Leitsatz (amtlich)

1. Die anspruchsbegründenden Tatsachen für eine höhere Leistung der Versorgung sind der Versorgungsbehörde erst dann "bekanntgeworden" iS des BVG § 60 Abs 3, wenn für sie hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß ein Anspruch auf eine höhere Leistung nach dem BVG besteht.

2. Zur Frage der Fürsorgepflicht der Versorgungsbehörde im Rahmen des BVG § 60 Abs 3.

 

Normenkette

BVG § 60 Abs. 3 Fassung: 1966-12-28

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Januar 1971 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger bezog wegen des bei ihm als Schädigungsfolge anerkannten "Bronchialasthma mit asthmatoider Bronchitis" zunächst Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 v.H.. Aufgrund eines Verschlimmerungsantrages ließ die Versorgungsbehörde den Kläger durch den Facharzt für Lungenkrankheiten Dr. S untersuchen, der in seinem Gutachten vom 4. August 1966 zu dem Ergebnis gelangte, daß sich die Schädigungsfolgen des Klägers verschlechtert hätten. Der Gutachter vertrat dabei die Meinung, daß diese Verschlechterung des Gesundheitszustandes nur vorübergehend und bei entsprechender ärztlicher Behandlung wieder zu beheben sei; daher schlage er eine Nachuntersuchung nach einem Jahr vor. Daraufhin bewilligte die Versorgungsbehörde durch Bescheid vom 26. September 1966 mit Wirkung vom 1. März 1966 an eine Rente nach einer MdE um 50 v.H.; die Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins wurde abgelehnt, weil der Kläger noch in der Lage sei, seinen Beruf als Klempner mäßig behindert auch weiterhin auszuüben. In einem am 7. Oktober 1966 für die Berechnung der Ausgleichsrente ausgefüllten Einkommensfragebogen teilte der Kläger mit, daß er bei der Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz einen Antrag auf Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente gestellt habe. Am 23. November 1966 teilte der Kläger der Versorgungsbehörde ferner mit, daß er keinen Anspruch auf Ausgleichsrente erhebe, weil er noch einer geregelten Beschäftigung nachgehe.

Mit einem am 17. Februar 1967 eingegangenen Schreiben unterrichtete die LVA R das Versorgungsamt (VersorgA) davon, daß der Kläger vom 1. Juli 1966 an Rente wegen Berufsunfähigkeit erhalte. Die Versorgungsbehörde ließ den Kläger im August 1968 nachuntersuchen. In dem am 9. August 1968 erstatteten Gutachten kam der Versorgungsarzt zu dem Ergebnis, daß - entgegen der Auffassung des Dr. S in seinem Gutachten vom 4. August 1966 - sich der Gesundheitszustand des Klägers nicht gebessert habe; vielmehr könne er seinen Beruf als Klempner jetzt nur noch unter erheblich erschwerten Bedingungen ausüben und komme lediglich noch für leichte Arbeiten in Betracht. Die Arbeitgeberin des Klägers teilte dem VersorgA mit, daß er seit dem 1. April 1967 nicht mehr als Klempner, sondern als Beobachter von Rohrleitungen sowie als Kontrolleur von Gas- und Wasseruhren tätig sei.

Durch Bescheid vom 11. November 1968 setzte daraufhin das VersorgA die Versorgungsbezüge des Klägers wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins neu fest und gewährte vom 1. August 1968 an eine Rente nach einer MdE um 60 v.H.; mit seinem Widerspruch begehrte der Kläger die Gewährung der höheren Rente bereits vom 1. Juli 1966 an (Beginn der Rente wegen Berufsunfähigkeit). Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. April 1969). Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) hat der Kläger beantragt, ihm die erhöhte Rente vom 1. Februar 1967 an zu zahlen, weil das VersorgA spätestens am 17. Februar 1967 durch die LVA R davon Kenntnis erlangt habe, daß er, der Kläger, berufsunfähig sei (§ 60 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -).

Das SG hat durch Urteil vom 15. April 1970 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 21.Januar 1971 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und in den Entscheidungsgründen ausgeführt, in den Verhältnissen, die für die Erteilung des Bescheides vom 26. September 1966 maßgebend gewesen seien, sei eine wesentliche Änderung eingetreten, weil der Kläger nunmehr seinem erlernten Beruf nur noch unter erheblich erschwerten Bedingungen nachgehen und leichte Arbeiten verrichten könne. Deshalb habe der Beklagte dem Kläger zutreffend Rente nach einer um 10 v.H. erhöhten MdE gewährt. Er habe die Erhöhung der Beschädigtenrente zu Recht mit Wirkung vom 1. August 1968 ausgesprochen, weil der Versorgungsbehörde die Voraussetzungen für eine Rentenerhöhung erst durch das Gutachten vom 9. August 1968 bekanntgeworden seien. Der Beklagte habe die schädigungsbedingte besondere berufliche Betroffenheit des Klägers noch nicht daraus erkennen können, daß dieser in dem Einkommensfragebogen vom 7. Oktober 1966 Mitteilung über die Stellung eines Antrages auf Berufsunfähigkeitsrente gemacht habe. Auch aus der am 17. Februar 1967 bei dem Beklagten eingegangenen Mitteilung der LVA R über die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit sei dies nicht erkennbar gewesen, ... denn - anders als bei der Frage des beruflichen Betroffenseins - müßten bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit im Sinne der Reichsversicherungsordnung (RVO) alle die Erwerbsfähigkeit einschränkenden Leiden berücksichtigt werden, unabhängig davon, ob sie als Schädigungsfolgen anerkannt seien oder nicht. Daher besage das Vorliegen von Berufsunfähigkeit noch nichts über das besondere berufliche Betroffensein im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG. Der Beklagte habe auch nicht - entgegen dem Vortrag des Klägers - die ihm obliegende Fürsorgepflicht verletzt. Eine allgemeine Fürsorgepflicht der Versorgungsbehörde des Inhalts, daß sie sich bemühen müsse, festzustellen, ob dem Versorgungsberechtigten eine höhere Leistung zu gewähren sei, gebe es nicht. Versorgungsleistungen würden grundsätzlich nur auf Antrag gewährt; dem Versorgungsberechtigten sei eine Mitwirkung zuzumuten, wenn er glaube, Anspruch auf eine Neufeststellung zu haben. Bevor das im August 1968 erstattete Nachuntersuchungsgutachten vorgelegen habe, habe für den Beklagten auch kein konkreter Anlaß für eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge bestanden. Es hätten bestimmte Anhaltspunkte dafür gegeben sein müssen, daß eine wesentliche Änderung der Verhältnisse, die eine höhere Versorgungsleistung bedingten, eingetreten sei. Derartige konkrete Anhaltspunkte seien weder in dem Vermerk des Klägers in dem Einkommensfragebogen noch in der Mitteilung der LVA R vom 17. Februar 1968 zu finden. Im Gegenteil habe der Beklagte aufgrund des Gutachtens des Facharztes für Lungenkrankheiten Dr. S vom 24. August 1966 von einer inzwischen eingetretenen Besserung des damaligen Befundes ausgehen können, so daß der Beklagte keine Veranlassung zu der Annahme gehabt habe, daß der Kläger durch die Art der Schädigungsfolgen mittlerweile beruflich besonders betroffen sei. Der Kläger habe dem Beklagten auch nicht mitgeteilt, worauf die von der LVA R angenommene Berufsunfähigkeit beruhe.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 16. März 1971 zugestellte Urteil am 19. März 1971 Revision eingelegt und diese nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 16. Juni 1971 am 17. Mai 1971 begründet.

Er beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.Januar 1971 und das Urteil des SG Düsseldorf vom 15. April 1970 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 11. November 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 1969 zu verurteilen, dem Kläger ab 1. Februar 1967 Rente nach einer MdE um 60 v.H. zu gewähren.

In seiner Revisionsbegründung, auf die Bezug genommen wird, rügt der Kläger eine Verletzung des § 60 Abs. 3 BVG sowie des § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und bringt hierzu insbesondere vor, die Feststellung des LSG, die Versorgungsbehörde habe erst durch das Gutachten vom August 1968 Kenntnis davon erlangt, daß er - der Kläger - durch die anerkannten Schädigungsfolgen beruflich besonders betroffen sei, widerspreche dem Gesamtergebnis des Verfahrens und sei daher unter Verletzung des Rechts zur freien Beweiswürdigung i.S. des § 128 SGG getroffen worden. Aus den Versorgungsakten und dem Gutachten des Facharztes für Lungenkrankheiten Dr. S vom August 1966 sei dem Beklagten bekannt gewesen, daß er - der Kläger - außer den anerkannten Schädigungsfolgen an keinen weiteren Gesundheitsstörungen gelitten habe. Aus seiner Angabe, daß er inzwischen die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit beantragt habe, habe der Beklagte schließen müssen, daß sich die in dem Gutachten noch als "mäßig" beurteilte Berufsbehinderung des Klägers mittlerweile erheblich verstärkt habe, denn wegen des Fehlens anderer Gesundheitsstörungen wäre bei einer Besserung der anerkannten Schädigungsfolgen der Antrag auf Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente unverständlich und unsinnig gewesen. Gewißheit über diese Frage habe der Beklagte durch die Anzeige der LVA R vom 17. Februar 1967 über die Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente erhalten. Es könne daher nicht bestritten werden, daß bereits vor der Nachuntersuchung des Klägers im August 1968 zumindest bestimmte Anhaltspunkte dafür gegeben gewesen seien, daß seit der Bescheiderteilung vom 26. September 1966 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG eingetreten sei. Die gegenteilige Feststellung des LSG beruhe auf einer ungenügenden Berücksichtigung des Akteninhalts. Selbst wenn man aber annehmen wollte, daß der Beklagte vor der Erstattung des Gutachtens im August 1968 noch keine Kenntnis von der wesentlichen Änderung der für den Versorgungsanspruch maßgebenden Verhältnisse gehabt habe, sei der Beklagte aus anderen Gründen zur Gewährung der höheren Rente bereits vom 1. Februar 1967 an verpflichtet gewesen. Der Beklagte habe dadurch, daß er nach Erhalt der Mitteilung vom 7. Oktober 1966 und der Anzeige der LVA R vom 17. Februar 1967 der Frage einer besonderen beruflichen Betroffenheit nicht nachgegangen sei, gegen die ihm obliegende Fürsorgepflicht verstoßen; er müsse den Kläger deshalb so behandeln, als ob er bereits im Februar 1967 die anspruchsbegründenden Tatsachen gekannt habe. Die Versorgungsbehörde müsse sozialfürsorgerisch tätig werden, dies jedenfalls dann, wenn sie durch Angaben des Versorgungsberechtigten oder durch amtliche Mitteilungen von anderer Seite Anhaltspunkte für eine Änderung der dem Versorgungsanspruch zugrunde liegenden Verhältnisse erhalte. Daß Versorgungsleistungen grundsätzlich nur auf Antrag gewährt würden, stehe dem nicht entgegen, weil sich dies in der Regel nur auf die erstmalige Gewährung einer Leistung beziehe, während laufende Leistungen unter Beachtung des § 62 BVG auch ohne ausdrücklichen Antrag neu festgestellt werden müßten. Der Beklagte sei daher aufgrund der ihm bekannt gewordenen Umstände zumindest verpflichtet gewesen, den Versorgungsanspruch zu überprüfen. Wenn eine Minderung oder Entziehung der Versorgungsleistungen zu erwarten gewesen wäre, so hätte der Beklagte sicherlich auch unbestimmte Angaben zum Anlaß genommen, sofort eine Prüfung des Versorgungsanspruchs einzuleiten. Die Versorgungsbehörde müsse aber dann auch von sich aus tätig werden, wenn sie aufgrund der ihr zugegangenen Mitteilungen von einer Verbesserung der dem Berechtigten zu gewährenden Versorgungsleistungen auszugehen habe. Die Verletzung der Fürsorgepflicht dürfe dem Berechtigten nicht zum Nachteil gereichen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, daß der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel nicht vorliegt und das LSG auch materiell-rechtlich richtig entschieden hat. Zur weiteren Darstellung des Vorbringens des Beklagten wird auf seine Revisionserwiderung vom 27. Juli 1971 verwiesen.

II

Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision ist vom Kläger form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und daher zulässig. Die Revision ist jedoch nicht begründet.

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Rente nach einer MdE um 60 v.H. - statt bisher um 50 v.H. - bereits vom 1. Februar 1967 an und nicht erst vom 1.August 1968 an zu gewähren ist. Die Auffassung des Klägers, daß ihm die erhöhte Rente bereits vom 1. Februar 1967 an gezahlt werden müsse, weil zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 BVG idF des Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 28. Dezember 1966 (BGBl I, 750) erfüllt seien, trifft nicht zu. Nach § 60 Abs. 3 BVG beginnt die höhere Leistung, wenn sie von Amts wegen festgestellt wird, mit dem Monat, in dem die anspruchsbegründenden Tatsachen einer Dienststelle der Kriegsopferversorgung bekanntgeworden sind. Die Worte "bekanntgeworden sind" bedeuten, daß die Versorgungsbehörde eine für die Gewährung der höheren Leistung hinreichende Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt hat. Der Versorgungsbehörde müssen also diejenigen Tatsachen, aus denen sich der Anspruch auf eine höhere Leistung herleitet, in einem solchen Umfange bekannt gewesen sein, daß daraus hinreichend konkret auf einen Anspruch auf höhere Leistung geschlossen werden konnte. Das "Bekanntwerden" der anspruchsbegründenden Tatsachen erfordert es zwar nicht, daß die Versorgungsbehörde damit ohne weiteres die endgültige Höhe der neuen Leistung erkennen kann; von einem "Bekanntwerden", also der Kenntnis jener Tatsachen, kann aber erst dann gesprochen werden, wenn das vorhandene und damit bekanntgewordene Tatsachenmaterial den begründeten Schluß auf eine höhere Leistung rechtfertigt. Dabei müssen diese Tatsachen - wie in § 60 Abs. 3 BVG bestimmt - "anspruchsbegründend" sein, also aus ihnen die nach dem BVG erforderlichen materiell-rechtlichen Anspruchsvoraussetzungen im Hinblick auf die höhere Leistung erkennbar werden. Demnach sind die für eine höhere Leistung anspruchsbegründenden Tatsachen der Versorgungsbehörde nicht schon dann "bekanntgeworden", wenn sich aus ihnen nur eine entfernt liegende Möglichkeit für die höhere Leistung ergeben könnte, sich also nur eine "Vermutung" eines entsprechenden Anspruchs ergibt.

Von welchem Zeitpunkt an sich eine solche "Vermutung" zum "Bekanntwerden" verdichtet, so daß dann die anspruchsbegründenden Tatsachen bekanntgeworden sind, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalles, insbesondere auch nach dem jeweiligen, die höhere Leistung betreffenden Anspruch zu beurteilen. Das LSG hat im vorliegenden Fall festgestellt, daß der Versorgungsbehörde die anspruchsbegründenden Tatsachen, die eine Erhöhung der Rente von 50 auf 60 v.H. rechtfertigten, durch das Gutachten vom 9. August 1968 bekanntgeworden sind, in welchem der Gutachter zu dem Ergebnis gelangt war, daß der Kläger in seinem Beruf als Klempner durch die anerkannten Schädigungsfolgen besonders betroffen sei (§ 30 Abs. 2 BVG). Die vom Kläger gegen diese Feststellung des LSG erhobene Rüge einer Verletzung des § 128 SGG greift nicht durch. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das LSG diese Feststellung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen und dabei weder verkannt noch übersehen, daß der Kläger im Oktober 1966 der Versorgungsbehörde mitgeteilt hatte, daß er einen Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gestellt habe, und ferner, daß die zuständige LVA im Februar 1967 der Versorgungsbehörde von der Rentengewährung Mitteilung gemacht hatte. Aus beiden Umständen mußte sich aber für die Versorgungsbehörde noch nicht konkret der Schluß aufdrängen, daß der Kläger nunmehr - entgegen dem Bescheid vom 26. September 1966 - beruflich besonders betroffen war, dies um so weniger, als der Sachverständige Dr. S noch in seinem Gutachten vom 4. August 1966 die Auffassung vertreten hatte, daß sich die von ihm festgestellte Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen durch ärztliche Behandlung wieder beheben lasse.

Zutreffend hat das LSG in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, daß die Versorgungsbehörde durch die Mitteilung der LVA über die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit an den Kläger im Februar 1967 auch deshalb noch keine Kenntnis von einem besonderen beruflichen Betroffensein i.S. des § 30 Abs. 2 BVG gehabt hat, weil die Anspruchsvoraussetzungen für beide Leistungen verschieden sind. Wenn der Kläger hierzu vorträgt, die Versorgungsbehörde sei mit jener Mitteilung der LVA deshalb gleichzeitig von einem besonderen beruflichen Betroffensein i.S. des BVG in Kenntnis gesetzt worden, weil in dem Gutachten vom 4. August 1966 nur Gesundheitsstörungen enthalten seien, die die Schädigungsfolge beträfen, so daß auch nur diese die Berufsunfähigkeit herbeigeführt haben könnten, so trifft dies schon in tatsächlicher Beziehung nicht zu. Neben der anerkannten Schädigungsfolge sind nämlich noch (als Röntgenbefund) eine Aortensklerose und ferner Verschleißerscheinungen des Stützsystems medizinisch festgestellt worden. Sind danach die vom Kläger vorgebrachten Rügen unbegründet, so steht für das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG bindend fest, daß der Versorgungsbehörde die anspruchsbegründenden Tatsachen, die die Gewährung einer Rente nach einer MdE um 60 v.H. rechtfertigten - nämlich das besondere berufliche Betroffensein des Klägers i.S. des § 30 Abs. 2 BVG -, erst mit dem Gutachten vom 9. August 1968 bekanntgeworden sind, so daß die höhere Leistung gemäß § 60 Abs. 3 BVG vom 1. August 1968 an zu gewähren war, wie dies in dem angefochtenen Bescheid geschehen ist.

Der Kläger hat auch nicht etwa deshalb bereits vom 1.Februar 1967 an einen Anspruch auf Rente nach einer MdE um 60 v.H., weil die Versorgungsbehörde - wie der Kläger meint - ihre "Fürsorgepflicht" verletzt hat. Der Gedanke einer Pflicht der Versorgungsbehörde zu "fürsorglichem Handeln" gegenüber dem Versorgungsberechtigten ergibt sich aus dem zwischen beiden bestehenden Versorgungsrechtsverhältnis; aus diesem Verhältnis heraus erwächst den Beteiligten eine Reihe von Nebenpflichten. Sie - also beide Beteiligten - haben alles in ihren Kräften stehende und ihnen zumutbare zu tun, um den anderen Beteiligten vor vermeidbaren, das Versorgungsverhältnis betreffenden Schaden zu bewahren. Insbesondere hat der Versorgungsberechtigte die Obliegenheit der Mitwirkung, Mitteilung und Anzeige, der Versorgungsträger die Pflicht zur versorgungsrechtlichen Betreuung des Versorgungsberechtigten (s. zur Fürsorgepflicht in der Rentenversicherung Urteil des 5. Senats des BSG vom 23. März 1972 - 5 RJ 63/70 -; BSG 32, 60, 62). Der "Fürsorgepflicht" der Versorgungsbehörde steht also im Rahmen des Versorgungsrechtsverhältnisses die Pflicht des Berechtigten gegenüber, auch von sich aus nach seinen Kräften alle zumutbaren Handlungen vorzunehmen, die zur Gestaltung eines dem Gesetz entsprechenden Versorgungsrechtsverhältnisses erforderlich sind. Wenn auch die Versorgungsbehörde nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung, insbesondere den Kenntnissen und Erfahrungen ihrer Bediensteten ein gewisses "Übergewicht" bei der Anwendung versorgungsrechtlicher Vorschriften gegenüber dem Versorgungsberechtigten regelmäßig hat, weil es diesem bei der oft schwierigen Materie nur in beschränktem Umfange möglich sein wird, dieses Recht richtig zu erfassen und anzuwenden, so kann der Versorgungsbehörde auch unter Berücksichtigung dieses "Übergewichts" nicht immer und in jedem Fall aufgrund ihrer sogenannten Fürsorgepflicht die Aufgabe aufgebürdet werden, im Rahmen eines routinemäßigen Verwaltungsablaufs zu prüfen, ob eine Änderung zugunsten des Berechtigten möglich ist; dies jedenfalls dann nicht, wenn es dem Berechtigten zuzumuten ist, selbst auf eine ihn begünstigende Änderung hinzuweisen. Ein "Anspruch" auf Besserstellung des Berechtigten kann erst dann entstehen, wenn unter Abwägung der sich aus dem Versorgungsrechtsverhältnis ergebenden Pflichten beider Beteiligten - also der Versorgungsbehörde und des Berechtigten - davon gesprochen werden kann, daß die Versorgungsbehörde "pflichtwidrig" gehandelt hat. Wann dies der Fall ist, muß nach den Gegebenheiten des Einzelfalles beurteilt werden.

Im vorliegenden Fall ist jedenfalls nicht zu erkennen, daß die Versorgungsbehörde - unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze - pflichtwidrig gehandelt und dadurch dem Kläger einen Schaden in der Weise zugefügt hat, daß ihm deshalb die höhere Rente nach einer MdE um 60 v.H. schon vom 1. Februar 1967 an zusteht. Hierbei ist in rechtlicher Hinsicht zu berücksichtigen, daß nach dem Grundgedanken des § 60 Abs. 3 BVG dem Beschädigten bei Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen auf Seiten der Versorgungsbehörde die höhere Leistung zwar auch ohne seinen Antrag von dem näher bestimmten Zeitpunkt an gewährt werden muß, ihm also wegen des Fehlens eines entsprechenden Antrages kein Nachteil - also auch kein Schaden - entstehen soll; jedoch wird durch die Vorschrift des § 60 Abs. 3 BVG der Grundsatz der Antragstellung als einer materiell-rechtlichen Voraussetzung des Versorgungsanspruchs (s. dazu BSG 2, 289, 293) nicht beseitigt. Das BVG geht grundsätzlich weiterhin davon aus, daß der Beschädigte zur Antragstellung verpflichtet ist, wenn er eine Leistung - auch eine höhere Leistung - verlangt, und daß ihm diese Leistung erst (frühestens) mit dem Antragsmonat zusteht (§ 60 Abs. 1 BVG). Wenn in § 60 Abs. 3 BVG demgegenüber vorgeschrieben wird, daß bei einer Feststellung der höheren Leistung "von Amts wegen" die Leistung in dem Monat des "Bekanntwerdens" der anspruchsbegründenden Tatsachen beginnt, so besagt dies noch nichts darüber, ob und in welchem Umfange die Versorgungsbehörde als Ausfluß ihrer gegenüber dem Beschädigten bestehenden Fürsorgepflicht Ermittlungen anstellen muß, um jene anspruchsbegründenden Tatsachen kennenzulernen. Allerdings kann davon ausgegangen werden, daß die Versorgungsbehörde dann nicht untätig bleiben darf, wenn sie deutliche Hinweise auf eine Änderung des Versorgungsrechtsverhältnisses zugunsten des Beschädigten erhält, ebenso wie sie regelmäßig "von Amts wegen" dann tätig wird, wenn solche Hinweise zuungunsten des Beschädigten vorhanden sind. Es kann jedoch - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht schon dann von einer Pflichtverletzung der Versorgungsbehörde gesprochen werden, wenn sie "unbestimmte" Hinweise bekommt.

Im vorliegenden Fall kann unter Abwägung der beiderseitigen Pflichten der Beteiligten in dem oben gekennzeichneten Sinne - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - keine Pflichtverletzung der Versorgungsbehörde festgestellt werden. Unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. S, aufgrund dessen der Bescheid vom 26. September 1966 ergangen ist, mit welchem ein besonderes berufliches Betroffensein des Klägers verneint worden war, durfte die Versorgungsbehörde auch im Hinblick auf die eigenen Angaben des Klägers im November 1966, er begehre keine Ausgleichsrente, weil er noch einer geregelten Beschäftigung nachgehe, davon ausgehen, daß der Kläger weiterhin noch nicht besonders beruflich betroffen i.S. des § 30 Abs. 2 BVG ist. Die Mitteilung der zuständigen LVA im Februar 1967 an die Versorgungsbehörde über die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit war im Hinblick auf die vorausgegangenen Erklärungen des Klägers allein noch kein genügend deutlicher Hinweis darauf, daß nach den materiell-rechtlichen Vorschriften des BVG - also des § 30 Abs. 2 BVG - der Kläger beruflich besonders betroffen sei. Die Mitteilung der LVA war der Versorgungsbehörde ohne jede medizinische Unterlage rein verwaltungstechnisch wegen eines möglichen Ersatzanspruchs zugegangen und brauchte von der Versorgungsbehörde - selbst unter Anlegung eines strengen Maßstabes hinsichtlich ihrer Fürsorgepflicht - auch nur in dieser Beziehung, also wegen eines möglichen Ersatzanspruchs, berücksichtigt und beurteilt zu werden. Wenn der Kläger allerdings glaubte, daß er nunmehr auch medizinisch gesehen beruflich besonders betroffen sei und einen Anspruch auf höhere Rente habe, so war es seine Pflicht, insoweit der Versorgungsbehörde einen deutlichen Hinweis zu geben, also einen Antrag zu stellen; das war ihm auch zumutbar.

Kann also im vorliegenden Fall keine Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Versorgungsbehörde festgestellt werden, so steht dem Kläger auch kein Anspruch zu, schon vom 1. Februar 1967 an Rente nach einer MdE um 60 v.H. zu erhalten. Hierbei kann dahingestellt bleiben, von welchem Zeitpunkt an im Falle einer Pflichtverletzung der Versorgungsbehörde in Fällen der vorliegenden Art der Anspruch auf höhere Rente gerechtfertigt sein könnte.

Da das LSG somit im Ergebnis zutreffend entschieden hat, war die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669287

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