Beteiligte
Bundesrepublik Deutschland |
Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung |
Hessische Landesamt für Versorgung und Soziales - Landesversorgungsamt - |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Februar 1992 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 8. März 1991 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungs- und das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der in seinem Heimatstaat Bosnien-Herzegowina lebende und dort als ziviles Kriegsopfer anerkannte Kläger begehrt Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Er sei im August 1943 als dreizehnjähriges Kind von einem deutschen Besatzungssoldaten mit dem Gewehrkolben auf sein rechtes Bein, die rechte Hüfte und auf den Kopf geschlagen worden. Das habe zu Verletzungen und diese hätten zu bleibenden Gesundheitsstörungen geführt.
Der Beklagte lehnte es ab, (Auslands-)Versorgung zu gewähren (Bescheid vom 1. August 1988; Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 1990). Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 8. März 1991). Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die erstinstanzliche Entscheidung und die angegriffenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Versorgungsantrag des Klägers vom 11. April 1988 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden (Urteil vom 20. Februar 1992).
Der Beklagte macht mit der Revision geltend, das LSG habe verfahrensfehlerhaft ohne mündliche Verhandlung entschieden. Die erst am Tag der Entscheidung Beigeladene habe diesem Verfahren nicht zugestimmt. Verfahrensfehlerhaft sei auch die Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Verwaltung. Das LSG hätte die bei seiner Rechtsauffassung noch erforderlichen Ermittlungen anstellen und dann in der Sache entscheiden müssen. Verfehlt sei schließlich auch die Rechtsauffassung des LSG, bei der behaupteten Mißhandlung des Klägers durch einen deutschen Soldaten habe es sich um eine unmittelbare Kriegseinwirkung iS des § 5 Abs 1 Buchst a BVG gehandelt. Unter diesen Begriff fielen nur direkte Kampfhandlungen. Eine solche habe hier nicht vorgelegen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. Februar 1992 abzuändern und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 8. März 1991 in vollem Umfang zurückzuweisen,
hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Hessische Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
II
Die Revision des Beklagten hat Erfolg.
Das Berufungsurteil ist aufzuheben, weil der Beklagte zutreffend einen Verfahrensfehler gerügt hat, auf dem die Entscheidung beruht. Das LSG hätte eine Entscheidung in der Sache treffen müssen. Statt dessen hat es den Rechtsstreit an die Verwaltung zurückverwiesen.
Nach der Rechtsauffassung des LSG ist der Kläger durch eine nach § 5 Abs 1 Buchst a BVG als unmittelbare Kriegseinwirkung geltende Maßnahme geschädigt worden, vorausgesetzt, seine Darstellung über die Mißhandlung durch einen deutschen Soldaten im August 1943 trifft zu. Ob sie zutrifft, hat das LSG dem Beklagten zur Prüfung aufgegeben. Das war verfahrensfehlerhaft, weil das Tatsachengericht nach § 103 SGG verpflichtet ist, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, also alle Tatsachen zu ermitteln, die für seine Entscheidung in prozessualer und materieller Hinsicht wesentlich, dh entscheidungserheblich sind. Dieser Verpflichtung war das LSG auch nicht deshalb enthoben, weil es gemeint hat, ohnehin – auch bei dem Kläger günstigem Ergebnis der noch anzustellenden Ermittlungen – keine abschließende Sachentscheidung treffen zu können. Selbst wenn der Beklagte – wie das LSG meint – nach Bestätigung des vom Kläger behaupteten Vorgangs noch eine Ermessensentscheidung hätte treffen müssen, obwohl der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung der Versorgung ausländischer Kriegsopfer, die die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Nr 3 BVG mit Ausnahme des Wohnsitzes erfüllen, in Nr 3 Buchst b der Richtlinien-Ost (idF vom 7. Dezember 1990, abgedruckt in Handbuch des sozialen Entschädigungsrechts 1995/1996, 259, 260 f) bereits allgemein zugestimmt hat, so hätte ein Bescheidungsurteil doch erst ergehen dürfen, nachdem vom LSG die Ermessensvoraussetzungen festgestellt worden waren (vgl Urteil des Senats vom 5. November 1997, BSGE 81, 156, 158 ff = SozR 3-1300 § 45 Nr 37).
Die weitere vom Beklagten erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung des Mündlichkeitsprinzips (§ 124 Abs 1 SGG) greift nicht durch. Das LSG hat zu Recht angenommen, daß es nach § 124 Abs 2 SGG ausnahmsweise ohne mündliche Verhandlung entscheiden durfte, obwohl die Beigeladene diesem Verfahren nicht zugestimmt hat. Eine solche Zustimmung war nicht möglich, weil das LSG die Bundesrepublik Deutschland erst durch Beschluß vom 20. Februar 1992 zusammen mit dem Urteil vom selben Tage beigeladen hat. Der Beiladungsbeschluß wurde jedenfalls nicht vor Zustellung (wiederum zusammen mit dem Urteil) am 13. März 1992 gegenüber der Beigeladenen wirksam. Mit Zustimmung der bis dahin allein Beteiligten (Kläger und Beklagter) konnte das LSG mithin am 20. Februar 1992 verfahrensfehlerfrei ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Der Beklagte hat nicht geltend gemacht, daß etwa er dem Verfahren nach § 124 Abs 2 SGG nicht zugestimmt habe, zB weil sich nachträglich – durch Beiladung der Bundesrepublik Deutschland – die Prozeßlage wesentlich geändert habe.
Trotz des Mangels im Berufungsverfahren brauchte der Senat die Sache nicht an das LSG zurückzuverweisen. Denn die – verfahrensfehlerfrei – getroffenen Feststellungen reichen für eine Entscheidung in der Sache aus. Das Berufungsurteil war schon deshalb aufzuheben und das klageabweisende erstinstanzliche Urteil wiederherzustellen, weil der Kläger einen Anspruch auf Versorgung gegen einen anderen Staat besitzt. Aus diesem Grunde ist das Gesetz nach § 7 Abs 2 BVG auf ihn nicht anzuwenden; der Ausnahmefall abweichender zwischenstaatlicher Vereinbarungen liegt hier nicht vor.
Der Kläger hat wegen der Folgen des von ihm behaupteten schädigenden Vorganges vom August 1943 Anspruch gegen seinen Heimatstaat auf eine Rente als ziviles Kriegsopfer. Das LSG hat dazu im Berufungsurteil zwar keine eigene Feststellung getroffen, es hat aber auf den „wesentlichen Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakten” Bezug genommen und damit – zulässigerweise (§ 136 Abs 2 SGG) – ergänzend auch auf die Tatsachenfeststellungen des sozialgerichtlichen Urteils. Daraus ergibt sich, daß der Kläger in seinem Heimatstaat als ziviles Kriegsopfer anerkannt ist. Diese Anerkennung hatte in Jugoslawien und hat in dessen Nachfolgestaaten den wesentlichen Zweck, damit Ansprüche auf eine (Zivilkriegsopfer-)Rente zu begründen. Auch wenn dieser Rentenanspruch des Klägers nur gering sein mag und selbst wenn er zur Zeit vom Heimatstaat des Anspruchsinhabers nicht laufend erfüllt werden sollte, schließt er gemäß § 7 Abs 2 BVG den Anspruch auf Versorgung nach dem BVG aus. Das ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Senats. Danach ist es für den Anspruchsausschluß nach dieser Vorschrift bedeutungslos, wenn der Versorgungsanspruch gegen den dritten Staat nach Art und Höhe dem Leistungsspektrum des BVG nicht entspricht (BSG SozR 1300 § 7 Nr 2; BSG SozR 3-3100 § 7 Nrn 1 bis 3).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 543095 |
SGb 1999, 356 |