Orientierungssatz

Gerichtsreferendare und Assessoren im juristischen Vorbereitungsdienst sind "zu oder während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den künftigen Beruf tätig (gewesen)" iS des RVO § 172 Abs 1 Nr 5 aF und deshalb bei ihrem späteren Ausscheiden aus dem Staatsdienst (vor dem 1957-03-01) für diese Zeit nicht nachzuversichern (vergleiche BSG 1960-02-10 1 RA 23/59 = BSGE 11, 278-284; BSG 1962-07-18 1 RA 309/61 = BSGE 17, 206-208; BSG 1960-03-23 1 RA 62/59).

Der Umstand, daß der Kläger während des Kriegsdienstes zum Gerichtsreferendar und 1943 zum außerplanmäßigen Beamten (Widerrufsbeamten) mit der Dienstbezeichnung "Assessor" ernannt wurde, in der Zeit vom 1944-01-01 - 1945-04-30 infolge seines Kriegsdienstes überhaupt nicht im Justizdienst, also auch nicht zur Ausbildung "tätig" gewesen ist, steht der Annahme von Versicherungsfreiheit nach RVO § 172 Abs 1 Nr 5 aF nicht entgegen; zwischen dem Kläger und der Justizverwaltung hat jedenfalls auch in dieser Zeit ein Beschäftigungsverhältnis bestanden; diesem Beschäftigungsverhältnis haben die Tätigkeitsmerkmale des RVO § 172 Abs 1 Nr 5 aF zugrunde gelegen. Die "Beschäftigung" des Klägers im Justizdienst ist durch die Ernennung zum "Assessor" nicht berührt worden; sie ist bis zur Ablegung der Großen Staatsprüfung und der dadurch erlangten Befähigung zum Richteramt weiterhin Ausbildung für den künftigen Beruf gewesen.

 

Normenkette

RVO § 172 Abs. 1 Nr. 5 Fassung: 1945-03-17

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Februar 1962 aufgehoben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 3. Mai 1961 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt von der beklagten Bundesversicherungsanstalt, sie solle für die Zeit von Januar 1944 bis April 1945 Nachversicherungsbeiträge entgegennehmen; die beigeladene Hansestadt ist bereit, die Nachversicherungsbeiträge zu entrichten.

Der Kläger war während des letzten Krieges Soldat. Er wurde während des Kriegsdienstes zum Gerichtsreferendar und 1943 auf Grund des Runderlasses des Reichsministers des Inneren und der Finanzen vom 22. Dezember 1942 und des Erlasses des Reichsministers der Justiz vom 15. Februar 1943 (Härteausgleich für Beamtenanwärter im Kriegswehrdienst - Deutsche Justiz 1943 S. 125 -) zum außerplanmäßigen Beamten (Widerrufsbeamten) mit der Dienstbezeichnung "Assessor (K)" ernannt. Er erhielt in der streitigen Zeit vom 1. Januar 1944 bis zum 30. April 1945 Dienstbezüge als außerplanmäßiger Beamter. Der Kläger trat 1949 den juristischen Vorbereitungsdienst wieder an und legte 1952 die Große Staatsprüfung ab. Sein Antrag, in den Justizdienst übernommen zu werden, wurde abgelehnt und seine Berufung in das Beamtenverhältnis widerrufen; der Kläger schied aus dem Staatsdienst der Freien und Hansestadt Hamburg aus.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Nachversicherung mit Bescheid vom 24. Januar 1958 ab, weil sich der Kläger vom 1. Januar 1944 bis 30. April 1945 in wissenschaftlicher Ausbildung im Sinne von § 172 Abs. 1 Nr. 5 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - aF) befunden habe und infolgedessen die Voraussetzungen für die Nachversicherung nach § 1242 a RVO aF (§ 18 AVG aF) nicht erfüllt seien.

Das Sozialgericht (SG) Hamburg lud die Freie und Hansestadt Hamburg zum Verfahren bei; es wies die Klage durch Urteil vom 3. Mai 1961 ab.

Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hob das Urteil des SG auf und gab der Klage statt (Urteil vom 13. Februar 1962): Die Nachversicherung sei durchzuführen, denn der Kläger sei nach § 169 RVO (§ 11 AVG aF) bzw. nach § 172 Abs. 1 Nr. 1 RVO (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 AVG aF) versicherungsfrei gewesen; eine Versicherungsfreiheit nach § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF) habe dagegen nicht bestanden; der Kläger habe sich in der streitigen Zeit nicht in einer Ausbildung im Sinne dieser Vorschriften befunden, weil er Kriegsdienst geleistet habe. - Das LSG ließ die Revision zu.

Das Urteil wurde der Beklagten am 16. März 1962 zugestellt.

Die Beklagte legte am 6. April 1962 Revision ein, sie beantragte,

unter Aufhebung des Urteils des LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hamburg zurückzuweisen.

Die Beklagte begründete die Revision am 21. April 1962: Das LSG habe die Vorschriften der §§ 1242 a RVO aF, 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO (§§ 18, 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF) verletzt; der Kläger habe sich in der streitigen Zeit vom 1. Januar 1944 bis April 1945 - obgleich er in dieser Zeit Kriegsdienst geleistet habe - in einer Ausbildung im Sinne des § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF) befunden; denn zur wissenschaftlichen Ausbildung gehöre die ganze Beschäftigungszeit bis zur Ablegung der Großen Staatsprüfung; bei Dienstverhinderungen sei die Versicherungspflicht danach zu beurteilen, welche Tätigkeit vor der Dienstverhinderung verrichtet worden sei, die Ernennung des Klägers zum (ap) Beamten (Assessor - K -) habe seine Ausbildung nicht beendet; der Gewährleistungserlaß der Justizverwaltung vom 11. Mai 1943 habe an der Versicherungsfreiheit nach § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF) nichts ändern können.

Der Kläger beantragte,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beigeladene stellte keine Anträge.

II

Die Revision der Beklagten ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist auch begründet.

Streitig ist, ob der Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1944 bis 30. April 1945 nachzuversichern ist. Das LSG hat dies zu Unrecht bejaht. Der Kläger ist vor dem 1. März 1957 (Tag des Inkrafttretens des neuen Nachversicherungsrechts - vgl. § 9 AVG nF, Art. 3 § 7 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz - AnVNG -) aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden. Sein Anspruch auf Nachversicherung ist daher nach dem bis dahin in der früheren britischen Besatzungszone geltenden Nachversicherungsrecht zu beurteilen, d. h. nach § 1 Abs. 6 AVG aF i. V. m. § 1242 a RVO aF. § 1242 a RVO aF sieht eine Pflicht zur Nachversicherung in bestimmten Fällen vor, u. a. auch beim "ehrenhaften und unfreiwilligen" Ausscheiden von Widerrufsbeamten, die nach §§ 169 RVO, 172 Abs. 1 Nr. 1 RVO (§§ 11, 12 Abs. 1 Nr. 1 AVG aF) versicherungsfrei gewesen sind; er schließt die Nachversicherungspflicht jedoch aus, wenn die Versicherungsfreiheit während der in Frage kommenden Zeiten schon deswegen bestand, weil die Beschäftigung "der wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf" diente (§ 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO = § 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF). Ob der Kläger während seiner Dienstzeit als Referendar und Assessor (K) bis zum 30. April 1945 auf Grund des § 169 RVO (§§ 11 AVG aF) oder des § 172 Abs. 1 Nr. 1 RVO (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 AVG aF) versicherungsfrei gewesen ist, hat das LSG nicht eindeutig festgestellt; diese Frage kann jedoch auch offenbleiben; denn der Kläger wäre jedenfalls nicht "sonst" - d. h. ohne Befreiung von der Versicherungspflicht auf Grund einer der genannten Vorschriften - versicherungspflichtig gewesen, weil für ihn während dieser Zeit Versicherungsfreiheit nach § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF) bestanden hat. Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits mit eingehender Begründung entschieden, daß Gerichtsreferendare und Assessoren (K) im juristischen Vorbereitungsdienst "zu oder während ihrer wissenschaftlichen Ausbildung für den zukünftigen Beruf tätig (gewesen) sind" im Sinne des § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO und daß sie deshalb bei ihrem späteren Ausscheiden aus dem Staatsdienst (vor dem 1. März 1957) für diese Zeit nicht nachzuversichern sind (vgl. u. a. BSG 11, 278, 284; Urteil des BSG vom 23. März 1960, Justizverwaltungsblatt 1960, 158; BSG 17, 206, 208). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

Der Umstand, daß der Kläger als Assessor (K) in der Zeit vom 1. Januar 1944 bis zum 30. April 1945 infolge seines Kriegsdienstes überhaupt nicht im Justizdienst, also auch nicht zur Ausbildung "tätig" gewesen ist, steht der Annahme von Versicherungsfreiheit nach § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF) nicht entgegen; Tätigsein im Sinne des § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO ist nicht gleichbedeutend mit wirklicher Dienst- oder Arbeitsleistung; der Kläger hat jedenfalls auch in dieser Zeit in einem Beschäftigungsverhältnis bei der Justiz gestanden (vgl. auch BSG 1, 115, 118; 2, 164, 175; RVA, AN 1938 IV S. 211); entscheidend ist, welche Tätigkeitsmerkmale dieses Beschäftigungsverhältnis aufgewiesen hat, d. h. ob der Kläger auch als Assessor (K) "zur Ausbildung für seinen künftigen Beruf" tätig geworden wäre, wenn ihn nicht der Kriegsdienst daran gehindert hätte. Das aber wäre der Fall gewesen.

Das Beschäftigungsverhältnis, das (1940) durch die Einberufung des Klägers als Gerichtsreferendar in den juristischen Vorbereitungsdienst (nach der VO über die Laufbahn für das Amt eines Richters oder Staatsanwalts vom 16. Mai 1939 - RGBl I 917 -) begründet worden ist, hat der Ausbildung des Klägers für seinen künftigen Beruf gedient; dieses Beschäftigungsverhältnis hat sich durch die Ernennung des Klägers zum außerplanmäßigen Beamten (Widerrufsbeamten) auf Grund des Erlasses über den Härteausgleich für Beamtenanwärter im Kriegsdienst vom 15. Februar 1943 - Deutsche Justiz 1943 S. 125 - nicht geändert. Der Kläger hat durch diese Ernennung nicht die Befähigung zum Richteramt erlangt; er ist dadurch noch nicht befähigt gewesen, "seinen Beruf", d. h. einen Beruf, der die Befähigung zum Richteramt erforderte, auszuüben; hierfür hat es vielmehr ohne Rücksicht darauf, daß der Kläger die Rechtsstellung eines (ap) Beamten erworben hat, noch der Ausbildung und der Ablegung der Großen Staatsprüfung bedurft; "Ausbildung und Prüfung sind im außerplanmäßigen Dienstverhältnis nachzuholen" gewesen (I Nr. 2 des Erlasses vom 15. Februar 1943). Der Kläger hat lediglich die Dienstbezeichnung Assessor (K) geführt; er ist durch diese Ernennung nur - ohne Ablegung der Großen Staatsprüfung - besoldungsrechtlich den Nichtkriegsteilnehmern, die ihre Ausbildung beenden und die Große Staatsprüfung ablegen konnten, gleichgestellt worden; allein darin hat der "Härteausgleich" des Erlasses vom 15. Februar 1943 bestanden und sich im wesentlichen erschöpft. Die "Beschäftigung" des Klägers im Justizdienst ist durch die Ernennung zum Assessor (K) nicht berührt worden; sie ist bis zur Ablegung der Großen Staatsprüfung und der dadurch erlangten Befähigung zum Richteramt weiterhin Ausbildung für den künftigen Beruf gewesen; das Beschäftigungsverhältnis des Klägers im Justizdienst hat sich - abgesehen von der Höhe der Bezüge - von dem eines Gerichtsreferendars, bei dem die zeitlichen Voraussetzungen für die Ernennung zum Assessor (K) noch nicht vorgelegen haben (Ablauf der Zeit des regelmäßigen Vorbereitungsdienstes), nicht unterschieden; auch die Zeit vom 1. Januar 1944 bis zum 30. April 1945 ist daher sozialversicherungsrechtlich der Ausbildung des Klägers im Sinne des § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 AVG aF) zuzuordnen. Dem steht auch der Gewährleistungserlaß der Justizverwaltung vom 11. Mai 1943 nicht entgegen; diesem Erlaß kann zwar entnommen werden, daß die damalige Justizverwaltung die Auffassung vertreten hat, Assessoren (K) seien nicht schon nach § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO versicherungsfrei gewesen, dies ist jedoch unerheblich; wenn das Beschäftigungsverhältnis des Assessors (K) nach seinen Tätigkeitsmerkmalen in den gesetzlichen Tatbestand der Versicherungsfreiheit nach § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO einzuordnen gewesen ist, so hat die Justizverwaltung hieran nichts ändern können. Der Erlaß vom 11. Mai 1943 gibt jedenfalls keinen Anhalt dafür, daß das Beschäftigungsverhältnis eines Assessors (K) andere Tätigkeitsmerkmale aufgewiesen hat als die des § 172 Abs. 1 Nr. 5 RVO.

Die Revision der Beklagten ist danach begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben; die Berufung des Klägers gegen das - die Klage abweisende - Urteil des SG ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325575

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