Leitsatz (amtlich)
Versorgungskrankengeld für Selbständige ist auch dann zu gewähren, wenn der aus dem Jahr vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit vorliegende Einkommensteuerbescheid einen Verlust ausweist, der in der Aufbauphase eines Unternehmens angefallen ist. In diesem Fall kann der Regellohn nach den Kosten eines fiktiven Vertreters des Selbständigen errechnet werden (Anschluß an BSG vom 15.2.1989 - 9/4b RV 45/87; Aufgabe von BSG SozR 3100 § 16b Nr 2; BSG SozR 3100 § 17 Nr 4; BSG vom 7.11.1979 - 9 RV 22/78 = USK 79195).
Normenkette
BVG § 16b Abs 1 S 7, § 16b Abs 2 Buchst a, § 16 Abs 1 Buchst a, § 16f Abs 1 S 2, § 16b Abs 1 S 1
Verfahrensgang
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 18.02.1988; Aktenzeichen S 5 V 170/86) |
Tatbestand
Die seit 1982 als selbständige Goldschmiedemeisterin tätige Klägerin streitet um Versorgungskrankengeld. Sie wurde am 29. August 1985 auf der Straße von einem Amokschützen angeschossen und schwer verletzt. Nach stationärer Behandlung war sie noch bis zum 30. November 1985 arbeitsunfähig. Eine Ersatzkraft stellte sie nicht ein. Der Betrieb wurde durch den als Angestellten bei ihr beschäftigten Ehemann weitergeführt.
Den Antrag auf Gewährung von Versorgungskrankengeld nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz -OEG-) lehnte die Versorgungsverwaltung ab, weil der vorgelegte Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1984 keinen Betriebsgewinn ausgewiesen hat (Bescheid vom 14. Oktober 1985). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 1986).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) den Beklagten verurteilt, Versorgungskrankengeld "in gesetzlicher Höhe" zu zahlen. Es hat die Auffassung vertreten, daß ein im Jahre 1984 fehlender Gewinn der Gewährung von Versorgungskrankengeld nicht entgegenstehe. Aus § 16b Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG), wonach bei Selbständigen als Regellohn die Gewinne gelten, die der Veranlagung zur Einkommensteuer zugrunde gelegt worden sind, folge nicht, daß bei fehlendem Gewinn oder gar Verlust kein Krankengeld zu zahlen sei. Vielmehr ergebe sich aus der gesamten Regelung des Absatz 2 von § 16b BVG, daß es auf eine Gewinnerzielung nicht ankommen könne. Im Falle der Klägerin sei das Versorgungskrankengeld entsprechend der Vorschrift des § 16b Abs 2 Buchst b BVG nach dem Durchschnittseinkommen der Berufsgruppe zu berechnen, der die Klägerin als Goldschmiedin angehöre.
Dagegen wendet sich der Beklagte mit der zugelassenen Sprungrevision. Er rügt eine unzutreffende Anwendung des § 16b BVG. Für solche Berechtigte, die vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bereits selbständig erwerbstätig gewesen seien, sei die Berechnung des Versorgungskrankengeldes in § 16b Abs 1 BVG abschließend geregelt. § 16b Abs 2 BVG erfasse andere Personenkreise. Bemessungsgrundlage sei deshalb allein der von der Klägerin für das Jahr 1984 ausgewiesene steuerrechtliche Gewinn. Der Umstand, daß sich der Betrieb in diesem Jahr noch in der Aufbauphase befunden habe und aus diesem Grund noch keinen Gewinn habe erzielen können, sei angesichts der eindeutigen Regelung unbeachtlich.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 18. Februar 1988 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Grundsatz der Gleichbehandlung erfordere es, solchen Berechtigen, die vor der Arbeitsunfähigkeit während der Aufbauphase eines Betriebes noch Verluste hinnehmen müßten, Krankengeld in gleicher Weise zu gewähren wie solchen Berechtigten, die vor der Arbeitsunfähigkeit nicht erwerbstätig gewesen seien und deshalb ebenfalls keinen Gewinn hätten erzielen können.
Die Beteiligten haben den Rechtsstreit auf die Frage beschränkt, ob der Klägerin Versorgungskrankengeld dem Grunde nach zusteht.
Entscheidungsgründe
Die Revision des beklagten Landes ist unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden, daß der Klägerin Versorgungskrankengeld zusteht, obwohl sie für das Jahr vor der Arbeitsunfähigkeit keinen Gewinn nachweisen kann.
Gemäß § 1 Abs 1 OEG erhält jemand wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Schädigung, die auf einem vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff beruht, Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Nach dem somit einbezogenen § 16 Abs 1 Buchst a BVG idF der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 - BGBl I 21 - erhalten Beschädigte Versorgungskrankengeld, wenn sie wegen einer Gesundheitsstörung, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht ist, arbeitsunfähig im Sinne der Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung werden. Die Höhe des Versorgungskrankengeldes richtet sich gemäß § 16a Abs 1 BVG nach dem Regellohn. Dieser wird nach Absatz 2 dieser Vorschrift (idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983 - BGBl I 1532 -) bei unselbständig Beschäftigten wie im Krankenversicherungsrecht aus dem Arbeitsentgelt errechnet, das vor der Arbeitsunfähigkeit erzielt wurde. Dabei reichen als Bemessungszeitraum vier Wochen aus. Für selbständig Erwerbstätige trifft § 16b Abs 1 BVG eine besondere Regelung. Als Regellohn gilt danach der Gewinn, der der Veranlagung zur Einkommensteuer zugrunde gelegt worden ist, wobei das letzte Kalenderjahr maßgebend ist, für das ein Einkommensteuerbescheid vorliegt. Wäre der hier für das Jahr vor der Schädigung vorliegende Einkommensteuerbescheid 1984 maßgebend, so ließe sich - wie es der Auffassung des Beklagten entspricht - kein Regellohn und damit auch kein Krankengeld errechnen.
Dieser Einkommensteuerbescheid kann aber schon aus einem formalen Grund nicht zur Berechnung des Regellohns herangezogen werden; denn er war nicht endgültig. Er war nach § 164 Abgabenordnung 1977 (AO 1977 vom 16. März 1976 - BGBl I 613 -) mit dem Vorbehalt einer Nachprüfung versehen, und der Vorbehalt war bis zum Beginn der Arbeitsunfähigkeit weder aufgehoben worden (§ 164 Abs 3 AO 1977) noch durch Ablauf der Festsetzungsfrist, die vier Jahre beträgt (§ 169 Abs 2 Nr 2 AO 1977), entfallen. Der Senat hat bereits mit Urteil vom 15. Februar 1989 - 9/4b RV 45/87 - (zur Veröffentlichung vorgesehen) entschieden, daß ein solcher Vorbehaltsbescheid zur Errechnung des Versorgungskrankengeldes keine geeignete Grundlage ist. Weil aber auch ein endgültiger Steuerbescheid für ein der Arbeitsunfähigkeit vorausgegangenes Jahr nur eine beschränkte Aussagekraft darüber hat, welches Einkommen der Berechtigte durch seine Arbeitsunfähigkeit eingebüßt hat, hat der Senat in der genannten Entscheidung ältere Bescheide als unbeachtlich angesehen. Daran bleibt festzuhalten. Deshalb braucht auch hier nicht geprüft zu werden, ob für ein früheres Jahr ein endgültiger Einkommensteuerbescheid vorgelegen und welchen Gewinn er ausgewiesen hat.
Es ist möglich, daß nach Inkrafttreten der AO 1977 in der Praxis nur noch wenige Fälle vorkommen, in denen ein endgültiger zeitnaher Einkommensteuerbescheid vorliegt. Die Berechnung des Versorgungskrankengeldes nach dem steuerlich ausgewiesenen Gewinn, die vom Gesetz als Regel vorgesehen ist, könnte dadurch zur Ausnahme werden. Dies mag dem Gesetzgeber Veranlassung geben, die Zweckmäßigkeit der Regelung zu überprüfen. Die Gerichte haben von der bestehenden Rechtslage auszugehen und das durch die Änderung der Steuergesetze im Einzelfall zutage tretende Regelungsdefizit auszufüllen.
Daß fehlendes Einkommen vor der Arbeitsunfähigkeit allein kein sachlich gerechtfertigter Grund sein kann, Versorgungskrankengeld zu versagen, hat das SG zutreffend aus der Grundentscheidung des Gesetzes abgeleitet, für schädigungsbedingte Arbeitsunfähigkeit Ersatz zu leisten. Es hat mit Recht die unzureichenden Berechnungsregeln durch analoge Anwendung der Vorschriften zu ersetzen versucht, die der Gesetzgeber für die Fallgruppe geschaffen hat, in denen ein bezifferbares Einkommen vor der Arbeitsunfähigkeit offenkundig nicht festgestellt werden kann (§ 16b Abs 1 Satz 7 und Abs 2 Buchst a) und b) BVG).
Weil das Versorgungskrankengeld den wirtschaftlichen Schaden während der Arbeitsunfähigkeit ausgleichen soll, kann die Einkommenslage vor der Arbeitsunfähigkeit nicht ausschlaggebend sein, sie kann - mangels sonstiger Anhaltspunkte - lediglich eine brauchbare Schätzungsgrundlage dafür sein, welcher wirtschaftliche Schaden durch die Arbeitsunfähigkeit eingetreten und zu entschädigen ist. Bei einem Unselbständigen ist diese Schätzung anhand des zuletzt bezogenen Lohns recht zuverlässig, weil in der Regel von gleichbleibenden Entgeltverhältnissen ausgegangen werden kann und der Schaden im Fortfall des Entgelts liegt. Bei Nichterwerbstätigen, die durch die Schädigung gehindert sind, eine bestimmte Erwerbstätigkeit aufzunehmen (§ 16b Abs 2 Buchst b BVG), scheidet das zuletzt bezogene Einkommen als Schätzungsgrundlage aus. Deshalb entfällt aber nicht der Anspruch auf Entschädigung; das Gesetz gibt vielmehr auf, das entgangene Bruttoeinkommen anderweitig, notfalls mit Hilfe von Durchschnittseinkommen, zu ermitteln. Für abhängig Beschäftigte läßt sich auch dies ohne prinzipielle Schwierigkeiten durchführen.
Bei Selbständigen ist die Ermittlung eines durch Arbeitsunfähigkeit eingetretenen Schadens immer schwierig. Im sozialen Entschädigungsrecht sind die Schwierigkeiten aber besonders groß, weil anstelle des Einkommens nicht - wie im Sozialversicherungsrecht - ersatzweise an gezahlte Beiträge angeknüpft werden kann. Bei Selbständigen schwankt das Einkommen typischerweise erheblich. Hier tritt an die Stelle eines bestimmten Entgelts der Gewinn. Der Gewinn eines Monats - wenn er sich überhaupt feststellen ließe - besagt nichts zuverlässiges über die Gewinnsituation im folgenden Monat. Eine sinnvolle Aussage über die Einkommenssituation eines Selbständigen läßt sich allenfalls bei Betrachtung eines längeren Zeitraumes machen. Deshalb legt hier das Gesetz (§ 16b Abs 1 Satz 2 BVG) auch das Kalenderjahr als Bemessungszeitraum für das Einkommen und damit als Schätzungsgrundlage für den Einkommensausfall während der Arbeitsunfähigkeit zugrunde. Diese Schätzung ist aber nur dann hinreichend zuverlässig, wenn die Einkommenssituation zumindest über die Jahre betrachtet relativ konstant ist. Das ist bei Unternehmen in der Aufbauphase - wie hier - typischerweise nicht der Fall. Praktisch undurchführbar wird eine Schätzung des Einnahmenausfalls mit dieser Methode, wenn der Betrieb während der Arbeitsunfähigkeit - wie hier - fortgeführt wird. Dann müßten nämlich - wie es § 16f Abs 1 Satz 2 BVG auch verlangt - das Versorgungskrankengeld um die in der Zeit der Arbeitsunfähigkeit weiterhin erzielten Einkünfte entsprechend gekürzt werden. Das beruht auf der Überlegung, daß ein Einkommensverlust nur in der Differenz zwischen dem ohne Arbeitsunfähigkeit erzielbaren und dem trotz Arbeitsunfähigkeit tatsächlich erzielten Gewinn liegen kann. Bei kurzfristiger Arbeitsunfähigkeit müßte der weiterhin anfallende Gewinn für einen entsprechend kurzen Zeitraum ermittelt werden, und das zu einem Zeitpunkt, zu dem darüber noch keine Unterlagen vorhanden sein können. Es ist nämlich erforderlich, bereits bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit das Krankengeld zu berechnen, weil der Anspruch dann entsteht und es der Zweck des Krankengeldes ist, während der Arbeitsunfähigkeit die wirtschaftliche Basis aufrechtzuerhalten (vgl dazu auch Urteil des Senats vom 15. Februar 1989 - 9/4b RV 45/87 -).
Das Problem, die Gewinneinbuße bei Fortführung des Betriebs zu ermitteln, läßt sich in praktikabler Weise auch nicht dadurch lösen, daß von dem vor der Arbeitsunfähigkeit erzielten Gewinn, der gemäß § 16c BVG wie die Arbeitsentgelte angepaßt werden soll, ein Gewinnanteil abgezogen wird, der der Arbeitsleistung des Betriebsinhabers entspricht (so Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung -BMA- vom 26. März 1976 - BVBl 1976 S 66 Nr 32). Ein solcher Gewinnanteil wird nämlich weder bilanzmäßig ausgewiesen, noch ließe er sich abgrenzen von Gewinnanteilen, die auf der Arbeitsleistung der Mitarbeiter beruhen. Diese tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten, den Einkommensverlust Selbständiger festzustellen, selbst wenn ein endgültiger zeitnaher Steuerbescheid mit einem ausgewiesenen Gewinn vorliegt, dürfen die rechtzeitige Zahlung eines Krankengeldes jedoch nicht verhindern. Der Senat hat deshalb in dem Urteil vom 10. August 1983 - 9a RV 7/82 - VersBea 1984, 11 = USK 83196 bereits ausgesprochen, daß die fiktiven Kosten eines Vertreters des Selbständigen für die Berechnung des Krankengeldes maßgebend sind. Zwar ist damals noch daran festgehalten worden, daß der Regellohn aus dem im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Gewinn zu ermitteln ist, und daß bei fortlaufendem Betrieb das Versorgungskrankengeld um den Regellohn zu kürzen ist, der sich aus dem weiterhin erzielten Gewinn ergibt. Zur Ermittlung dieses Regellohns hat der Senat aber keine andere praktikable Möglichkeit gesehen, als den nach § 16b Abs 1 Sätze 1 bis 4 BVG, also dem Einkommensteuerbescheid, errechneten Regellohn um die Kosten für einen Vertreter zu vermindern, weil sich nur so die durch den Ausfall der Arbeitsleistung eines Selbständigen eintretende Gewinnschmälerung erfassen lasse. Nur im Ergebnis ist dadurch das nach § 16b BVG errechnete Versorgungskrankengeld um den gemäß § 16 f Abs 1 Satz 2 BVG errechneten Betrag gekürzt worden; die Kosten des fiktiven Vertreters sind zur ausschlaggebenden Bemessungsgröße geworden.
In der bereits erwähnten Entscheidung vom 15. Februar 1989 - 9/4b RV 45/87 - (wo lediglich ein unter dem Vorbehalt des § 164 AO 1977 erteilter Einkommensteuerbescheid vorgelegen hat), hat der Senat ebenfalls die Kosten eines - hier tatsächlich eingestellten - Vertreters als maßgebend angesehen. Wenn dem Senat ein vorläufiger Steuerbescheid zu unsicher erschien, um den Regellohn zu bestimmen, so beruht dies auf der Erkenntnis, daß schon die vom Gesetz für den Regelfall vorgesehene Methode der Berechnung des Versorgungskrankengelds anhand des nachgewiesenen Gewinns aus einem Vorjahr in vielen Fällen - und zwar über den Ausnahmekatalog des § 16b Abs 2 BVG hinaus - entweder nicht anwendbar ist (vgl die erwähnte Entscheidung vom 10. August 1983 - 9a RV 7/82 -) oder zu einem unter Berücksichtigung des Entschädigungsgedankens untragbarem Ergebnis führt. Dies ist besonders der Fall, wenn der Betrieb in dem Jahr, das der Berechnung des Regellohnes als Bemessungszeitraum zugrunde gelegt wird, nachweisbar aus besonderen, nicht mehr vorhandenen Gründen wie etwa längere Erkrankung des Betriebsinhabers (vgl das Urteil des Senats vom 7. November 1979 - 9 RV 22/78 - USK 79195) oder, wie hier, wegen des Geschäftsaufbaus keinen oder nur geringen Gewinn erwirtschaften konnte. Hier den Einwand abzuschneiden, daß bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit sich die Verhältnisse wesentlich geändert haben und der Einkommensverlust wesentlich größer ist, widerspricht dem Sinn der Berechnungsvorschriften und der grundsätzlichen Entscheidung des Gesetzes, bei schädigungsbedingter Arbeitsunfähigkeit eine angemessene Entschädigung zu gewähren. Ein solches Ergebnis nimmt das Gesetz auch nicht aus allgemeinen Erwägungen der Beweiserleichterung und der Praktikabilität im Einzelfall in Kauf.
Zwar hat der Senat noch im Urteil vom 29. Mai 1980 (SozR 3100 § 17 Nr 4) ausgeführt, der bindende Einkommensteuerbescheid eines Gewerbebetreibenden aus dem Jahr vor dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit sei in jedem Fall verbindlich und schließe die Gewährung von Versorgungskrankengeld aus, wenn er einen Verlust ausweise. In diesen Fällen sei es nicht möglich, gemäß § 17 Abs 6 BVG (idF des 3. Neuordnungsgesetzes -KOV vom 18. Dezember 1966 - BGBl I 750) das Nettoeinkommen unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse festzusetzen, weil dafür nach dem klaren Ausdruck des Gesetzes Voraussetzung sei, daß sich das Einkommen nicht aus einem Einkommensteuerbescheid ermitteln lasse. Der Senat hat die vom Gesetzgeber getroffene Regelung als abschließend und Härtefälle in Kauf nehmend angesehen. Daran ist nicht mehr festzuhalten, seit die vorläufigen Steuerbescheide allgemein eingeführt und offenbar zur Regel geworden sind. Die Frage, ob bei Selbständigen der Einkommensteuerbescheid maßgebend sein sollte, ist schon im Zusammenhang mit dem ersten Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) erörtert worden. Aus den Gesetzesmaterialien (Protokoll der 35. Sitzung des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen vom 27. April 1960, 3. Wahlperiode S 8 ff) ergibt sich, daß die mit der Ermittlung des für Selbständige maßgeblichen Einkommens zusammenhängenden Probleme weitgehend bekannt waren. Im Vordergrund der Überlegungen stand, Unselbständige und Selbständige möglichst gleichzubehandeln. Daß für Selbständige der letzte Einkommensteuerbescheid maßgebend sein sollte, ist vorgeschlagen, allerdings noch nicht ins Gesetz aufgenommen worden. Dies sollte nur in den Verwaltungsvorschriften festgelegt werden, und zwar mit der Maßgabe, daß bei Unbilligkeit einer Festsetzung nach dem Einkommensteuerbescheid das Nettoeinkommen unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse festgesetzt werden sollte (vgl die Äußerung des Vertreters des BMA aaO S 11). Erst durch das RehaAnglG vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) ist der letzte vorliegende Einkommensteuerbescheid für die Berechnung maßgebend geworden (§ 16b Abs 1 Satz 2 BVG). Damit sollte der Bemessungszeitraum präzisiert werden. Daß der Einkommensteuerbescheid selbst im Falle unbilliger Ergebnisse alleinige Grundlage der Bemessung bleiben solle, läßt sich der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzes nicht zwingend entnehmen (vgl Regierungsentwurf BT-Drucks 7/1237, Begründung zu § 27 Nr 5). Der an den Gesetzgebungsarbeiten beteiligte BMA geht vielmehr davon aus, daß bei außergewöhnlichen Veränderungen des Geschäftsergebnisses von dem Grundsatz der Berechnung des Krankengeldes anhand des Einkommensteuerbescheides abgesehen werden müsse (vgl das bereits erwähnte Rundschreiben des BMA vom 26. März 1976 aaO Nr 5). Als außergewöhnliche Veränderungen müssen aber auch solche angesehen werden, die sich in der Aufbauphase eines Unternehmens ergeben. Hier sind Anfangsverluste im Sinne des Steuerrechts typisch. Deswegen eine Entschädigung zu versagen, wäre besonders unbillig, weil der Ausfall der Arbeitskraft des Selbständigen den Betrieb in einer Phase trifft, in der er noch nicht gefestigt und auf die Arbeitsleistung des Betriebsinhabers besonders angewiesen ist. An der bisherigen Rechtsprechung zur alleinigen Maßgeblichkeit des Einkommensteuerbescheids (vgl BSG SozR 3100 § 16b Nr 2; § 17 Nr 4; USK 79195) wird nicht festgehalten.
Wie zu verfahren ist, wenn bei Selbständigen kein endgültiger Einkommensteuerbescheid vorliegt, hat der Senat im Urteil vom 15. Februar 1989 (aaO) schon ausgeführt: Der Berechtigte ist dann zu behandeln, als fände keine Veranlagung zur Einkommensteuer statt. Dasselbe muß gelten, wenn der Einkommensteuerbescheid ein ungeeigneter oder unbilliger Maßstab ist. In Fällen dieser Art ist nicht erforderlich, daß der Berechtigte einen vor der Arbeitsunfähigkeit erzielten positiven Gewinn nachweist oder ein solcher Gewinn unter Berücksichtigung der Gesamtverhältnisse festgestellt werden kann. Vielmehr kann der Berechtigte den Schaden, der ihm durch die Arbeitsunfähigkeit entstanden ist und der durch das Krankengeld ausgeglichen werden soll, auch anderweitig nachweisen. Der Senat aaO hat als geeignetes Mittel zum Nachweis des Einkommensverlustes den erforderlichen Aufwand für einen während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit eingestellten Vertreter angesehen. Denn durch diese Ausgabe wird bei aufrecht erhaltenem Umsatz und im übrigen gleichbleibenden Kosten der Gewinn geschmälert.
Allerdings hat hier die Klägerin während ihrer Arbeitsunfähigkeit keinen Vertreter eingestellt, nach dessen Kosten sich ein Regellohn und damit das Krankengeld errechnen ließe. Die Klägerin macht vielmehr geltend, der Ausfall ihrer Arbeitskraft habe sich in einem Umsatzrückgang bei etwa gleichbleibenden Kosten ausgewirkt und damit zu einer Gewinnschmälerung geführt. Das SG hat gemeint, diese Gewinnschmälerung lasse sich aus dem Durchschnittseinkommen der selbständigen Goldschmiede errechnen. Dieser Weg ist aber nicht gangbar, weil zeitnahe Daten über die Einkommen von Selbständigen allgemein nicht erhoben werden (vgl dazu auch Urteil des Senats vom 15. Februar 1989 - 9/4b RV 47/87 - zur Veröffentlichung vorgesehen -) und deshalb zur Zeit des Leistungsantrags nicht zur Verfügung stehen. Angesichts der unterschiedlichen Verhältnisse bei Goldschmiedebetrieben würde sich ferner die Frage nach der Aussagekraft von statistischen Unterlagen stellen. Ein Maßstab für den eingetretenen Verlust sind aber die Kosten eines fiktiven Vertreters des Selbständigen; diesen Maßstab hat der Senat schon der erwähnten Entscheidung vom 10. August 1983 - 9a RV 7/82 - zugrunde gelegt. Da es um eine Entschädigung für die vorübergehend ausgefallene Arbeitskraft eines Selbständigen geht, kann es nicht entscheidend sein, ob der Selbständige zur Aufrechterhaltung seines Betriebes einen Vertreter einstellt oder nicht. Die Kosten eines Vertreters sind nicht etwa wie im Bereich der Krankenversicherung der Landwirte (vgl § 36 Satz 2 KVLG) für eine fremde Betriebshilfe zu erstatten, vielmehr dienen sie nur als Berechnungsgröße für den Regellohn eines Selbständigen. Wird eine Ersatzkraft tatsächlich nicht eingestellt, sind deshalb - jedenfalls wenn es vergleichbare Tätigkeiten auf dem Arbeitsmarkt gibt - die Kosten einer fiktiven Ersatzkraft zu ermitteln und ist danach der Regellohn festzustellen. Im vorliegenden Fall kommen als Kosten einer Ersatzkraft etwa die Tariflöhne oder Durchschnittslöhne für angestellte Goldschmiedemeister in Betracht, über deren Höhe die Beteiligten nicht mehr streiten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen