Entscheidungsstichwort (Thema)
Mehrstufenschema. Angelernte. Beamtendiensttuer. qualitativer Wert des bisherigen Berufs. tarifliche Einstufung. Dienstleistungsfachkraft für den Postbetrieb. "volle Breite"
Orientierungssatz
1. Bei Anwendung des zu § 1246 Abs 2 RVO entwickelten Vierstufen-Schemas kann ein Versicherter, der innerhalb der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten ("sonstiger Ausbildungsberuf") wegen der Qualität der bisherigen Berufstätigkeit (zB Erfordernis einer Regelausbildung) deren oberen Bereich angehört, nicht auf diejenigen Tätigkeiten der Gruppe mit dem Leitberuf des Ungelernten verwiesen werden, die nur ganz geringen qualitativen Wert haben (vgl BSG 28.11.1985 4a RJ 51/84).
2. Die Tätigkeit der Postzustellerin ist nicht dem Leitberuf des Facharbeiters, sondern dem des angelernten Arbeiters zuzuordnen.
3. Bei Einordnung von "Beamtendiensttuern" in den oberen Bereich des Leitberufs des angelernten Arbeiters scheidet zum einen die Verweisbarkeit auf ganz einfache Tätigkeiten aus, zum anderen muß mindestens eine in Betracht kommende Verweisungstätigkeit konkret bezeichnet werden.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente.
Die 1932 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie verrichtete von 1950 bis 1962 Lötarbeiten. Bei der Deutschen Bundespost war die Klägerin seit 1968 zunächst mit Unterbrechungen, ab 1971 als ständige Arbeiterin in Teilzeit beschäftigt. Bis sie Ende 1980 aus gesundheitlichen Gründen ausschied, arbeitete sie im Zustelldienst. Ihre Einstufung in Lohngruppe II des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost beruht auf der ständigen Verwendung als Arbeiterin (ohne Prüfung für den einfachen Postdienst) auf einem Arbeitsplatz mit Beamtentätigkeiten der Regelbewertung A 4 und Verwendung eines Pkw's zur Zustellung.
Den im Juli 1980 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte ab, weil die Klägerin weder erwerbs- noch berufsunfähig sei (Bescheid vom 29. September 1980, Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 1981).
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts -SG- Heilbronn vom 3. Mai 1982 und des Landessozialgerichts -LSG- Baden-Württemberg vom 26. Januar 1984). Das LSG hat festgestellt, daß die Klägerin nur noch leichte Arbeiten, möglichst ohne größeren Zeitdruck sowie unter Ausschluß von Kälte, Nässe und Zugluft, vollschichtig verrichten könne. Es hat ausgeführt: Zwar sei die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr imstande, den bisherigen Beruf der Postzustellerin auszuüben. Für die Entscheidung komme es aber darauf an, ob sie auf eine andere Tätigkeit verwiesen werden könne, was davon abhänge, ob sie der Gruppe der angelernten Arbeiter oder derjenigen der Facharbeiter zuzuordnen sei. Bei breiter Verweisbarkeit kämen zumindest die in der Auskunft des Verbandes der Metallindustrie Baden-Württemberg eV erwähnten Tätigkeiten (ua Lötarbeiten) in Betracht. Dagegen bestünde bei Annahme der Zugehörigkeit zum Leitberuf der Facharbeiter keine Möglichkeit, eine zumutbare Verweisungstätigkeit zu benennen; entweder fehle es an den erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten, oder es handele sich um einfache Tätigkeiten, auf die nach der Rechtsprechung nicht verwiesen werden dürfe. Die Klägerin gehöre als Postzustellerin nicht zur Gruppe der Facharbeiter. Das Bundessozialgericht (BSG) habe für die Einordnung in das Berufsgruppenschema auf den qualitativen Wert des bisherigen Berufs abgehoben, diesen aber nicht generell definiert, sondern nur negativ abgegrenzt, welche Merkmale nicht darunter fielen, nämlich Nachteile oder Erschwernisse infolge Belastungen, höheres Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Bewährungsaufstieg. Eine Tätigkeit, die nach kurzer Einweisung von jedermann ausgeübt werden könne, sei nicht der Facharbeitertätigkeit gleichzustellen, und es reiche nicht aus, allein auf Verantwortung oder Zuverlässigkeit abzustellen und dem durch Ausbildung oder Erfahrung erworbenen Können kein wesentliches Gewicht beizumessen. Jedenfalls bis zum Ausscheiden der Klägerin habe für den Einsatz im Zustelldienst eine praktische Einweisung von im allgemeinen nicht über 14 Tagen genügt. In derartig kurzer Zeit könnten Kenntnisse und Fähigkeiten von Facharbeiterniveau nicht erworben werden. Aus der tariflichen Einstufung ergäben sich keine Qualifikationsmerkmale; dafür seien die Ausübung einer Beamtentätigkeit und die Benutzung eines Pkw maßgebend gewesen. Soweit auf die Beamtentätigkeit abgestellt werde, handele es sich um solche des einfachen Dienstes (Besoldungsgruppen A 1 bis A 4); erst die Ausbildungsanforderungen für Beamte des mittleren Dienstes entsprächen denen von Facharbeitern. Höhergruppierungen aus sozialen Gründen fänden sich nicht nur im Beamtenrecht, sondern auch im Tarifvertrag der Arbeiter der Deutschen Bundespost (Hinweis auf BSG, Urteil vom 3. November 1982 - 1 RJ 32/82); die Tätigkeiten eines Briefzustellers nach den Lohngruppen II bis V unterschieden sich von ihrer Qualität her nicht. Hiernach und wegen der sonst ungerechtfertigten Privilegierung des öffentlichen Dienstes könne den Urteilen des BSG vom 24. Juni 1983 - 5b RJ 74/82 - und vom 1. Dezember 1983 - 5b RJ 114/82 -, in denen in Lohngruppe IV eingestufte Postzusteller den Facharbeitern zugeordnet und schwere physische Arbeitsbedingungen als Qualitätsmerkmale gewertet worden seien, nicht gefolgt werden.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision beruft sich die Klägerin auf die vom Berufungsgericht genannten Urteile des 5. Senats des BSG. Sie sei aufgrund ihrer Tätigkeit tariflich den Handwerkern gleichgestellt, die schwierige Spezialarbeiten verrichten oder mit besonderen Aufgaben betraut sind, die neben vielseitigem fachlichen Können besondere Umsicht und Zuverlässigkeit erfordern. Dies gelte besonders für Arbeiter(innen), die vollwertig eine Beamtentätigkeit der Regelbewertung A 4 ausübten. Eine solche Tätigkeit könne auch nicht, wie dies das LSG aus einer Auskunft des Postamtes C herausgelesen habe, der Lohngruppe V des Tarifvertrages gleichgesetzt werden. Wichtig sei auch, daß für Postjungboten eine Ausbildung von zweieinhalb Jahren vorgesehen gewesen sei, bevor die Übernahme in den einfachen Postdienst stattgefunden habe. Dies zeige, daß auch eine Tätigkeit im einfachen Postdienst als Facharbeitertätigkeit angesehen werden müsse.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil, das Urteil des SG Heilbronn vom 3. Mai 1982 sowie den Bescheid vom 29. September 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab 1. September 1980 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren, hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat durch Beschluß vom 29. November 1984 beim 5b Senat des BSG angefragt, ob er die mit der tariflichen Einstufung verbundene qualitative Bewertung der Tätigkeit nicht nur als Indiz (für die Einordnung der Tätigkeit als Facharbeitertätigkeit nach dem Mehrstufenschema) ansehe, sondern ihr den Charakter einer zu akzeptierenden Vermutung beilege. Der 5b Senat hat geantwortet (Beschluß vom 14. März 1985), er halte an seiner Rechtsauffassung fest, daß die tarifliche Einstufung einer Tätigkeit auf deren Qualität beruhe und diese widerlegbare Vermutung im Falle der tariflichen Einstufung eines Postzustellers nicht widerlegt sei; in seiner Begründung hat der 5b Senat ausgeführt, der Anfragebeschluß dürfte zeitlich überholt sein, nachdem nunmehr die "Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb" als Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von drei Jahren anerkannt sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist insoweit begründet, als der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden muß. Die Feststellungen des Berufungsgerichts reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.
Nach § 1246 Abs 2 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) ist ein Versicherter berufsunfähig, dessen Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr die Hälfte derjenigen eines vergleichbaren gesunden Versicherten beträgt. Nach Satz 2 der Vorschrift beurteilt sich dabei die Erwerbsfähigkeit des Versicherten nach allen (objektiv) seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeiten, die ihm (subjektiv) unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Hiernach stehen die sogenannten Verweisungstätigkeiten in einer Wechselwirkung zum "bisherigen Beruf". Von diesem aus bestimmt sich, welche Verweisungstätigkeiten als zumutbar in Betracht kommen. Deshalb muß er zunächst ermittelt und - da die Verweisbarkeit davon abhängt - nach den vorgenannten Kriterien bewertet, also sein qualitativer Wert festgestellt, werden (zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 41). Hierzu hat die Rechtsprechung ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in verschiedene "Leitberufe" untergliedert, nämlich diejenigen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters, des "angelernten" und schließlich des ungelernten Arbeiters. Grundsätzlich darf der Versicherte nur auf die jeweils niedrigere Gruppe verwiesen werden. Denn das Gesetz sieht den Versicherten nicht schon dann als berufsunfähig an, wenn er den "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, sondern verlangt, daß er, ausgehend von diesem Beruf, einen "zumutbaren" beruflichen Abstieg in Kauf nimmt. Erst wenn der Versicherte in diesem Sinne nicht auf eine zumutbare andere Tätigkeit verwiesen werden kann - sei es, daß es eine solche Tätigkeit (objektiv) nicht gibt, sei es, daß er (subjektiv) aus gesundheitlichen Gründen oder wegen fehlender (nicht ausreichender) Kenntnisse und Fähigkeiten eine solche Tätigkeit nicht zu verrichten vermag, ist er berufsunfähig.
Zutreffend ist das Berufungsgericht von der letzten vor der Rentenantragstellung ausgeübten Tätigkeit der Postzustellerin als dem bisherigen Beruf der Klägerin ausgegangen. Als festgestellt und, da hiergegen von der Beklagten keine Revisionsgründe vorgebracht worden sind, für den Senat bindend (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) gilt aufgrund der Ausführungen des LSG, daß die Klägerin als Postzustellerin nicht mehr einsatzfähig ist. Es kommt daher, wie dargelegt, auf den qualitativen Wert dieses bisherigen Berufs an, um von dem gewonnenen Ergebnis aus den Kreis der zumutbaren Verweisungstätigkeiten abstecken und abschließend untersuchen zu können, ob die Klägerin den Anforderungen eines solchen Verweisungsberufes gesundheitlich sowie von ihrem Können und Wissen her gewachsen ist.
Die dem angefochtenen Urteil nach dem Ergebnis der tatsächlichen Feststellungen zugrunde liegende Beurteilung, die Tätigkeit der Postzustellerin sei nicht dem Leitberuf des Facharbeiters, sondern dem des angelernten Arbeiters zuzuordnen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat für diese Tätigkeit keine berufliche Ausbildung durchlaufen, die dem Leitbild des Facharbeiters entspricht. Dessen bedurfte es auch nicht. Denn die Tätigkeit der Klägerin als Postzustellerin, um die es hier nur geht - auf den vom 5b Senat in seinem Antwortbeschluß genannten Ausbildungsberuf der Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb sowie den von der Revision erwähnten Ausbildungsweg des (früheren) Postjungboten wird an anderer Stelle noch einzugehen sein - setzt generell keine Ausbildungszeit von etwa drei Jahren voraus, wie sie regelmäßig beim Facharbeiter - mindestens - vorgeschrieben ist (vgl Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe, herausgegeben vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Ausgabe 1984, S 16 ff). In einem derartigen Fall gestaltet sich die Einordnung in das Mehrstufenschema besonders schwierig. Zur Erleichterung einer zutreffenden - tatsächlichen - Einordnung in eine der Gruppen des Schemas hat die Rechtsprechung des BSG die Heranziehung von Tarifverträgen zugelassen. Es hat sich dazu berechtigt gesehen, weil seiner Ansicht nach die Tarifpartner als die "unmittelbar am Arbeitsleben beteiligten Bevölkerungskreise" durch die Tarifverträge - trotz aller im Einzelfall möglichen Mängel - noch relativ zuverlässig eine Bewertung von Berufstätigkeiten vornehmen, die den Anforderungen auch des Mehrstufenschemas entspricht. Denn auch die der Berufswelt besonders nahestehenden Tarifpartner berücksichtigen bei der tariflichen Einstufung die Qualität des Berufs aufgrund seiner positiv zu bewertenden Anforderungen und Merkmale (vgl BSGE 41, 129, 133 = SozR 2200 § 1246 Nr 11; SozR 2200 § 1246 Nr 29). Damit ist den Versicherungsträgern und Gerichten bei der auf tatsächlichem Gebiet liegenden Ermittlung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes ein wertvolles Hilfsmittel an die Hand gegeben worden (vgl Urteil des Senats vom 28. November 1985 - 4a RJ 51/84).
Hieran knüpft das Berufungsgericht an, wenn es ausführt, die Klägerin sei als Postzustellerin in Lohngruppe II des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost eingeordnet gewesen, die auch Handwerker umfasse, also Arbeiter mit erfolgreich abgeschlossener Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von mindestens zweieinhalb Jahren.
Gleichwohl hat das Berufungsgericht nicht schon wegen dieser tariflichen Einstufung und deren indizieller Bedeutung den bisherigen Beruf der Klägerin in das Mehrstufenschema eingeordnet, sondern erst nach einer Prüfung aller qualitativen Bewertungskriterien. Der Senat hält dieses Vorgehen für richtig. Es entspricht dem Gesetz. Dort ist die tarifliche Einstufung nicht Tatbestandsmerkmal, wohl aber sind dies die Dauer und der Umfang der Ausbildung sowie die besonderen Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit. Zwar hält auch der Senat den Weg zum Beruf für weniger wichtig als den tatsächlichen qualitativen Wert der ausgeübten Tätigkeit; auch nach seiner Auffassung ist der tariflichen Einstufung eine wichtige indizielle Bedeutung für den qualitativen Wert einer Tätigkeit beizumessen. Die - vom Gesetz nicht erwähnte - tarifliche Einstufung kann aber keines der in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO genannten qualifizierenden Merkmale ersetzen; noch weniger kann sie als wichtiger eingeschätzt werden. Es bleibt zu beachten, "daß die BSG-Rechtsprechung den tarifbezogenen Maßstab niemals als ein Allheilmittel angesehen hat, sondern als ein ... soziologisches Hilfsmittel, das - neben denkbaren anderen - zur Ausfüllung eines rechtlich vorgegebenen Rahmens dient" (Burger in "100 Jahre sozialgerichtliche Rechtsprechung", Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes, Band XXVI S 93, 97).
Mit Blick auf § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO hat das LSG ausgeführt, die von der Klägerin verrichtete Tätigkeit der Postzustellerin könne nicht dem Leitberuf des Facharbeiters zugeordnet werden, weil sie keine Kenntnisse und Fähigkeiten verlange, wie sie üblicherweise erst durch eine mehrjährige Ausbildung oder Erfahrung erworben würden. Nach der Auskunft der Oberpostdirektion S habe jedenfalls bis Ende 1980, als die Klägerin ausgeschieden sei, für den Einsatz im Zustelldienst eine praktische Einweisung genügt, die im allgemeinen einen Zeitraum von 14 Tagen nicht überschritten habe. Wenn dennoch diese Tätigkeit verrichtet werden könne und wie die eines Facharbeiters entlohnt werde, so kämen unter diesen Umständen als Gründe nur zum einen physische Anforderungen (Zurücklegen großer Strecken, Treppensteigen, Tragen von Taschen und Paketen), zum anderen die Bedeutung von Zuverlässigkeit und Verantwortung, insbesondere auch bei Geld- und Wertsendungen, in Betracht; diese Merkmale seien insgesamt eher für angelernte Arbeiter typisch. Aus der tariflichen Einstufung selbst ergäben sich die erforderlichen Qualitätsmerkmale hier nicht. Basis für die tarifliche Einstufung der Klägerin sei die Lohngruppe V gewesen; die Einstufung in die Lohngruppe II habe darauf beruht, daß es sich um einen Arbeitsplatz mit Beamtentätigkeiten der Regelbewertung nach der Besoldungsgruppe A 4 gehandelt habe und von der Klägerin zur Zustellung ein Kraftfahrzeug benutzt worden sei. Damit könne die Facharbeiterqualifikation nicht begründet werden. Eine Beamtentätigkeit sei nur durch die Ausübung hoheitlicher Befugnisse gekennzeichnet, die nach dem Grundgesetz in der Regel Beamten übertragen werden müsse. Nach dem Grundsatz der funktionsgerechten Besoldung könne davon ausgegangen werden, daß einfache Tätigkeiten dem einfachen Dienst (Besoldungsgruppen A 1 bis A 4) zugeordnet seien. Für die Einstellung in den Vorbereitungsdienst dieser Laufbahn sei lediglich der erfolgreiche Besuch einer Hauptschule oder ein gleichwertiger Bildungsstand erforderlich (§ 17 der Bundeslaufbahnverordnung -BLV-); der Vorbereitungsdienst dauere mindestens sechs Monate und umfasse eine theoretische und eine praktische Prüfung. Bis April 1982 sei die am niedrigsten bewertete Briefzustellertätigkeit im Arbeitsverhältnis in Lohngruppe V eingestuft gewesen; die Tätigkeiten nach dieser Lohngruppe sowie den Gruppen IV, III und II hätten sich in ihrer Qualität aber nicht unterschieden. Auch die Verwendung eines Kraftfahrzeuges zur Zustellung könne keine höhere berufliche Qualifikation begründen und nicht anders beurteilt werden als bei Arbeitern, die etwa beim Ausfahren von Waren ein Kraftfahrzeug benutzen, ohne die Aufgaben eines Berufskraftfahrers wahrzunehmen. Wolle man der Gegenmeinung folgen, so bliebe zu beachten, daß in keinem Wirtschaftsbereich der Facharbeiterstatus mit so geringen qualitativen fachlichen Anforderungen zu erreichen wäre wie im öffentlichen Dienst. Es könne als allgemeinkundig vorausgesetzt werden, daß studentische Aushilfskräfte regelmäßig die ihnen fachfremde Tätigkeit des Briefzustellers ohne längere Einarbeitungszeit ausüben, was in anderen Facharbeiterberufen nicht möglich wäre.
Daß dem LSG ein Rechtsfehler unterlaufen ist, wenn es in Auswertung und Würdigung der vorbezeichneten Tatsachen und Umstände die Schlußfolgerung gezogen hat, die Klägerin könne nicht dem Leitberuf des Facharbeiters, sondern müsse dem Leitbild des angelernten Arbeiters zugeordnet werden, ist nicht ersichtlich. Soweit die Ausführungen des LSG tatsächliche Feststellungen enthalten, ist der Senat daran gebunden (§ 163 SGG). Soweit das LSG diese Tatsachen in Ausübung seines Rechts der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) gewertet hat, ist von der Klägerin ein Verstoß gegen Verfahrensrecht, zB gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze sowie die Anwendung unrichtiger Erfahrungssätze, nicht gerügt (§§ 163 Halbsatz 2, 164 Abs 2 Satz 3 SGG).
Allerdings hat der 5b Senat auf Anfrage des erkennenden Senats geantwortet, an der Rechtsauffassung festzuhalten, nach der im allgemeinen davon auszugehen sei, daß die tarifliche Einstufung einer Tätigkeit auf deren Qualität beruhe und diese widerlegbare Vermutung im Falle der tariflichen Einstufung der Tätigkeit eines Postzustellers nicht widerlegt sei. Inwieweit der erkennende Senat dieser Auffassung folgen könnte, bedarf keiner Erörterung. Denn der 5b Senat hat in der Begründung seines Beschlusses vom 14. März 1985 den Standpunkt vertreten, es könne im übrigen für die qualitative Bewertung einer Tätigkeit die "Indizwirkung der tariflichen Einstufung" nur solange primär maßgebend sein, als die fragliche Tätigkeit mit Ausbildungsberufen lediglich tariflich gleichgestellt, also selbst nicht als Ausbildungsberuf staatlich anerkannt sei. Er meint, daß insofern der Anfragebeschluß ohnehin "zeitlich überholt" sein dürfte, weil nunmehr die "Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb" als Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von drei Jahren staatlich anerkannt sei (Verordnung über die Berufsausbildung zur Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb vom 28. Februar 1979, BGBl I, 242; Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe, herausgegeben vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Ausgabe 1984, S 122). Der erkennende Senat hält diesen Gesichtspunkt, der in den bisherigen Urteilen des BSG zur Einordnung von Postzustellern in das Mehrstufenschema zumindest vernachlässigt worden ist, für so wesentlich, daß er mit seiner anderen rechtlichen Beurteilungsgrundlage in keiner Rechtsfrage von Urteilen des 5b Senats (vgl SozR 2200 § 1246 Nrn 123, 122, 111) mehr abweicht und daher auch nicht den Großen Senat des BSG anzurufen braucht (§ 42 SGG). Nach § 2 Abs 2 der vorgenannten Verordnung gliedert sich die Ausbildung in eine einjährige berufliche Grundbildung und eine zweijährige berufliche Fachbildung. Während die berufliche Grundbildung, wie dem Ausbildungsberufsbild des § 3 aaO zu entnehmen ist, nichts enthält, was auf die Tätigkeit des Postzustellers zugeschnitten wäre, erfaßt die berufliche Fachbildung auch, aber nur zum Teil, den Bereich der Zustellung. Über diesen Bereich hinaus wird die angehende Dienstleistungsfachkraft in den Fachgebieten Versand und Einlieferung von Postsendungen (unter Berücksichtigung von In- und Ausland), Annahme von Paketen, Beförderung der Sendungen sowie Ein- und Ausgang von Sendungen ausgebildet. Der Rahmenlehrplan für diesen Ausbildungsberuf verdeutlicht, daß auf einen breiten, fundierten Wissensstand Wert gelegt wird. Der Plan sieht für die zweijährige Fachstufe Zeitrichtwerte von insgesamt 560 Stunden vor, die sich in Allgemeine Wirtschaftslehre (160 Stunden), Postbetriebslehre (160 Stunden), Rechnungswesen (160 Stunden, unterteilt in Buchführung und Wirtschaftsmathematik von je 80 Stunden) und Wirtschaftsgeographie (80 Stunden) gliedert (Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 9. Februar 1979, Beilage zum Bundesanzeiger Nr 218 vom 20. November 1979). Die für diese Ausbildung vorgesehene Abschlußprüfung (vgl § 9 der oben genannten Verordnung) ist nach ihrer Schwierigkeit mit der Prüfung für den einfachen Postdienst offenkundig weder identisch noch vergleichbar.
Aus alledem geht hervor, daß die Tätigkeit der Klägerin als Postzustellerin nicht dem Facharbeiterberuf einer nach der Verordnung vom 28. Februar 1979 ausgebildeten und geprüften Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb gleichgestellt werden kann. Zwar hat die Rechtsprechung auch dann, wenn der für einen staatlich anerkannten Ausbildungsberuf vorgesehene "herkömmliche" Ausbildungsweg nicht beschritten, also eine entsprechende Tätigkeit ohne vorgeschriebene Ausbildung ausgeübt worden ist, die Zuordnung zum Berufsbild des Facharbeiters bejaht, wenn die Tätigkeit ihrer Qualität nach der eines Facharbeiters entsprach und nicht nur vorübergehend "vollwertig" ausgeübt worden ist. Sie hat aber gleichzeitig betont, es sei dann im Interesse einer klaren und sachgerechten Abgrenzung geboten, eingehend zu prüfen, ob die abweichend vom "normalen" Ausbildungsweg erlangte berufliche Position tatsächlich "in voller Breite" derjenigen des vergleichbaren Versicherten (Facharbeiters) entspricht, der die üblichen Stationen der beruflichen Entwicklung durchlaufen hat. Neben der tariflichen Einstufung und Entlohnung sei zu verlangen, daß der Versicherte nicht nur eine seinem individuellen Arbeitsplatz entsprechende Leistung erbringe, sondern auch über die theoretischen Kenntnisse und praktischen Fertigkeiten verfüge, die in seiner Berufsgruppe im allgemeinen erwartet werden. In diesem Sinne müsse eine "Wettbewerbsfähigkeit" im Vergleich zu anderen Versicherten derselben Berufsgruppe bestehen (erkennender Senat in SozR 2200 § 1246 Nr 53 S 163; dem folgend der 1. Senat aaO Nrn 68, 70; ebenso 5b Senat, Urteil vom 29. Oktober 1985 - 5b/1 RJ 14/84 S 6, 7). Über diese "volle Breite" des Wissens- und Könnensstandes verfügte die Klägerin nicht; sie war nach einer praktischen Einweisung von wenigen Wochen als Arbeiterin bei der Post ausschließlich im Zustelldienst beschäftigt. Wollte man sie dennoch einer Dienstleistungsfachkraft gleichstellen, bliebe unberücksichtigt, daß diese entsprechend ihrer breiten, vielseitigen Ausbildung im weitgefächerten Postbetrieb in weit größerem Maße einsetz- und umsetzbar ist, also mit zumindest wesentlich größerer Wahrscheinlichkeit als die Klägerin Verwendung im Postdienst finden könnte, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr imstande wäre, gerade im Zustelldienst zu arbeiten. Der "bisherige Beruf" einer solchen Dienstleistungsfachkraft unterscheidet sich also wesentlich von dem der Klägerin.
Nichts anderes ergibt sich aus dem Hinweis der Revision auf die Ausbildungsordnung für den einfachen Postdienst vom 9. März 1963 (Amtsblatt des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen 1963, 209). Diese Ausbildungsordnung unterteilt sich in Ausbildung der Postjungboten (I) und Ausbildung der Postfacharbeiter (II). Die Klägerin fiel unter II, wo es im Unterabschnitt B ("Anlernen der Pfarb") zu Nr 3 c hieß, daß neu eingestellte Pfarb möglichst nicht sogleich in "schwierigen Stellen" des einfachen Postdienstes (zB im Zustelldienst) verwendet werden sollten und, wenn sich dies jedoch nicht umgehen lasse, dafür eine Anlernzeit "bis zu vier Wochen" zuzubilligen sei, wobei wegen der derzeitigen Personalschwierigkeiten im einfachen Postdienst die Anlernzeit vorerst auf zwei Wochen begrenzt werden könne. Insofern fehlt es an einer Vergleichbarkeit auch mit der Ausbildung der Jungboten, die damals zweieinhalb Jahre betrug. Schon deshalb brauchte nicht näher darauf eingegangen zu werden, daß, wie der Ausbildungsplan für Jungboten zeigt, der qualitative Wert jener Ausbildung kaum demjenigen einer Dienstleistungsfachkraft nach der Verordnung aaO gleichzusetzen ist.
Nach alledem ist die Klägerin entsprechend dem qualitativen Wert ihrer Zustellertätigkeit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters zuzuordnen. Der Senat hat in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 28. November 1985, - 4a RJ 51/84 - S 12 ff, entschieden, daß bei einer Einordnung von "Beamtendiensttuern" in den oberen Bereich des Leitberufs des angelernten Arbeiters zum einen die Verweisbarkeit auf ganz einfache Tätigkeiten ausscheidet, zum anderen dann auch mindestens eine in Betracht kommende Verweisungstätigkeit konkret bezeichnet werden muß. Das LSG hat dies nicht berücksichtigt, allerdings im Hinblick auf die damals noch fehlende einschlägige Rechtsprechung auch nicht zu berücksichtigen brauchen. Dies wird nunmehr nachzuholen und zu prüfen sein, ob die bisher - offenbar von einer Verweisung auf das allgemeine Arbeitsfeld schlechthin ausgehenden - auf Seite 9 des Urteils genannten Tätigkeiten ggf dem Erfordernis der konkreten Benennung genügen. Dafür genügt es weder, bloße Arbeitsverrichtungen oder Arbeitsgänge zu bezeichnen, noch kann es ausreichen, mit einem pauschalierenden Begriff zu operieren, ohne daß auch gesagt wird, welche konkrete Berufstätigkeit im Arbeitsleben gemeint ist. In diesem Zusammenhang empfiehlt sich die Kennzeichnung einer tariflich erfaßten Tätigkeit, weil dann nachvollzogen werden kann, welche berufsspezifischen, qualitätsbestimmenden Anforderungen verlangt werden. Diese noch erforderlichen Ermittlungen und Feststellungen darf das Revisionsgericht nicht selbst treffen; sie müssen deshalb von der Berufungsinstanz nachgeholt werden. Demgemäß war die Sache an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
In der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung wird auch über die außergerichtlichen Kosten zu befinden sein.
Fundstellen