Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausscheiden aus der Versicherung und Dauer des Krankengeldanspruchs
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird ein während der Mitgliedschaft erkrankter Versicherter nach seinem Ausscheiden aus der Versicherung wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig, so hat er den vollen Anspruch auf Krankengeld im Rahmen des § 183 Abs 2 RVO; § 183 Abs 1 S 2 RVO gilt für diesen Anspruch nicht.
2. Wird die KVdR mit der Zustellung des knappschaftlichen Rentenbescheides bei der Bundesknappschaft durchgeführt, so kommt die Bundesknappschaft nach § 212 RVO als zuständiger Leistungsträger auch für solche Krankengeldansprüche in Betracht, die auf einem bei der alten Krankenkasse eingetretenen Versicherungsfall beruhen.
3. Die Leistungspflicht der neuen Kasse aus der bestehenden Mitgliedschaft geht grundsätzlich einer eventuellen Leistungspflicht der alten Kasse aus der noch wird damit der für die unterschiedliche Dauer maßgebliche Rechtsgrund eingeschränkt.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1961-07-12, Abs. 2 Fassung: 1961-07-12, § 212 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1972-08-10
Tatbestand
Streitig ist die Dauer des Krankengeldanspruchs.
Der ursprünglich im Bergbau beschäftigt gewesene Kläger war ab 1. Juli 1968 bei der Beklagten als Arbeiter pflichtversichert (§ 165 Abs 1 Nr 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Im Juni 1977 stellte er bei der Bundesknappschaft einen Rentenantrag. Wegen Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit gewährte die Beklagte Krankengeld für 78 Wochen bis 7. Februar 1979 und anschließend - ab 8. Februar 1979 - bis 8. August 1979 für 26 Wochen. Die Bundesknappschaft hatte ihm zuvor, nämlich ab 29. März 1978 statt der beantragten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit eine Rente wegen Berufsunfähigkeit bewilligt, wogegen der Versicherte Klage erhoben hat. Die zweite Blockfrist (§ 183 Abs 2 RVO) begann am 23. Februar 1979 - während des Bezugs des Krankengeldes für 26 Wochen -.
Die Beklagte hat die Gewährung von Krankengeld über den 8. August 1979 hinaus mit der Begründung abgelehnt, daß die Mitgliedschaft am 7. Februar 1979 erloschen sei. Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verurteilt, Krankengeld über den 8. August 1979 hinaus "bis zum Ablauf der Frist gemäß § 183 Abs 3 RVO" zu gewähren. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ein Anspruch auf Krankengeld (bei Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit) während einer neuen Blockfrist die Mitgliedschaft des Versicherten voraussetze, so daß auch Rentenantragsteller (als formal Pflichtversicherte) einen Anspruch auf Krankengeld während einer weiteren Blockfrist haben könnten. Hier sei der Kläger nur deshalb nicht Mitglied geworden, weil das knappschaftliche Sonderrecht eine Mitgliedschaft der Rentner nicht vorsehe. Der Rentenantragsteller in der knappschaftlichen Rentenversicherung müsse aber nach Art 3 des Grundgesetzes (GG) den übrigen Rentenantragstellern gleichgestellt werden.
Mit der zugelassenen Sprungrevision macht die Beklagte geltend, daß der Kläger aus der Mitgliedschaft bei ihr - der Beklagten - ausgeschieden sei, ohne daß sich eine Mitgliedschaft in der Krankenversicherung der Rentner angeschlossen habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 10. Januar 1980 - S 21 Kr 140/79 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Hierzu wird vorgebracht: Es erscheine willkürlich und verstoße auch gegen das Sozialstaatsprinzip, wenn der Kläger, obwohl er sich schon lange vom Bergbau abgekehrt habe, gemäß § 102 Abs 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) auf eine Zuständigkeit verwiesen werde, die ihn gegenüber anderen Rentenantragstellern schlechter stelle. Im übrigen erscheine es auch zweifelhaft, ob der Erlaß des Reichsarbeitsministeriums (RAM) vom 22. August 1942 - dessen Fortgeltung durch Art 2 § 2a Abs 1 des Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (KnVNG) vom 21. Mai 1957 (BGBl I S 533) ausdrücklich bestätigt wurde - mit dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar sei. Schließlich habe es die Beklagte auch versäumt, den Kläger über sein Recht zur freiwilligen Weiterversicherung zu belehren.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung begründet. Die Zurückverweisung war geboten, weil die Bundesknappschaft notwendig beizuladen war. Die Notwendigkeit der Beiladung ergibt sich aus der Bestimmung des § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), die das BSG auf eine zulässige Revision von Amts wegen zu beachten hat (BSG SozR 1500 § 75 SGG Nr 1). Danach sind andere Versicherungsträger beizuladen, wenn sich im Verfahren ergibt, daß sie bei der Ablehnung des Anspruchs als leistungspflichtig in Betracht kommen. Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Der Kläger war mit der Zustellung des knappschaftlichen Rentenbescheides bei der knappschaftlichen Krankenversicherung versichert (BSG 5 RKn 9/74 vom 26. Februar 1975, SozR 2600 § 19 Nr 2; BSG 8b/3 RK 7/78 vom 29. Juni 1979, SozR 2200 § 183 RVO Nr 24). Als zuständiger Versicherungsträger kommt daher die Bundesknappschaft statt der Beklagten in Betracht. Die Leistungspflicht der neuen Kasse aus der bestehenden Mitgliedschaft geht grundsätzlich einer eventuellen Leistungspflicht der alten Kasse aus der beendeten Mitgliedschaft, zB bei nachgehenden Ansprüchen des Versicherten, vor (vgl BSGE 28, 202, 203, 204 = SozR Nr 6 zu § 212 RVO; BSGE 48, 235, 237 = SozR 2200 § 306 RVO Nr 5; BSG 3 RK 8/80 vom 28. April 1981).
Stand dem Kläger - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - zu Beginn der zweiten, für die Dauer des Krankengeldes nach § 183 Abs 2 RVO maßgeblichen Dreijahresfrist, nämlich am 23. Februar 1979, ein Anspruch auf Krankenpflege deshalb zu, weil die nach § 183 Abs 1 Satz 2 RVO für den Bezug von Krankenpflege geltende Frist von 26 Wochen nach dem Ausscheiden aus der bei der Beklagten bestehenden Pflichtversicherung noch nicht abgelaufen war, dann hatte der wegen derselben Krankheit weiterhin arbeitsunfähige Kläger - worüber sich die Beteiligten ebenfalls einig sind - nach der ständigen Rechtsprechung des Senats auch einen Anspruch auf Krankengeld (BSGE 45, 11, 15). Dieser im Rahmen des nachgehenden Anspruchs der Krankenpflege wiederentstandene Krankengeldanspruch endet nicht schon nach 26 Wochen. Wie der Senat bereits in seinem Urteil 3 RK 94/65 vom 20. Dezember 1966 (BSGE 26, 57, 59) entschieden hat, gilt § 183 Abs 1 Satz 2 RVO, wonach die sonst ohne zeitliche Begrenzung gewährte Krankenpflege spätestens 26 Wochen nach dem Ausscheiden endet, nicht für das Krankengeld. Eine kürzere Dauer der Krankenpflege gegenüber dem Krankengeld wird, wie der Senat dazu ausgeführt hat, durch den Umstand gerechtfertigt, daß jemand, der nur behandlungsbedürftig ist, die Möglichkeit hat, eine neue versicherungspflichtige Beschäftigung einzugehen, während ein arbeitsunfähig Erkrankter diese Möglichkeit nicht hat und daher auf das Krankengeld angewiesen ist. Diese Rechtsansicht, wonach § 183 Abs 1 Satz 2 RVO nicht die Dauer des Krankengeldanspruchs berührt, wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Senat bei seiner obengenannten Rechtsprechung zur Neuentstehung des Krankengeldanspruchs an den Krankenpflegeanspruch des § 183 Abs 1 Satz 2 RVO angeknüpft und dabei dessen primäre Bedeutung hervorgehoben hat. Denn mit dem Hinweis auf die Nachgeordnetheit des Krankengeldanspruchs ist weder etwas über die Anspruchsdauer ausgesagt noch wird damit der für die unterschiedliche Dauer maßgebliche Rechtsgrund eingeschränkt.
Die beizuladende Bundesknappschaft könnte daher verpflichtet sein, Krankengeld über den 8. August 1978 hinaus für die restliche Dauer von 78 Wochen zu gewähren.
Der Rechtsstreit war somit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen.
Das SG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mitzuentscheiden haben.
Fundstellen