Leitsatz (amtlich)

Ist die Zahlung der Waisenrente, die dem "Kind eines vorher nicht Versicherten" an Stelle einer früheren Versorgungsrente gemäß der SVD 11 gewährt worden war, infolge ihrer Umwandlung in eine Waisenrente nach der SVD 27 eingestellt worden, so bedarf es für die Gewährung der Waisenrente nach RVO § 1255 Abs 1 aF eines darauf gerichteten Antrags (RVO § 1286 Abs 1 Halbs 2 aF RVO § 1545 Abs 1 Nr 2).

 

Normenkette

RVO § 1286 Abs. 1 Hs. 2 Fassung: 1936-12-23, § 1575 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1924-12-15; SVD 11 Nr. 4; SVD 27; RVO § 1255 Abs. 1 Fassung: 1934-05-17

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 21. Juli 1955 aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, die Waisenrente mit Wirkung vom 1. Oktober 1950 an zu gewähren.

Das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 4. Oktober 1954 wird in vollem Umfange aufgehoben.

Die Klage wird auch insoweit abgewiesen, als es sich um den Anspruch der Klägerin auf Waisenrente für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 30. Juni 1953 handelt.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Vater der Klägerin hatte in der Zeit von 1932 bis 1936 als Elektriker in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden und Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet. Im Jahre 1936 trat er als Berufssoldat in die Wehrmacht ein und fiel als Obermaschinistenmaat am 5. Januar 1944 bei einem Fliegerangriff auf Kiel. Die Klägerin wurde am 6. August 1944 geboren.

Sie erhielt zunächst Waisenrente nach dem Wehrmachtfürsorge- und Versorgungsgesetz. Als die Versorgungsrenten durch die Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 11 vom 16. Januar 1946 (Arbeitsblatt für die britische Zone 1947 S. 16) abgeschafft wurden, erhielt ihre Mutter von der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA.) folgende Mitteilung vom 31. Juli 1946:

"Nachdem Ihre Bezüge vom Versorgungsamt auf Grund einer Anordnung der britischen Mil.-Reg. weggefallen sind, ist die Waisenrente für H.-M., geb. am 6. August 1944, aus der Invalidenversicherung ab 1. August 1946 laufend mit monatlich 20,-- RM zur Zahlung an Sie angewiesen worden".

Vom 1. Oktober 1946 an übernahm die Seekasse als nunmehr zuständige Anstalt die Weiterzahlung der Rente. Sie zahlte auch mit Wirkung vom 1. August 1947 an die Rente nach der SVD Nr. 27 vom 2. Mai 1947 (Arbeitsblatt für die britische Zone 1947 S. 155) in Höhe von 30,-- RM monatlich. Diese Rente endete mit dem Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) am 1. Oktober 1950. Seitdem bezieht die Klägerin eine Waisenrente als Hinterbliebene eines gefallenen Soldaten nach dem BVG gemäß Umanerkennungsbescheid des Versorgungsamts Kiel vom 28. Juni 1951.

Am 27. Juni 1953 beantragte die Klägerin Waisenrente aus der Invalidenversicherung ihres Vaters. Die Beklagte bewilligte ihr mit Bescheid vom 13. Oktober 1953 die Rente mit Wirkung vom 1. Juli 1953. Eine Vorverlegung des Rentenbeginns auf den Zeitpunkt ihrer Geburt wurde abgelehnt, da der Rentenantrag nicht bis zum Ende des Jahres 1947, sondern erst im Jahre 1953 gestellt worden sei.

Diesen Bescheid focht die Klägerin mit der Berufung an, die nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Schleswig überging. Sie machte geltend, nach § 2 des Kriegsfristengesetzes vom 13. November 1952 (BGBl. I S. 737) in der Fassung des Gesetzes vom 26. Juli 1955 (BGBl. I S. 457) - KFG - könne sie die Zahlung der Waisenrente von ihrer nach dem Tode ihres Vaters liegenden Geburt an verlangen, da sie den entsprechenden Antrag vor dem 30. Juni 1953 gestellt habe.

Die Beklagte wies darauf hin, daß die Klägerin in den Jahren 1945 und 1946 keinen Antrag auf Waisenrente aus der Invalidenversicherung gestellt habe. Die Bewilligung der Waisenrente im Jahre 1946 gehe nicht auf einen Rentenantrag, sondern auf die SVD Nr. 11 zurück, wonach sie die Beklagte an Stelle der weggefallenen Versorgungsrente eine Rente aus fingierter Versicherung zu leisten gehabt habe.

Das SG. Schleswig hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin die Waisenrente schon mit Wirkung vom 1. September 1944 unter Anrechnung der bereits seit diesem Zeitpunkte bezogenen Rentenbeträge zu gewähren.

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG. Schleswig das Urteil des SG. Schleswig dahin abgeändert, daß die Beklagte die Waisenrente mit Wirkung vom 1. Oktober 1950 zu gewähren hat. Im übrigen wurde die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Mit der - vom LSG. zugelassenen - Revision wendet sich die beklagte LVA. gegen die Auffassung des LSG., der Klägerin sei bereits 1946 von Amts wegen auf Grund der SVD Nr. 11 eine Rente aus der Invalidenversicherung gewährt worden. Die Klägerin habe die Waisenrente aus der Invalidenversicherung erstmals im Juni 1953 beantragt, so daß eine Vorverlegung des Rentenbeginns ausgeschlossen sei. Sie hat beantragt,

das Urteil des LSG. Schleswig vom 21. Juli 1955 insoweit aufzuheben, als die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin Waisenrente für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 30. Juni 1953 zu gewähren.

Die Klägerin hat Zurückweisung der Revision beantragt.

II

Die Revision ist begründet.

Ausschlaggebend für die Entscheidung des LSG. ist die Erwägung, es habe eines Antrags der Klägerin auf Gewährung von Waisenrente im Sinne des § 1286 RVO a.F. nicht mehr bedurft, nachdem die Rente bereits im Jahre 1946 kraft Gesetzes - nämlich nach der SVD 11 - aus der Invalidenversicherung gewährt worden sei; die beklagte LVA. hätte mit dem Inkrafttreten des BVG - 1. Oktober 1950 -, als die Gewährung von Waisenrenten aus der Invalidenversicherung neben Versorgungsrenten wieder zulässig geworden sei, die Zahlung der Waisenrente von Amts wegen wiederaufnehmen müssen. Diese Auffassung entspricht nicht der Rechtslage. Zwar waren die Hauptversorgungsämter gehalten, von Amts wegen die Akten aller Personen, die bei Inkrafttreten der SVD 11 Renten von einem Versorgungsamt erhielten, daraufhin zu überprüfen, ob sie Ansprüche gegenüber der Rentenversicherung haben (vgl. Nr. 2 und 3 der SVD 11). Diese Prüfung hat aber das Versicherungsverhältnis des Vaters der Klägerin, das für diese einen Anspruch auf Waisenrente begründete, nicht ans Licht gebracht. Die Klägerin ist deshalb als "Kind eines vorher nicht Versicherten", das "nach den Vorschriften der Rentenversicherung der Arbeiter behandelt" wird, angesehen worden, zu dessen Gunsten genügende Beiträge zur Erreichung der Mindestwaisenrente von 20 RM angerechnet wurden (vgl. Nr. 4 Satz 2 in Verbindung mit Nr. 2 der SVD 11). Daß es sich bei diesen anstelle der früheren Versorgungsrenten gewährten Waisenrenten mit fingierten Beiträgen um Leistungen aus der Invalidenversicherung gehandelt hat, steht außer Zweifel. Fraglich ist allerdings, ob diese Renten Hinterbliebenenrenten im eigentlichen Sinne des § 1255 RVO a.F. oder Leistungen eigener Art darstellten, deren Gewährung den Versicherungsträgern der Invalidenversicherung als Auftragsangelegenheit auferlegt worden war. Doch kann diese Frage auf sich beruhen. Entscheidend ist, daß mit Inkrafttreten der SVD 27 die Leistungen an Kriegshinterbliebene nach den Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren waren und an die Stelle der Leistungen nach der SVD 11 traten (Nr. 1 Satz 1 SVD 27). Gleichgültig, ob man die der Klägerin nach der SVD 11 gewährte Leistung als echte Waisenrente aus der Invalidenversicherung ansieht oder nicht, jedenfalls entfiel mit der Umstellung der Rente nach der SVD 27 die bisher aus der Invalidenversicherung gewährte Leistung. Nicht anders als in den Fällen, in denen die Rente aus sonstigen Gründen entzogen ist, bedurfte es nach dem die gesetzliche Invalidenversicherung beherrschenden Antragsprinzip eines Antrags, um erneut Leistungen aus der Invalidenversicherung zu erhalten. Das Antragserfordernis war zwar für die Gewährung von Renten nach der SVD 11, auch soweit sie auf einem Versicherungsverhältnis beruhten, fallen gelassen worden (vgl. Nr. 2 und 3 a.a.O.). Diese Regelung bezog sich aber nur auf den von der SVD 11 erfaßten Sachverhalt der Umstellung der Versorgungsrenten auf Renten der Invalidenversicherung. Keineswegs war damit aber die grundsätzliche Regelung des § 1286 RVO a.F. beseitigt und die Klägerin der Notwendigkeit enthoben, einen Antrag zu stellen, wenn sie, nachdem die von Amts wegen gewährte Waisenrente der SVD 11 weggefallen war, erneut Waisenrente auf Grund des Versicherungsverhältnisses ihres gefallenen Vaters begehrte.

Auch die Erwägung, daß die in aller Regel rechtsunkundigen Hinterbliebenen eines Versicherten nicht Rechtsverluste dafür erleiden sollen, daß sie aus entschuldbarem Irrtum heraus die Rechtslage falsch beurteilt haben, und einen weitgehenden Vertrauensschutz verdienen, führt im vorliegenden Fall nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Als die Klägerin erstmals im Jahre 1946 - ohne Antrag - auf Grund der SVD 11 eine Waisenrente aus der Invalidenversicherung erhielt, hätte ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin, obwohl in dem fraglichen Bescheid der beklagten LVA. auf den Wegfall der Versorgungsrente als Ursache für die Umstellung hingewiesen wurde, immerhin nicht ganz ohne Grund der Auffassung sein können, sie beziehe eine Waisenrente aus der Invalidenversicherung des verstorbenen Vaters. Doch konnte eine solche irrige Vorstellung jedenfalls nach der Umstellung der Waisenrente nach den Grundsätzen der Unfallversicherung gemäß der SVD 27 nicht mehr angesehen werden; denn mit der "Benachrichtigung" über die Neufestsetzung der Waisenrente erhielt die Klägerin den Bescheid, daß "die Waisenrente aus der Invalidenversicherung vom 1. August 1947 an nicht mehr gewährt wird, weil sie ohne Beitragsleistung zur Rentenversicherung gewährt wurde". Damit war eindeutig klargestellt, daß die Waisenrente aus der Invalidenversicherung vollständig weggefallen war. Die Klägerin befand sich nunmehr in derselben Lage wie andere Waisen, die einen Anspruch auf Waisenrente aus dem Versicherungsverhältnis ihres Vaters haben, diesen Anspruch aber nicht geltend gemacht haben. Sie müssen in Kauf nehmen, daß die Rente bei verspäteter Antragstellung erst mit dem Ablauf des Antragsmonats beginnt (§ 1286 Abs. 1, 2. Halbs. RVO a.F.).

Der Rentenbeginn kann auch unter dem Gesichtspunkt des § 2 KFG nicht vorverlegt werden. Eine Vorverlegung auf den Monat des Sterbefalls des Versicherten - im vorliegenden Falle nur auf den 1. Oktober 1950, da die auf einen früheren Rentenbeginn gerichtete Klage insoweit rechtskräftig abgewiesen worden ist - käme nach § 2 Satz 4 a.a.O. in Frage, wenn der Antrag auf Rentengewährung bis zum Inkrafttreten des KFG nicht gestellt worden wäre, weil die Voraussetzungen für die Rentengewährung nach Eintritt des Versicherungsfalls weggefallen sind. Auch wenn man annimmt, daß dem Wegfall der Voraussetzungen für die Rentengewährung der Fall des Ruhens einer Hinterbliebenenrente aus der Invalidenversicherung - hier wegen Zusammentreffens mit einer höheren Rente nach der SVD 27 (vgl. Nr. 11 Abschn. II Buchst. a) - gleichzusetzen ist, käme § 2 Satz 4 KFG im vorliegenden Streitfall nicht zur Anwendung. Denn von einer hiernach gerechtfertigten Unterlassung des Rentenantrags kann jedenfalls nicht mehr gesprochen werden, wenn der Antrag erst - wie hier - geschehen - gestellt worden ist, nachdem durch das BVG die Rentenbestimmungen für Waisenrenten in Wegfall gebracht worden waren und auch eine allenfalls der Klägerin zuzubilligende Überlegungsfrist am 31. Dezember 1951 verstrichen war (vgl. BSG. vom 25.2.1958 - Az.: 3 RJ 22/55 -).

Die beklagte LVA. hat somit zutreffend die Waisenrente der Klägerin erst mit dem Ablauf des Monats beginnen lassen, in dem die Klägerin sie beantragt hat (§ 1286 Abs. 1, 2. Halbsatz RVO a.F.). Ihre Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, die Waisenrente schon mit Wirkung vom 1. Oktober 1950 an zu gewähren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2340628

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