Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosigkeit und Lösung von bisheriger Tätigkeit. Bergmannsrente. bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit. Lösung vom bisherigen Beruf

 

Leitsatz (redaktionell)

Aus der Tatsache allein, daß ein Versicherter in seinem Beruf arbeitslos wird, also in seinem Beruf keine Stelle mehr findet, kann allerdings nicht auf eine endgültige Lösung von der bisherigen Tätigkeit geschlossen werden. Die Lösung vom bisherigen Beruf tritt erst ein, wenn sich der Versicherte im Laufe der Zeit mit der danach aufgenommenen Tätigkeit abfindet.

 

Orientierungssatz

Die "bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" ist die Tätigkeit als Maschinist 1 bei einer Kokerei und nicht die Hauertätigkeit, wenn sich ein früherer Hauer, dem nach Betriebseinschränkung gekündigt worden ist, nicht ernstlich um eine Wiederanlegung in seinem Beruf bemüht, sondern die Tätigkeit als Maschinist 1 aufnimmt und diese Tätigkeit auch bei und nach Vollendung seines 50. Lebensjahres ausübt. Die Voraussetzungen des § 45 Abs 1 Nr 2 RKG, nämlich der Übergang zu einer wirtschaftlich nicht gleichwertigen Arbeit, sind danach nicht gegeben.

 

Normenkette

RKG § 45 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1967-12-21

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 03.05.1979; Aktenzeichen L 2 Kn 177/78)

SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 18.10.1978; Aktenzeichen S 3 Kn 72/77)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres und Erfüllung der besonderen Wartezeit (§ 45 Abs 1 Nr 2 Reichsknappschaftsgesetz -RKG-).

Der 1923 geborene Kläger arbeitete seit 1938 auf der Zeche Kaiserstuhl und blieb dort bis zur Stillegung der Anlage im Jahre 1966. Er hatte den damals üblichen Werdegang vom Gedingeschlepper über den Lehrhauer zum Hauer durchgemacht und 1956 die Hauerprüfung abgelegt. Im März 1966 wurde der in Dortmund wohnende Kläger wegen Stillegung der Zeche Kaiserstuhl zur Schachtanlage Emil Fritz in Essen-Altenessen verlegt. Zum 28. Februar 1967 wurde ihm wegen Betriebseinschränkung dieser Anlage gekündigt. Der Kläger bemühte sich im Februar 1967 vergeblich um eine Wiederanlegung als Hauer. Am 1. März 1967 begann er als Maschinist 1 bei einer Kokerei in Dortmund zu arbeiten, wo er seitdem (knappschaftlich versichert) geblieben ist. Im April 1969 wurde der Kläger als silikosegefährdet in die Staubbelastungsgruppe B 2 eingestuft, Ende 1970 in die Gruppe B 1.

Den Antrag des Klägers vom März 1973, ihm Bergmannsrente zu gewähren, lehnte die Beklagte ab. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte zur Zahlung von Bergmannsrente ab 1. Juni 1973. In der Berufungsinstanz einigten sich die Beteiligten, es solle die Entscheidung in dem Rechtsstreit 5 RKn 19/75 beim Bundessozialgericht (BSG) abgewartet und dem Kläger ein neuer Bescheid erteilt werden.

Mit Bescheid vom 7. Januar 1977 und Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 1977 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers erneut ab. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 18. Oktober 1978; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 3. Mai 1979). Das LSG hat ausgeführt:

Der Kläger habe seine Bemühungen, als Hauer wieder angelegt zu werden, auf den Monat Februar 1967 beschränkt. Für den Raum Dortmund und für Anfang 1967 könne unterstellt werden, daß die Bemühungen von vornherein aussichtslos gewesen seien. Bis 1969 sei der Kläger aber nicht gehindert gewesen, sich weiterhin um eine Anlegung zu bemühen. Wenn auch die Aussichten alles andere als günstig gewesen seien, so seien sie danach und außerhalb des Raumes Dortmund nicht aussichtslos gewesen. Sei es für den Kläger zwar schwierig, aber nicht ausgeschlossen gewesen, jedenfalls von Februar 1967 bis April 1969 einen neuen Arbeitsplatz als Hauer zu erlangen, so berufe er sich ohne Erfolg darauf, daß nach seinem und dem Bewußtsein der Bevölkerung eine Wiederanlegung als Hauer unmöglich erschienen sei.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 45 RKG.

Er beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des

Urteils des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom

18. Oktober 1978 die Beklagte unter Aufhebung

des Bescheides vom 7. Januar 1977 in der Fassung des

Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 1977 zur Gewährung

der beantragten Bergmannsrente ab dem 1. Juni 1973

zu verurteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG den Anspruch des Klägers auf Bergmannsrente verneint. Nach § 45 Abs 1 Nr 2 RKG erhält der Versicherte auf Antrag Bergmannsrente, wenn er das 50. Lebensjahr vollendet, die Wartezeit nach § 49 Abs 2 RKG erfüllt hat und "im Vergleich zu der von ihm bisher verrichteten knappschaftlichen Arbeit" keine gleichwertigen Arbeiten mehr ausübt. Der Kläger hat den Antrag auf Bergmannsrente gestellt. Er hat das 50. Lebensjahr vollendet. Daß die Wartezeit des § 49 Abs 2 RKG erfüllt ist, ergibt sich daraus, daß der Kläger, wie das LSG festgestellt hat, von April 1938 bis Februar 1967 unter Tage gearbeitet hatte. Seiner früheren Tätigkeit als Hauer ist die später von ihm verrichtete Tätigkeit als Maschinist 1 wirtschaftlich nicht gleichwertig, denn die Lohndifferenz beträgt mehr als 7,5 % (vgl BSG SozR 2600 § 45 Nr 18). Von seiner früheren Hauertätigkeit ist jedoch nicht auszugehen. Der Kläger hat sich, nachdem er seine letzte Stelle als Hauer verloren hatte, dem Beruf des Maschinisten 1 zugewendet, den er von da an, auch über die Vollendung seines 50. Lebensjahres hinaus ausgeübt hat. Von seinem bisherigen Beruf löst sich der Versicherte, der erkennbar einer bis dahin ausgeübten Berufstätigkeit trotz vorhandener Möglichkeit nicht weiter nachgehen will und sich endgültig einer anderen Berufstätigkeit zugewendet hat (BSG SozR Nr 33 zu § 1246 Reichsversicherungsordnung -RVO-).

Der Kläger hat seinen Arbeitsplatz Ende Februar 1967 wegen Betriebseinschränkung der Anlage, auf der er arbeitete, verloren. Er hat sich, wie das LSG festgestellt hat, nach der Kündigung nur im Februar 1967 um Arbeit als Hauer bemüht. Für den Raum Dortmund und für Anfang 1967 hat das LSG auch unterstellt, daß weitere Bemühungen für den Kläger aussichtslos waren. In der Zeit danach seien sie zwar "schwierig", "alles andere als günstig", jedoch nicht aussichtslos gewesen. Daraus, daß der Kläger sich nach Februar 1967 nicht mehr um eine Wiederanlegung als Hauer bemühte, obwohl solche Bemühungen in der Folgezeit nicht aussichtslos gewesen wären, ergibt sich, daß er sich von da an dem Beruf des Maschinisten zugewandt und mit ihm abgefunden hat. Auch ein unfreiwilliger Berufswechsel kann zu einem Abwenden vom bisherigen Beruf führen (BSG SozR Nr 94 zu § 1246 RVO). Aus der Tatsache allein, daß ein Versicherter in seinem Beruf arbeitslos wird, also in seinem Beruf keine Stelle mehr findet, kann allerdings nicht auf eine endgültige Lösung von der bisherigen Tätigkeit geschlossen werden. Die Lösung vom bisherigen Beruf tritt erst ein, wenn sich der Versicherte im Laufe der Zeit mit der danach aufgenommenen Tätigkeit abfindet (BSGE 2, 182, 183; BSGE 15, 212 = SozR Nr 16 zu § 35 RKG aF, BSGE 19, 217, 27. Juni 1973, 5 RKn 28/71; 21. Juli 1976, 5 RKn 19/75, Soziale Sicherheit 1976, 348; 29. September 1976, 5 RKn 5/76, BSGE 46, 121 = SozR 2600 § 45 Nr 22). Es ist nicht zu beanstanden, wenn das LSG das Gesamtverhalten des Klägers dahin deutet, daß er sich mit dem Beruf des Maschinisten 1 zufrieden gegeben hat. Ob es allerdings stets auf das Bewußtsein der Bevölkerungskreise, denen der Versicherte angehört hat, hinsichtlich der Frage ankommt, ob Bemühungen um Arbeit aussichtsreich waren, kann offen bleiben. Richtig ist jedenfalls, daß der Versicherte, der ungeprüft solche Meinungen übernimmt und sich deshalb nicht um eine Wiederanlegung in seinem Beruf bemüht, sein Festhalten am bisherigen Beruf nicht erkennen läßt. Wer trotz widriger Umstände, insbesondere Mangel an Arbeitsplätzen, seinen Beruf behalten will, verläßt sich nicht einfach auf die Meinung seiner Umgebung, daß Bewerbungen aussichtslos seien. Er verschafft sich eigene Gewißheit über die Arbeitsmarktlage auch außerhalb seines Wohngebietes. Wer es - wie der Kläger - nach kurzen, räumlich begrenzten Bemühungen dabei bewenden läßt, außerhalb seiner bisherigen Tätigkeit zu arbeiten, zeigt vielmehr gerade, daß er sich mit der neuen Situation abgefunden hat. Das Festhalten am bisherigen Beruf muß im Verhalten des Versicherten zum Ausdruck kommen. Der bloße Vortrag, es habe der Wille zur Rückkehr in den Beruf bestanden, der vor dem Verlust der Arbeitsstelle ausgeübt wurde, reicht nicht aus. "Bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit" des Klägers war damit zu der Zeit, als er das 50. Lebensjahr vollendete, die Tätigkeit als Maschinist 1, die er auch danach noch ausübte. Damit fehlt es an einer Voraussetzung des § 45 Abs 1 Nr 2 RKG, nämlich dem Übergang zu einer wirtschaftlich nicht gleichwertigen Arbeit.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658978

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