Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Frau und ihre Unterhaltsbedürftigkeit. Familienzuschlag für arbeitslosen Versicherten
Leitsatz (redaktionell)
Es sind im allgemeinen auch Feststellungen über die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin und ihre Unterhaltsbedürftigkeit notwendig, da der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Ehegatte nach EheG § 58 den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu leisten hat, "soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau ...".
Der Versicherte ist durch keine Rechtsvorschrift verpflichtet, den Familienzuschlag an die Klägerin abzuführen; die Pflicht hierzu ergibt sich insbesondere nicht aus den EheG §§ 58, 59.
Normenkette
AVG § 42 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S. 1 Alt. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. Oktober 1961 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin beansprucht Hinterbliebenenrente aus der Versicherung des am 13. September 1957 verstorbenen Franz Z Ihre Ehe mit dem Versicherten ist durch ein am 18. August 1957 rechtskräftig gewordenes Urteil des Landgerichts in Bielefeld aus Alleinverschulden des Mannes geschieden worden. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab: Der Versicherte habe der Klägerin nach der Ehescheidung weder Unterhalt geleistet noch nach den Vorschriften des Ehegesetzes (EheG) oder aus sonstigen Gründen zu leisten gehabt; er sei nicht leistungsfähig gewesen, auch sei ein Unterhaltstitel gegen ihn nicht ergangen (Bescheid vom 18. November 1958).
Die Klägerin machte geltend, der Versicherte habe ihr vor und nach der Ehescheidung Unterhalt zukommen lassen, er sei auch noch nach der Scheidung leistungsfähig gewesen. Unter anderem habe er vom Arbeitsamt wöchentlich 33,30 DM Arbeitslosengeld bezogen; darin sei ein Betrag von 6,- DM als Familienzuschlag für die Ehefrau enthalten gewesen, der an sie hätte abgeführt werden müssen.
Das Sozialgericht (SG) wies die Klage ab (Urteil vom 18. März 1960); das Landessozialgericht (LSG) wies - unter Zulassung der Revision - die Berufung der Klägerin zurück: Keine der Voraussetzungen des § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) sei gegeben. Für die tatsächliche Unterhaltsleistung im Sinne der letzten Alternative seien Zuwendungen vor der Ehescheidung unbeachtlich. Das Gericht habe sich auf Grund der erhobenen Beweise auch nicht davon überzeugen können, daß der Versicherte in der kurzen Zeit zwischen der Ehescheidung und dem Tode noch tatsächlich Unterhalt an die Klägerin geleistet habe. Die Klägerin habe gegen ihn zur Zeit seines Todes auch keinen Unterhaltsanspruch nach dem EheG gehabt, denn er habe zuletzt Arbeitslosengeld in Höhe von rund 140,- DM monatlich bezogen und sei nicht leistungsfähig gewesen. Daran ändere auch nichts die Tatsache, daß in dieser Unterstützung ein Familienzuschlag von 8,- DM (richtig: 6,- DM) wöchentlich enthalten war. Die Klägerin habe keinen unmittelbaren Anspruch auf diesen Betrag gehabt, der Zuschlag sei vielmehr Teil des Anspruchs des Arbeitslosen gewesen. Auch eine Unterhaltspflicht aus sonstigen Gründen habe nicht bestanden (Urteil vom 18. Oktober 1961).
Die Klägerin legte Revision ein mit dem Antrag,
die Urteile des LSG und des SG abzuändern, den Bescheid der Beklagten aufzuheben und sie zur verpflichten, der Klägerin die Hinterbliebenenrente nach ihrem früheren Ehemann zu gewähren.
Verletzt seien § 42 AVG und § 59 EheG. Sie habe einen Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten in Höhe des Familienzuschlags zum Arbeitslosengeld gehabt. Jedes Zivilgericht würde den Versicherten zur Unterhaltsleistung in dieser Höhe verurteilt haben. Logischerweise müßte ein Zuschlag, der mit Rücksicht auf den Familienstand gezahlt werde, demjenigen zugute kommen, von dessen Vorhandensein er abhängig sei. Aus der Zweckgebundenheit des Familienzuschlags folge zwangsläufig auch eine Verpflichtung des Versicherten "aus sonstigen Gründen".
Die Beklagte beantragte
die Zurückweisung der Revision.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Die Auffassung des LSG, die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Hinterbliebenenrente nach § 42 AVG, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Für die Frage, ob der Versicherte der Klägerin tatsächlich Unterhalt geleistet hat und deshalb die Voraussetzungen der letzten Alternative des § 42 AVG vorliegen, kann - weil das Gesetz von der "früheren" Ehefrau spricht, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden ist - nur eine nach der Ehescheidung liegende Unterhaltsleistung des Versicherten berücksichtigt werden. Dies gilt auch dann, wenn der Zeitraum zwischen der Scheidung und dem Tode des Versicherten kürzer als ein Jahr ist (BSG 14, 255). Das LSG hat aber nicht feststellen können, daß der Versicherte in dem kurzen Zeitraum, der zwischen der Ehescheidung und seinem Tode lag, der Klägerin Zuwendungen mit Unterhaltscharakter gemacht hat. Die Revision greift insoweit weder die tatsächlichen Feststellungen noch die Schlußfolgerung des LSG an. Es ist auch kein Grund ersichtlich, der gegen die Richtigkeit der Auffassung spricht, daß der Versicherte der Klägerin in dem maßgeblichen Zeitraum tatsächlich keinen Unterhalt geleistet hat. Die Klägerin kann daher den Rentenanspruch nicht auf die letzte Voraussetzung in § 42 AVG stützen.
Auch für die Frage, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes der früheren Ehefrau nach den Vorschriften des EheG Unterhalt zu leisten hatte (erste Voraussetzung des § 42 AVG), sind regelmäßig nur die Verhältnisse nach der Scheidung und nicht diejenigen zur Zeit der bestehenden Ehe maßgebend (BSG 5, 179, 185). Von dieser Regel macht die Rechtsprechung allerdings Ausnahmen, wenn der Zeitraum zwischen der Ehescheidung und dem Tode des Versicherten - wie hier - so kurz ist, daß er für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen dieser Alternative des § 42 AVG vorgelegen haben, nicht ausreicht. In solchen Fällen muß auf sonstige Weise geprüft werden, ob durch den Tod eine Unterhaltspflicht des Versicherten gegenüber der Ehefrau entfallen ist (BSG 14, 255 und Urteil vom 17. September 1964 - 12 RJ 350/61 -). Im vorliegenden Rechtsstreit ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß der Versicherte schon seit längerer Zeit vor der Ehescheidung und auch noch danach bis kurz vor seinem Tode Leistungen aus der Arbeitslosenhilfe im Betrag von 33,30 DM wöchentlich (= rund 140,- DM monatlich) bezogen hat. Es hat diese Zeit mit Recht als den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode des Versicherten angesehen und sie der Prüfung der Frage, ob er der Klägerin "zur Zeit seines Todes" Unterhalt zu leisten hatte, zugrunde gelegt. Ebenso begegnet die weitere Annahme des LSG, der Versicherte sei bei einem Einkommen in der angegebenen Höhe ohne Gefährdung seines eigenen notwendigen Lebensunterhalts nicht in der Lage gewesen, der Klägerin Unterhalt zu leisten, ihm habe daher eine Verpflichtung nach den §§ 58, 59 EheG nicht obgelegen, im Ergebnis keinen rechtlichen Bedenken. Zwar hat das LSG es unterlassen, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse auch der Klägerin während des gleichen Zeitraumes zu prüfen und Feststellungen über ihre Unterhaltsbedürftigkeit zu treffen. Solche Feststellungen sind im allgemeinen erforderlich, weil der allein oder überwiegend für schuldig erklärte Ehegatte nach § 58 EheG den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu leisten hat, "soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen", und nach § 59 EheG von der Unterhaltspflicht insoweit freigestellt ist, als dies "mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Ehegatten" der Billigkeit entspricht. Im vorliegenden Rechtsstreit kann jedoch auch ohne Rücksicht auf die Lebensverhältnisse der Klägerin schon aus dem geringen Betrag, der dem Versicherten in dem angegebenen Zeitraum für den eigenen Lebensunterhalt zur Verfügung stand, unbedenklich geschlossen werden, daß er zu irgendeiner Unterhaltsleistung an die Klägerin nicht imstande war. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau nicht nur davon abhängt, daß der Mann allein oder überwiegend für schuldig erklärt worden ist, daß es vielmehr auch auf seine Fähigkeit zur Unterhaltsleistung ankommt und daß die Pflicht hierzu in der Zeit entfällt, in welcher er nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zur Unterhaltsleistung außerstande ist (BSG 3, 197, 199; 5, 276, 281; 12, 257, 259). Das LSG hat daher zutreffend angenommen, daß ein solcher Fall zur Zeit des Todes des Versicherten vorlag.
Dieser Auffassung steht auch nicht entgegen, daß in den Leistungen, die der Kläger als Arbeitsloser erhielt und auf die er nach den Feststellungen des LSG allein für seinen Lebensunterhalt angewiesen war, ein Familienzuschlag von 6,- DM wöchentlich (rund 25,- DM monatlich) enthalten war. Es kann für die Entscheidung des Rechtsstreits dahinstehen, ob die sämtlichen für die Gewährung dieses Zuschlags in § 89 des Gesetzes für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) genannten Voraussetzungen bis zum Tode des Versicherten, insbesondere auch noch in der Zeit nach der Ehescheidung vorgelegen haben, ob er also den Zuschlag bis zuletzt zu Recht erhalten hat. Denn jedenfalls bildete der Zuschlag einen unselbständigen Teil des Arbeitslosengeldes; der Anspruch auf die Leistung stand ausschließlich dem Versicherten, nicht (auch) der Klägerin zu (BSG 3, 112). Es handelte sich zwar - ähnlich wie beim Kinderzuschuß zur Rente aus der Rentenversicherung (vgl. BSG 19, 241) - um eine zweckbestimmte Leistung; ihre Gewährung sollte dem Versicherten die weitere Erfüllung der Unterhaltspflicht ermöglichen oder erleichtern. Doch war dieser durch keine Rechtsvorschrift verpflichtet, den empfangenen Betrag an die Klägerin abzuführen. Die Pflicht hierzu ergab sich insbesondere nicht aus den §§ 58, 59 EheG. Die Klägerin meint zwar, die Abführung an sie hätte der Billigkeit entsprochen, wie sie in § 59 des EheG als Anspruchsvoraussetzung genannt ist. Jedoch erforderte die Billigkeit im vorliegenden Streitfall schon deshalb keine solche "Unterhaltsleistung", weil es der Klägerin freigestanden hätte, im Falle ihrer Bedürftigkeit bei dem Arbeitsamt nach § 181 Abs. 3 AVAVG die Auszahlung eines Teiles des Arbeitslosengeldes - etwa gerade des Zuschlags - zu beantragen. Dies war der gegebene Weg, um die Zweckbestimmtheit des Zuschlags zu wahren, falls ihn der Versicherte für fremde Zwecke verwandte. Angesichts dieser gesetzlichen Möglichkeit kann es aber nicht Aufgabe einer Unterhaltsregelung nach dem EheG sein, der Klägerin über zivilrechtliche Billigkeitsansprüche den Genuß der Familienzuschläge zum Arbeitslosengeld des Versicherten zu verschaffen.
Das LSG hat schließlich zu Recht angenommen, der Versicherte sei zur Zeit seines Todes auch nicht "aus sonstigen Gründen" im Sinn von § 42 AVG der Klägerin gegenüber zum Unterhalt verpflichtet gewesen. Eine solche Pflicht ergab sich weder aus dem Bezug des Familienzuschlags zum Arbeitslosengeld noch aus der Möglichkeit einer Anordnung nach § 181 Abs. 3 AVAVG. Selbst wenn auf eine derartige Anordnung ein Teil des Arbeitslosengeldes (der Familienzuschlag) an die Klägerin abgezweigt worden wäre, so hätte sie damit zwar einen Teil der dem Versicherten zustehenden Leistung ausgezahlt erhalten; es kann aber nicht gesagt werden, daß ihr damit der Versicherte selbst oder über das Arbeitsamt Unterhalt geleistet hätte.
Da hiernach keine der Voraussetzungen gegeben ist, von denen § 42 AVG den Hinterbliebenenrentenanspruch abhängig macht, muß die Revision der Klägerin gegen das Urteil des LSG als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen