Beteiligte

Klägerin, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte

Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten jetzt nur noch darüber, ob bei der Berechnung des Altersruhegeldes des im Laufe des Berufungsverfahrens verstorbenen Ehemannes der Klägerin, des Versicherten, die Zeit vom 5. Januar bis zum 12. Mai 1949 und vom 1. Juli 1949 bis zum 31. Januar 1951 als Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) anzurechnen ist.

Der im Jahre 1903 geborene Versicherte war von April bis August 1934 Assistent an der Universität Marburg gewesen. Anschließend war er dort bis Mai 1945 planmäßiger wissenschaftlicher Assistent. Von August 1939 bis Mai 1945 leistete er Wehrdienst. Anschließend befand er sich bis zum 4. November 1947 in Kriegsgefangenschaft. vom 15. August bis 14. November 1948 war er wieder wissenschaftlicher Assistent an der Universität Marburg. Diese Einstellung erfolgte unter dem Vorbehalt, daß die Mittel für seine Besoldung für die Dauer seiner Einstellung - nämlich für 3 Monate - "aus freiem Stelleneinkommen" zur Verfügung stünden. Sein Gehalt betrug monatlich 577,-- DM. Danach wurde er unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch den Hessischen Minister für Kultus und Unterricht als wissenschaftliche Hilfskraft für die Zeit vom 16. November 1948 an bis spätestens Ende Februar 1949 übernommen, und zwar bei einer Vergütung von monatlich 200,-- DM. Da die Genehmigung nicht erteilt wurde, endete die Beschäftigung des Versicherten mit dem 31. Dezember 1948. Vom 5. Januar bis zum 12. Mai 1949 war er als arbeitslos gemeldet. Vom 13. Mai bis 30. Juni 1949 war er Sachbearbeiter bei der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes. Vom 1. Juli 1949 bis 31. Januar 1951 war er erneut arbeitslos. Erst seit dem 1. Februar 1951 stand er wiederum in Arbeit. Für die Zeit bis zum Ende des Krieges galt er in der Folgezeit als nachversichert nach § 72 des Gesetzes zur Regelung der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen.

Seit dem 1. Dezember 1968 bezog der Versicherte von der Beklagten Altersruhegeld. Dabei war die Zeit seiner Kriegsgefangenschaft und seiner anschließenden Arbeitslosigkeit bis zum 14. August 1948 als Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG angerechnet worden. Die Berücksichtigung der Zeiten der späteren Arbeitslosigkeit war abgelehnt worden. Hier käme eine Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG nicht mehr in Betracht, weil insoweit wegen der Wiederbeschäftigung vom 15. August 1948 bis Ende 1948 nicht mehr der unmittelbare Anschluß an die Kriegsgefangenschaft gewahrt sei. Aber auch Ausfallzeiten nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG könnten nicht berücksichtigt werden, weil die sog. Halbbelegung nach § 36 Abs. 3 AVG nicht erfüllt sei.

Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hatte die Beklagte durch Urteil vom 11. April 1972 verurteilt, die gesamte Zeit vom Januar 1949 bis Zum 31. Januar 1951 als Ersatzzeit zu berücksichtigen. Hiergegen richtete sich die Berufung der Beklagten. Während des Berufungsverfahrens ist der Versicherte gestorben. Seine Ehefrau, die jetzige Klägerin, die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft gelebt hatte (§ 65 AVG), hat das Verfahren fortgesetzt.

Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Beklagte in teilweiser Abänderung des von ihr angefochtenen Urteils des SG Düsseldorf und unter Zurückweisung ihrer Berufung im übrigen verurteilt,in Abänderung ihrer Bescheide vom 28. Mai 1970 und vom 7. November 1973 die Zeit vom 5. Januar bis 12. Mai 1949 und vom 1. Juli 1949 bis zum 31. Januar 1951 bei der Berechnung des Altersruhegeldes als Ersatzzeit zu berücksichtigen.

Es legt unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 1259 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) dar, die Anrechnung einer Zeit der Arbeitslosigkeit als Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG sei stets dann geboten, wenn sie mit der eigentlichen Ersatzzeit (hier der Kriegsgefangenschaft) zusammenhänge und es sich dabei nicht um eine erst nach einer längeren Zwischenzeit neu eingetretene Arbeitslosigkeit handele. Diese Voraussetzungen habe der Versicherte erfüllt. Der Zusammenhang seiner Arbeitslosigkeit mit der Kriegsgefangenschaft sei in der ganzen Zeit vom November 1947 bis Ende Januar 1951 stets gegeben gewesen. Bei den kurzfristigen Beschäftigungen vom 15. August bis 31. Dezember 1948 an der Universität Marburg und vom 13. Mai bis 30. Juni 1949 bei der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes habe es sich um mißglückte Arbeitsversuche gehandelt, welche die davor, in der Zwischenzeit und danach bestehende Dauerarbeitslosigkeit nicht unterbrochen hätten. Solche ergebnislosen Versuche der Selbsthilfe zur Wiedereingliederung in das Berufsleben dürften sich nicht zum Nachteil der Betroffenen auswirken. Nach der vorgelegten Arbeitslosenmeldekarte sei der Versicherte vom 5. Januar bis 12. Mai 1949 und vom 1. Juli 1949 bis 31. Januar 1951 arbeitslos gewesen. Damit sei diese ganze Zeit als weitere Ersatzzeit zu bewerten. Dagegen könne die Beschäftigung an der Universität Marburg von Mitte August bis Ende Dezember 1948 und bei der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftgebietes nicht als Ersatzzeit angerechnet werden, da der Versicherte während dieser Zeiten dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden habe. Die davor liegende Arbeitslosigkeit sei bereits von der Beklagten als Ersatzzeit anerkannt worden. Nach alledem sei deren Berufung im wesentlichen unbegründet.

Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten. Sie beantragt sinngemäß,das Urteil des SG Düsseldorf vom 11. April 1972 in vollem Umfang und das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als sie verurteilt worden ist, die Zeit vom 5. Januar 1949 bis zum 12. Mai 1949 und vom 1. Juli 1949 bis zum 31. Januar 1951 bei der Berechnung des Altersruhegeldes zu berücksichtigen, und die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Gerügt wird unrichtige Anwendung des § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG.

Die Klägerin hat sich im Verfahren nicht vertreten lassen und sich ebenso wie die Beklagte mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht für die streitigen Zeiträume das Vorliegen einer Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG anerkannt.

Wie der 11. Senat des BSG in seinem Urteil vom 26. Oktober 1965 (SozR Nr. 16 zu § 1251 RVO) zutreffend ausgeführt hat, ist der in § 1251 Abs. 1 Nr. 1 WO ebenfalls behandelte Ersatzzeitentatbestand der Krankheit allein auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Kriegsdienst einschließlich der etwaigen späteren Kriegsgefangenschaft und dem unverschuldeten Verlust von Beitragszeiten infolge Krankheit abgestellt und nicht auf die ursächliche Verknüpfung eines solchen Verlustes mit den vorangegangenen Tatbeständen. Für die Arbeitslosigkeit kann nichts anderes gelten. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut brauchen die anschließende Krankheit und die umschließende Arbeitslosigkeit nicht durch die eigentlichen Ersatzzeitentatbestände des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft bedingt zu sein (ebenso Kommentar zur Reichsversicherungsordnung, 41 und 5. Buch, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, § 1251 RVO Anm. 15; Jantz/Zweng. Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, 2. Aufl. § 1251 RVO Anm. B I 4b; Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst, Das Angestelltenversicherungsgesetz, Kommentar, 2. und 3. Aufl., § 28 AVG Anm. B I 4). In § 28 Abs. 1 Nr. 4 AVG wird deshalb auch für Verfolgte ausdrücklich unterschieden zwischen "Zeiten einer anschließenden Krankheit oder unverschuldeten Arbeitslosigkeit" sowie Zeiten einer Arbeitslosigkeit, die "durch Verfolgungsmaßnahmen hervorgerufen worden ist".

Der erforderliche zeitliche Zusammenhang bedeutet jedoch nicht, daß ein "nahtloser" Anschluß zwischen Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft einerseits und nachfolgender Krankheit oder Arbeitslosigkeit andererseits bestehen müßte. Anderenfalls wären unbillige Zufallsergebnisse unvermeidlich. Koch/Hartmann/v. Altrock/Fürst a.a.O. wollen deshalb im allgemeinen eine Frist von 6 Wochen für unschädlich halten. Jantz/Zweng a.a.O. sind der Auffassung, daß die Zwischenfrist nur in Ausnahmefällen den Zeitraum von 3 Monaten überschreiten dürfe. Dem will die Beklagte beipflichten unter Berufung auf die §§ 4 Abs. 2 und 25 Abs. 4 AVG, in denen der Gesetzgeber für vorübergehende Beschäftigungen die Zeitdauern von 3 Monaten normiert habe. Der erkennende Senat ist demgegenüber der Auffassung, daß in solchen Fällen in erster Linie auf die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles abzustellen ist. Feste Regeln lassen sich bei der Prüfung der Frage, wann noch von einem Anschluß gesprochen werden kann, kaum aufstellen. Die Festlegung bestimmter Fristen könnte überdies im Einzelfall zu nicht sachgerechten Ergebnissen führen. Maßgeblich ist vor allem, ob dem Versicherten durch die Zwischenbeschäftigungen bereits eine wirkliche Wiedereingliederung in das Arbeitsleben gelegen war. Dies ist hier nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG zu verneinen.

Danach habe es sich bei der Beschäftigung des Versicherten an der Universität Marburg von vornherein um eine vergönnungsweise gewährte Arbeitsmöglichkeit gehandelt, die zudem nicht nur jeden Tag hätte beendet werden können, sondern im Ergebnis auch von einem Tag auf den anderen beendet worden sei. Dies ergebe sich aus der Personalakte des Versicherten. Der Antrag auf Genehmigung seiner Wiedereinstellung durch das Hessische Ministerium für Kultus und Unterricht sei einmal weitgehend mit seiner schwierigen wirtschaftlichen Lage begründet worden - er und seine Familie hätten seit Kriegsende keine Dienstbezüge mehr erhalten -. Die Wiedereinstellung sei sodann vom Militäroffizier der Landesmilitärregierung nur für die Zeit vom 15. August bis 15. November 1948 genehmigt und überdies davon abhängig gemacht worden, daß die Mittel zu seiner Besoldung zur Verfügung stünden. Dabei sei es zumindest sehr fraglich gewesen, ob diese Mittel für 3 Monate tatsächlich vorhanden gewesen seien. Die Besoldungsmittel seien monatlich kontingentiert gewesen. Für die Zeit nach dem 15. November 1948 sei der Versicherte außerdem bei einer als außerordentlich gering anzusehenden monatlichen Vergütung von 200,-- DM unter dem ausdrücklichen Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs und des Vorhandenseins von Mitteln für seine Verwendung eingestellt worden. Diese bis längstens zum 28. Februar 1949 in Aussicht genommene Einstellung sei von dem Universitätsoffizier der Landesmilitärregierung ohne Angaben von Gründen nicht genehmigt worden. Nachdem dies festgestanden habe, sei die Einstellung demgemäß sodann mit Wirkung zum 31. Dezember 1948 beendet worden. Der Versicherte habe demnach mit seiner Arbeit an der Universität Marburg noch nicht wieder festen Fuß im Arbeitsleben fassen können. Zu der schnellen Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses möge im übrigen auch beigetragen haben, daß er politisch belastet gewesen sei. Nach alledem habe nur eine kurzfristige vergönnungsweise Beschäftigung, aber noch keine nachhaltige Eingliederung in den Arbeitsprozeß vorgelegen. Für die spätere Tätigkeit bei der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes könne nichts anderes angenommen werden.

Im Übrigen ist nach den Feststellungen des LSG die Zeit vom 15. August bis 14. November 1948 nach den §§ 11, 18 AVG a.F. nachversichert worden.

Unter diesen besonderen Umständen ist nicht nur die Arbeitslosigkeit vom 5. November 1947 bis 14. August 1948 wegen ihres unmittelbaren zeitlichen Anschlusses an die Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft als Ersatzzeit anzurechnen, sondern auch die spätere. Nachdem der Versicherte im Jahre 1948 kaum 5 Monate, im Jahre 1949 lediglich 7 Wochen lang dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden hat und somit nicht arbeitslos war, war er noch nicht wieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert gewesen. Das Gesamtbild seines Lebenslaufs seit Kriegsende bis zum Anfang des Jahres 1951 war vielmehr geprägt von Arbeitslosigkeit. Deshalb muß für die gesamte nachfolgende Arbeitslosigkeit bis zum 31. Januar 1951 mit Ausnahmen der genannten kurzen Unterbrechungen der Anschluß an den vorangegangenen Kriegsdienst mit nachfolgender Kriegsgefangenschaft noch als gegeben angesehen werden, so daß aus diesen Gründen vom LSG zu Recht das Vorliegen einer Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG anerkannt worden ist. Eines Zurückgreifens auf die Rechtsprechung des BSG zu § 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO bedurfte es daher nicht mehr.

Somit ist die Revision der Beklagten schon aus den genannten Gründen zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518771

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge