Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Rentenentzug. Verwaltungsakt. Bindungswirkung. Verwaltungsermessen. Ermessensfehlgebrauch
Orientierungssatz
Die Versorgungsverwaltung handelt nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie nach Eintritt der Bindungswirkung eines Rentenentziehungsbescheides die Neuerteilung eines Zugunstenbescheides im Hinblick auf die Beschädigtenrente unter Hinweis auf die Rechtmäßigkeit der Rentenentziehung ablehnt, weil sie einen Versorgungsanspruch des Antragstellers nicht für gegeben hält.
Die Versorgungsbehörde handelt nämlich nur dann ermessensfehlerhaft, wenn sie die Unrichtigkeit der früheren Regelung erkennt, sich trotzdem auf die Bindung an den früheren Bescheid beruft und mit dieser rein formalistischen Begründung dem Berechtigten eine günstigere Rechtsposition versagt.
Hiervon kann jedoch nicht die Rede sein, wenn die Verwaltung ihrer Entscheidung über die Rentenentziehung sorgfältig begründete ärztliche Äußerungen zur Klärung des Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht zugrunde gelegt hat und der Kläger sich auch nicht darauf beruft, das Berufungsgericht habe den Sachverhalt hinsichtlich des Leidenszustands und seiner Folgen auf die Erwerbsfähigkeit nicht zutreffend beurteilt.
Normenkette
KOVVfG § 40 Abs. 1; BVG § 62 Abs. 1, § 86 Abs. 3
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 15.11.1963) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 11.11.1959) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. November 1963 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger bezog wegen
"1. Glaskörpertrübung nach Augenprellung links, Verlust eines Teiles des linken oberen Lidrandes, Sehschärfe 5/12,
2. mittelstarke Schwerhörigkeit links"
auf Grund des Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetzes in Verbindung mit dem Einsatzwehrmachtfürsorge - und -versorgungsgesetz Versehrtengeld nach Stufe I sowie auf Grund des Landesversorgungsgesetzes des Landes Rheinland-Pfalz - ohne ärztliche Nachuntersuchung - Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H. Durch Umanerkennungsbescheid nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 15. Mai 1951 wurden - ebenfalls ohne ärztliche Nachuntersuchung - die Bezeichnung der Schädigungsfolgen und die Höhe der MdE beibehalten.
Im August 1954 beantragte der Kläger eine Erhöhung seiner Rente. Gestützt auf mehrere Fachgutachten entzog das Versorgungsamt (VersorgA) durch den Bescheid vom 25. Oktober 1955 gemäß § 62 Abs. 1 in Verbindung mit § 86 Abs. 3 BVG die Rente mit Ablauf des November 1955, weil die Erwerbsfähigkeit nicht mehr um 25 v. H. herabgesetzt werde und bezeichnete als Schädigungsfolgen:
1. Glaskörpertrübung nach Augenprellung links, Verlust eines Teiles des linken oberen Lidrandes, Sehschärfe 5/12,
2. reizlose Narbe am rechten Unterarm ohne Funktionsbehinderung,
3. mittelstarke Schwerhörigkeit links;
zu 1.) und 2.) hervorgerufen, zu 3.) verschlimmert durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 BVG. Dieser Bescheid ist bindend geworden.
Im November 1957 beantragte der Kläger die Erteilung eines "Zugunstenbescheides", weil eine wesentliche Besserung nicht nachgewiesen worden sei. Das VersorgA hörte den Regierungsmedizinalrat Dr. Sch zur Frage der Höhe der MdE und lehnte mit Bescheid vom 30. Januar 1958 diesen Antrag ab; es hielt an der bindenden Wirkung seines Bescheides vom 25. Oktober 1955 fest. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 1958). Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (SG) am 23. September 1958 nahm der Kläger die Klage auf die Zusicherung des Beklagten zurück, das beklagte Land wolle die Frage eines "Zugunstenbescheides" nochmals prüfen. Der Kläger wies erneut darauf hin, daß der Entziehungsbescheid nur auf § 62 BVG, nicht aber auf § 86 Abs. 3 BVG hätte gestützt werden können und daß eine wesentliche Besserung nicht nachweisbar gewesen sei. Nach erneuter Anhörung des Regierungsmedizinalrats Dr. Sch und des Ärztlichen Dienstes des Landesversorgungsamts (LVersorgA) lehnte das VersorgA durch den neuen Bescheid vom 23. Februar 1959 wiederum die Erteilung eines "Zugunstenbescheides" ab, hielt an der bindenden Entscheidung vom 25. Oktober 1955 fest und führte noch aus, die unabhängig von der Bindung vorsorglich vorgenommene Prüfung habe die sachliche Richtigkeit des Bescheides vom 25. Oktober 1955 ergeben. Das LVersorgA wies mit Bescheid vom 7. April 1959 den Widerspruch als unbegründet zurück. Das VersorgA habe zutreffend die Voraussetzungen eines Bescheides nach § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) verneint. In tatsächlicher Hinsicht seien sowohl die Bezeichnung der Schädigungsfolgen als auch die festgestellte MdE zutreffend und der frühere Bescheid daher richtig gewesen. Rechtlich werde er einwandfrei von § 62 BVG getragen. Die möglicherweise fehlerhafte Bezugnahme auf § 86 Abs. 3 BVG sei aber rechtlich unbeachtlich. Durch die versäumte Einlegung eines Rechtsbehelfs gegen den Bescheid vom 25. Oktober 1955 sei dem Kläger ein Rechtsnachteil nicht entstanden.
Mit der Klage machte der Kläger geltend: Die Frist für die Anwendung des § 86 Abs. 3 BVG sei abgelaufen gewesen; der Bescheid vom 25. Oktober 1955 habe daher nicht auf diese Vorschrift gestützt werden dürfen. Der Bescheid habe auch nicht auf § 62 BVG gestützt werden können, weil Vergleichsgutachten fehlten und eine wesentliche Änderung daher nicht habe nachgewiesen werden können. Durch Urteil vom 11. November 1959 hat das SG die Verwaltungsbescheide aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, mit einem neuen Bescheid dem Kläger wieder die frühere Rente nach einer MdE um 30 v. H. zu gewähren.
Der Beklagte hat Berufung eingelegt. Durch Urteil vom 15. November 1963 hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben, die Klage gegen die Verwaltungsbescheide abgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat ausgeführt: Ausweislich des Wortlauts der angefochtenen Verwaltungsakte habe die Versorgungsbehörde eine neue sachliche Entscheidung über den Versorgungsanspruch nicht treffen wollen und auch nicht getroffen. Soweit sie in ihren Bescheiden nicht nur an der bindenden Wirkung des Bescheides vom 25. Oktober 1955 festgehalten habe, sondern noch sachliche und rechtliche Ausführungen gemacht habe, habe sie lediglich hilfsweise die Richtigkeit des Bescheides vom 25. Oktober 1955 dartun wollen. Die Bescheide vom 23. Februar und 7. April 1959 seien deshalb lediglich Ermessensentscheidungen und könnten ausschließlich darauf nachgeprüft werden, ob die Versorgungsbehörden die Grenzen des gesetzlichen Ermessens überschritten oder von ihm in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hätten. Dem Kläger sei zwar zuzugeben, daß der Bescheid vom 25. Oktober 1955 anfechtbar gewesen sei, weil er weder auf § 86 Abs. 3 noch auf § 62 BVG habe gestützt werden können. Er sei aber in vollem Umfange rechtswirksam geworden, da der Kläger ihn nicht angefochten habe. Wenn die Verwaltung trotz dieser Fehlerhaftigkeit des Bescheides vom 25. Oktober 1955 an der bindenden Wirkung festgehalten und keinen neuen Bescheid nach § 40 VerwVG erlassen habe, so könne darin ein Ermessensmißbrauch jedenfalls dann nicht gesehen werden, wenn der damalige Bescheid sachlich zutreffend gewesen sei. Diese Voraussetzung hat das LSG unter Verwertung der seinerzeit erstatteten ärztlichen Gutachten bejaht, und daher einen Ermessensmißbrauch ausgeschlossen.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt,
1. die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11. November 1959 zurückzuweisen;
2. hilfsweise: das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen;
3. weiter hilfsweise: die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Er rügt mit näherer Begründung eine Verletzung der §§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), 24 VerwVG, vorsorglich auch des § 40 Abs. 1 VerwVG und insoweit eine fehlerhafte Ermessenshandlung des Beklagten im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG. In weiteren hilfsweisen Erwägungen vertritt der Kläger dann noch die Ansicht, im Jahre 1955 habe ihm die Rente nicht mehr entzogen werden können, weil die Voraussetzungen des § 62 BVG nicht vorgelegen hätten und die Anwendbarkeit des § 86 Abs. 3 BVG mit dem 30. September 1954 entfallen sei. Der Kläger wäre also im ungestörten Besitz seiner Rente geblieben, ihm sei durch den fehlerhaften Bescheid vom 25. Oktober 1955 ein Nachteil zugefügt worden. Es hätte pflichtmäßigem Verwaltungsermessen entsprochen, diesen Nachteil zugunsten des Klägers durch einen Bescheid gemäß § 40 Abs. 1 VerwVG zu beseitigen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und führt insbesondere aus, er habe eine neue sachliche Entscheidung über den Versorgungsanspruch nicht treffen wollen und auch nicht getroffen.
Der Kläger hat die zugelassene Revision (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Das gemäß § 164 SGG zulässige Rechtsmittel kann jedoch keinen Erfolg haben.
Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hat der Beklagte durch den Bescheid vom 23. Februar 1959 die Erteilung eines neuen Bescheides nach § 40 VerwVG abgelehnt und an der bindenden Wirkung des Bescheides vom 25. Oktober 1955 festgehalten. Dies ist unzweideutig in diesem Bescheide zum Ausdruck gebracht worden. Der Kläger hat in der Revisionsinstanz seine entgegenstehende, im Berufungsverfahren wiederholt vorgetragene Auffassung nicht aufrechterhalten. Er ist nunmehr der Ansicht, der Beklagte habe durch den Widerspruchsbescheid vom 7. April 1959 die Sach- und Rechtslage neu überprüft und eine Neufeststellung getroffen. Dies trifft nicht zu.
Wie bereits dargelegt, hat der Beklagte im Termin vor dem SG am 23. September 1958 ausweislich der Sitzungsniederschrift eine nochmalige Prüfung zugesichert, ob dem Kläger ein "Zugunstenbescheid" erteilt werden könne. Hiermit ist nicht gesagt worden, das VersorgA werde über den strittigen Versorgungsanspruch nochmals sachlich entscheiden; im Gegenteil, - ausweislich der Niederschrift - wollte sich die Verwaltung auf die Prüfung beschränken, ob ein "Zugunstenbescheid" erteilt werden könne. Damit wollte sie also nur prüfen, ob dem Kläger etwa doch die durch den bindenden Bescheid entzogene Versorgungsrente zustehe. Der Kläger ist dann in seinem Schriftsatz vom 26. September 1958 hierüber hinausgegangen und hat beantragt, auch zu berücksichtigen, daß sich seines Erachtens der frühere Rentenentziehungsbescheid rechtlich nicht auf § 62 BVG stützen lasse. Dieses Begehren war neu und fand in den protokollierten Erklärungen der Beteiligten vor dem SG keine Stütze. Demgemäß kann der Revision nicht gefolgt werden, daß die Vorgeschichte zu den Bescheiden vom Februar und April 1959 eindeutig auf eine neue Gestaltung des Versorgungsanspruchs und nicht auf den Erlaß eines "Zugunstenbescheides" nach § 40 Abs. 1 VerwVG hinweise.
Es ist zwar richtig, daß der Widerspruchsbescheid vom 7. April 1959 nicht ganz so eindeutig wie der Bescheid des VersorgA vom 23. Februar 1959 an der bindenden Wirkung des Bescheides vom 25. Oktober 1955 festgehalten hat; aus Aufbau und Wortlaut des Widerspruchsbescheides ergibt sich jedoch zweifelsfrei, daß auch das LVersorgA an der bindenden Wirkung festhalten wollte und auch festgehalten hat. Gleich eingangs wird der Widerspruch als nicht begründet bezeichnet. Das LVersorgA geht sodann auf die Begründung des Widerspruchs durch den Kläger ein, um weiter auszuführen: "demgegenüber muß festgestellt werden, daß das VersorgA in dem angefochtenen Bescheid vom 23. Februar 1959 mit zutreffenden Gründen dargelegt hat, weshalb im vorliegenden Falle ein "Zugunstenbescheid" nach § 40 des VerwVG nicht ergehen kann". Damit ist eindeutig dargetan, daß auch das LVersorgA im Widerspruchsverfahren an der bindenden Wirkung des Bescheides vom Oktober 1955 festgehalten hat und den Versorgungsanspruch nicht hat neu gestalten wollen, vielmehr sich nach Prüfung der Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 VerwVG der Ansicht des VersorgA angeschlossen hat. Die weiteren Ausführungen im Widerspruchsbescheid, die sich auf die Frage beziehen, ob durch die anerkannten Schädigungsfolgen die Erwerbsfähigkeit um mehr als 20 v. H. herabgesetzt werde, stellen lediglich eine zusätzliche Begründung des Bescheides vom Februar 1959 dar; sie sind nicht nur nebenbei gemacht, sondern sollen dartun, daß dem Kläger beim Festhalten an der bindenden Wirkung keine Leistung vorenthalten werde, deren materielle Voraussetzung nach dem BVG erfüllt sei. In diesen Darlegungen ist keine sachliche Neuentscheidung zu erblicken, sondern lediglich eine Erläuterung der Gesichtspunkte, welche für die Handhabung des Ermessens berücksichtigt werden müssen. Denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 19, 286 ff; SozR VerwVG § 40 Nr. 3) wiederspricht es pflichtgemäßem Verwaltungsermessen, wenn die Versorgungsbehörde in Kenntnis der Tatsache, daß ein Bescheid erkennbar und zweifelsfrei zum Nachteil des Versorgungsberechtigten gegen eine gesetzliche Vorschrift verstößt, von der Möglichkeit gemäß § 40 VerwVG, einen neuen Bescheid zugunsten des Berechtigten zu erteilen, keinen Gebrauch macht und sich im gerichtlichen Verfahren auf die Bindungswirkung beruft. Infolgedessen hat die Versorgungsverwaltung die Pflicht, auch bei der Handhabung ihres Ermessens im Rahmen des § 40 VerwVG den Anspruch des Versorgungsberechtigten unter dem Gesichtswinkel zu prüfen, ob er etwa - unabhängig von jeder bis dahin vorgenommenen Regelung - sachlich gerechtfertigt ist. Es muß auch von ihr erwartet werden, daß sie die Umstände, welche für die Handhabung ihres Ermessens maßgebend gewesen sind, dem Versorgungsberechtigten mitteilt, damit dieser seine Rechtsverteidigung und Rechtsverfolgung sachentsprechend einrichten kann. Dieser Pflicht hat das VersorgA im Bescheid vom 23. Februar 1959 entsprochen. Die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 7. April 1959 gehen ebenfalls nicht über diesen Rahmen hinaus. Die Ausführungen in diesem Bescheid sind auch nicht etwa in dem Sinne mehrdeutig, daß der Kläger von mehreren, an sich möglichen Auslegungen sich diejenige zu eigen machen könnte, welche zu seinen Gunsten spreche, und er deshalb davon ausgehen könnte, durch den Widerspruchsbescheid sei der Anspruch unabhängig von den früheren Regelungen neu gestaltet worden. Die Eindeutigkeit ergibt sich - wie bereits dargelegt - in erster Linie daraus, daß der Bescheid ausdrücklich bekräftigt, das VersorgA habe zu Recht die Erteilung eines Zugunstenbescheides abgelehnt. Infolgedessen ist das angefochtene Urteil rechtlich bedenkenfrei davon ausgegangen, daß hier keine Neuregelung, sondern eine echte Ermessensentscheidung der Verwaltung vorliegt.
Zu Unrecht beruft sich der Kläger für seine Auffassung auf die Rechtsprechung des BSG. Die Sachverhalte der von ihm angezogenen Urteile (BSG 10, 248; 13, 48 und 86) sind insofern anders geartet, als in ihnen der Versorgungsanspruch deshalb sachlich neu geregelt worden ist, weil die Richtigkeit der früheren Beurteilung des Kausalzusammenhangs zweifelhaft war (BSG 10, 248; 13, 86) oder das besondere berufliche Betroffensein früher nicht berücksichtigt worden war (BSG 13, 48). Dem vorliegenden Fall ähnlich gelagert sind die Sachverhalte in den Entscheidungen in BSG 15, 10; 19, 286 (vgl. auch BSG in Bundesversorgungsblatt 1963 S. 87 f Nr. 30 und S. 97 Nr. 36).
Das Berufungsgericht hat die Bescheide vom 23. Februar und 7. April 1959 nicht in vollem Umfang, sondern als echte Ermessensentscheidung der Verwaltung nur hinsichtlich der Handhabung des Ermessens nachgeprüft. Dies stimmt mit der Rechtsprechung des BSG (BSG 15, 12 f; 19, 287 f), der sich der Senat anschließt, überein. Diese Ermessensentscheidung kann gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG von den Gerichten nur daraufhin nachgeprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.
Bei der gerichtlichen Nachprüfung ist von folgenden Erwägungen auszugehen: Jede Verwaltung hat die aus ihrer öffentlichen Aufgabe und Funktion entspringende Pflicht, in ihrem Bereich für einen dem Gesetz entsprechenden Zustand zu sorgen und gesetzwidrige Zustände zu vermeiden oder zu beseitigen; es ist gleichgültig, ob sich dies zugunsten oder zuungunsten des Berechtigten auswirkt (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 8. Aufl. S. 239 ff.). Sodann ist die Entstehungsgeschichte des § 40 VerwVG zu berücksichtigen. Wie sich aus der Begründung des Entwurfs zu diesem Gesetz ergibt (§§ 40-44, Deutscher Bundestag 2. Wahlp. 1953 Drucks. Nr. 68, 14), sollte der Verwaltung wegen der Vielzahl der in der Nachkriegszeit notwendig gewordenen und unter unzulänglichen Verhältnissen getroffenen Entscheidungen in geeigneten Fällen ein Abgehen von der Bindungswirkung gestattet werden. Besteht aber diese Möglichkeit und widerspricht eine zum Nachteil des Berechtigten getroffene, bindend gewordene Regelung der später geklärten Sachlage, so soll die Verwaltung von dem bindenden Bescheid abrücken. Sie handhabt ihr Ermessen fehlerhaft, wenn sie die Unrichtigkeit der früheren Regelung erkennt, trotzdem sich auf die Bindung an den früheren Bescheid beruft und mit dieser rein formalistischen Begründung dem Berechtigten eine günstigere Rechtsposition versagt.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Vielmehr hat das Berufungsgericht zutreffend entschieden, daß die Verwaltung ihr Ermessen nicht fehlerhaft gehandhabt hat. Ihr standen außer den Gutachten des Hals-, Nasen-, Ohren-Arztes Dr. M vom 30. Juni 1955, des Augenarztes Dozent Dr. K vom 1. Juli 1955 und des Facharztes für Chirurgie Dr. B vom 30. Juni 1955 die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Reg. Medizinalrats Dr. Sch vom 16. Januar 1958 und 18. November 1958 sowie des Dr. G vom Ärztlichen Dienst des LVersorgA vom 15. Januar 1959 zur Verfügung. Wenn die Verwaltung diese sorgfältig begründeten ärztlichen Äußerungen für eine ausreichende Klärung des Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht angesehen, von einer erneuten ärztlichen Untersuchung und Begutachtung abgesehen und dementsprechend an der bindenden Wirkung des Bescheids vom 25. Oktober 1955 festgehalten hat, hat sie ihr Ermessen nicht fehlerhaft gehandhabt. Sie konnte von den gesicherten Befunden und auch von der Einschätzung der MdE um höchstens 20 v. H. ausgehen. Zu einem Abweichen von der ärztlichen Auffassung bestand für die Versorgungsverwaltung auch deshalb um so weniger ein Anlaß, als der Kläger nicht behauptet hatte, sein Leidenszustand sei unrichtig beurteilt worden, sondern - wie auch noch in der Revisionsinstanz - sich darauf beschränkte, zu sagen, er habe vor dem Bescheid vom 25. Oktober 1955 eine Rechtsposition erlangt, welche mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereingestimmt hätte. Jedenfalls sind begründete Revisionsrügen nicht in der Hinsicht erhoben, das Berufungsgericht habe den Sachverhalt hinsichtlich des Leidenszustandes und seiner Folgen auf die Erwerbsfähigkeit nicht zutreffend beurteilt. Die Feststellungen des LSG über die MdE infolge der anerkannten Schädigungsfolgen bindet daher das Revisionsgericht. Hieraus ergibt sich, daß die Versorgungsverwaltung zu Recht die Erteilung eines neuen Bescheides gemäß § 40 Abs. 1 VerwVG hier abgelehnt hat, weil dem Kläger eine Versorgungsrente nicht mehr zustand, wenn es ausschließlich auf die ärztliche Beurteilung - unabhängig von den bis dahin getroffenen verwaltungsmäßigen Regelungen seines Anspruchs - ankam.
Da sonach die angefochtene Entscheidung der Sach- und Rechtslage entspricht, war die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen