Beteiligte
Kläger und Revisionskläger |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Erstattung der Kosten, die durch die Behandlung des Beigeladenen nach einem Unfall entstanden sind. Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Beigeladene bei dem Unfall unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.
Der im Jahre 1969 geborene Beigeladene besuchte bis zu den Sommerferien 1986 die Hauptschule G. Anschließend begann er ab 6. August 1986 mit dem Berufsbildungsgrundjahr an der Berufsbildenden Schule II (BBS) in C. im Fachbereich Metallbautechnik. Auf Veranlassung der Schule sollten von den Schülern für den Unterricht mehrere Bücher und Zeichenmaterialien angeschafft werden. Am 19. August 1986 ging der Beigeladene in der Zeit zwischen dem Unterrichtsschluß und der Abfahrt des Busses zu seinem Wohnort zu einer etwa 500 Meter von der Schule entfernten Buchhandlung, um das für den Gemeinschaftskundeunterricht benötigte Buch zu kaufen. Auf dem Weg zu der Buchhandlung rutschte er aus und zog sich Verletzungen am rechten Kniegelenk zu, die eine stationäre Behandlung mit Operation sowie eine Nachbehandlung erforderlich machten.
Der Kläger, der überwiegend die Kosten dieser Behandlung getragen hat, meldete bei der Beklagten Erstattungsansprüche an, die diese ablehnte, da der Beigeladene bei der Erneuerung von Arbeitsgerät gemäß § 549 Reichsversicherungsordnung (RVO) verunglückt sei und deshalb unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden habe.
Das Sozialgericht (SG) Oldenburg und das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen haben die Klage abgewiesen (Urteile vom 29. August 1990 und 26. August 1991). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, der Beigeladene sei im Unfallzeitpunkt nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst c RVO i.V.m. § 549 RVO versichert gewesen, da sich der Unfall bei einer mit den in § 539 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Erneuerung des Arbeitsgerätes ereignet habe. Der Beigeladene sei hier nicht deshalb vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, weil er zu Beginn des Schuljahres 1986 von der allgemeinbildenden zur berufsbildenden Schule übergewechselt sei. Die berufsbildende Schule nehme im Bereich der allgemeinbildenden Lehrinhalte im Rahmen der fortbestehenden Schulpflicht nach § 48 Abs. 1 des Niedersächsischen Schulgesetzes Aufgaben wahr, die ansonsten den allgemeinbildenden Schulen zustünden. In diesem Bereich führe die berufsbildende Schule Lehrinhalte fort, die zuvor bereits Gegenstand des Unterrichts an der allgemeinbildenden Schule gewesen seien. Die berufsbildende Schule vermittele insoweit gerade im Berufsgrundbildungsjahr einen Lehrstoff, mit dem der Beigeladene sich wegen seiner fortbestehenden Schulpflicht auch beim notwendigen Besuch einer allgemeinbildenden Schule hätte beschäftigen müssen. Zumindest die Anschaffung von Büchern für die allgemeinbildenden Lehrfächer wie den Gemeinschaftskundeunterricht stelle daher eine Erneuerung von Arbeitsgerät i.S. des § 549 RVO dar.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom LSG zugelassenen Revision, mit der er eine Verletzung des § 549 RVO rügt. Das LSG vermenge die Schulformen berufsbildende und allgemeinbildende Schule, soweit einzelne Unterrichtsfächer bereits Gegenstand des früheren Schulunterrichts an der allgemeinbildenden Schule gewesen seien. Dies führe dazu, daß die erstmalige Beschaffung von Büchern für den berufsbildenden Schulunterricht unfallrechtlich unterschiedlich zu behandeln sei. Die berufsbildende Schule werde jedoch auch von Schülern besucht, die nicht mehr der Schulpflicht unterlägen. Das Niedersächsische Schulgesetz trenne eindeutig zwischen berufsbildenden und allgemeinbildenden Schulen, so daß eine Fortsetzung einzelner Unterrichtsfächer von der einen zur anderen Schulform auch wegen der unterschiedlichen Zusammensetzung der Schüler nicht stattfinde. Andernfalls müßten sämtliche Bildungseinrichtungen vom Kindergarten bis zur Universität gleichgestellt werden, und Arbeitsmaterialien, die bereits bei der Erarbeitung einer Thematik bzw. früher im Unterricht verwandt worden seien, könnten jeweils in der anderen Bildungsform gemäß § 549 RVO ersetzt werden.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Urteile des SG Oldenburg vom 29. August 1990 und des LSG Niedersachsen vom 26. August 1991 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Kosten, die ihm im Zusammenhang mit dem Unfall des Beigeladenen vom 19. August 1986 entstanden sind, zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG ) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist nicht begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch gemäß § 105 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf Erstattung seiner für die Folgen des Unfalls des Beigeladenen vom 19. August 1986 aufgewendeten Kosten. Nach § 105 Abs. 1 SGB X ist, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne daß die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Ein solcher Erstattungsanspruch steht dem Kläger nicht zu. Der Beigeladene stand im Zeitpunkt des Unfalls unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 549 RVO i.V.m. § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst c RVO. Der Kläger hat als zuständiger Leistungsträger daher selbst die im Zusammenhang mit den Folgen dieses Unfalls entstandenen Kosten zu tragen.
Nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst c RVO sind Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in berufsbildenden Schulen versichert, soweit sie nicht bereits zu den nach Nrn. 1 bis 3 und 5 bis 8 des § 539 Abs. 1 RVO Versicherten gehören. Der Beigeladene stand als Schüler des Berufsgrundbildungsjahres an einer berufsbildenden Schule unter dem Versicherungsschutz des § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst c RVO. Als Arbeitsunfall gilt nach § 549 RVO auch ein Unfall, den ein Versicherter bei einer mit einer der in §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgerätes erleidet, auch wenn es vom Versicherten gestellt wird. Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat, ist § 549 RVO auch im Rahmen der Unfallversicherung für Schüler anwendbar, weil die Vorschrift ihrer Zweckbestimmung nach dem Versicherungsschutz gerade auf den Bereich der sonst dem Versicherungsschutz entzogenen privaten Lebenssphäre des Versicherten erstreckt (BSG SozR 2200 § 549 Nr. 6). Hierbei ist für die Anwendung des § 549 RVO nicht maßgebend, ob der verletzte Schüler gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst b oder 14 Buchst c RVO unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand (BSG SozR 2200 § 549 Nr. 2).
Der Beigeladene befand sich am Unfalltag auf einem mit dem Besuch der Schule in innerem Zusammenhang stehenden Weg zur Erneuerung von Arbeitsgerät. Der Versicherungsschutz nach § 549 RVO besteht auch auf den zur Erneuerung eines Arbeitsgeräts erforderlichen Wegen (BSG SozR Nr. 1 zu § 549 RVO; BSG SozR 2200 § 549 Nr. 6). Nach der Rechtsprechung des BSG ist Arbeitsgerät i.S. von § 549 RVO jeder Gegenstand, der seiner Zweckbestimmung nach hauptsächlich für die Tätigkeit im Unternehmen gebraucht wird (BSGE 24, 243; BSG SozR 2200 § 549 Nr. 2). Da Schulbücher ihrer Zweckbestimmung nach hauptsächlich dem Schulbesuch dienen, ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, daß das Gemeinschaftskundebuch rechtlich als Arbeitsgerät i.S. des § 549 RVO zu qualifizieren ist (vgl. BSG SozR 2200 § 549 Nr. 6 und Nr. 9 mwN; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 11. Aufl., S. 481m und S. 481q; Vollmar, Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder im Kindergarten, 4. Aufl. 1990, S. 66).
Der Beigeladene hat am Unfalltag durch den beabsichtigten Kauf des Gemeinschaftskundebuchs auch bezweckt, Arbeitsgerät i.S. der genannten Vorschrift zu erneuern. Eine Erneuerung von Arbeitsgerät liegt grundsätzlich dann vor, wenn der Versicherte bereits ein gleichartiges Arbeitsgerät hatte, dieses durch die Arbeit im Unternehmen abgenutzt oder verbraucht war und der Versicherte sich als Ersatz dafür ein neues Gerät gleicher Art für seine Arbeit in dem Unternehmen beschafft (vgl. Brackmann, a.a.O., S. 481q m.w.N.). Der erkennende Senat hat hierzu bereits entschieden, daß der Begriff der Erneuerung bei einem Schulbuch nicht eng, sondern unter Berücksichtigung des Schulbesuches auszulegen ist. Ein "Verbrauchen" eines Arbeitsgerätes ist auch anzunehmen, wenn ein Arbeitsgerät, wie hier ein Schulbuch, nicht mehr benutzt werden kann, weil es seinem Inhalt nach nicht mehr verwertbar ist und deshalb ein anderes Buch beschafft werden muß. Es ist mithin nicht erforderlich, daß ein Schulbuch generell oder als Einzelexemplar (zB durch Beschädigung) unbenutzbar geworden ist. Der Begriff der Erneuerung i.S. des § 549 RVO ist auch erfüllt, wenn ein bisheriges Schulbuch nicht mehr verwendet werden kann, weil nunmehr ein neuer Stoff zum Unterricht ansteht. Es handelt sich hierbei dann nicht um eine grundsätzlich unversicherte Erstbeschaffung von Arbeitsgerät (s auch Brackmann a.a.O. S. 481q), da es rechtlich wesentlich auf den Inhalt des Schulbuches ankommt und insbesondere darauf, ob der Inhalt der bisherigen Schulbücher noch verwendet werden kann (BSG SozR 2200 § 549 Nr. 6; zustimmend Brackmann a.a.O., S. 481q; Bereiter-Hahn/Schiecke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Rdnr. 5 zu § 549; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Rdnr. 7 zu § 549).
Das LSG ist mithin zutreffend davon ausgegangen, daß die Beschaffung von Folgebänden für Unterrichtsfächer, die bereits zuvor Lehrgegenstand früherer Schuljahre gewesen waren, eine Erneuerung von Arbeitsgerät i.S. des § 549 RVO ist. Das LSG hat insofern gemäß § 163 SGG bindend festgestellt, daß der Beigeladene ein Buch für das Fach Gemeinschaftskunde kaufen wollte, und daß dieses Fach bereits Gegenstand des Unterrichts an der Hauptschule gewesen war. Der Senat vermag hierbei der Rechtsansicht des Revisionsklägers nicht beizutreten, der Übergang von der Hauptschule zum Berufsgrundbildungsjahr stelle gleichsam eine rechtliche Zäsur dar, die den Erwerb der Schulbücher für das Berufsgrundbildungsjahr insgesamt zu einer unversicherten Erstbeschaffung machen würde. Das LSG hat aufgrund der Vorschriften des nichtrevisiblen Niedersächsischen Schulgesetzes (insbesondere § 48 Niedersächsisches Schulgesetz) für das Revisionsgericht gemäß § 202 SGG i.V.m. § 562 Zivilprozeßordnung (ZPO) bindend festgestellt, daß der Besuch des Berufsgrundbildungsjahres der Erfüllung der weiterhin bestehenden allgemeinen Schulpflicht des Beigeladenen diente. Der Beigeladene wollte ein Buch für ein allgemeinbildendes Fach erwerben, mit dessen Lehrstoff/Buchinhalt zur Gemeinschaftskunde er sich auch bei Weiterbesuch seines früheren Schulzweiges hätte auseinandersetzen müssen. Insofern kann bei fortdauernder Schulpflicht und durchgängigem Lehrfach der Erwerb eines Folgebandes nicht anders bewertet werden, nur weil der Schüler die Schulform wechselt. Die Beklagte verkennt bei den von ihr angeführten Beispielen, daß gerade bei einem Wechsel vom Gymnasium zur Universität oder vom Kindergarten in die Grundschule das einigende Band der Schulpflicht nicht weiter besteht. Deshalb ist es entgegen der Ansicht des Klägers auch rechtlich unerheblich, daß es sich bei der berufsbildenden Schule nicht mehr um eine allgemeinbildende Schule i.S. des § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst b RVO handelte, sondern Versicherungsschutz nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst c RVO bestand.
Der Senat braucht hier auf das Argument, durch die Rechtsprechung des BSG werde die Anschaffung von Schulbüchern für neue Schulfächer ohne sachlichen Grund unfallversicherungsrechtlich anders behandelt als der Kauf von Schulbüchern für fortlaufend gegebene Fächer, nicht einzugehen (kritisch zu dieser Differenzierung Engelmann, Der Versicherungsschutz bei der Handhabung von Arbeitsgerät Lernmitteln in der Schülerunfallversicherung, SGb 1978, 517, 519), da hier ein Erwerb von Schulbüchern für neue Fächer (hier etwa spezifisch für den Fachbereich Metallbautechnik) nicht in Frage steht. Somit stellt sich der beabsichtigte Kauf aufgrund der Besonderheiten des zu entscheidenden Falles - fortbestehende Schulpflicht des Beigeladenen und Erwerb eines Folgebandes für ein bereits besuchtes Unterrichtsfach - rechtlich als ein Unterfall der bereits entschiedenen Fallkonstellation des Erwerbs von Folgebänden dar (vgl. BSG SozR 2200 § 549 Nr. 6).
Auch der erforderliche innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit ist gegeben. Zu welchem Zeitpunkt der Versicherte einen Weg zur Erneuerung von Arbeitsgerät zurücklegt, ist grundsätzlich unerheblich, sofern nur der innere Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gewahrt ist, das Arbeitsgerät also nicht nur gelegentlich einer privaten Besorgung erneuert wird. Es kommt dabei für den inneren Zusammenhang nicht darauf an, ob das neue Schulbuch unverzüglich oder sogleich am nächsten Schultag benötigt wurde (BSG SozR 2200 § 549 Nr. 6; Brackmann a.a.O. S. 483q).
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 517633 |
NJW 1993, 86 |