungsfallprinzips tritt (BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 3). Dies hat folgende Bedeutung:
Der (irreführend) „Versicherungsfallprinzip” genannte Grundsatz versuchte – nur für den Bereich der Rechte und Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung – im Kern vor allem folgendes (vermeintliches) Normenkonkurrenzproblem zu lösen: Welche Rechtsnormen sind in welchem Umfang für die Beurteilung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Versicherten und dem Verwaltungsträger maßgeblich, wenn aus der (nachträglichen) Sicht des „Rechtsanwenders” (der Verwaltung oder der Rechtsprechung) zwischen dem geltend gemachten Zeitpunkt der Entstehung des Rechts (Anspruches oder sonstigen subjektiven Rechtes) und dem Zeitpunkt der hoheitlichen Entscheidung (Verwaltungsakt, Urteil) ein neues Gesetz in Kraft getreten ist, das die für die Entscheidung zuvor maßgeblichen Rechtsnormen (nicht bloß: Gesetzestexte) inhaltlich (materiell-rechtlich) geändert hat?
Das (richterrechtliche) „Versicherungsfallprinzip” gab darauf im wesentlichen die folgende Antwort: „Die Anwendbarkeit einer Rentenrechtsnorm richtet sich nach dem Zeitpunkt, in dem der für den geltend gemachten Anspruch auf (höhere) Rente maßgebende Versicherungsfall eingetreten ist” (so der 1. Senat im Urteil vom 14. Juni 1984 – 1 RA 71/83 –, VdK Mitt 1984, Nr 12, 29). Für die Entscheidung des „Rechtsanwenders” (Verwaltung, Gericht) über die Entstehung, den Bestand und über den Wert des Rechts auf Rente, soweit dieser auf der persönlichen Rangstelle des Versicherten beruht, kommt es danach im Grundsatz auf das Recht an, das materiell-rechtlich in Kraft war, als der Versicherungsfall eintrat. Der Zeitpunkt des Versicherungsfalls ist gerade für die rechtliche Beurteilung der Bezugszeiten ab Inkrafttreten der Rechtsänderung entscheidend, die ohnehin für Zeiten davor Wirksamkeit nicht einmal beansprucht. Dieser Grundsatz war in keiner bestimmten, vom Parlament beschlossenen Gesetzesnorm festgeschrieben, sondern aus zwei verschiedenen Ansätzen hergeleitet worden. Dem „Versicherungsfallprinzip” lag zum einen eine Reihe von gesetzlichen Bestimmungen insbesondere des Übergangsrechts in Art 2 §§ 6 ff AnVNG (vgl auch § 25 Abs 6 AVG) zugrunde. Darin wurde das Inkrafttreten, also der Beginn der materiellen Wirksamkeit von Rechtsänderungen, stets mit Bezug auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalles unter zahlreichen Vor- und Rückdatierungen unübersichtlich und „kasuistisch” festgelegt. Es handelte sich insoweit um eine (empirische) Regel der Gesetzgebung, welcher der Deutsche Bundestag (faktisch) folgte, ohne rechtlich hieran gebunden zu sein. Zum anderen wurde das „Versicherungsfallprinzip” auf das Versicherungsprinzip gestützt, nach dem ua Rechte und Ansprüche mit bestimmtem Wert entstehen, sobald der haftungsbegründende Tatbestand vorliegt (Versichertenstatus, Vorversicherungszeit, Versicherungsfall ≪das geschützte Gut wird durch das versicherte Risiko in einem die Anspruchsschwelle überschreitenden Ausmaß beeinträchtigt≫; vgl dazu BSGE 78, 207, 208 = SozR 3-2600 § 43 Nr 13). Das „neue Recht” konnte somit grundsätzlich erst für Zeiten nach Bekanntgabe der Entscheidung des „Rechtsanwenders” (Verwaltung, Rechtsprechung) und nur unter Wahrung von „Besitzschutz”, also des nach „altem Recht” gegebenen Geldwertes des Rechts (Rentenhöhe) zum Tragen kommen (vgl stellv BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 7).
Dadurch wurde (richterrechtlich) auf der Ebene des „einfachen” Gesetzes ua ein über die rechtsstaatlichen Vorgaben des GG weit hinausgehendes Verbot jeder Rückwirkung des neuen Rechts begründet. Insbesondere war eine „unechte Rückwirkung” (also eine – verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässige – nur zukunftsgerichtete tatbestandliche Rückanknüpfung) auf den Bestand und den Wert des gegebenen subjektiven Rechtes und seiner Einzelansprüche für Leistungszeiträume auch nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts bis zur hoheitlichen Entscheidung (regelmäßig) unterbunden (soweit nicht spezialgesetzlich anderes bestimmt war). Ferner stand das „Versicherungsfallprinzip” in (wohl verfassungswidriger) Spannung zur Inkrafttretensregelung des Art 82 Abs 2 GG und zu dem demokratischen Grundsatz, daß themenidentisches späteres Recht in seinem zeitlichen Geltungsbereich das ältere Recht verdrängt (Art 20 Abs 1 und Abs 3 Halbsatz 1 GG). Auch ging dieser Grundsatz über die Vorgaben des Art 14 Abs 1 GG und über die Anforderungen des Versicherungsprinzips der Sozialversicherung weit hinaus, weil es grundsätzlich einen ausnahmslosen „Besitzschutz” vorsah. Schließlich berücksichtigte es nicht, daß rentenrechtliche Leistungsrechtsverhältnisse (wie spiegelbildlich die Beitragsverhältnisse) zeitlich untergliederte Dauerrechtsverhältnisse sind. Aus ihnen entstehen Monat für Monat jeweils neue Einzelansprüche auf Renten, die zeitabschnittsbezogen jeweils der Existenzsicherung der Berechtigten in einem bestimmten Kalendermonat dienen sollen. Daher können Rechtsänderungen ab ihrem Inkrafttreten die materiell-rechtlich bereits bestehenden Rechte und die seither entstehenden Einzelansprüche – kalendermonatlich – erfassen. Der „Rechtsanwender” kann somit ohne weiteres zeitabschnittsbezogen entscheiden und – wie § 300 Abs 1 SGB VI ausdrücklich vorsieht – „die neuen Vorschriften von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt oder Anspruch auch dann anwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt oder Anspruch bestanden hat”.
Die leistungsrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Versicherten und dem Rentenversicherungsträger werden (gemäß Art 82 Abs 2 GG) – entgegen dem „Versicherungsfallprinzip” – durch vom Deutschen Bundestag beschlossene materielle Rechtsänderungen grundsätzlich gerade ab ihrem Inkrafttreten neu gestaltet (BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 8). Allerdings können sich aus der Verfassung (bei ausnahmsweise verbotener „unechter” Rückwirkung) oder aus dem neuen Gesetz selbst „Ausnahmen von der Anwendung neuen Rechts” (so die Überschrift des Zweiten Abschnitts des Fünften Kapitels des SGB VI) für die Zeit ab seinem Inkrafttreten ergeben. Das SGB VI hat solche speziellen „Ausnahmen von der Anwendung neuen Rechts” für (Beitrags- und) Leistungszeiträume nach dem 31. Dezember 1991 im Wege eines statischen Verweises auf das mit Ablauf des Jahres 1991 außer Kraft getretene Recht des AVG unter bereichsspezifischen Modifikationen in § 300 Abs 2 bis 3b SGB VI und in den §§ 301 bis 319b SGB VI ausgestaltet.
Demgemäß muß die BfA aufgrund des im Dezember 1997 gestellten Rentenantrags der Klägerin rechtserkennend, nicht rechtsbegründend feststellen, ob die Klägerin im November 1989 kraft Gesetzes, also nach Maßgabe des AVG, ein Recht auf RAR mit einem bestimmten Geldwert erworben hatte, welche Einzelansprüche für Bezugsmonate ab Dezember 1989 noch nicht erfüllt waren, ob zum 1. Januar 1992 für Bezugsmonate danach (also ab Februar 1992) anspruchsvernichtende oder anspruchsmindernde Rechtsänderungen eingetreten und ggf ob ausnahmsweise die „alten” Rechtsnormen auch auf Bezugsmonate seit dem Januar 1992 weiter anzuwenden waren. Soweit danach Einzelansprüche noch nicht erfüllt waren, hatte sie ermessensfehlerfrei zu entscheiden, ob die Einrede der Verjährung erhoben werden sollte (vgl BSGE 79, 113 ff = SozR 3-5070 § 18 Nr 2 und SozR 3-2600 § 307a Nr 8). Hingegen war es ihr gesetzlich und verfassungsrechtlich schlechthin untersagt, vor dem 1. Januar 1992 entstandene Eigentumsgrundrechte der Klägerin zu entziehen, zu beschränken oder – wie hier – als nicht existent zu behandeln. Denn ein Gesetz wird – anders als die BfA meint – materiell-rechtlich nicht wirksam vor dem von ihm selbst angeordneten Beginn seiner materiell-rechtlichen Wirksamkeit („Inkrafttreten”).
Die Klägerin hat am 1. November 1989 ein (Voll-)Recht auf RAR und für Leistungszeiträume ab Dezember 1989 monatliche Einzelansprüche hieraus erworben. Nach § 25 Abs 5 AVG erhält eine Versicherte, die das 65. Lebensjahr vollendet und eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat, das (heute RAR) genannte Altersruhegeld. Keiner Darlegung bedarf, daß der Gesetzestext des § 25 Abs 5 AVG kein bloßes objektives Recht verlautbart hat. Es handelt sich vielmehr um den Kern einer Inhaltsbestimmung einer den Schutz der Versicherten bezweckenden (vgl § 38 SGB I) versicherungsrechtlichen Rechtsgrundlage für subjektive vermögenswerte Rechte mit der Rechtsqualität individueller Eigentumsgrundrechte (stellv BSGE 78, 138, 140 ff = SozR 3-2600 § 71 Nr 2). Mit der Erfüllung der tatbestandlichen Entstehungsvoraussetzungen dieses Rechts (Versicherteneigenschaft, Vorversicherungszeit, Eintritt des gesetzlichen Versicherungsfalles des Alters) war das – selbst schon eigentumsgrundrechtlich geschützte – Anwartschaftsrecht der Klägerin zum eigentumsgrundrechtlichen Vollrecht erstarkt, aus dem die Einzelansprüche kraft Gesetzes als grundrechtliches Eigentum der Klägerin entstanden. Hieran war die BfA gebunden (Art 1 Abs 3 GG).
2. Entgegen der Auffassung der BfA ist, dieses Eigentumsgrundrecht im November 1989, und nicht erst mit dem Antrag im Dezember 1997 (oder etwa vorher zu Beginn des Jahres 1992, nämlich wegen des Unterbleibens der Antragstellung aufgrund fehlender Beratung) entstanden. Denn die Entstehung eines eigentumsgrundrechtlich geschützten Rechts auf Rente und der Einzelansprüche hieraus erfolgte nach dem AVG und erfolgt auch unverändert nach dem SGB VI „kraft Gesetzes”. Dies geschieht jeweils im Zeitpunkt der Erfüllung des jeweils materiell-rechtlich wirksamen gesetzlichen Entstehungstatbestandes, also des sozialversicherungsrechtlichen Haftungstatbestandes (Versicherteneigenschaft, Vorversicherungszeit, Versicherungsfall) und der Wertbestimmungsvoraussetzungen (des § 64 SGB VI). Sie hing und hängt – entgegen der BfA – weder von einem „Antrag” also von der Geltendmachung des schon bestehenden subjektiven Rechts, noch von dem zufälligen Zeitpunkt ab, in dem die BfA im Einzelfall „das Recht anwendet”. Auch die BfA bestätigt der Sache nach, daß die Klägerin seit Ende November 1989 das Recht hatte, monatliche Zahlungen zu verlangen, indem sie den sonst unanwendbaren Herstellungsanspruch anerkannte, der einen sozialrechtlichen Rechtsverlust auf der gesetzlichen Primärebene voraussetzt.
Es ist der Entstehungsgeschichte des RRG 1992 an keiner Stelle auch nur ansatzweise zu entnehmen, daß es nach dem „Willen” des Deutschen Bundestages, welcher „der Gesetzgeber” ist, für die Entstehung von Rechten und Einzelansprüchen der Versicherten auf (Renten) ab 1992 nicht mehr auf den jeweiligen Zeitpunkt ankommen soll, in dem ein gesetzlicher Haftungstatbestand nach der objektiven vom Deutschen Bundestag selbst gestalteten materiell-rechtlichen Rechtslage erfüllt wurde. Insbesondere ist nicht erkennbar, daß der Deutsche Bundestag auch nur erwogen hätte, den Anwartschaftsrechtsinhabern ihr Recht auf Rente gerade im Augenblick des Erstarkens zum Vollrecht zu entziehen und es ihnen erst mit der Antragstellung wiederzugeben. Auch hat der Deutsche Bundestag ersichtlich nicht daran gedacht, den (Voll-)Rechten auf Rente den eigentumsgrundrechtlichen Schutz jedenfalls solange vorzuenthalten, bis der Bürger sein Recht geltend macht oder die Verwaltung darüber entscheidet. Dies stünde im Widerspruch ua zur verfassungsrechtlichen Bewertung der Rentenanwartschaften, deren Entstehung und Bestand notwendig ohne Antrag des Versicherten und ohne eine feststellende Entscheidung des Rentenversicherungsträgers eintritt. Sie sind bis zu ihrem Erstarken zum Vollrecht mit Erfüllung aller „Anspruchsvoraussetzungen” eigentumsgrundrechtlich geschützt. Der „Antrag” iS sowohl des AVG als auch des SGB VI ist nicht die Bitte um Gewährung hoheitlicher Wohltaten, sondern die Geltendmachung eines bestehenden individuellen Grundrechts (stellv Senatsurteil vom 29. Juni 2000 – B 4 RA 57/98 R – zur Veröffentlichung vorgesehen), der (berechtigte) Antrag setzt den (gegebenen oder absehbar eintretenden) Bestand des Rechtes voraus, begründet ihn aber nicht. Erst recht ist die Verwaltungsentscheidung darüber, ob ein vom Bürger geltend gemachtes Recht nach der objektiven Rechtslage besteht, kein dieses Recht begründender, sondern ein die objektiv vorgegebene Rechtslage konkretisierend feststellender Verwaltungsakt. Die BfA hat dem Bürger keine Rechte auf Rente zu gewähren, sondern nur deren Bestand oder Nichtbestand im Einzelfall hoheitlich festzustellen.
a) Die BfA weist allerdings zutreffend darauf hin, daß bis Ende 1991 die „Feststellung” und seither die „Erbringung” von „Leistungen” in der gesetzlichen Rentenversicherung – unverändert jedoch nicht die Entstehung und die Fälligkeit der Einzelansprüche hierauf – (grundsätzlich) „antragsabhängig” ist (§ 19 Satz 1 SGB IV, § 204 AVG iVm § 1545 Abs 1 Nr 3 RVO).
Nach „altem Recht” und nach „neuem Recht” hat der Antrag, also die Geltendmachung des subjektiven Rechts auf Rente, stets „verfahrensrechtliche” (manchmal zusätzlich auch „materiell-rechtliche”) Bedeutung. Eine Einleitung des Verwaltungsverfahrens zur Feststellung von Leistungsrechten des Versicherten darf (außer bei Umwandlung in ein Recht auf RAR nach § 31 Abs 2 Satz 1 Regelung 1 AVG, vgl BSG SozR 2200 § 1254 Nr 2; siehe heute § 115 Abs 3 Satz 1 SGB VI) nicht von Amts wegen erfolgen, sondern nur auf Antrag; die Entscheidung selbst ist ein mitwirkungsbedürftiger Verwaltungsakt. Diese Rechtsnormen gelten auch seit 1992 weiter (§ 18 Satz 2 Nr 2 SGB X iVm § 19 Satz 1 SGB IV und § 115 Abs 1 Satz 1 SGB VI). Für die materiell-rechtlich kraft Gesetzes entstandenen (Voll-)Rechte auf RAR bedeutet dies, daß der Antrag (bis Ende 1991 lediglich) eine Feststellbarkeitsbedingung ist. Für die hieraus vollgültig entstandenen und fällig gewordenen monatlichen Einzelansprüche ist der Antrag dadurch indirekt eine (faktische) Erfüllbarkeitsbedingung. Denn wegen des gesetzlichen Gebots, „Leistungen” nur auf Antrag durch Verwaltungsakt festzustellen, durfte und darf die BfA über Entstehung, Wert und Bestand dieser Rechte auf Renten nicht von Amts wegen hoheitlich entscheiden. Sie darf deswegen die Einzelansprüche erst dann erfüllen („Rente leisten”), wenn der Rechtsinhaber zuvor seinen Willen bekundet hat, sein die „Quelle” der Einzelansprüche bildendes subjektives Recht auszuüben, und wenn sie darüber entschieden hat. Daher war und ist der Antrag (faktisch) auch eine Erfüllbarkeitsbedingung (vgl zur „Erfüllbarkeitsbedingung” BGH NJW 2000, 2106 f ≪„Drittzustimmung”≫; BGHZ 143, 49, 53 ≪„Vorauszahlungsbefugnis”≫). Der Rechtsinhaber ist nicht verpflichtet, sein Recht auszuüben; der Schuldner, die BfA, war und ist nicht ermächtigt, dem Rechtsinhaber die „Wohltat” der Rente ohne oder gegen seinen Willen aufzudrängen.
Nach § 67 Abs 1 Satz 1 AVG hatte – bis Ende 1991 – der Antrag bei Rechten auf RAR – anders als bei Rechten auf Altersrente, bei denen der Versicherungsfall des Alters aus anderen Gründen („gewillkürt”) eingetreten war – ausschließlich die „verfahrensrechtliche” Bedeutung einer Feststellbarkeits- und Erfüllbarkeitsbedingung (Senatsurteil vom 30. Juni 1997 – 4 RA 2/97 –). Aus dieser „alten” Rechtslage konnte allerdings uU eine für die Versichertengemeinschaft unzumutbare Anhäufung von mangels Antrags noch nicht erfüllbaren Einzelansprüchen hervorgehen, die bei nach Jahren erfolgender Antragstellung von der BfA nur dadurch begrenzt werden konnte, daß sie die Einrede der Verjährung erhob.
Dieses Problem trat jedoch nur in den Fällen auf, in denen das Recht auf Altersrente auf dem gesetzlichen Regelfall des Versicherungsfalls des Alters beruhte, der den Versicherten ein Ausscheiden aus der seine Existenz sichernden Beschäftigung oder Tätigkeit ermöglichen soll, weil der weitere Einsatz der altersbedingt geminderten Erwerbsfähigkeit wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ihnen nicht mehr zugemutet wird (§ 25 Abs 5 AVG). Demgegenüber hatte der Antrag in den anderen Fallgruppen des Rechts auf Altersrente aus eigener Versicherung gemäß § 67 Abs 1 Satz 2 und 4 (und auf Renten wegen EU oder BU nach Abs 2) AVG nicht nur die verfahrensrechtliche Bedeutung der Feststellbarkeits- und Erfüllbarkeitsbedingung. Bei diesen Rechten auf Altersrente tritt der Versicherungsfall des Alters „gewillkürt” ein, nämlich durch die (von der Antragstellung zu unterscheidende ≪so schon BSGE 20, 48, 49 = SozR Nr 18 zu § 1248 RVO≫) Ausübung der Rechtsmacht, den Zeitpunkt selbst zu bestimmen, in dem die Anspruchsschwelle überschritten wird, weil der weitere Einsatz der altersbedingt geminderten Erwerbsfähigkeit vom Berechtigten selbst als für sich unzumutbar eingeschätzt wird. In diesen Fällen liegt – wie bei den Rechten auf Renten wegen EU oder BU – die Erkennbarkeit der Rechtsentstehung ausschließlich im Lebensbereich des Versicherten. Für den Rentenversicherungsträger ist damit das Risiko verbunden, sich für ihn unerkennbar anhäufenden Einzelansprüchen ausgesetzt zu sehen. Dem wirkte das AVG dadurch entgegen, daß es in diesen Fallgruppen der Antragstellung zusätzlich materiell-rechtliche, nämlich (einzel-)anspruchsvernichtende Bedeutung zuerkannte (stRspr des Senats; siehe schon Urteil vom 21. September 1960 – 4 RJ 125/59 –, BSGE 13, 79, 81 f; vgl auch Senatsurteil vom 15. Dezember 1976 – 4 RJ 51/76 –, SozSich 1977, 223). In dieser Hinsicht ist durch die Erstreckung dieses Antragseinwandes auch auf das Recht auf RAR zum 1. Januar 1992 eine – das Grundrecht der Klägerin jedoch nicht ergreifende – Rechtsänderung eingetreten (dazu sogleich unter 3.).
b) Die Entstehung des Rechts auf RAR hing nach dem AVG und hängt nach dem SGB VI – entgegen der Ansicht der BfA – auch nicht davon ab, wann der Rentenversicherungsträger auf dessen Feststellung angegangen wird (Antragszeitpunkt) oder wann er sein Verwaltungsverfahren durch Erlaß der für die Feststellung des subjektiven Rechts auf Rente erforderlichen vier Verwaltungsakte (über Rentenart, Rentenbeginn, Rentenhöhe und Rentendauer) abschließt (Entscheidungszeitpunkt). Denn Rechte auf Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung (zumeist auch Rechte auf Zusatzleistungen oder auf Auftragsleistungen) werden dem Berechtigten nicht durch die vollziehende Gewalt von hoher Hand „gewährt”. Sie erwachsen ihm vielmehr unmittelbar kraft Gesetzes des Deutschen Bundestages zu (vgl schon Senatsurteile in: BSG SozR Nr 55 zu § 1248 RVO; BSGE 61, 108 = SozR 2200 § 1269 Nr 3; BSG SozR 3-2600 § 315 Nr 1). Sie stehen ihm materiell-rechtlich uneingeschränkt sogar dann zu, wenn der Rentenversicherungsträger (oder auch der Berechtigte selbst) nichts von ihnen weiß. Das Gesetz (AVG, SGB VI) deutet an keiner Stelle an, die Rechte auf Rente, die als „gebundenes” Verwaltungsrecht und als öffentlich-rechtliche gesetzliche Schuldverhältnisse ausgestaltet waren und sind, würden durch Anträge der Versicherten oder Entscheidungen der Verwaltung begründet. Insbesondere sind weder Verwaltung noch Rechtsprechung gesetzlich ermächtigt, die kraft Gesetzes erfolgende Entstehung subjektiver Rechte auf Rente und deren unmittelbar durch Gesetz geregelten Bestand von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen (vgl schon BSG SozR 3-2600 § 307a Nr 8). Darüber hinaus verbietet sich eine Auslegung des Gesetzes (AVG, SGB VI) von selbst, welche dieses nicht mehr als unmittelbare materiell-rechtliche Grundlage subjektiver Rechte aus sozialem Versicherungsrecht (Art 74 Nr 12 GG) zu verstehen versucht, sondern es im wesentlichen als bloß objektiv-rechtliche Regelung „staatlicher Leistungen”, also als Fürsorgerecht iS der „Vorläufernormen” zu Art 74 Abs 1 Nr 7 GG „auslegt” oder praktiziert.
3. Die BfA meint ferner zu Unrecht, daß nach § 99 Abs 1 SGB VI jedenfalls alle Einzelansprüche der Klägerin erloschen seien, die zwischen dem 1. Januar 1992 und dem 30. November 1997 entstanden waren. Sie leitet dies aus folgendem her: § 99 Abs 1 SGB VI habe den bislang in § 67 Abs 1 Satz 2 und 4 und Abs 2 AVG geregelten materiell-rechtlichen (einzel-)anspruchsvernichtenden Antragseinwand neuerdings auch auf Rentenansprüche aus dem Recht auf RAR ausgedehnt, die nach der Grundregel des § 67 Abs 1 Satz 1 AVG bislang von vornherein davon ausgenommen gewesen seien. Dieser Vortrag träfe ohne weiteres zu, wenn das subjektive (Voll-)Recht der Klägerin auf RAR seit dem 1. Januar 1992 entstanden wäre (vgl BSG SozR 3-2600 § 99 Nr 1).
Ferner ist der BfA – wie ausgeführt – grundsätzlich darin beizupflichten, daß subjektive (Voll-)Rechte auf RAR (bildhaft auch als „Stammrecht”, „Quellrecht” oder – irreführend – als „Grundanspruch” bezeichnet), die vor dem 1. Januar 1992 entstanden sind, als Dauerrechtsverhältnisse gemäß Art 85 Abs 1 RRG 1992 mit Bezug auf Leistungsmonate danach grundsätzlich den Rechtsänderungen des SGB VI unterfallen. Es liegt auch keine „Ausnahme von der Anwendung neuen Rechts” iS von § 300 Abs 2 bis 3b SGB VI vor, weil der hierfür allein maßgebliche Erstfeststellungsantrag (BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 1 = SozR 3-6050 Art 64 Nr 5 S 17) nicht bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung des AVG gestellt worden ist. Die BfA beriefe sich daher dann zu Recht auf den Antragseinwand des § 99 Abs 1 SGB VI, wenn der sog Rentenbeginn iS von § 99 Abs 1 SGB VI in der Fallgruppe der vor dem 1. Januar 1992 entstandenen Rechte auf RAR nach dem 31. Dezember 1991 läge, mit anderen Worten: wenn die Einzelansprüche, die ab Januar 1992 entstanden sind, vom sachlichen Geltungsbereich des § 99 Abs 1 SGB VI erfaßt würden.
Das ist jedoch nicht der Fall (so schon BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 3). Der „Rentenbeginn” war bereits vor dem 1. Januar 1992, dem Beginn des zeitlichen Geltungsbereichs des SGB VI, eingetreten. Der erste Einzelanspruch des Versicherten, der vor dem 1. Januar 1992 ein Recht auf RAR erworben hat, ist stets gemäß § 67 Abs 1 Satz 1 AVG spätestens bis zum Ablauf des Monats Dezember 1991 antragsunabhängig entstanden, fällig geworden (trotz Verjährung erfüllbar geblieben) und muß von der BfA erfüllt werden, wenn der Antrag gestellt und die Verjährungseinrede nicht erhoben wird. § 99 Abs 1 SGB VI hat zum 1. Januar 1992 keinen „zweiten Rentenbeginn” nur für Inhaber eines Rechts auf RAR eingeführt.
a) § 99 Abs 1 SGB VI regelt – wie zuvor § 67 Abs 1 und Abs 2 AVG – den Zahlungsbeginn („Rentenbeginn”) bei später Antragstellung, also die Frage, welcher Einzelanspruch der erste (entstandene und fällig gewordene) ist, den die BfA erfüllen muß, falls der Berechtigte den Antrag nicht vor oder bei Entstehung des Rechts auf Rente, sondern erst nach diesem Zeitpunkt stellt. Für diese Fälle wird ein materiell-rechtlicher, die fälligen Einzelansprüche vernichtender Einwand ausgestaltet, der dann Platz greift, wenn der Antrag mehr als drei Kalendermonate nach Ablauf des Monats gestellt wird, in dem das Recht auf Rente entstanden ist. Der Antragseinwand betrifft das Stammrecht auf Rente schlechthin nicht, sondern „schließt lediglich monatliche Renteneinzelleistungen für die Zeit vor dem Antragsmonat aus” (Senatsurteil vom 18. Dezember 1986 – 4a RJ 73/85 –, BSGE 61, 108, 113 = SozR 2200 § 1269 Nr 3).
Der Gesetzestext lautet:
Zweites Kapitel. Zweiter Abschnitt. Fünfter Unterabschnitt.
Beginn, Änderung und Ende von Renten.
§ 99 Beginn.
(1) „Eine Rente aus eigener Versicherung wird von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird.”
Das Gesetz regelt nur den oben angesprochenen Ausnahmefall der Interessenkollision zwischen der Dispositionsfreiheit des Rechtsinhabers und den Interessen der Versichertengemeinschaft an Finanz- und Verwaltungsklarheit bei verzögerter Antragstellung. Es spricht den normativen Grund- und faktischen (und durch die Vorausbescheinigung nach § 194 SGB VI geförderten) Regelfall der Antragstellung nur indirekt an („Umkehrschluß”). Dieser lautet:
„Wenn ein Versicherter sein Recht auf Rente vor oder mit dessen Entstehung bei der BfA geltend macht („Rente beantragt”), sind die wiederkehrenden Geldzahlungen („Rente”) vom Beginn des Folgemonats an zu erbringen („zu leisten”), also des Monats, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.”
Der Antrag iS von § 99 Abs 1 SGB VI zählt offensichtlich nicht zu den „Anspruchsvoraussetzungen”, die als Bezugspunkt für den „Antrag danach” bereits zuvor erfüllt sein müssen. Im übrigen sind die „Anspruchsvoraussetzungen”, dh die Entstehungs- und Bestehensvoraussetzungen für die Rechte auf Renten und damit die Entstehungsvoraussetzungen für die Einzelansprüche hieraus, ohnehin nicht im Fünften, sondern im Ersten und Zweiten Unterabschnitt des Zweiten Abschnitts des Zweiten Kapitels des SGB VI (§§ 33 bis 62 SGB VI) abschließend geregelt.
Der Antragseinwand setzt ausdrücklich voraus, daß die „Anspruchsvoraussetzungen” zeitlich vor dem Antrag „erfüllt” sein müssen. Mit der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen entstehen (und bestehen) Rechte und Ansprüche auf Renten (§ 38 SGB I). § 99 Abs 1 SGB VI ordnet also nicht an, das Entstehen von Rechten und Ansprüchen sei von einem Antrag oder von einer Verwaltungsentscheidung abhängig.
Das Gesetz setzt ferner offenkundig voraus, daß der Zeitpunkt der „Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen” (Monate oder Jahre) vor dem Zeitpunkt der Antragstellung eingetreten ist. Es deutet nirgends an, die BfA solle ermächtigt werden, jeweils das im Zeitpunkt der Antragstellung geltende Recht rückwirkend auf den Zeitpunkt der Anspruchsentstehung statt des damals gültigen Rechts rückzubeziehen und so zu tun, als habe das neue Recht schon damals gegolten. Insbesondere findet sich keine Andeutung, die BfA (oder der erkennende Senat) dürfe das neue Recht materiell-rechtlich auch für Zeiten vor dem Beginn seiner materiell-rechtlichen Wirksamkeit „inkraftsetzen”. Soweit die BfA ein solches „Rentenbeginnprinzip” praktiziert, erfolgt dies nicht aufgrund einer verfassungsgemäßen Auslegung des § 99 Abs 1 SGB VI.
In § 99 Abs 1 SGB VI wird demgegenüber nur die Frage geregelt, wie es sich auf die Einzelansprüche des Rechtsinhabers auswirkt, wenn er sein Recht nicht sofort, sondern erst später geltend macht (siehe BSG SozR 3-2600 § 99 Nr 1 S 6 Abschnitt 3).
Die durch § 99 Abs 1 SGB VI verlautbarte Rechtsnorm des Antragseinwands unterscheidet sich im Blick auf Ansprüche aus eigener Versicherung (zum Hinterbliebenenrecht jetzt § 99 Abs 2 SGB VI) von der Rechtsnorm des § 67 Abs 1 und 2 AVG rechtlich nur in zwei Punkten: Erstens wird bestimmt, daß die Erfüllung des ersten Einzelanspruchs nicht mehr „vom Ablauf des Monats an” zu erfolgen hat, in dem seine Voraussetzungen vorlagen; seit Januar 1992 ist der (erste) Einzelanspruch „von dem Kalendermonat an” zu erfüllen, „zu dessen Beginn” die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren. Diese Verschiebung der Fälligkeit des (ersten) Einzelanspruchs um eine „juristische Sekunde” vom Ende des Monats, in dem das Stammrecht entstanden ist, auf den Beginn des folgenden Monats betrifft notwendig nur Stammrechte und Einzelansprüche, die seit dem 1. Januar 1992 entstanden sind (also für Leistungsmonate ab Februar 1992).
Die zweite Rechtsänderung durch § 99 Abs 1 SGB VI im Vergleich mit § 67 Abs 1 Satz 1, 2 und 4 und Abs 2 AVG besteht darin, daß der Antragseinwand jetzt auch auf Einzelansprüche aus einem Recht auf RAR erstreckt wird. Denn die bisherige Grundregel des § 67 Abs 1 Satz 1 AVG wurde in das SGB VI nicht übernommen. Diese lautete:
g) Beginn der Renten
§ 67 (Beginn, Erhöhung oder Wiedergewährung der Renten)
(1) „Die Rente ist vorbehaltlich der Vorschriften des § 45 Abs 4 und des 53 Abs 1 vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind.”
Sonstige Rechtsänderungen sind durch § 99 Abs 1 SGB VI gegenüber § 67 Abs 1 und 2 AVG im Blick auf „Renten aus eigener Versicherung” nicht eingeführt worden. Nunmehr besteht seit dem 1. Januar 1992 der materiell-rechtliche (einzel-)anspruchsvernichtende Einwand der späten Geltendmachung des Rechts auf Rente (Antragseinwand) auch dann, wenn ein Recht auf RAR mehr als drei Monate nach Ablauf des Monats geltend gemacht wird, „in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind”, also in dem es entstanden ist.
b) Die Beklagte meint, dies gelte auch für die Klägerin, die ihr Recht auf RAR erst im Dezember 1997 geltend gemacht habe. Sie verkennt dabei, daß diese Rechtsänderung – wie ausgeführt – erst ab 1. Januar 1992 materiell-rechtliche Wirkung hat. Zu diesem Zeitpunkt war aber der „Rentenbeginn” – wie in § 67 Abs 1 Satz 1 AVG angeordnet – auch iS von § 99 Abs 1 SGB VI bereits eingetreten. Für diesen kam und kommt es nämlich nicht darauf an, wann die BfA erstmals tatsächlich Geld an den Rechtsinhaber zahlt oder wann der Berechtigte faktisch das Geld erhält. Entscheidend für den sog Rentenbeginn war nach § 67 Abs 1 Satz 2 und 4 und Abs 2 AVG und ist auch nach § 99 Abs 1 SGB VI vielmehr, welcher der bereits entstandenen und fällig gewordenen Einzelansprüche aus der Sicht im Zeitpunkt der Antragstellung der erste ist, dem der (jetzt auch Rechte auf RAR ergreifende) Antragseinwand nicht entgegensteht. Dieser erste „antragseinwandfreie” Einzelanspruch kennzeichnet den Zeitpunkt, bis zu dem alle vorher entstandenen Einzelansprüche wegen verzögerter Antragstellung untergegangen sind. Zugleich ist er der erste Einzelanspruch, der nicht nur entstanden und fällig geworden ist, sondern grundsätzlich und in aller Regel bis zu seinem Erlöschen durch Erfüllung fortbesteht. Damit kennzeichnet dieser erste „einwandfreie” Einzelanspruch auch den Zeitpunkt, für den (nicht: in dem) die Beklagte ihre wiederkehrenden Geldzahlungen unausweichlich beginnen muß, also den Zahlungsbeginn als den verwaltungstechnischen „Rentenbeginn”. Er tritt im normativen Grund- und faktischen Normalfall zugleich mit dem rechtlichen „Rentenbeginn”, also mit Beginn des Monats ein, der dem Monat folgt, in dem das Recht auf Rente entsteht; denn dieses wird – gemäß der Zielvorgabe des Gesetzes, welche die BfA fördern muß (§§ 1, 2, 17 SGB I) – im Regelfall zuvor oder gleichzeitig geltend gemacht; damit ist – nach dem „Willen” des SGB – regelmäßig der erste Einzelanspruch auch der erste „einwandfreie” Einzelanspruch.
Dieser erste „einwandfreie” Einzelanspruch ist aber bei allen Rechten auf RAR, die vor dem 1. Januar 1992 entstanden sind, schon der allererste Einzelanspruch; denn gemäß § 67 Abs 1 Satz 1 AVG konnte der Antragseinwand schon diesem nicht entgegengehalten werden. Dieser erste Einzelanspruch ist aber – wie ausgeführt – notwendig vor dem 1. Januar 1992 entstanden (stellv BSG SozR 3-2600 § 300 Nr 3). Einen „zweiten Rentenbeginn nach Rentenbeginn” ordnet § 99 Abs 1 SGB VI nicht einmal andeutungsweise an.
Auf diese Weise vermeidet das Gesetz – anders als die Praxis der BfA – offensichtlich verfassungswidrige „echt” rückwirkende Eingriffe in die Eigentumsgrundrechte der Versicherten, die ihr Recht auf RAR schon vor dem Inkrafttreten des SGB VI zum 1. Januar 1992 erworben haben. Da das skizzierte verfassungskonforme (iS von Art 100 Abs 1 GG) Verständnis sowohl des § 300 SGB VI als auch des § 99 Abs 1 SGB VI vom „einfachen” Gesetz selbst schon vorgegeben ist, ist auf weitere verfassungsrechtliche (ua sich aus Art 3 Abs 1 GG ergebende) und gesetzliche Bedenken gegen die Verwaltungspraxis der BfA nicht näher einzugehen.
Der Antragseinwand des § 99 Abs 1 SGB VI greift also – entgegen dem LSG – schon nach seinem sachlichen Geltungsbereich nicht ein.
4. Die Entscheidung der BfA, die vor 1993 entstandenen Zahlungsansprüche der Klägerin nicht zu erfüllen, wird auch durch § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X nicht gerechtfertigt. Diese Vorschrift lautet:
„Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht.”
Das LSG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß diese Norm sachlich nicht einschlägig ist. Angestelltenversicherungsrechtliche Fälle der vorliegenden Art, sog Erstfeststellungsverfahren, unterfallen dem sachlichen Anwendungsbereich des § 44 Abs 4 SGB X schlechthin nicht. Die darin (und durch Verweisung hierauf in § 48 Abs 4 Satz 1 Regelung 2 SGB X) verlautbarte Rechtsnorm enthält einen materiell-rechtlichen, (einzel-)anspruchsvernichtenden Einwand, der sich – vergleichbar dem Antragseinwand des § 99 Abs 1 SGB VI – wie eine rückwirkende Leistungsausschlußfrist verhält. Sie begründet keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz und ist auch nicht „analogiefähig”. Dies hat der Senat (BSGE 62, 10, 13 bis 17 = SozR 2200 § 1254 Nr 7) schon in seinem Urteil vom 26. Mai 1987 zum Recht der Arbeiterrentenversicherung ausgeführt. Hierin besteht Übereinstimmung mit den jetzt für das Recht der Rentenversicherung der Arbeiter zuständigen Senaten des BSG.
Es gibt auch in der Angestelltenversicherung keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß die Erfüllung von Einzelansprüchen aus Rechten auf Renten auf die vier Jahre vor dem Jahr der Geltendmachung des Rechts beschränkt ist. Vielmehr gilt (für Erstfeststellungsverfahren) seit dem 1. Januar 1992 der viel stärker in die Rechte der Versicherten eingreifende anspruchsvernichtende Antragseinwand des § 99 Abs 1 SGB VI. Soweit – wie hier – dieser Einwand nicht anwendbar ist (oder im Einzelfall – etwa wegen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs – nicht durchgreift), gilt § 44 Abs 4 SGB X in allen sog Erstfeststellungsverfahren nicht. Es ist ausschließlich dem Deutschen Bundestag vorbehalten, die Verjährungsregelung des § 45 SGB I für das Recht der Rentenansprüche aus dem Angestelltenversicherungsrecht des SGB VI gegenstandslos zu machen und damit außer Kraft zu setzen. Soweit die früher für die Rentenversicherung der Angestellten zuständigen Senate des BSG (der 1. und der 11a-Senat) eine „entsprechende” Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X vorgenommen haben, handelte es sich um die Fallgruppe, daß aufgrund eines Herstellungsanspruches Beiträge zulässig nachentrichtet worden waren und deshalb (höhere) Einzelansprüche für zurückliegende Leistungszeiträume – vermeintlich „rückwirkend” – entstanden waren. Diese Rechtsprechung gibt der für das Angestelltenversicherungsrecht allein zuständige erkennende Senat hiermit auf (siehe BSGE 60, 245, 246 = SozR 1300 § 44 Nr 24; BSG Urteil vom 9. September 1986 – 11a RA 10/86 –; BSG SozR 1300 § 44 Nr 25 ≪1. Senat≫).
„Wo § 44 Abs 4 und § 48 Abs 4 SGB X tatbestandsmäßig nicht hinreichen, gilt nach wie vor § 45 SGB I” (so das Urteil des 13. Senats vom 22. Oktober 1996 – 13 RJ 17/96 – BSGE 79,177, 179 = SozR 3-1200 § 45 Nr 6; siehe auch Urteil des 5. Senats vom 30. Juli 1997 – 5 RJ 64/95 – in HVBG-INFO 1998, 814). Dem ist nichts hinzuzufügen.
5. Die BfA hat sich demnach für ihre Weigerung, die Zahlungsansprüche der Klägerin zu erfüllen, die vor 1993 entstanden waren, zu Unrecht auf materiell-rechtliche anspruchsvernichtende Einwände berufen. Das nachrangige richterrechtliche Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs war – entgegen dem LSG – schon deshalb tatbestandlich nicht anwendbar, weil kein „sozialrechtlicher Schaden” entstanden war; denn die Klägerin kann ihre ursprünglichen monatlichen Zahlungsansprüche noch gegen die Beklagte durchsetzen (soweit nicht rechtskräftig abgewiesen). Es kam also auf die Frage nicht an, ob die BfA (hier denkbarerweise aus Art 14 Abs 1 GG oder nachrangig aus § 14 SGB I) verpflichtet gewesen wäre, der Klägerin Hinweise (= spontane Beratung) im Blick auf die Feststellbarkeits- und Erfüllbarkeitsbedingung des Antrags zu geben.
Die BfA hat gegen die streitigen Zahlungsansprüche aus der Zeit vor Januar 1993, welche durch die Antragstellung im Dezember 1997 erfüllbar geworden waren, die dauernde (peremtorische) Einrede der Verjährung nicht erhoben, die – wie der Große Senat des BSG bereits durch Beschluß vom 21. Dezember 1971 (BSGE 34, 1, 4, 11 = SozR Nr 4 zu § 29 RVO) geklärt hat, nicht das (hier im November 1989 entstandene) Stammrecht, sondern nur die monatlichen Zahlungsansprüche betroffen hätte.
Die BfA wird daher jetzt der Klägerin die verweigerten Geldbeträge zahlen müssen. Allerdings wird sie – wegen der Rechtskraft des klagabweisenden Teils des Urteils des SG – von Rechts wegen nur noch die offenen Zahlungsansprüche für die Leistungsmonate von Januar 1992 bis einschließlich Dezember 1992 erfüllen müssen. Zwar ist der Tenor des Urteils des SG im Blick auf den Leistungsmonat Januar 1992 unklar, weil der Einzelanspruch für diesen Monat schon mit Ablauf des 31. Dezember 1991 entstanden war. Aus den Entscheidungsgründen wird aber noch hinreichend deutlich, daß das SG die BfA zur Erfüllung auch dieses Einzelanspruchs verurteilt hat.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
NZS 2001, 495 |
SozR 3-2600 § 99, Nr. 5 |
AuS 2000, 69 |
SozSi 2001, 400 |