Leitsatz (amtlich)
Auch im sozialgerichtlichen Verfahren muß die Beschwer des Rechtsmittelklägers im Zeitpunkt der Rechtsmitteleinlegung vorliegen (Anschluß BSG 1958-12-10 11/9 RV 1148/57 = BSGE 9, 17). Der Kläger kann eine Beschwer nicht dadurch begründen, daß er die Klage im Berufungsverfahren erweitert.
Leitsatz (redaktionell)
1. Es ist eine Frage der Auslegung, ob ein geltend gemachter Anspruch lediglich die Gewährung von Rente zum Inhalt hat und ob die behaupteten Leiden nur als Begründung des Rentenanspruchs angegeben sind, oder ob nebeneinander sowohl die Feststellung bestimmter Leiden als Schädigungsfolge als auch die Gewährung von Rente begehrt wird.
Der Kläger ist befugt, sein Klagebegehren nicht nur auf Leistung von Rente, sondern auch selbständig auf Feststellung bestimmter Leiden zu richten; daraus folgt, daß er auch bestimmte Leiden aus seinem Feststellungs- und Leistungsbegehren ausschließen kann.
Nimmt der Kläger ein bestimmtes Leiden ausdrücklich von der Feststellung aus, so kann das Gericht nicht im Urteilstenor feststellen, daß dieses Leiden besteht und Schädigungsfolge iS des BVG ist; denn das Gericht ist nach SGG § 123 an den Inhalt des Antrages des Klägers gebunden. Dies schließt nicht aus, bei der Prüfung des Leistungsbegehrens ein vom Kläger nicht erwähntes Leiden - also nicht eindeutig von ihm ausgeschlossenes Leiden - zur Begründung des MdE-Grades mit heranzuziehen.
2. Der dem materiellen Recht zuzurechnende Grundsatz der Einheitlichkeit des Rentenanspruchs kann nicht eine Verletzung der zwingenden Verfahrensvorschrift des SGG § 123 rechtfertigen.
Die Einheitlichkeit des Rentenanspruchs besagt, daß in der Regel der Rentenanspruch in bezug auf den gesamten Leidenszustand zu prüfen ist, weil der Anspruch als im ganzen Umfang geltend gemacht anzusehen ist. Macht der Kläger ein bisher nicht geltend gemachtes oder schon abgeheiltes Leiden erneut geltend, so kann er regelmäßig nicht auf ein besonderes Verfahren verwiesen werden. Aus diesem Grunde ist es auch möglich, mit der Begründung im Laufe des Verfahrens zu wechseln oder eine im Klageverfahren zurückgezogene Begründung in der Berufung zu wiederholen.
3. Durch die Festsetzung der MdE auf 25 % statt, wie beantragt, auf 30 %, ist der Kläger nicht beschwert, weil eine MdE um 25 % und um 30 % bei der Rentenbemessung und bei sonstigen Leistungen nach dem BVG gleichbehandelt werden.
4. Die unselbständige Berufungsanschließung ist kein Rechtsmittel, sondern ein angriffsweise wirkender Antrag innerhalb der Berufung des Gegners, der es dem Gericht ermöglichen soll, in vollem Umfang den Prozeßstoff zu entscheiden.
Daher verliert die Anschließung ihre Wirkung, wenn die Berufung unzulässig ist. Ist die Berufung des Klägers mangels Beschwer unzulässig, kann die unselbständige Anschließung des Beklagten nicht wirksam werden.
Normenkette
SGG § 99 Fassung: 1953-09-03, § 143 Fassung: 1953-09-03, § 123 Fassung: 1953-09-03; BVG
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 29. Juni 1956 wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der ... 1891 geborene Kläger war Soldat im ersten und zweiten Weltkrieg. Am 27. Mai 1952 beantragte er Beschädigtenversorgung wegen folgender Gesundheitsstörungen: Durchschuß beider Oberarme, Lungensteckschuß, Gleichgewichtsstörungen, Herzleiden, Rheuma und Kopfschuß. Versorgungsamt und Landesversorgungsamt B lehnten Versorgung ab, weil Schädigungsfolgen aus dem ersten Weltkrieg bisher nicht anerkannt gewesen und Gesundheitsstörungen auf den zweiten Weltkrieg nicht ursächlich zurückzuführen seien. Mit der Klage begehrte der Kläger zunächst Feststellung aller im Verwaltungsverfahren geltend gemachten Einzelleiden und Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 60 v.H. In der mündlichen Verhandlung am 6. September 1955 beantragte er, den Beklagten zu verurteilen: Beugungseinschränkung im re. Ellenbogengelenk, geringe Schwäche des Ellennerven und Narben am rechten Oberarm nach Durchschußbruchverwundung sowie reizlos eingeheilten Lungenstecksplitter als Schädigungsfolgen anzuerkennen und Versorgungsrente nach einer MdE. über 25 v.H. ab Antragstellung zu gewähren. Im letzten Verhandlungstermin vor dem Sozialgericht (SG.) am 25. Oktober 1955 wiederholte der Kläger seinen Antrag vom 6. September 1955 mit der Abänderung, den Beklagten zur Zahlung einer Versorgungsrente nach einer MdE. von 30 v.H. ab 1. Juli 1951 zu verurteilen. Mit Urteil vom 25. Oktober 1955 hob das SG. Berlin die angefochtenen Bescheide auf und verurteilte den Beklagten, eine Beugungseinschränkung im re. Ellenbogengelenk, eine geringe Schwäche des Ellennerven und Narben im re. Oberarm nach Oberarmschußbruchverwundung durch Infanteriegeschoß-Querschläger und einen reizlos eingeheilten Lungenstecksplitter als Versorgungsleiden mit einer MdE. von 25 v.H. anzuerkennen und dem Kläger Versorgungsrente ab 1. Juli 1951 nach dieser MdE. zu zahlen. Gegen dieses dem Kläger am 2. November 1955 zugestellte Urteil legte der Kläger am 1. Dezember 1955 Berufung ein und beantragte, unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten zu verurteilen, bei ihm als weiteres Versorgungsleiden Kopfverletzung durch Granatsplitter, erlitten am 14. September 1939 in Gotenhafen, anzuerkennen, dementsprechend den Grad der MdE. zu erhöhen und eine höhere Versorgungsrente zu gewähren. Der Beklagte legte mit einem am 21. Juni 1956 beim Landessozialgericht (LSG.) eingegangenen Schriftsatz Anschlußberufung ein und beantragte, die Berufung des Klägers zurückzuweisen und unter Abänderung des Urteils des SG. die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragte, die Anschlußberufung zurückzuweisen.
Das LSG. hat mit Urteil vom 29. Juni 1956 die Berufung des Klägers und die Anschlußberufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Es führte aus: Jedes Rechtsmittel setze eine Beschwer voraus; der Kläger sei durch das angefochtene Urteil nicht beschwert, da das SG. seinem zuletzt gestellten Antrag entsprochen habe. Nach dem Antrag des Klägers hätte das SG. nur über die Anerkennung der auf den ersten Weltkrieg zurückgeführten Gesundheitsstörungen als Versorgungsleiden zu entscheiden gehabt. Diesem Antrag sei im Sinne des Klägers entsprochen worden. Soweit der Kläger im Berufungsverfahren die Anerkennung seiner angeblich im zweiten Weltkrieg erlittenen Kopfverletzung erstrebe, sei er durch das Urteil des SG. nicht beschwert.
Die im sozialgerichtlichen Verfahren zulässige Anschlußberufung diene dem Zweck, daß nicht nur innerhalb der Anträge des Berufungsklägers, sondern darüber hinaus auch über Anträge des Berufungsbeklagten entschieden werden könne. Die unselbständige Anschlußberufung verlange aber eine zulässige Berufung. Bei ihrer prozessualen Abhängigkeit von der Berufung verliere die unselbständige Anschlußberufung ihre Wirkung, wenn die Berufung als unzulässig verworfen werden müsse. Das sei hier der Fall. Revision ist nicht zugelassen.
Der Beklagte beantragt mit der Revision, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen, hilfsweise unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des SG. vom 25. Oktober 1955 zurückzuweisen und auf die Anschlußberufung unter Abänderung des Urteils des SG. die Klage abzuweisen.
Der Beklagte rügt, daß das LSG. ein Prozeßurteil statt einer Sachentscheidung gefällt habe. Es habe zu Unrecht eine Beschwer des Klägers im Berufungsverfahren verneint. Der Kläger sei nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Rentenanspruchs befugt, ein neues Leiden als Leistungsgrund geltend zu machen, mag er auch dieses Leiden im ersten Rechtszug ausdrücklich von seinem Klagebegehren ausgeschlossen haben. Der Beklagte verweist hierzu auf das Urteil des BSG. vom 27.10.1955 - 4 RJ 105/54 (SozR. SGG § 162 Bl. Da 3 Nr. 17). Infolge der Zulässigkeit der Berufung sei das LSG. verpflichtet gewesen, auch über die Anschlußberufung des Beklagten sachlich zu entscheiden. Der Anspruch des Klägers sei nicht begründet, weil eine Anerkennung des Leidens vor dem 1. September 1939 (§§ 57 Abs. 2, 85 Bundesversorgungsgesetz - BVG -) nicht dargetan sei. Außerdem könne eine Rente nicht vor dem Monat der Antragstellung (Mai 1952) beginnen.
Der nicht durch einen beim BSG. zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertretene Kläger hat in einem von ihm selbst unterzeichneten Schriftsatz beantragt, die Revision des Beklagten zu verwerfen.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Da sie nicht zugelassen ist und das LSG. über einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einer Schädigung im Sinne des BVG nicht entschieden hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGG), ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, der auch vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG, BSG. 1 S. 150). Diese Voraussetzung ist nicht gegeben.
Die Revision rügt als wesentlichen Verfahrensmangel, das LSG. habe zu Unrecht nicht in der Sache entschieden. Ein Prozeßurteil anstelle eines gebotenen Sachurteils stellt an sich stets einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (BSG. 1 S. 283). Die Rüge des Beklagten greift gleichwohl nicht durch, weil das LSG. mit Recht ein Prozeßurteil erlassen hat.
Für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist Voraussetzung, daß der Rechtsmittelkläger durch das angefochtene Urteil beschwert ist (RGZ. 130, 100; 170, 346 (348 ff.)). Beschwer ist gegeben, wenn die Entscheidung dem Rechtsmittelkläger etwas versagt, was er beantragt hat (Baumbach, ZPO, 25. Aufl., 2 C c und 3 A der Grundzüge vor § 511). Er ist beschwert, wenn und soweit seinen Sachanträgen im Urteil nicht entsprochen wurde; ist der Rechtsmittelkläger nicht beschwert, fehlt es an einem Rechtsschutzbedürfnis (Rosenberg, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., § 134 II 2 S. 635; BVerwG. v. 28.1.1959 - V C38/56 in DVBl. Heft 11/1959 S. 398 f.). Diese Grundsätze des Zivilprozesses gelten auch im sozialgerichtlichen Verfahren (Peters-Sautter-Wolff Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit § 143 SGG; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15.9.1959 S. 249 u. BSG.; Beschluß des 4. Senats vom 29.8.1959 - 4 RJ 31/59).
Da das LSG. die Verwerfung der Berufung als unzulässig mit dem Fehlen einer Beschwer begründet hat, kommt es darauf an, ob das Urteil des SG. dem Kläger etwas versagte, was er begehrt hatte. Nach der Niederschrift über die letzte mündliche Verhandlung vor dem SG. am 25. Oktober 1955 hatte der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, eine Beugungseinschränkung im re. Ellenbogengelenk, eine geringe Schwäche des Ellennerven und Narben am re. Oberarm nach Oberarmschußbruchverwundung durch Infanteriegeschoß-Querschläger und einen reizlos eingeheilten Lungenstecksplitter als Versorgungsleiden mit einer MdE. um 30 v.H. anzuerkennen und Versorgungsrente ab 1. Juli 1951 nach dieser MdE. zu zahlen. Im Urteil des SG. ist der Beklagte verurteilt worden, die vom Kläger in seinem Antrag genannten Leiden als Versorgungsleiden mit einer MdE. von 25 v.H. anzuerkennen und Rente ab 1. Juli 1951 nach dieser MdE. zu zahlen. Durch die Festsetzung der MdE. auf 25 v.H. statt wie beantragt auf 30 v.H. ist der Kläger nicht beschwert, weil eine MdE. von 25 v.H. und um 30 v.H. nach § 31 Abs. 1 und 2 BVG bei der Rentenbemessung gleichbehandelt wird. Auch bei sonstigen Leistungen nach dem BVG macht es keinen Unterschied, ob die MdE. auf 25 v.H. oder auf 30 v.H. geschätzt ist; denn eine MdE. um 30 v.H. umfaßt noch eine MdE. von 25 v.H., § 31 Abs. 2 BVG. Aus dem Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren ergibt sich, daß er sich insofern beschwert fühlt, als die Folgen einer im zweiten Weltkrieg erlittenen Kopfverletzung nicht anerkannt und seine MdE. nicht unter Einbeziehung dieses Leidens höher bewertet worden ist. Da die Beschwer bei der Rechtsmitteleinlegung vorliegen muß und nicht durch Klageerweiterung in der Rechtsmittelinstanz erst geschaffen werden kann (Baumbach, a.a.O., 3 B der Grundzüge vor § 511), wäre der Kläger nur beschwert, wenn schon sein Klagebegehren vor dem SG. auf die Anerkennung der Folgen einer Kopfverletzung und eine dadurch bewirkte höhere MdE. gerichtet gewesen wäre. Dies ist nicht der Fall.
Es ist eine Frage der Auslegung, ob ein geltend gemachter Anspruch lediglich die Gewährung von Rente zum Inhalt hat und ob die behaupteten Leiden nur als Begründung des Rentenanspruchs angegeben sind (BSG. 5 S. 121 (123)), oder ob nebeneinander sowohl die Feststellung bestimmter Leiden als Schädigungsfolge als auch die Gewährung von Rente begehrt wird (§§ 92, 123 SGG, BSG. vom 10.12.1958 in SozR. SGG § 123 Da 2 Nr. 5 und BSG. vom 21.1.1959 in SozR. SGG § 55 Da 5 Nr. 17 und § 77 Da 4 Nr. 11). Der Kläger ist befugt, sein Klagebegehren nicht nur auf Leistung von Rente, sondern auch selbständig auf Anerkennung (richtiger: Feststellung) bestimmter Leiden zu richten; daraus folgt, daß er auch bestimmte Leiden aus seinem Feststellungs- und Leistungsbegehren ausschließen kann, gleichgültig, aus welchen Gründen. Nimmt der Kläger ein bestimmtes Leiden ausdrücklich von der Feststellung aus, so kann das Gericht nicht im Urteilstenor feststellen, daß dieses Leiden besteht und Schädigungsfolge im Sinne des § 1 BVG ist; denn das Gericht ist nach § 123 SGG an den Inhalt des Antrages des Klägers gebunden. Dies schließt nicht aus bei Prüfung des Leistungsbegehrens ein vom Kläger nicht erwähntes Leiden zur Begründung des MdE.-Grades mit heranzuziehen (vgl. Haueisen in NJW. 1959 S. 697). Nur soweit der Kläger eindeutig zu erkennen gibt, daß er ein bestimmtes Leiden von der Feststellung als Leistungsgrund ausgeschlossen haben will, ist das Gericht durch § 123 SGG gehindert, gegen den ausdrücklichen Antrag des Klägers dieses Leiden festzustellen und dafür Leistung zu gewähren.
Das zunächst gestellte Klagebegehren vor dem SG. ist sowohl als Antrag auf Feststellung bestimmter, ausführlich beschriebener Leiden als Schädigungsfolgen aufzufassen, als auch als Leistungsantrag, wobei als Gesundheitsstörungen aus dem zweiten Weltkrieg Kopfverwundung, Rheuma und Nierenleiden genannt waren.
Dadurch, daß der Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem SG. nur noch Anerkennung der im Urteilstenor des SG. genannten Leiden und Rente für diese begehrte, hat er seine Ansprüche auf diese Leiden beschränkt. Die Anerkennung eines weiteren bestimmten Einzelleidens (Kopfverletzung durch Granatsplitterverletzung im zweiten Weltkrieg) hat er erst im Berufungsverfahren begehrt. Das SG. hat daher zu Recht nur die im Antrag bezeichneten Leiden als Schädigungsfolge i.S. des § 1 BVG festgestellt und nur für diese Rente zugesprochen.
Das SG. hat damit dem Klagebegehren in vollem Umfang stattgegeben; denn der vom Gericht festgestellte Leidenszustand des Klägers weicht nach Bestand und Ursache vom Klagebegehren nicht ab. Der Kläger war daher durch das erstinstanzliche Urteil nicht beschwert (ebenso BSG. 9 S. 17 (22) u. S. 80 (82)). Durch Erweiterung seines Klagebegehrens in der Berufung - Feststellung weiterer Gesundheitsstörungen aus dem zweiten Weltkrieg - konnte der Kläger dagegen eine rechtserhebliche Beschwer nicht begründen, weil der Rechtsmittelkläger schon zur Zeit der Einlegung des Rechtsmittels beschwert sein muß (Baumbach a.a.O. und Rosenberg a.a.O.). Das LSG. war daher verfahrensrechtlich gehindert, sachlich zu entscheiden, ob das neu geltend gemachte Leiden als Schädigungsfolge festzustellen und dafür Rente zu gewähren ist. Auch die Berufung der Revision auf den Grundsatz der Einheitlichkeit des Rentenanspruchs, insbesondere auf die Ausführungen des 8. Senats hierzu im Urteil vom 20. März 1956 - 8 RV 41/55 - kann zu keiner anderen Entscheidung führen.
Die Einheitlichkeit des Rentenanspruchs besagt, daß in der Regel der Rentenanspruch in bezug auf den gesamten Leidenszustand zu prüfen ist, weil der Anspruch als im ganzen Umfang geltend gemacht anzusehen ist. Macht der Kläger ein bisher nicht geltend gemachtes oder schon abgeheiltes Leiden erneut geltend, so kann er regelmäßig nicht auf ein besonderes Verfahren verwiesen werden, Aus diesem Grund ist es auch möglich, mit der Begründung im Laufe des Verfahrens zu wechseln oder eine im Klageverfahren zurückgezogene Begründung in der Berufung zu wiederholen (so Sladek in BVBl. 1955 S. 28 (29) u. Wilke in BVBl. 1955 S. 109; ähnlich Schulte-Holthausen, Verfahren in Versorgungssachen 1935 4. Aufl. § 125 Anm. 1d u. 2c).
Dieser dem materiellen Recht zuzurechnende Grundsatz der Einheitlichkeit des Rentenanspruchs kann aber nicht die Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften rechtfertigen. Hat der Versorgungsberechtigte in seinem Klageantrag ein bestimmt bezeichnetes Leiden ausdrücklich von der Feststellung als Versorgungsleiden und als Leistungsgrund ausgeschlossen, so sind die Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit durch § 123 SGG gehindert, dieses Leiden entgegen dem ausdrücklichen Antrag des Klägers als Schädigungsfolge nach § 1 BVG festzustellen und hierfür Versorgungsleistung zuzusprechen, weil der Kläger insoweit weder einen Feststellungs- noch einen Leistungsanspruch erhebt. Sie können von dieser zwingenden Prozeßnorm auch nicht unter Berufung auf die Einheitlichkeit des Rentenanspruchs abweichen. Ebenso wenig kann dieser Grundsatz ein nach verfahrensrechtlichen Vorschriften unzulässiges Klage- oder Berufungsverfahren zulässig machen.
Im vorliegenden Fall scheitert die Anwendung des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Rentenanspruchs an der zwingenden Verfahrensvorschrift, daß auch im sozialgerichtlichen Verfahren ein Rechtsmittel nur zulässig ist, wenn der Rechtsmittelkläger durch das angefochtene Urteil beschwert ist. Wäre der Kläger durch das Urteil des SG. aus irgendwelchen Gründen beschwert - was bei anderer Verfahrenslage ohne weiteres denkbar wäre -, so könnte er unter Berufung auf die Einheitlichkeit des Rentenanspruchs auch die im ersten Rechtszug zuletzt nicht mehr geltend gemachte Gesundheitsstörung als Grundlage seines Anspruchs in der Berufung heranziehen und ihre Feststellung und Berentung fordern. Die fehlende Beschwer und die sich daraus ergebende Unzulässigkeit des Berufungsverfahrens schließen dies aber aus.
Aus den gleichen Gründen weicht weder der entscheidende Senat noch das Urteil des LSG. von dem oben zitierten Urteil des 8. Senats des BSG. ab: Im dort entschiedenen Fall war der Kläger dadurch beschwert, daß das SG. seinem Antrag auf Gewährung einer Rente nach einer MdE. um 50 v.H. nicht entsprochen hatte. Damit war die Berufung verfahrensrechtlich zulässig, und der Kläger konnte das vor dem SG. nicht geltend gemachte Nervenleiden zur Begründung seines Berufungsantrags auf höhere Rente heranziehen.
Hier dagegen hat das LSG. mit Recht die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG. mangels einer Beschwer als unzulässig verworfen.
Die schriftliche Anschlußberufung des Beklagten ist am 26. Juni 1956, also später als einen Monat nach der am 3. November 1955 erfolgten Zustellung des Urteils an den Beklagten beim LSG. eingegangen. Die Anschlußberufung des Beklagten ist mithin unselbständig. Nach der Rechtsprechung des BSG. gibt es auch in der Sozialgerichtsbarkeit die unselbständige Berufungsanschließung, die kein Rechtsmittel ist, sondern ein angriffsweise wirkender Antrag innerhalb der Berufung des Gegners, der es dem Gericht ermöglichen soll, in vollem Umfange über den Prozeßstoff zu entscheiden (BSG. vom 30.10.1957 in SozR. RVO § 1444 a.F. A a 1 Nr. 1). § 522 Abs. 1 Zivilprozeßordnung stimmt mit den Grundsätzen des Verfahrens vor den Sozialgerichten überein und gilt daher auch im sozialgerichtlichen Verfahren (§ 202 SGG). Daher verliert die Anschließung auch in der Sozialgerichtsbarkeit ihre Wirkung, wenn die Berufung unzulässig ist. Da die Berufung des Klägers mangels Beschwer unzulässig ist, konnte die unselbständige Anschließung des Beklagten nicht wirksam werden. Das LSG. hat daher mit Recht auch die Anschlußberufung des Beklagten als unzulässig verworfen.
Die vom Beklagten gerügten wesentlichen Verfahrensmängel liegen somit nicht vor.
Die weitere Revisionsrüge, das LSG. habe den Beginn der Rentenzahlung unter Verletzung des § 60 Abs. 1 BVG festgesetzt, betrifft die Anwendung materiellen Rechts. Sie kann die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft machen. Die Revision war daher, weil nicht statthaft, als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 26 |
NJW 1960, 310 |
MDR 1960, 173 |