Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeit und tarifliche Einstufung (hier: Paketsortiererin)
Orientierungssatz
Ändert sich an der Tätigkeit einer Paketsortiererin auch nach Ablegung der Prüfung für den einfachen Postdienst und tarifliche Höherstufung nichts, so kann sie nach der Qualität ihres bisherigen Berufs - einfach angelernte Tätigkeit - auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.09.1981; Aktenzeichen L 9 J 676/79) |
SG Mannheim (Entscheidung vom 15.03.1979; Aktenzeichen S 9 J 459/77) |
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit (BU und EU).
Die 1939 geborene Klägerin war zuletzt von 1969 bis 1976 - zeitweise halbschichtig - als Paketsortiererin beim Postamt M. beschäftigt und versichert. Dabei war sie bis zur Ablegung der Prüfung für den einfachen Postdienst im Oktober 1973 in der - zweitniedrigsten - Lohngruppe VII, von da an in der Lohngruppe IV des Tarifvertrags für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) vom 6. Januar 1955 in der seinerzeit geltenden Fassung eingestuft.
Den Antrag der Klägerin auf Versichertenrente vom November 1976 lehnte die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) mit Bescheid vom 2. Februar 1977 nach ärztlicher Untersuchung und Begutachtung mit der Begründung ab, daß sie noch nicht berufs- und erwerbsunfähig sei.
Klage hiergegen und Berufung blieben ohne Erfolg. Im angefochtenen Urteil vom 21. September 1981, in dem das Landessozialgericht (LSG) die Abweisung der Klage durch das Sozialgericht (SG) im Urteil vom 15. März 1979 bestätigt hat, ist folgendes ausgeführt: Bei Zustand nach Bandscheibenoperation und neurotischen Störungen habe die Klägerin nach dem Ergebnis der auf medizinischem Gebiet durchgeführten Beweisaufnahme nur schwere und mittelschwere Arbeiten und Arbeiten in Zwangshaltung zu vermeiden. Arbeiten überwiegend im Sitzen im Wechsel mit Gehen und Stehen könne sie vollschichtig noch verrichten. Die Tätigkeit als Paketsortiererin könne sie nicht mehr ausüben. Wenn sie auch die bisherige Tätigkeit nicht mehr verrichten könne, so könne sie jedoch, wie die Beweisaufnahme ergeben habe, auf eine Tätigkeit als Packerin von Kleinteilen verwiesen werden. Diese Arbeit sei der Klägerin iS von § 1246 Abs 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm der einschlägigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zumutbar: Die Tätigkeit einer Paketsortiererin sei ungeachtet der zeitweiligen Höherstufung aus sozialen Gründen nach ihrer Qualität der Berufsgruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters zuzuordnen.
Gegen dieses Urteil hat der Senat die Revision zugelassen (Beschluß vom 17. Februar 1982).
Die Klägerin hat die Revision eingelegt. Sie bringt vor: Sie sei nur deswegen in die Lohngruppe IV TV Arb eingestuft worden, weil sie die Ausbildung zum Postfacharbeiter absolviert und die Prüfung für den einfachen Postdienst abgelegt habe. Aus der Prüfungsordnung ergebe sich, daß diese Prüfung für die Qualität der Arbeit erheblich ins Gewicht falle. Sie müsse daher als Facharbeiterin beurteilt werden. Sie sei auch in die Lohngruppe der Handwerker und gleichgestellter Facharbeiter eingestuft gewesen. Die Lohngruppe IV lasse nicht erkennen, daß Postfacharbeiter dahin nur im Wege der Bewährung gelangten. Das LSG habe auch gar nicht festgestellt, daß die Eingruppierung auf qualitätsunabhängige Merkmale zurückzuführen sei. Soweit das LSG ihre Einstufung in die Lohngruppe IV als aus sozialen Gründen geschehen feststelle, habe es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten (§ 128 Abs 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Nach allem habe der Senat darüber zu befinden, ob den im öffentlichen Dienst Beschäftigten und in die Lohngruppe der Facharbeiter eingruppierten Versicherten - die eine innerbetriebliche Ausbildung absolviert und mit einer Prüfung abgeschlossen haben - der Berufsschutz eines Facharbeiters iS der Rechtsprechung des BSG zu § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO nur deshalb zu versagen sei, weil der Tarifvertrag eine Öffnung dieser Facharbeitergruppe auch für andere Arbeitnehmer im Rahmen eines Bewährungsaufstieges vorsehe.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden- Württemberg vom 21. September 1981 sowie das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 15. März 1979 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 2. Februar 1977 zu verurteilen, der Klägerin ab 1. November 1976 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren; hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Die Klägerin könnte mit ihrem Anspruch auf Versichertenrente zumindest wegen BU nur dann durchdringen, wenn ihre Erwerbsfähigkeit iS von § 1246 Abs 2 Satz 1 RVO infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche ihrer körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich oder geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken wäre. Dabei umfaßt nach Satz 2 aaO der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Nach den unangegriffenen, für den erkennenden Senat nach § 163 SGG bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG kann die Klägerin ihre zuletzt und nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte Tätigkeit als Paketsortiererin bei der Deutschen Bundespost aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verrichten. Zutreffend ist das LSG deshalb davon ausgegangen, daß sich die Frage der BU der Klägerin danach beurteilt, ob sie unter Beachtung von § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO zulässig auf eine andere Berufstätigkeit zumutbar verwiesen werden kann. Richtig hat das LSG ferner unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des BSG herausgestellt, daß sich die Breite der der Klägerin zumutbaren Verweisung nach der Qualität des "bisherigen Berufs" richtet, und zwar in der Weise, daß - innerhalb des von der Rechtsprechung entwickelten Vierstufenschemas - Versicherte der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters nur auf Tätigkeiten der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters, dieser aber eine Gruppe nach unten auf die Tätigkeit mit dem Leitberuf des Ungelernten verwiesen werden kann (vgl zB aus der veröffentlichten Rechtsprechung des erkennenden Senats mit zahlreichen Nachweisen SozR 2200 § 1246 Nr 86). Fiele die Klägerin, wie sie behauptet, mit ihrem bisherigen Beruf als Paketsortiererin in die Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters, so könnte sie entgegen der Annahme des LSG nicht auf ihr gesundheitlich mögliche unqualifizierte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden. Indessen hat das LSG zutreffend angenommen, daß die Klägerin nur angelernte Arbeiterin war und daher zumutbar auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden kann:
Die Klägerin war mit ihrem "bisherigen Beruf" als Paketsortiererin zunächst bis 1973 - Ablegung der Prüfung für den einfachen Postdienst - in die Lohngruppe VII laut Anlage 2 - Lohngruppenverzeichnis - zum TV Arb in der seinerzeit geltenden Fassung eingeordnet. Damit war die Klägerin innerhalb des 8 Lohngruppen umfassenden Lohngruppenverzeichnisses der zweitniedrigsten Gruppe zugewiesen, verrichtete also offenkundig als Paketsortiererin eine Arbeit mit recht geringem qualitativen Wert. Dieser Wert kann den eines Arbeiters mit dem Leitberuf des Angelernten nicht überschritten haben. Dies wurde auch nicht dadurch beeinflußt, daß die Klägerin, wie sie betont, als Postfacharbeiterin geführt wurde. Nach dem Erlaß des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen - III E 1 - 8610 - vom 4. Mai 1966 sind alle ungelernten oder einfach angelernten Arbeiter laut Nr 1 der Lohngruppe VII des Lohngruppenverzeichnisses ("Arbeiter, soweit nicht besonders eingereiht") Postfacharbeiter, "die im praktischen Post- und Fernmeldedienst beschäftigt werden". Der Postfacharbeiter ist also im Fachbereich "Postfachdienst" der Deutschen Bundespost beschäftigt (vgl Lohngruppe IV Nr 3 des Lohngruppenverzeichnisses idF des Änderungs- Tarifvertrags vom 7. Mai 1982); diese Bezeichnung weist den Arbeiter dagegen nicht etwa als "Facharbeiter" aus. Der Vortrag der Klägerin, sie habe die Ausbildung zur Postfacharbeiterin durchlaufen, läßt sie bei Einstufung in Lohngruppe VII allenfalls der Gruppe mit dem Leitberuf der angelernten, nicht der Gruppe mit dem Leitberuf der Facharbeiter zuordnen.
Daran, daß die Klägerin als Paketsortiererin eine Tätigkeit in der Qualität allenfalls einer einfach angelernten Arbeiterin verrichtet hat, kann sich 1973 nach Ablegung der Prüfung für den einfachen Postdienst nichts geändert haben. Zwar wurde die Klägerin von da an in die Lohngruppe IV des Lohngruppenverzeichnisses eingeordnet; indessen hat das LSG festgestellt, daß sich dadurch "an der Art ihrer bisherigen Tätigkeit" nichts geändert habe, dh daß sie "nicht im Hinblick auf die Qualität" ihrer Tätigkeit, sondern "aus sozialen Gründen" höher gestuft worden sei. Diese Feststellung bekämpft die Klägerin ohne Erfolg: Sie hat selbst nicht behauptet, daß sich nach Ablegung der Prüfung 1973 ihre Tätigkeit als Paketsortiererin geändert habe, so daß ihr Hinweis auf § 10 TV Arb - Bemessung der Löhne ua nach der Art der Tätigkeit - ihre Verfahrensrüge gegen die tatrichterlichen Feststellungen nicht trägt (vgl § 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Unerheblich ist auch, ob der TV Arb erkennen läßt, daß - und das hat das LSG weiter festgestellt - die Bezahlung einer Paketsortiererin nach Lohngruppe IV nach der Ablegung der Prüfung für den einfachen Postdienst allein "soziale Gründe" gehabt habe. Auch wenn der Tarifvertrag nichts in dieser Richtung erkennen ließe, ist es unter Beachtung der Denkgesetze nicht fehlerhaft, eine Lohnhöherstufung bei unveränderter Fortführung einer qualitativ einfachen Tätigkeit auf Gründe zurückzuführen, die nichts mit der Qualität der Arbeit zu tun haben. Dieser Schluß ist naheliegend. Er ist es um so mehr, als nach - dem von der Klägerin ins Feld geführten - § 10 TV Arb nicht nur die "Art der Arbeitsleistung", sondern ua auch deren "besonderen Umstände" Gründe sind, die die tarifvertragliche Lohngruppierung beeinflussen. Besonderer Umstand in diesem Sinn könnte möglicherweise nach den Vorstellungen der Tarifpartner auch die Ablegung einer Prüfung sein, selbst wenn sie die Qualität der konkret ausgeübten Arbeit nicht beeinflußt (vgl Lohngruppe IV Nr 3 idF des Änderungs-Tarifvertrags vom 7. Mai 1982: Arbeiter, "die eine Tätigkeit mindestens der Lohngruppe V verrichten", wenn sie ua "die Prüfung für den einfachen Postdienst bestanden haben").
Der Senat ist also, da die Klägerin mit ihren Angriffen nicht durchzudringen vermag, nach § 163 SGG an die Feststellung des LSG gebunden, daß sich die Qualität der bisherigen Berufstätigkeit der Klägerin als einfach angelernte Arbeiterin auch nach Ablegung der Prüfung für den einfachen Postdienst im Jahre 1973 durch Höherstufung von Lohngruppe VII nach Lohngruppe IV nicht geändert hat.
Bei diesem tatsächlichen Sachverhalt hat der Senat entgegen der Ansicht der Klägerin nicht darüber zu entscheiden, ob ihr bei Anwendung des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO Berufsschutz als Facharbeiterin "nur deswegen" zu versagen sei, weil sie tarifvertraglich in eine Lohngruppe eingestuft war, die neben Facharbeitern auch Arbeiter mit Bewährungsaufstieg umfaßte. Diese Frage spielt vorliegend keine Rolle (zur qualitativen Bewertung des bisherigen Berufs bei Höherstufung im Bewährungsaufstieg vgl zB BSGE 44, 10 = SozR 2200 § 1246 Nr 17 mwN); vielmehr ist zu entscheiden, ob allein der Umstand, daß die Klägerin nach Ablegung einer Prüfung, die die Qualität der bisherigen Tätigkeit einer einfach Angelernten nicht beeinflußte, in eine höhere Lohnstufe eingereiht wurde, bei der Verweisung nach § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO den Berufsschutz einer Facharbeiterin verschafft. Diese Frage ist zu verneinen; wie eingangs im einzelnen dargelegt, haben bei der Beantwortung dieser Frage alle Umstände außer acht zu bleiben, die nichts mit der Qualität des Berufs zu tun haben. Weder ist daher die Ablegung einer Prüfung, worauf die Klägerin zutreffend hingewiesen hat, unbedingte Voraussetzung für eine Einstufung in die Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters; noch aber ist andererseits die Höherstufung nach Ablegung einer Prüfung allein schon geeignet, den Facharbeiterstatus zu begründen.
Fällt aber die Klägerin mit ihrem bisherigen Beruf als Paketsortiererin in die Gruppe mit dem Leitberuf einer Angelernten, so kann sie zumutbar eine Stufe nach unten, also auf ungelernte Tätigkeiten verwiesen werden. Eine solche Tätigkeit hat das LSG nach Beweisaufnahme - Anhörung eines Arbeitsmarkt-Sachverständigen, Verwertung eines Beispiels zum Tarifvertrag für die Metallindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden - im Arbeitsbereich einer Packerin von Kleinteilen aufgefunden und zugleich unangegriffen festgestellt, daß die Klägerin für sie gesundheitlich geeignet ist. Die Verweisung der Klägerin auf diese Tätigkeit ist daher nicht zu beanstanden. Ist aber die Klägerin nicht berufsunfähig, so ist sie erst recht nicht erwerbsunfähig iS von § 1247 Abs 2 RVO.
Das angefochtene Urteil trifft nach allem zu, so daß die Revision der Klägerin hiergegen zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen