Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 03.02.1972) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 3. Februar 1972 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu er statten.
Gründe
I
Die klagende Stadt hat als Träger der Sozialhilfe die Kosten einer Krankenhausbehandlung des G. T. (T.) in der Zeit vom 25. August bis zum 20. September 1969 übernommen, nachdem die beklagte Krankenkasse eine Kostenübernahme verweigert hatte. T. hatte am 21. August 1969, einem Donnerstag, eine neue Beschäftigung angetreten, hatte an drei Tagen, d. h. bis zum 23. August, zusammen 25 Stunden gegen ein Entgelt von 88 DM gearbeitet und war am 25. August wegen Paratyphus ins Krankenhaus eingewiesen worden; die ersten Symptome der Krankheit hatten sich schon zwei Tage vorher gezeigt, seitdem war T. nach Ansicht der Krankenhausärzte auch arbeitsunfähig gewesen. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus am 20. September 1969 nahm T. seine Beschäftigung eine Woche später wieder auf. Die Beklagte verneinte ihre Leistungspflicht ihm gegenüber, weil er bereits bei der ersten Arbeitsaufnahme Paratyphus gehabt habe (Inkubationszeit von 10 bis 21 Tagen), so daß schon, damals festgestanden habe, daß die Beschäftigung in kürzester Frist enden werde; bei ihm habe also ein sog. mißglückter Arbeitsversuch vorgelegen (Bescheid vom 17. September 1969, den T. nicht angefochten hat). Mit der gleichen Begründung verneinte die Beklagte auch einen Ersatzanspruch der Klägerin.
Sozialgericht und Landessozialgericht (LSG) haben diesen Ersatzanspruch dagegen dem Grunde nach anerkannt. Nach Ansicht des LSG kann ein mißglückter Arbeitsversuch, nur vorliegen, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme aus gesundheitlichen Gründen zur Verrichtung der übernommenen Arbeit dauernd außerstande ist; zu unterscheiden sei davon der – hier gegebene – Fall, daß das Beschäftigungsverhältnis durch eine Infektionskrankheit vorübergehend unterbrochen werde (Urteil vom 3. Februar 1972).
Die Beklagte hat die zugelassene Revision eingelegt. Sie meint, daß es auf die vom LSG gemachte Unterscheidung zwischen dauernder und vorübergehender Unfähigkeit zur Ausübung der übernommenen Beschäftigung nicht ankommen könne; um diese Frage zu klären, wären u.U. langwierige Ermittlungen erforderlich; bis zu deren Abschluß bliebe die Leistungspflicht der Krankenkasse in der Schwebe, was den Interessen der Versicherten nicht entspräche. Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Sie hat der klagenden Stadt die streitigen Krankenhauskosten dem Grunde nach zu ersetzen, wie die Vorinstanzen mit Recht angenommen haben.
Daß dem auf §§ 1531 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestützten Ersatzanspruch der Klägerin der – bindend gewordene – Bescheid der Beklagten gegenüber T. nicht entgegensteht, hat das LSG zutreffend ausgeführt (vgl. Urteil des Senats vom 11. März 1970, SozR Nr. 26 zu § 1531 RVO).
Dem LSG ist im Ergebnis auch darin beizutreten, daß es sich im vorliegenden Fall nicht um einen sog. mißglückten Arbeitsversuch gehandelt hat.
Ob ein solcher allerdings, wie das LSG unter Hinweis auf eine Bemerkung in BSG 15, 89, 92 gemeint hat, hier schon deshalb nicht vorliegt, weil T. seine Beschäftigung nur vorübergehend, nämlich nur für die Zeit seiner Paratyphuserkrankung, nicht ausüben konnte, ist zweifelhaft. Ob die Arbeitsunfähigkeit eine dauernde oder eine nur vorübergehende ist, wird häufig nicht leicht zu entscheiden sein, u.U. sogar langwierige Ermittlungen erfordern, wie die Beklagte mit Recht vorgetragen hat. Auch kann eine zunächst nur vorübergehende Arbeitsunfähigkeit im Laufe der Erkrankung in eine dauernde übergehen, während die Frage der Leistungspflicht der Krankenkasse alsbald nach Eintritt des Versicherungsfalls geklärt werden muß. Andererseits könnte bei einem Arbeitnehmer, der bei Antritt der Beschäftigung, wenn auch nur vorübergehend, arbeitsunfähig ist, eine Versagung des Versicherungsschutzes durchaus angezeigt sein, um eine mißbräuchliche Ausnutzung der Versicherung zu verhindern. Die Frage braucht hier indessen nicht abschließend entschieden zu werden, da ein mißglückter Arbeitsversuch jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn, wie hier, im Zeitpunkt der Arbeitsaufnahme die Arbeitsunfähigkeit noch nicht eingetreten war.
Wie der Senat schon wiederholt entschieden hat, setzt die Annahme eines mißglückten Arbeitsversuchs voraus, daß der Arbeitnehmer „von vornherein”, d. h. im Zeitpunkt der Aufnahme der Beschäftigung, zu ihrer Verrichtung nicht oder nur unter schwerwiegender Gefährdung seiner Gesundheit fähig war (Urteile vom 16. Oktober 1968 und 10. November 1970, SozR Nr. 61 und Nr. 63 zu § 165 RVO). Schon in diesem Zeitpunkt muß also objektiv Arbeitsunfähigkeit bestanden haben. Tritt sie erst später ein, oder liegt, wie anscheinend hier, bei der Arbeitsaufnahme noch nicht einmal Behandlungsbedürftigkeit vor, kann ein mißglückter Arbeitsversuch nicht angenommen werden. Das gilt auch dann, wenn bei Beginn der Beschäftigung der Keim für die spätere Arbeitsunfähigkeit bereits gelegt, in Fällen einer Infektionskrankheit die Ansteckung als bereits erfolgt war. Andernfalls würde, wie das LSG zutreffend dargelegt hat, für die Versicherten im Ergebnis eine – von der Dauer der jeweiligen Inkubationszeit abhängige – Wartezeit für den Eintritt des Versicherungsschutzes bestehen, was mit dem geltenden Recht nicht vereinbar wäre; nach §§ 206, 306 RVO entsteht nämlich für die Versicherungspflichtigen der Anspruch auf die Regelleistungen grundsätzlich mit dem Tage des Eintritts in die versicherungspflichtige Beschäftigung, die Zurücklegung einer Wartezeit ist, von Ausnahmen abgesehen (vgl. § 207 RVO), nicht erforderlich. Selbst eine bei Beginn der Mitgliedschaft bereits bestehende Erkrankung schließt den Anspruch auf Kassenleistungen grundsätzlich nicht aus, wie die Sondervorschrift für den Beitritt Versicherungsberechtigter in § 310 Abs. 2 RVO zeigt.
Wenn in dem schon erwähnten Urteil des Senats vom 16. Oktober 1968 ausgeführt worden ist, ein mißglückter Arbeitsversuch liege vor, wenn vor „oder zumindest kurze Zeit nach Beginn der Arbeitsaufnahme” objektiv feststehe, daß die Arbeit nach kürzester Frist ein Ende nehmen müsse, so ist damit, wie der Zusammenhang, insbesondere der folgende Satz ergibt, nur gesagt worden, daß die Feststellung des Bestehens der – „von vornherein” oder „von Anfang an” vorhanden gewesenen – Arbeitsunfähigkeit auch noch nachträglich, innerhalb einer angemessenen Zeit, erfolgen könne. Tatsächlich war der Arbeitnehmer in dem damals entschiedenen Fall erst nach Antritt der Beschäftigung untersucht worden; dabei hatte sich ergeben, daß er bereits bei Arbeitsbeginn tuberkulosekrank gewesen war. Für die Annahme der Beklagten, ein mißglückter Arbeitsversuch könne auch vorliegen, wenn die Arbeitsunfähigkeit erst nach Beginn der Beschäftigung eintrete, bietet die Rechtsprechung des Senats mithin keine Stütze (vgl. ferner Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Auflage, Anm. 10 zu § 165 RVO, S. 17/73-19, unter Hinweis auf ein Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen in BKK 1958, Sp. 406).
Ist T. somit durch die Aufnahme der Beschäftigung am 21. August 1969 Mitglied der beklagten Krankenkasse geworden, so hat diese der Klägerin die von ihr einstweilen übernommenen Krankenhauskosten dem Grunde nach zu ersetzen; über die Höhe des Ersatzanspruchs ist bisher nicht gestritten worden (vgl. dazu § 1533 Nr. 2 i.V.m. § 1524 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 RVO). Die Revision der Beklagten gegen das angefochtene Urteil ist unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes.
Unterschriften
Spielmeyer, Dr. Schmitt, Dr. Straub
Fundstellen