Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Familienhilfe
Leitsatz (amtlich)
Ein Versicherter erhält keine Familienhilfe (RVO § 205) für seinen berufstätigen Ehegatten, wenn dessen regelmäßiger Jahresverdienst die Krankenversicherungspflichtgrenze für Angestellte (RVO § 165 Abs 1 Nr 2) überschreitet.
Leitsatz (redaktionell)
Zum Anspruch auf Familienhilfe:
Der Versicherte hat für einen Angehörigen, der in einem Beschäftigungsverhältnis steht und wegen Überschreitung der Versicherungspflichtgrenze nicht krankenversicherungspflichtig ist, keinen Anspruch auf Familienhilfe; das gilt auch dann, wenn der Angehörige trotz der Höhe seines Einkommens gegenüber dem Versicherten unterhaltsberechtigt ist.
Normenkette
RVO § 205 Fassung: 1930-07-26, § 165 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-07-27
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Juni 1967 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten über die Familienhilfeberechtigung des Klägers, eines freiwilligen Mitgliedes der beklagten Ersatzkasse, für seine seit Anfang 1963 ebenfalls berufstätige Ehefrau. Das Nettoeinkommen des Klägers überstieg während der streitigen Zeit das seiner Ehefrau (1963: 1031 zu 947 DM monatlich); zur Familie gehörten ferner zwei einkommenslose Kinder und die Schwiegermutter des Klägers, die den Haushalt versorgte.
Die Beklagte hat einen Familienhilfeanspruch des Klägers verneint, weil nach § 29 ihrer Versicherungsbedingungen Familienhilfe nur "für den unterhaltsberechtigten Ehegatten" gewährt werde, die Ehefrau des Klägers aber nach den Einkommensverhältnissen der Ehegatten ihm gegenüber nicht unterhaltsberechtigt gewesen sei. Die Vorinstanzen sind dieser Auffassung beigetreten. Das Landessozialgericht (LSG) hat ausgeführt, für den Unterhalt der Ehegatten und der Kinder habe 1963 ein Gesamteinkommen von 1.031 und 947 = 1978 DM monatlich, mithin für jedes Familienmitglied ein Viertel dieses Betrages = 495 DM zur Verfügung gestanden. Da die Ehefrau des Klägers demnach mehr zum Familienunterhalt beigesteuert als ihrem Unterhaltsanteil entsprochen habe, sei sie nicht unterhaltsberechtigt gewesen (Urteil von 14. Juni 1967).
Der Kläger rügt mit der zugelassenen Revision, das LSG habe den Unterhaltsbedarf der Kinder zu hoch veranschlagt. Im übrigen müsse dieser Bedarf, für den die Eltern zu gleichen Teilen aufzukommen hätten, bei Prüfung ihrer eigenen Unterhaltsbeziehungen außer Betracht bleiben; gegenüberzustellen sei insoweit allein das beiderseitige Einkommen der Ehegatten, das beim Kläger höher als bei seiner Frau gewesen sei, so daß sie ihm gegenüber einen Unterhaltsanspruch gehabt habe. Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung aller Vorentscheidungen festzustellen, daß die Beklagte ihm für seine Ehefrau Familienhilfe zu gewähren habe.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend; die Ehefrau des Klägers sei hier schon deswegen nicht unterhaltsberechtigt gewesen, weil ihr eigenes Einkommen über der seinerzeit maßgebenden Krankenversicherungspflichtgrenze für Angestellte gelegen habe, die Familienhilfe aber nur eine Mitversicherung von sozial schutzbedürftigen Angehörigen bezwecke; in diesem Sinne hätten auch schon eine Reihe von Sozialgerichten entschieden. Der Betriff der Unterhaltsberechtigung müsse im Sozialversicherungsrecht eigenständig ausgelegt werden; hier könne es nicht allein darauf ankommen, in welchem Verhältnis die Ehegatten zum Unterhalt der Familie beizutragen hätten, wie sich besonders in denjenigen Fällen zeige, in denen beide Ehegatten ein extrem hohes Einkommen hätten oder getrennt lebten. Im übrigen sei ein getrennt lebender Ehegatte, der selbst gut, wenn auch weniger als der andere verdiene, schon nach bürgerlichem Recht nicht unterhaltsbedürftig und deshalb nicht unterhaltsberechtigt. Für § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO) müsse die Unterhaltsberechtigung allgemein an das Erfordernis der Unterhaltsbedürftigkeit geknüpft und diese verneint werden, wenn das Einkommen die Versicherungspflichtgrenze überschreite. Eine solche schematische Grenzziehung würde eine gleichmäßige Entscheidung vieler Fälle erlauben und den Krankenkassen die oft schwierige Prüfung der Einkommensverhältnisse der Ehegatten ersparen. Es sei auch nicht einzusehen, warum ein Ehegatte, der bei einem Einkommen unterhalb der Versicherungspflichtgrenze selbst für den Fall der Krankheit vorsorgen müsse, von dieser Pflicht deshalb frei werden solle, weil er mehr verdiene. Es könne nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sein, einen Familienangehörigen mit Überschreiten der Jahresarbeitsverdienstgrenze aus der Versicherungspflicht zu entlassen, ihm gleichzeitig aber "fast umsonst", jedenfalls ohne eigene Beitragsleistung, doch wieder Versicherungsschutz zu gewähren.
II
Die Revision ist unbegründet.
Ob dem Kläger, der der beklagten Ersatzkasse als nichtversicherungspflichtiges Mitglied angehört, während der streitigen Zeit (1. Januar 1963 bis zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 14. Juni 1967) Familienhilfe für seine Ehefrau zustand, richtet sich nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten vom 1. Oktober 1961, deren § 29 ("Familienhilfe - Allgemeine Bestimmungen") in den bis heute unverändert gebliebenen Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 Abs. 1 wie folgt lautet:
Die Mitglieder haben einen Anspruch auf Leistungen der Familienhilfe für den unterhaltsberechtigten Ehegatten und die unterhaltsberechtigten Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres.
Voraussetzung für die Gewährung der Familienhilfe ist, daß die in § 29 Ziff. 1 genannten Personen nicht anderweitig einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege haben und sich gewöhnlich im Inland aufhalten.
Diese Bestimmungen entsprechen, abgesehen von der Altersgrenze für Kinder, dem § 205 Abs. 1 Satz 1 RVO in der Fassung der Notverordnungen vom 26. Juli 1930 und 1. Dezember 1930 (RGBl I, 311 und 517) mit den späteren inhaltlichen Änderungen durch Abschnitt II Nr. 1 des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943 (AN II, 485: Wegfall der Wartezeit) und Art. 10 der Ersten Vereinfachungsverordnung vom 17. März 1945 (RGBl I, 41: Gleichstellung der Familienangehörigen mit den Versicherten bei Krankenpflege und Krankenhauspflege); vgl. auch die Neufassung des § 205 Abs. 1 durch Art. 2 Nr. 11 des Gesetzes vom 27. Juli 1969 (BGBl I, 946).
Ob der Kläger hiernach, wie das LSG angenommen hat, keinen Anspruch auf Familienhilfe für seine Ehefrau hatte, weil sie ihm gegenüber nicht unterhaltsberechtigt war, läßt der Senat unentschieden (zur Frage der Unterhaltsberechtigung im Sinne des § 205 RVO vgl. BSG 10, 28; 11, 198; 19, 282). Das angefochtene Urteil ist jedenfalls im Ergebnis richtig; Familienhilfe war dem Kläger schon deshalb nicht zu gewähren, weil der regelmäßige Jahresarbeitsverdienst seiner als Angestellte tätig gewesenen Ehefrau über der Krankenversicherungspflichtgrenze lag, die seit dem 1. Oktober 1957 7.920 DM betrug und mit Wirkung vom 1. September 1965 auf 10.800 DM erhöht wurde (Gesetze vom 27. Juli 1957 und 24. August 1965, BGBl I, 1957, 1070 und 1965, 912).
Ob Familienhilfe auch für einen Ehegatten zu gewähren ist, der bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen (Unterhaltsberechtigung, Inlandsaufenthalt) mit seinem Einkommen die Versicherungspflichtgrenze überschreitet, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Auch die Entstehungsgeschichte des § 205 RVO (vgl. dazu BSG 22, 252, 253 f) gibt insoweit keinen Aufschluß. Anscheinend hat der Gesetzgeber die Frage bei der Umwandlung der Familienhilfe in eine Regelleistung im Jahre 1930 entweder nicht gesehen oder das Problem nicht für regelungsbedürftig gehalten, weil es damals, vor allem mit Rücksicht auf die vergleichsweise hohe Versicherungspflichtgrenze, keine praktische Bedeutung hatte. Drängend geworden ist es dagegen nach dem Kriege durch die zunehmende Berufstätigkeit von Ehefrauen und die sprunghaften Steigerungen der Gehälter, mit denen die gesetzlichen Anpassungen der Versicherungspflichtgrenze nicht Schritt hielten.
Um die dadurch entstandene Regelungslücke zu schließen, hat der Senat erwogen: Wenn die Anwendung der Vorschriften über die Krankenversicherungspflichtgrenze für Angestellte (§ 165 Abs. 1 Nr. 2 RVO) und die Mitversicherung von Familienangehörigen (§ 205 RVO) nicht zu Ergebnissen führen soll, die in sich widersprüchlich sind, dann können Personen, die wegen der Höhe ihres Einkommens von der Versicherungspflicht freigestellt sind und deshalb keinen eigenen "gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege" (§ 205 Abs. 1 RVO) mehr haben, nicht wegen eben dieser, mit der Versicherungsfreiheit notwendig verbundenen Rechtsfolge durch Mitversicherung beim Ehegatten wiederum in die Versicherung einbezogen werden. Des wäre um so weniger gerechtfertigt, als die beitragsfreie oder, wie bei den freiwilligen Mitgliedern der Ersatzkassen, beitragsbegünstigte Mitversicherung aus den Mitteln der Versichertengemeinschaft getragen werden müßte, die versicherungspflichtigen Kassenmitglieder also den Versicherungsschutz von Personen mit zu finanzieren hätten, die der Gesetzgeber wegen Überschreitung der Einkommensgrenze aus der Versicherungspflicht entlassen und auf den Weg der Selbstvorsorge verwiesen hat. Damit würde das Prinzip der Solidarität der Versicherten, das die wirtschaftlich Leistungsfähigeren zum Einstehen für die Schwächeren verpflichtet und mit Recht als konstituierendes Merkmal der sozialen Krankenversicherung angesehen worden ist, in sein Gegenteil verkehrt werden (vgl. zu einem ähnlichen Fall eines "inversen sozialen Ausgleichs" innerhalb der Krankenversicherung auch die kritischen Bemerkungen im Bericht der Sozialenquete-Kommission S. 239 f unter Nr. 686). Um dieses sinnwidrige Ergebnis zu vermeiden, müssen Beschäftigte, die wegen Überschreitung der Krankenversicherungspflichtgrenze versicherungsfrei sind, von der Familienhilfe ausgeschlossen bleiben (ebenso Barttlingck, BKK 1969, 104 und Gagel, "Der Sozialrichter", Beilage zur SGb, 1970, S. 16; vgl. auch Bogs, Sozialer Fortschritt 1969, 275; aA DSG Nordrhein-Westfalen in Breithaupt 1969, 915, 920).
Eine Ausnahme kann auch dann nicht gemacht werden, wenn der versicherungsfreie Ehegatte im Einzelfall trotz der Höhe seines Einkommens unterhaltsberechtigt gegenüber dem anderen -versicherten- Ehegatten sein sollte. Wer die Verdienstgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung überschreitet und deshalb für ihren Bereich als nicht mehr schutzbedürftig gilt, wird in der Regel wegen seines Krankheitsrisikos auch nicht auf die Hilfe des anderen Ehegatten angewiesen sein, so daß dieser seinerseits nicht notwendig einer - von der Familienhilfe bezweckten - Entlastung bedarf (zur Entlastungsfunktion der Familienhilfe vgl. BSG 17, 186, 190; 22, 252, 254).
Stand dem Kläger hiernach für seine Ehefrau, deren Einkommen während der streitigen Zeit die Versicherungspflichtgrenze überschritt, ein Anspruch auf Familienhilfe nicht zu, so haben die Vorinstanzen seine Feststellungsklage im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Die Revision ist unbegründet.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 1668930 |
BSGE, 13 |