Entscheidungsstichwort (Thema)

Beitragsnachentrichtung. selbständige Tätigkeit

 

Orientierungssatz

1. Art 2 § 50 AnVNG läßt weder nach seinem Wortlaut noch nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift den Schluß zu, daß "Doppelberufler" keine Möglichkeit haben sollen, sich auch für den Verlust an Existenzsicherung aus der selbständigen Tätigkeit einen "auskömmlichen" Ausgleich aus der Rentenversicherung, und zwar unter Inanspruchnahme eigener Mittel, zu verschaffen.

2. Das Nachentrichtungsrecht nach Art 2 § 52 Abs 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (= Art 2 § 50 Abs 1 AnVNG) setzt voraus, daß die selbständige Erwerbstätigkeit zeitlich unmittelbar an die Vertreibung heranreicht; denn die Vorschrift verfolgt erkennbar den Zweck, diejenigen Personen zu schützen, die durch die Vertreibung ihre Selbständigkeit verloren haben, es ist also nicht anzuwenden auf Personen, die eine selbständige Tätigkeit vor der Vertreibung aus anderen Gründen nicht mehr ausgeübt haben.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 50 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09; ArVNG Art. 2 § 52 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 24.09.1963)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 05.09.1960)

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. September 1963 wird aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der Ehemann der Klägerin, H H (H.), geboren 20. Januar 1890, war

1. in der Zeit vom 1. November 1911 bis April 1945

a) von 1911 bis 1921 in Österreich, von 1921 bis April 1945 in der Tschechoslowakei Lehrer im Beamtenverhältnis,

b) vom 1. Juli 1944 bis 15. April 1945 außerdem gleichzeitig Lehrer an einer deutschen Berufsschule in der Tschechoslowakei im Angestelltenverhältnis,

c) seit 1929 zugleich - als Eigentümer eines Tonbergbaues mit 30 bis 45 Arbeitern und drei Angestellten - in der Tschechoslowakei selbständiger Unternehmer;

2. vom Mai 1945 bis August 1946 befand er sich in russischer Kriegsgefangenschaft;

3. im Oktober 1946 kam er nach Wien und war in Österreich von Ende Januar 1947 bis 31. August 1949 als Lehrer im Angestelltenverhältnis beschäftigt;

4. im September 1949 kam er in die Bundesrepublik, eine Beschäftigung übte er seither nicht mehr aus.

Für die Zeit von 1. Juli 1944 bis 15. April 1945 (oben 1 b) sind zehn Beiträge zum tschechoslowakischen Versicherungsträger entsprechend dem Einkommen aus dieser Beschäftigung nachgewiesen. Für die Zeit von Mai 1945 bis Dezember 1946 (oben Nr. 2) berücksichtigte die Beklagte im Endergebnis zwanzig Monate als Ersatzzeiten, teils auf Grund des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) vom 7. August 1953, teils nach § 28 Abs. 1 Nr. 6 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) in der seit 1. Januar 1957 maßgebenden Fassung. Für die Zeit des Aufenthalts in Österreich (oben Nr. 1 a und oben Nr. 3) sind 31 Beiträge zum österreichischen Versicherungsträger nachgewiesen; Rente wurde H. vom österreichischen Versicherungsträger nicht gewährt. Von 1950 an bis Ende 1958 (oben Nr. 4) entrichtete H. laufend freiwillige Beiträge an die Beklagte; die Beklagte erkannte für diese Zeit 89 freiwillige Beiträge an.

Im Dezember 1954 beantragte H. Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit, diesen Antrag - über den von der Beklagten nicht entschieden wurde - änderte er am 1. März 1957 dahin ab, ihm vom 1. Februar 1955 an (nach Vollendung des 65. Lebensjahres) Altersruhegeld "unter Anwendung des ab 1. Januar 1957 geltenden neuen Rechts (§ 25 Abs. 1 AVG)" zu gewähren. Mit Bescheid vom 23. Februar 1959 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab, weil nur die oben erwähnten insgesamt 150 Monate als Versicherungszeit berücksichtigt werden könnten und die Wartezeit für das Altersruhegeld damit nicht erfüllt sei; H. sei nicht gestattet, nach Art. 2 § 50 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) Beiträge für Zeiten vor Vollendung des 65. Lebensjahres nachzuentrichten, weil er vor der Vertreibung nicht "Selbständiger" im Sinne dieser Vorschrift, sondern Beamter gewesen sei. Einen Betrag von 2.662,- DM, den H. im Dezember 1958 als Beitragsnachentrichtung für 46 Monate an die Beklagte überwiesen hatte, überwies die Beklagte im Januar 1959 an H. zurück.

Mit der Klage begehrte H. Altersruhegeld ab 1. Februar 1955 und Verurteilung der Beklagten zur Zulassung der Nachentrichtung von Beiträgen. Das Sozialgericht (SG) Stuttgart wies die Klage ab (Urteil vom 5. September 1960). H. legte Berufung ein und beantragte - nach Abschluß eines Teilvergleichs über die Entgegennahme von 7 weiteren Beiträgen durch die Beklagte -, das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 1961 sowie den Bescheid vom 12. (richtig: 23.) Februar 1959 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. August 1962 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Altersruhegeld unter Berücksichtigung von 36 Monatsbeiträgen für die Jahre 1936 bis 1938 ab 1. Februar 1955 zu gewähren. In der Zeit von Januar 1959 bis 31. Juli 1961 entrichtete H. weitere 31 freiwillige Beiträge. Mit Bescheid vom 5. Dezember 1961 gewährte ihm sodann die Beklagte Altersruhegeld ab 1. August 1961 in Höhe von damals 133,60 DM. In dem während des Berufungsverfahrens hinsichtlich der Ablehnung des Rechts zur Nachentrichtung von Beiträgen durchgeführten Widerspruchsverfahren wurde der Bescheid vom 23. Februar 1959 insoweit bestätigt. Am 24. September 1963 wies das Landessozialgericht (LSG) die Berufung gegen das Urteil des SG und die Klage gegen den Bescheid vom 5. Dezember 1961 sowie gegen den Bescheid vom 23. Februar 1959 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. August 1962 ab. Es führte aus: Es könne dahingestellt bleiben, ob H. zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art. 2 § 50 AnVNG befugt sei, obwohl er innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung der Vertreibung eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht in der Bundesrepublik, wohl aber in Österreich aufgenommen habe; es komme auch nicht darauf an, daß H. die selbständige Tätigkeit in der Tschechoslowakei schon 1939, nach seinen Angaben allerdings kriegsbedingt, aufgegeben habe. H. gehöre jedenfalls deshalb nicht zu dem Personenkreis des Art. 2 § 50 AnVNG, weil er hauptberuflich beamteter Lehrer gewesen sei und auch nach Beendigung der Vertreibung wieder eine Tätigkeit als Lehrer in Österreich aufgenommen habe; er erhalte auf Grund dieser Tätigkeiten eine auskömmliche Pension - nach seinen Angaben nach dem Stand von Oktober 1961 monatlich 791,- DM brutto -, er habe durch die Vertreibung nicht, wie dies Sinn und Zweck des Art. 2 § 50 AnVNG voraussetzten, eine bisherige wirtschaftliche Sicherung allein aus selbständiger Tätigkeit verloren, er habe auch nicht nach seiner Vertreibung erstmals wegen des Verlustes dieser wirtschaftlichen Sicherung eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen, vielmehr habe er nach der Vertreibung seinen schon bisher ausgeübten Beruf als Lehrer in Österreich fortgesetzt. Für einen "Schadensausgleich" nach Art. 2 § 50 AnVNG bestehe in diesem Falle deshalb auch kein Bedürfnis. Das LSG ließ die Revision zu; das Urteil wurde H. am 31. Oktober 1963 zugestellt.

Am 23. November 1963 legte H. Revision ein, er beantragte,

das angefochtene Urteil, das Urteil des SG Stuttgart vom 5. September 1960, den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 1961 und den Bescheid vom 12. Februar 1959 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. August 1962 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Altersruhegeld unter Berücksichtigung von 36 Monatsbeiträgen in Gesamthöhe von 2.662,- DM für die Jahre 1936 bis 1938 ab 1. Februar 1955 zu gewähren.

Zur Begründung trug er vor, das LSG habe Art. 2 § 50 AnVNG unrichtig angewandt; unter diese Vorschrift falle jeder, der im Herkunftsland als Selbständiger tätig gewesen sei, es komme nicht darauf an, ob der Berechtigte damals gleichzeitig auch in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe und ob bei "Doppelberuflern" die nicht selbständige oder die selbständige Berufstätigkeit die Lebensgrundlage gebildet habe; es sei auch nicht erheblich, daß H. nach seiner Vertreibung auf andere Weise, nämlich durch seine Pension, ausreichend in das wirtschaftliche Leben der Bundesrepublik eingegliedert worden sei.

Die Beklagte beantragte,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.

Am 3. Mai 1966 starb H.; Alleinerbin ist nach dem gemeinschaftlichen notariellen Testament der Eheleute H. vom 29. Dezember 1965 die Witwe M H geb. D. Die Witwe erklärte am 24. Juni 1966, sie nehme das Verfahren auf und halte die bisherigen Anträge und prozeßrechtlichen Erklärungen aufrecht.

II

Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG); sie ist auch begründet.

Der von der Klägerin beanspruchten Berechtigung zur Beitragsnachentrichtung steht nicht entgegen, daß H. 1966 gestorben ist. In dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. Dezember 1965 (SozR Nr. 8 zu Art. 2 § 52 ArVNG = Art. 2 § 50 AnVNG) ist die Berechtigung der Witwe zur Beitragsnachentrichtung zwar nur mit der Einschränkung bejaht worden, daß dies jedenfalls dann gelte, wenn der Versicherte vor dem 1. Januar 1957 gestorben sei; ob in allen Fällen, in denen der Versicherte - wie hier - nach dem 31. Dezember 1956 gestorben ist, das gleiche gilt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. H. hat nämlich schon 1958 zum Zweck der Beitragsnachentrichtung den Betrag von 2.662,- DM an die Beklagte gezahlt, die Beklagte hat den Betrag an H. zurücküberwiesen, die Berechtigung des H. zur Beitragsnachentrichtung ist Gegenstand des beim Tod des H. noch rechtshängigen gerichtlichen Verfahrens; jedenfalls unter diesen Umständen kommt es für die Berechtigung der Witwe zur Beitragsnachentrichtung auf den Zeitpunkt des Todes des Versicherten nicht an.

Die Klägerin wendet sich mit der Revision zunächst gegen den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 1961, in diesem Bescheid hat die Beklagte unter Berücksichtigung von 130 Beitragsmonaten zum deutschen und tschechoslowakischen Versicherungsträger (oben Nr. 1 b und Nr. 4; der letzte freiwillige Beitrag wurde an die Beklagte für Juli 1961 entrichtet), von 20 Monaten Ersatzzeit (oben Nr. 2) und von 31 Monatsbeiträgen zum österreichischen Versicherungsträger (oben Nr. 3, insoweit unter Bezug auf das AVG in der Fassung vom 23. Februar 1957 in Verbindung mit den Bestimmungen des Abkommens über Sozialversicherung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich vom 21. April 1951) H. Altersruhegeld ab 1. August 1961 bewilligt; die Klägerin begehrt die Aufhebung dieses Bescheides, Feststellung des Rentenbeginns auf 1. Februar 1955 (ab Vollendung des 65. Lebensjahres) und zugleich eine höhere Rente. Dieses Begehren wäre - zunächst abgesehen von der Frage des Beginns der Rente - nur dann gerechtfertigt, wenn auch der Bescheid vom 23. Februar 1959 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. August 1962 rechtswidrig wäre; in diesem Bescheid - nicht in dem von H. und vom LSG irrtümlich als "Bescheid" bezeichneten Schreiben der Beklagten vom 12. Februar 1959, das eine Regelung weder hinsichtlich des Beginns oder der Höhe der Rente noch hinsichtlich der von der Klägerin begehrten Berechtigung zur Beitragsnachentrichtung enthält - hat die Beklagte nicht nur den Antrag auf Altersruhegeld wegen Nichterfüllung der Wartezeit abgelehnt, sie hat gleichzeitig noch eine weitere Regelung getroffen, indem sie die Berechtigung des H. zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG verneint hat, an dieser Regelung hat sie in dem Widerspruchsbescheid vom 22. August 1962, der nur zu dieser Frage ergangen ist und hat ergehen können, festgehalten. Die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 5. Dezember 1961 und die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 23. Februar 1959 hängen also - jedenfalls für die Zeit ab Dezember 1958 (vgl. das BSG-Urteil vom 7. Juli 1964, BSG 21, 193) - davon ab, ob die von H. nachentrichteten und von der Beklagten an ihn zurücküberwiesenen Beiträge wirksam sind. Zunächst ist deshalb über diese Frage zu entscheiden. Das LSG hat sie nicht schon deshalb verneinen dürfen, weil Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG sich nicht auf Personen erstrecke, die - wie H. - neben einer abhängigen Beschäftigung, die später zu einer ausreichenden Versorgung geführt hat, zugleich auch eine selbständige Tätigkeit ausgeübt haben. Diese Einschränkung ist weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu entnehmen.

Anzuwenden ist Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG in der Fassung, die diese Vorschrift durch Art. 2 § 2 Nr. 10 des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RentVÄndG) vom 9. Juni 1965 erhalten hat, diese Fassung ist am 1. Januar 1957 in Kraft getreten (Art. 5 § 10 Abs. 1 Buchst. a RentVÄndG). Diese Vorschrift macht das Recht zu der hier streitigen Nachentrichtung von Beiträgen von mehreren Voraussetzungen abhängig:

a) es muß sich - abgesehen von den hier nicht in Betracht kommenden Personen im Sinne des § 1 des Bundesevakuiertengesetzes - um Personen im Sinne der §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) handeln;

b) diese Personen müssen vor der Vertreibung als Selbständige erwerbstätig gewesen sein;

c) sie müssen binnen drei Jahren (nach der früheren Fassung binnen zwei Jahren) nach der Vertreibung oder nach Beendigung einer Ersatzzeit im Sinne von § 28 Abs. 1 Nr. 6 des AVG eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen haben oder aufnehmen.

Daß H. die Voraussetzungen unter a) erfüllt hat, ist nicht im Streit; er ist Vertriebener im Sinne von § 1 Abs. 1 des BVFG gewesen. Er hat auch die Voraussetzungen unter c) erfüllt. Das Recht zur Nachentrichtung von Beiträgen (Art. 2 § 50 Abs. 1 Satz 2 AnVNG) ist - ebenso wie das Recht zur Weiterversicherung nach Satz 1 - an die Aufnahme einer (abhängigen) Beschäftigung innerhalb der gesetzlichen Frist geknüpft, weil der Ausgleich, der nach dieser Vorschrift ua Vertriebenen für den Verlust der durch die frühere selbständige Erwerbstätigkeit erlangten wirtschaftlichen Stellung gewährt werden soll, sich im Rahmen der gesetzlichen Rentenversicherung vollzieht, diese Versicherung jedoch in erster Linie dem Versicherungsbedürfnis der in abhängiger Arbeit stehenden Personen dient; der Ausgleich ist deshalb auf Personen beschränkt worden, die bereits durch Aufnahme einer Beschäftigung eine Verbindung zur Rentenversicherung hergestellt haben. Von einer solchen "Verbindung" kann in der Regel nur gesprochen werden, wenn es sich bei der in Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG geforderten versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit um eine nach Bundesrecht versicherungspflichtige Beschäftigung handelt. Eine solche Beschäftigung hat H. nach Beendigung der Vertreibung nicht ausgeübt, er ist nach seinem Eintreffen im Bundesgebiet nicht mehr beschäftigt gewesen. Er hat aber im Januar 1947, also wenige Monate nach seinem Eintreffen in Österreich, dort eine nach österreichischem Recht versicherungspflichtige Beschäftigung als Lehrer aufgenommen (und bis 31. August 1949 ausgeübt); für diese Beschäftigung sind auch Beiträge zum österreichischen Versicherungsträger abgeführt worden. Diese Beschäftigung hat im Rahmen des Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG die gleiche Wirkung wie eine versicherungspflichtige Beschäftigung nach Bundesrecht. Wie auch das LSG bereits in Erwägung gezogen hat, ergibt sich dies aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Sozialversicherungen (SVA) vom 21. April 1951 (BGBl 1952 II 317). Nach Art. 6 Abs. 1 SVA - die Vorschrift wird durch das Zweite Sozialversicherungsabkommen vom 11. Juli 1953 (BGBl 1954 II 774) und den Finanz- und Ausgleichsvertrag dieser beiden Vertragspartner vom 27. November 1961 (BGBl 1962 II 1644) nicht berührt - kommt, "soweit nach den Vorschriften eines der beiden Vertragsstaaten ... eine Erwerbstätigkeit oder ein Sozialversicherungsverhältnis rechtliche Auswirkungen (ua) auf die freiwillige Versicherung haben, ... die gleiche Wirkung auch (ua) ... einer gleichartigen Erwerbstätigkeit oder einem gleichartigen Versicherungsverhältnis im anderen Staate zu". Daraus ergibt sich für die Anwendbarkeit des Art. 2 § 50 Abs. 1 Satz 1 AnVNG die gleiche Wirkung der versicherungspflichtigen Beschäftigung des H. in Österreich unmittelbar, sie ergibt sich aber auch mittelbar aus Satz 2, der die Rechtsstellung des unter Satz 1 fallenden Personenkreises ergänzt.

Offen ist damit nur noch die Frage, ob H. auch die Voraussetzungen oben unter b) erfüllt hat. Er ist zwar nach den Feststellungen des LSG Selbständiger gewesen, er hat aber nicht nur eine selbständige Erwerbstätigkeit - jedenfalls bis 1939 -, sondern gleichzeitig auch eine Beschäftigung als Lehrer im Beamten- und im Angestelltenverhältnis ausgeübt. Zunächst abgesehen davon, ob H. die selbständige Tätigkeit nur bis 1939 oder bis zu seiner Vertreibung ausgeübt hat, schließt die Tatsache, daß H. "Doppelberufler" gewesen ist, entgegen der Auffassung des LSG das Recht zur Beitragsnachentrichtung nicht aus. Mit der Auslegung des Art. 2 § 50 Abs. 1 Satz 2 AnVNG hat sich das BSG eingehend in dem Urteil vom 12. Januar 1966 - 1 RA 271/63 - beschäftigt. Zwar betrifft jenes Urteil im wesentlichen die - vom BSG verneinte - Frage, ob das Nachentrichtungsrecht auf Zeiten der Selbständigkeit des Berechtigten vor der Vertreibung beschränkt sei; es befaßt sich nicht mit der im vorliegenden Fall streitigen Frage, ob das Nachentrichtungsrecht auf Personen beschränkt ist, die vor der Vertreibung nur selbständig gewesen sind, oder ob es auch Personen zugute kommt, die, wie H., vor der Vertreibung gleichzeitig selbständig tätig und abhängig beschäftigt gewesen sind. Die Ausführungen in jenem Urteil, die der Senat für zutreffend hält, sind trotzdem auch für den vorliegenden Fall bedeutsam. In dem Urteil ist dargelegt, das Nachentrichtungsrecht solle früher Selbständigen, die ua durch Vertreibung ihre unabhängige Erwerbstätigkeit und damit ihre wirtschaftliche Sicherung verloren haben, nachträglich den Schutz der Rentenversicherung verschaffen; Art. 2 § 50 AnVNG gehöre zu der Vertriebenenfürsorge, das Gesetz lasse in Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift die Nachentrichtung von Beiträgen für eine lange Zeit zurück zu, damit die Rentenversorgung auskömmlich werde, praktisch könnten sich die Berechtigten damit nachträglich in die Rentenversicherung "einkaufen"; ein Nachentrichtungsrecht, das auf Zeiten der Selbständigkeit beschränkt wäre, würde oft kein ausreichendes Äquivalent für die durch die frühere Selbständigkeit erreichte und durch die Vertreibung verlorene Existenzsicherung sein, es würde vor allem in vielen Fällen den Berechtigten die Möglichkeit vorenthalten, sich den Schutz der Rentenversicherung zu schaffen, der zu ihrer eigenen Sicherung und der Sicherung ihrer Hinterbliebenen nach dem Wegfall der früheren Existenzgrundlage erforderlich sei; im Vordergrund stehe bei dieser Vorschrift nicht der Versicherungsgedanke, sondern der Grundsatz der Fürsorge und Betreuung; es dürfe auch nicht übersehen werden, daß die Berechtigten für den Erwerb des Versicherungsschutzes erhebliche Opfer bringen müßten (Beitragsnachentrichtung aus eigenen Mitteln) und daß dem Versicherungsträger im Verhältnis zur Leistung mehr Beiträge zufließen als sie bei sonst gleichaltrigen Versicherten vorliegen (Nachentrichtung für alle von dem Berechtigten einbezogenen zurückliegenden Zeiten in vollem Wert); auch dies spreche dafür, dem Nachentrichtungsrecht nach Art. 2 § 50 Abs. 1 Satz 2 AnVNG keine zu enge Auslegung zu geben.

Für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus folgendes: Anders als in den Fällen, die für die Regelung in Art 2 § 50 AnVNG "typisch" sind, hat die Existenz des H. in der Tschechoslowakei nicht nur auf einer selbständigen Tätigkeit, sondern sowohl auf dieser Tätigkeit als auch auf seiner Beamtentätigkeit und seiner Beschäftigung als Lehrer im Angestelltenverhältnis beruht. H. sind - wiederum zunächst unterstellt, er habe die Tätigkeit als selbständiger Unternehmer bis zur Vertreibung ausgeübt oder doch erst "kriegsbedingt" aufgegeben - beide Grundlagen seiner früheren Existenz in der Tschechoslowakei infolge der Vertreibung entzogen worden. An die Stelle der Existenzsicherung aus dem Einkommen aus der früheren Beamtentätigkeit ist die Pension getreten. Art. 2 § 50 AnVNG läßt weder nach seinem Wortlaut noch nach dem oben wiedergegebenen Sinn und Zweck der Vorschrift den Schluß zu, daß "Doppelberufler" keine Möglichkeit haben sollen, sich auch für den Verlust an Existenzsicherung aus der selbständigen Tätigkeit einen "auskömmlichen" Ausgleich aus der Rentenversicherung, und zwar unter Inanspruchnahme eigener Mittel, zu verschaffen. Die Ansprüche nach dem Lastenausgleichsgesetz (LAG), die H. möglicherweise wegen des Verlustes seines Betriebs in der Tschechoslowakei gehabt hat, betreffen den Verlust des Betriebsvermögens, nicht den verlorenen Wert des selbständigen Wirkungskreises (vgl. auch Urteil des BSG vom 3. November 1961, BSG 15, 211 ff). Art. 2 § 50 Abs. 1 Satz 2 AnVNG läßt auch nicht erkennen, daß nur solche Selbständige sich - unter den sonst geforderten Voraussetzungen - eine Alterssicherung aus der Rentenversicherung sollen verschaffen können, die keine oder keine ausreichende anderweitige Alterssicherung haben. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß die Alterssicherung eines Selbständigen, die etwa auf Einkommen aus Vermögen, auf einem Lebensversicherungsvertrag oder auch nur auf Unterhaltsansprüchen gegenüber Unterhaltsverpflichteten beruht, das Nachversicherungsrecht nach Art. 2 § 50 Abs. 1 Satz 2 AnVNG selbst dann nicht ausschließt, wenn diese anderweitige Alterssicherung "auskömmlich" ist. Das gleiche muß dann aber auch für eine Alterssicherung gelten, die auf einer früheren, neben der selbständigen Tätigkeit ausgeübten Beamtentätigkeit beruht. Im übrigen würde auch jeder Anhalt dafür fehlen, wann eine Alterssicherung aus solchen anderen Quellen "auskömmlich" ist.

Das LSG hat sonach den Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 1959, soweit die Beklagte darin die Berechtigung des H. zur Nachentrichtung von Beiträgen verneint hat, jedenfalls nicht aus den Gründen als rechtmäßig ansehen dürfen, die es für entscheidend gehalten hat. Da seine Entscheidung insoweit möglicherweise unrichtig ist, ist es auch möglich, daß das LSG den Bescheid vom 23. Februar 1959 zu Unrecht insoweit als rechtmäßig angesehen hat, als darin das von H. begehrte Altersruhegeld wegen Nichterfüllung der Wartezeit abgelehnt worden ist, und daß auch der Bescheid vom 5. Dezember 1961, mit dem das Altersruhegeld erst ab 1. August 1961 gewährt worden ist, entgegen der Auffassung des LSG rechtswidrig ist, weil es auch insoweit auf die Berechtigung zur Nachentrichtung von Beiträgen ankommt. Das Urteil des LSG ist deshalb aufzuheben. In der Sache selbst kann der Senat jedoch nicht entscheiden; es ist nämlich nicht auszuschließen, daß H. aus einem anderen Grunde zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art. 2 § 50 Abs. 1 Satz 2 AnVNG nicht berechtigt gewesen ist und die angefochtenen Bescheide deshalb rechtmäßig sind. Es ist nämlich möglich, daß H. im Zeitpunkt der Vertreibung (1945) nicht mehr selbständiger Unternehmer gewesen ist, sondern den Betrieb schon vor der Vertreibung aufgegeben hat. Wie in dem Urteil des BSG vom 9. Dezember 1965 (aaO) zutreffend ausgeführt ist, setzt das Nachentrichtungsrecht nach Art. 2 § 52 Abs. 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (= Art. 2 § 50 Abs. 1 AnVNG) voraus, daß die selbständige Erwerbstätigkeit zeitlich unmittelbar an die Vertreibung heranreicht; denn die Vorschrift verfolgt erkennbar den Zweck, diejenigen Personen zu schützen, die durch die Vertreibung ihre Selbständigkeit verloren haben, es ist also nicht anzuwenden auf Personen, die eine selbständige Tätigkeit vor der Vertreibung aus anderen Gründen nicht mehr ausgeübt haben. Dabei müssen jedoch Zeiten, in denen die selbständige Tätigkeit vor der Vertreibung aus kriegsbedingten Gründen, wie zB infolge Kriegsdienst, Kriegsgefangenschaft, Dienstverpflichtung oder durch kriegswirtschaftliche Maßnahmen erzwungenen Betriebseinstellung beendet worden ist, außer Betracht bleiben (vgl. das angeführte Urteil, ferner Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 20. Oktober 1961, BArbBl 1961, 838; Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Anm. I zu Art. 2 § 52 ArVNG). Hierzu enthält das Urteil des LSG keine Feststellungen, das LSG hat nur gesagt, "nach den Einlassungen des Klägers (H.)" sei die selbständige Tätigkeit von H. schon 1939 aufgegeben worden, "allerdings kriegsbedingt". Der Senat darf die erforderlichen Feststellungen, auf die es für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide ankommen kann, nicht selbst treffen. Die Sache ist deshalb zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Falls das LSG insoweit zu der Klägerin günstigen Feststellungen kommt, wird es hinsichtlich der Frage des Rentenbeginns die Ausführungen in dem Urteil des BSG vom 7. Juli 1964, BSG 21, 193 ff zu berücksichtigen haben.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2347449

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge