Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 20.06.1989) |
SG Düsseldorf (Urteil vom 05.11.1987) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 20. Juni 1989 aufgehoben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 5. November 1987 zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungs- und das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der 1912 geborene, aus Polen stammende Kläger lebt seit 1950 in Israel. Seinen am 30. Dezember 1975 bei der israelischen Nationalversicherungsanstalt (INVA) gestellten Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung reichte diese – zusammen mit anderen Anträgen – an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) weiter. Ob und wie diese den Antrag behandelt hat, läßt sich nicht mehr feststellen. Im Schreiben vom 30. Oktober 1984 (eingegangen am 15. November 1984) bezog sich der Kläger der beklagten Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz gegenüber auf seinen bei der INVA gestellten Antrag, wobei er angab, damals zugleich Antrag auf Altersruhegeld gestellt zu haben. Die Beklagte übersandte dem Kläger mit Schreiben vom 10. Dezember 1984 Antragsvordrucke und forderte ihn zur Vorlage von Unterlagen auf. Als sie von der INVA erfahren hatte, daß ein Rentenantrag des Klägers dort erst am 12. Oktober 1977 gestellt worden war, lehnte sie mit Bescheid vom 28. Oktober 1985 den Nachentrichtungsantrag als verspätet ab. Den Widerspruch des Klägers leitete sie mit dessen Zustimmung als Klage an das Sozialgericht Düsseldorf (SG) weiter.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 5. November 1987 abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG durch Urteil vom 20. Juni 1989 abgeändert und die Beklagte verurteilt, den Kläger zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 51a des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) zuzulassen. Der Nachentrichtungsantrag sei fristwahrend bei der INVA gestellt worden. Es sei davon auszugehen, daß er an die BfA weitergeleitet worden sei. Der Kläger habe sein Recht zur Nachentrichtung seither nicht verwirkt. Da seine Zulassung zur Nachentrichtung noch nicht festgestanden habe, habe auch kein Anlaß zur Spezifizierung und Entrichtung von Beiträgen bestanden. Schweigen allein reiche zur Verwirkung von Rechten nicht aus. Sonstige Umstände, welche die späte Ausübung des Nachentrichtungsrechts als treuwidrig erscheinen ließen, seien nicht zu erkennen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Senat zugelassene Revision der Beklagten. Diese rügt sinngemäß die Verletzung des Art 2 § 51a Abs 3 ArVNG und des Grundsatzes von Treu und Glauben. Es müsse bezweifelt werden, daß der Kläger einen rechtzeitigen und wirksamen Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen zur Arbeiterrentenversicherung gestellt habe. Der bei der INVA gestellte Antrag habe offenbar nur die Nachentrichtung von Beiträgen zur Angestelltenversicherung betroffen. Deshalb habe das LSG die zuständige BfA beiladen müssen. Im übrigen habe der Kläger sein Recht auf Beitragsnachentrichtung verwirkt. Denn er habe sich nicht spätestens zwei Jahre nach Antragstellung nach dem Schicksal seines Nachentrichtungsantrages erkundigt.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG vom 20. Juni 1989 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 5. November 1987 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er macht weiterhin geltend, die in der früheren Rechtsprechung des Senats aufgestellten Voraussetzungen für eine Verwirkung des Nachentrichtungsrechts lägen nicht vor, zumal der Nachentrichtungsantrag hier der Beklagten bis zum November 1984 noch gar nicht vorgelegen habe. Außerdem habe die Beklagte mit Formularschreiben vom 10. Dezember 1984 eine sachliche Prüfung des Antrags zugesagt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Ansicht des LSG konnte der Kläger aus seinem am 30. Dezember 1975 gestellten Antrag auf Beitragsnachentrichtung im Jahre 1984 keine Rechte mehr herleiten.
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Nachentrichtung von Beiträgen zur Arbeiterrentenversicherung, zu welcher der Kläger nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG iVm Art 3 Abs 1 des deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommens (DISVA) vom 17. Dezember 1973 (BGBl 1975 II 245) berechtigt war. Die Nachentrichtung war bis zum 31. Dezember 1975 zu beantragen (Art 2 § 51a Abs 3 Satz 1 ArVNG). Das LSG hat festgestellt, daß der entsprechende Antrag durch einen Bevollmächtigten des Klägers am 30. Dezember 1975 bei der INVA (fristgerecht und wirksam, vgl Art 27 Abs 1, insbesondere Satz 2 DISVA) gestellt worden ist. An diese Feststellung ist der erkennende Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden; denn sie ist nicht formgerecht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden. Zwar hat die Beklagte in ihrer Revisionsbegründung auf entsprechende Darlegungen im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde verwiesen. Damit hat sie aber nicht den aus § 164 Abs 2 Satz 3 SGG abgeleiteten Anforderungen des Bundessozialgerichts (BSG) für die Rüge eines Verfahrensmangels genügt (vgl BSG in SozR 1500 § 164 Nr 3). Die Revision ist vom Senat nicht wegen eines Verfahrensmangels zugelassen worden, so daß auch unter den im Beschluß des BSG vom 12. März 1981 (SozR aaO Nr 18) genannten Voraussetzungen durch eine Bezugnahme ein Verfahrensmangel hier nicht gerügt werden kann.
Mit dem zunächst nur dem Grunde nach oder in allgemeiner Form gestellten Nachentrichtungsantrag hat der Kläger rechtswirksam ein Verfahren eingeleitet, das in mehreren Schritten nach Antragstellung durch Konkretisierung des Antrags, Zulassung zur Nachentrichtung und Einzahlung der Beiträge abgewickelt wird. Dieses hat der Senat zuletzt in zwei Urteilen vom 26. Oktober 1989 und 7. Dezember 1989 (SozR 5750 § 51a Nrn 76 und 77 mwN) näher ausgeführt und darüber hinaus dargelegt, daß der Antragsteller sich an der zügigen Durchführung des Nachentrichtungsverfahrens zu beteiligen hat. Dabei ist der Senat von dem allgemeinen Grundsatz ausgegangen, daß derjenige, der aus einer Rechtsbeziehung Ansprüche oder Rechte herleitet, bei der Gestaltung des Rechtsverhältnisses mitzuwirken hat, soweit dessen Begründung, Änderung oder Konkretisierung das erfordert. Zur Vermeidung von Rechtsnachteilen hat sich der Antragsteller, sofern er bis dahin keine Nachricht vom Versicherungsträger erhalten hat, spätestens zwei Jahre nach der Antragstellung nach dem Stand des Verfahrens zu erkundigen. Andernfalls muß sich, wie der Senat im Urteil vom 7. Dezember 1989 (aaO) ausgesprochen hat, ein Antragsteller, der einen 1975 abgesandten Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen nicht binnen zwei Jahren weiterverfolgt, so behandeln lassen, als hätte er das Antragsverfahren ordnungsgemäß weiterbetrieben. Dort hatte der Versicherungsträger den Versicherten zur Konkretisierung seines Antrages aufgefordert, ohne daß sich der Zugang dieses Schreibens beim Antragsteller nachweisen ließ.
Der Fall des Klägers ist nicht anders anzusehen als der zuletzt entschiedene Fall. Das LSG geht davon aus, daß der Antrag an die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) gerichtet war. Es steht nicht fest, ob er dort bearbeitet worden ist. Jedoch kommt es darauf nicht an. Für den Kläger war es nämlich ohne Bedeutung, ob eine Rückfrage oder Mitteilung der BfA ihn nicht erreicht hatte oder ob sie gar nicht abgesandt worden war. Offen bleiben kann, wie zu entscheiden wäre, wenn – anders als hier – feststünde, daß die BfA den Antrag des Klägers bewußt oder fahrlässig unbearbeitet gelassen hätte. Es braucht daher auch nicht untersucht zu werden, ob in diesem Fall die Beklagte für das Verhalten der BfA einzustehen hätte (vgl BSGE 51, 89 und 57, 288, 290). Diese brauchte im übrigen nicht beigeladen zu werden, weil Streitgegenstand nur die Nachentrichtung in der Arbeiterrentenversicherung ist.
Der Kläger muß sich jedenfalls so stellen lassen, als hätte er ausreichende Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten walten lassen und sich binnen zwei Jahren nach seiner Antragstellung, dh bis Ende 1977, erneut an die BfA oder an die Beklagte gewandt. Hätte er sich so verhalten, so hätte ihm der Versicherungsträger spätestens auf diese Rückfrage hin Antragsformulare zugesandt und es wäre eine vollständige Antragstellung einschließlich einer Klärung des zuständigen Rentenversicherungszweiges noch im Laufe des Jahres 1978 zustande gekommen. Die Beklagte hätte dem Kläger dabei höchstens eine fünfjährige Teilzahlungsfrist bewilligen dürfen (Art 2 § 51a Abs 3 Satz 3 ArVNG), so daß davon auszugehen ist, daß das Nachentrichtungsverfahren bis Ende 1983 abgewikelt gewesen wäre. Nach allem konnte der 1975 gestellte Nachentrichtungsantrag Ende 1984 nicht mehr zum Erfolg führen.
Die Untätigkeit des Klägers schützt ihn nicht deswegen vor Nachteilen, weil er den Abschluß der Durchführungsvereinbarung zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen -DV-DISVA- vom 20. November 1978 (BGBl 1980 II 574) abwarten wollte. Denn es ist nicht zu erkennen, inwiefern ihn die Verhandlungen über diese Vereinbarung zum Zuwarten hätten veranlassen können, obwohl er bereits nach dem alten Rechtszustand fristgerecht die Nachentrichtung beantragt hatte.
Nicht von Belang ist es, ob die Beklagte dem früheren Bevollmächtigten des Klägers – auf dessen Schreiben vom 15. November 1984 hin – Antragsvordrucke übersandt und ihn zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert hat. Feststellungen des LSG zu diesem Vorbringen des Klägers im Revisionsverfahren fehlen, sind aber auch nicht erforderlich. Das Schreiben der Beklagten vom 10. Dezember 1984 bezog sich nicht auf den Nachentrichtungsantrag des Klägers, sondern auf den – ebenfalls mit Schreiben vom 15. November 1984 – gestellten Antrag auf Versichertenrente. Soweit das Schreiben des Klägers von November 1984 als erneuter Antrag auf Nachentrichtung nach Art 2 § 51a Abs 2 ArVNG aufzufassen war, hat die Beklagte den Antrag zu Recht wegen Fristversäumung abgelehnt. Die Behandlung des klägerischen Schreibens vom 15. November 1984 als Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 12 DV-DISVA ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Nach allem konnte das Urteil des LSG keinen Bestand behalten, sondern war das zutreffende Urteil des SG auf die Revision der Beklagten wiederherzustellen.
Im Kostenpunkt hat der Senat § 193 SGG angewendet.
Fundstellen