Entscheidungsstichwort (Thema)

Jährliche Rentenanpassung. Abschmelzung nach § 48 Abs 3 SGB 10

 

Orientierungssatz

Die Abschmelzung nach § 48 Abs 3 SGB 10 erstreckt sich auch auf die jährlichen Anpassungen nach § 56 BVG (Festhaltung an BSG vom 15.9.1988 - 9/4b RV 15/87 = SozR 1300 § 48 Nr 51; vgl auch BSG vom 31.1.1989 - 2 RU 16/88 = SozR 1300 § 48 Nr 54 für den Bereich der Unfallversicherung).

 

Normenkette

BVG § 56; SGB 10 § 48 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 28.06.1988; Aktenzeichen L 4 V 46/88)

SG Speyer (Entscheidung vom 18.12.1987; Aktenzeichen S 12 V 178/87)

 

Tatbestand

Umstritten ist eine "Abschmelzung" der nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) gewährten Beschädigtengrundrente. Diese hat der Beklagte dem Kläger wegen verschiedener Schädigungsfolgen iS des § 1 BVG nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 90 vH zuerkannt; 10 vH gehen auf ein besonderes berufliches Betroffensein zurück (Neufeststellungsbescheid vom 12. August 1976, Widerspruchsbescheid vom 26. Oktober 1976). Nach einer erfolglosen Berichtigung der MdE-Festsetzung (Bescheid vom 10. Mai 1985, Widerspruchsbescheid vom 21. August 1985, aufgehoben durch Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 27. März 1986 - S 4 V 187/85 -) stellte das Versorgungsamt im Bescheid vom 15. Oktober 1987 die Rechtswidrigkeit der MdE-Bewertung - mit 90 vH statt mit 50 vH - durch den nicht mehr zurücknehmbaren Bescheid vom 12. August 1976 fest, erkannte dem Kläger nach § 48 Abs 3 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) weiterhin Versorgungsbezüge nach einer MdE um 90 vH (nach § 30 Abs 1 und 2 BVG) zu und entschied, daß bei zukünftigen Änderungen zugunsten des Klägers - auch bei jährlichen Verbesserungen nach § 56 BVG - die neue Leistung nicht über den ab Juli 1987 gezahlten Betrag (715,-- DM) hinausgehen dürfe; einkommensabhängige Leistungen stünden dem Kläger nicht zu. Das SG hat diesen Bescheid aufgehoben, soweit darin bezüglich der bestandsgeschützten MdE von 90 vH zukünftige Rentenanpassungen nach § 56 BVG versagt werden (Urteil vom 18. Dezember 1987). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 28. Juni 1988). Nach seiner Rechtsansicht hätte der Beklagte die Versagung zukünftiger jährlicher Rentenanpassungen nicht auf § 48 Abs 3 SGB X stützen dürfen. Solche Anpassungen der Grundrente der Höhe nach seien keine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 3 SGB X, die nach dieser Vorschrift eine "Abschmelzung" der Rentenhöhe zur Folge hätten. Eine derartige Änderung müsse sich auf die Regelung der Grundlagenentscheidung, hier der 1976 getroffenen MdE-Festsetzung beschränken, während die Anpassung auf der rechtsverbindlichen Regelung aufbaue und nur den rechtlichen Vorteil neu gestalte.

Der Beklagte rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision sinngemäß eine unrichtige Auslegung des § 48 Abs 3 SGB X. Rentenerhöhungen nach § 56 BVG seien Änderungen der Verhältnisse im Sinn dieser Vorschrift. Wenn der Grundrentenanspruch nicht laufend erhöht werde, greife dieses Unterlassen gerade nicht in die Bestandskraft des unrichtigen, aber nicht mehr zurücknehmbaren Bescheides über die Höhe der MdE ein. Dessen Unrichtigkeit habe die Verwaltung lediglich mit Wirkung für die Zukunft festgestellt, damit der Fehler nicht durch Anpassungen der Rentenhöhe ausgeweitet werde.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist erfolgreich. Die Vorinstanzen haben zu Unrecht eine Anwendung des § 48 Abs 3 SGB X anläßlich der nach § 56 BVG jährlich vorzunehmenden Rentenanpassung an die Entwicklung der Renten aus der Arbeiterrentenversicherung für unberechtigt erklärt.

Diese Entscheidung liegt in der vom LSG bestätigten Teilaufhebung des angefochtenen Bescheides durch das SG. Die erste Instanz hat in sinngemäßer Auslegung des Klageantrages (§ 123 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), ohne daß dies der Kläger mit einer Anschlußberufung beanstandet hätte, lediglich den Teil als angefochten angesehen, der die Anwendung des § 48 Abs 3 SGB X auf laufende Rentenerhöhungen nach § 56 BVG betrifft. Diese Erklärung des Versorgungsamtes ist entsprechend seinem erkennbaren wirklichen Willen, wie ihn der Kläger verstehen mußte, als eine feststellende Entscheidung und damit als ein Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 SGB X zu deuten (vgl dazu zB BSGE 42, 264, 267 = SozR 7350 § 19 Nr 3; BSG 31. Januar 1989 - 2 RU 16/88 -; BVerwGE 34, 353, 354 f), bezogen auf zukünftiges Verhalten der Verwaltung, womit der Kläger als Belastung - im Unterschied zu einer Zusicherung nach § 34 Abs 1 Satz 1 SGB X als Zusage, später bestimmte Verwaltungsakte zu erlassen - zu rechnen habe. Es handelt sich, soweit mit den zukünftigen Leistungsverbesserungen auch solche gemäß § 56 BVG gemeint sind, nicht bloß um eine unverbindliche Bekanntgabe einer Rechtsansicht oder der Absicht zukünftigen Verhaltens und auch nicht um eine Begründung dieser Entscheidung iS des § 35 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X. Die Entscheidungsformel, die die Anwendung des § 48 Abs 3 SGB X auf spätere Änderungen zugunsten des Empfängers betrifft, wird klarstellend ergänzt. Jene allgemeine Feststellung (BSGE 63, 259, 263 f = SozR 1300 § 48 Nr 49), auch über den bestandskräftigen Betrag, und ihre zuvor ausgesprochene Voraussetzung hat der Kläger nicht angefochten. Die beanstandete Entscheidung war auch geboten, weil sie - wie hier der Rechtsstreit zeigt - eine umstrittene Rechtslage zwischen den Beteiligten klären sollte (vgl dazu BSGE 49, 258, 261 f = SozR 2200 § 1251 Nr 75; Bayerischer VGH, NJW 1981, 2076), und war als vorwegnehmende, konkretisierende Teilregelung und damit als Verwaltungsakt zulässig (vgl BSGE 42, 178, 179 f = SozR 3850 § 51 Nr 3).

Nach § 48 Abs 3 SGB X darf eine neu festzustellende Leistung, wenn ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht nach § 45 zurückgenommen werden kann und wenn eine Änderung nach § 48 Abs 1 SGB X zugunsten des Betroffenen eintritt, nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft des rechtswidrigen Bescheides ergibt. Eine "Abschmelzung" oder "Einfrierung" oder "Aussparung" nach dieser Vorschrift darf erst vorgenommen werden, falls zuvor die Unrichtigkeit des nicht mehr nach § 45 SGB X zurücknehmbaren Verwaltungsaktes, beschränkt auf die begrenzte Wirkung gemäß § 48 Abs 3 SGB X (BSGE 63, 254, 256) festgestellt und damit insoweit seine Rechtsverbindlichkeit (§ 77 SGG) eingegrenzt aufgehoben worden ist (BSGE 63, 254, 256; 63, 266, 267 ff; BSG 31. Januar 1989 - 2 RU 16/88 -). Im Zusammenhang mit dieser Feststellung der Unrichtigkeit ist es sinnvoll, auch schon über die zukünftigen Auswirkungen genau zu entscheiden.

Der Senat hat bereits - allerdings erst nach dem Berufungsurteil - entschieden, daß die Abschmelzung nach § 48 Abs 3 SGB X sich auch auf die jährlichen Anpassungen nach § 56 BVG erstreckt (Urteil vom 15. September 1988 - 9/4b RV 15/87 -). Daran hält er fest, zumal inzwischen der 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) diese Rechtsprechung für den Bereich der Unfallversicherung bestätigt hat (Urteil vom 31. Januar 1989 - 2 RU 16/88 -). Diese laufenden Erhöhungen des Grundrentenbetrages (§ 31 Abs 1 BVG) stellen eine Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 SGB X dar. Eine solche Änderung der Verhältnisse muß auch diejenige iS des Abs 3 sein, die eine Abschmelzung nach dieser Vorschrift erlaubt und vorschreibt (BSGE 63, 259, 263). Die Änderung - hier des Rentenbetrages entsprechend einem bestimmten Grad der MdE - muß nicht denselben Berechnungsfaktor betreffen - hier die Höhe des Grades der MdE -, der unrichtig festgestellt worden war, aber nicht mehr nach § 45 SGB X berichtigt werden kann (Urteil des Senats vom 24. November 1988 - 9/9a RV 36/87 -). Der Bestandsschutz, der nach § 48 Abs 3 SGB X gewährleistet wird, aber nicht durch eine Fehlerausweitung ersetzt werden darf, bezieht sich nur auf den zuletzt festgestellten Leistungsbetrag, nicht auf einzelne Berechnungselemente und nicht auf den Lebensstandard, dem eine bereits gewährte Rente entspricht und der sich mit der Folge ändert, daß diese Leistung im Regelfall nach § 56 BVG anzupassen ist.

Die gegenteilige Rechtsansicht kann nicht mit dem LSG auf den Unterschied zwischen dem Regelungsgehalt eines Grundlagenbescheides - hier über den Grad der MdE - und eines Anpassungsbescheides, der lediglich die neue, der Änderung der Verhältnisse entsprechende Feststellung enthält (Urteil des Senats vom 13. Juli 1988 - 9/9a RV 34/86 -; ähnlich das vom LSG zitierte Urteil vom 16. Januar 1986 in SozR 1300 § 48 Nr 21 = Breithaupt 1986, 792) gestützt werden. Anläßlich der allgemeinen Rentenerhöhung soll, wie schon dargelegt, die Unrichtigkeit des rechtsverbindlichen Bescheides nicht zu einem höheren Rentenanspruch als dem zuletzt festgestellten führen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658476

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