Leitsatz (amtlich)
Einer "früheren Ehefrau", die zu Lebzeiten des Versicherten wiedergeheiratet hat, steht keine Rente aus dessen Versicherung nach AVG § 42 zu.
Normenkette
AVG § 42 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 3. Februar 1961 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Frau O P (P.), geboren am 23. August 1897, war seit dem 30. September 1923 mit dem in den Angestelltenversicherung versicherten Versicherungsdirektor R. R (R.) verheiratet; die Ehe wurde am 18. September 1946 aus Verschulden des Ehemannes geschieden. Frau P. heiratete am 1. Dezember 1949 den Landwirt und Kaufmann P; diese Ehe wurde am 25. Februar 1953 aus beiderseitigem Verschulden geschieden. R. (der Versicherte) schloß am 20. Dezember 1946 eine neue Ehe mit L geb. Sch. R. zahlte an die Klägerin folgende Beiträge: Mai 1954 400.- DM, von Dezember 1954 bis März 1955 monatlich je 100.- DM und im Mai 1955 weitere 100.- DM. R. starb am 2. Juni 1955. Seine zweite Ehefrau und seine Kinder (aus der zweiten Ehe) erhalten von der Beklagten Hinterbliebenenrenten seit 1. Juli 1955.
Frau P. begehrte eine Geschiedenenrente (§ 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) aus der Angestelltenversicherung des R., weil ihr der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet habe.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 23. Juli 1958 ab; eine Rente nach § 68 Abs. 2 AVG stehe Frau P. nicht zu, weil sie vor ihrer Wiederverheiratung keine Rente bezogen habe und außerdem die zweite Ehe schon vor dem 1. Januar 1957 aufgelöst worden sei.
Die Klage wies das Sozialgericht (SG) Osnabrück durch Urteil vom 8. Dezember 1959 ab.
Mit der Berufung an das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen machte Frau P. geltend, daß sich ihr Rentenanspruch nicht auf § 68 Abs. 2 AVG, sondern auf § 42 AVG stütze.
Das LSG lud die Witwe des Versicherten R. zugleich als gesetzliche Vertreterin ihrer Kinder zum Verfahren bei. Es wies die Berufung durch Urteil vom 3. Februar 1961 zurück: Die Zahlungen, die der Versicherte R. im letzten Jahr vor seinem Tode an Frau P. geleistet habe, seien keine Unterhaltsleistungen, sondern "freiwillige Zuwendungen" gewesen. Im übrigen bestehe kein Rentenanspruch der Frau P. als früheren Ehefrau des Versicherten nach § 42 AVG, weil sie sich wieder verheiratet habe; auch ein Anspruch nach § 68 Abs. 2 AVG (wiederaufgelebte Witwenrente) sei nicht gegeben, da Frau P. vor ihrer Wiederverheiratung noch keinen Rentenanspruch gehabt habe.
Das LSG ließ die Revision zu.
Das Urteil des LSG wurde am 16. Februar 1961 zugestellt. Frau P. legte am 24. Februar 1961 Revision ein; sie beantragte,
die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr vom 1. August 1957 an Geschiedenenrente zu gewähren.
Sie begründete die Revision nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist am 10. Mai 1961: Das LSG habe, soweit es zu dem Ergebnis gekommen sei, der Versicherte (R.) habe nur freiwillige Zuwendungen gemacht und keinen Unterhalt geleistet, die Verfahrensvorschriften der §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt; im übrigen habe das LSG § 42 AVG unrichtig angewendet.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene ist nicht vertreten.
Frau P. ist ... 1963 gestorben. Der Rechtsstreit wird von ihrem Bruder E M als Rechtsnachfolger fortgesetzt.
II
Die Revision ist zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, § 164 SGG); sie ist jedoch unbegründet.
Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Schwester und Rechtsvorgängerin des Revisionsklägers (Frau P.) als der früheren Ehefrau des verstorbenen Versicherten R. keine Rente nach § 42 AVG (§ 1265 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) zugestanden hat.
Nach § 42 AVG wird der früheren Ehefrau eines Versicherten; deren Ehe mit dem Versicherten geschieden ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzter Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Frau P. gehörte nicht zu den nach § 42 AVG Anspruchsberechtigten; sie war zwar "eine frühere Ehefrau, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden ist"; sie hat aber durch ihre Wiederverheiratung die Stellung der früheren Ehefrau der durch Scheidung aufgelösten Ehe mit dem Versicherten und damit auch den Anspruch auf (künftige) Leistungen aus dessen Versicherung nach § 42 AVG verloren. Die Ansprüche geschiedener Ehegatten (§§ 42, 43 Abs. 2 AVG) werden in unmittelbarem Zusammenhang mit den Ansprüchen der Witwen und Witwer (§§ 41, 43 Abs. 1 AVG) behandelt. Das Gesetz regelt die Frage, welche Ansprüche diesen Personen als früheren Ehegatten von Versicherten zustehen, wenn auch ihre zweite Ehe aufgelöst worden ist, ausdrücklich und einheitlich (§ 68 Abs. 2 und 3 AVG); ein Anspruch auf Rente setzt danach voraus, daß der frühere Ehegatte der ersten aufgelösten Ehe (der Versicherte) vor Eingehung der zweiten Ehe gestorben war und der überlebende Ehegatte eine Rentenanspruch nach §§ 41 bis 43 AVG erworben hatte. Daraus ist zu entnehmen, daß das Gesetz solchen Geschiedenen, die noch zu Lebzeiten ihres früheren Ehegatten wiederheiraten, keinen Rentenanspruch aus dessen Versicherung zubilligt. Die Renten nach den §§ 42, 43 Abs. 2 AVG ersetzen nur den Unterhalt, den ein Versicherter seinem früheren Ehegatten bis zu dessen Wiederverheiratung zu gewähren hatte oder tatsächlich gewährt hat. Es entspricht nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes, Unterhaltsleistungen zu ersetzen, die ein Versicherter seinem früheren Ehegatten nach dessen Wiederverheiratung, aus welchen Gründen auch immer, gewährt.
Diese Auslegung des § 42 AVG entspricht nicht nur dem Sinn und Zweck der Vorschrift, sie wird auch dem Wortlaut der Vorschrift gerecht. Wenn nämlich das Gesetz als eine der drei Alternativen, die den Anspruch "der früheren Ehefrau, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden ist", begründen, die enthält, daß der Versicherte "ihr zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes zu leisten hatte", so kann damit keine wiederverheiratete frühere Ehefrau gemeint sein, weil diese niemals einen Unterhaltsanspruch nach den Vorschriften des EheG hat; die - gesetzliche - Unterhaltspflicht erlischt mit der Wiederverheiratung (§ 67 EheG). Es besteht kein Grund, den Begriff "frühere Ehefrau" für die beiden anderen Alternativen des § 42 AVG anders auszulegen. Nach früherem Recht (§ 28 AVG i. V. m. § 1256 Abs. 4 RVO aF) bestand ein Rentenanspruch der geschiedenen Ehefrau (als Kannleistung) nur, wenn der Versicherte nach den Vorschriften des EheG Unterhalt zu leisten hatte; dieser Anspruch stand nur einer früheren Ehefrau zu, die nicht wieder geheiratet hat. Mit der Neuregelung des § 42 AVG hat das Gesetz zwar die Voraussetzung für den Rentenanspruch der früheren Ehefrau des Versicherten - die ihre Eigenschaft als geschiedene Ehefrau des Versicherten bis zu dessen Tod behalten hat - erleichtert; es hat aber nicht den Personenkreis der Anspruchsberechtigten - gegenüber dem früheren Recht - erweitert. Hätte das Gesetz dies tun wollen, d. h. hätte es auch früheren Ehefrauen des Versicherten, die sich noch zu Lebzeiten des Versicherten wiederverheiratet haben - bei Vorliegen der beiden letzten Alternativen des § 42 AVG - den Anspruch auf die "Geschiedenen-Witwenrente" zubilligen wollen, so hätte es dies - auch im Hinblick auf die schwerwiegenden Folgen für die "echte Witwe" (§ 45 Abs. 4 AVG) - eindeutig zum Ausdruck bringen müssen; dies aber ist nicht geschehen.
Unter diesen Umständen braucht nicht untersucht zu werden, ob die Zuwendungen, die der Versicherte im letzten Jahr vor seinem Tode der Klägerin gemacht hat, als Unterhaltsleistungen zu werten sind; auf die Revisionsrügen, die die Klägerin insoweit gegen das Urteil des LSG erhoben hat, kommt es nicht an.
Mit Recht hat auch das LSG einen Anspruch der Klägerin auf eine wiederaufgelebte Witwenrente nach § 68 Abs. 2 AVG verneint; die Klägerin hat nie einen Anspruch auf eine Witwenrente nach dem Versicherten gehabt, ein solcher Anspruch hat deshalb auch nicht wieder aufleben können; außerdem kommt ein Anspruch aus § 68 Abs. 2 AVG nur in Betracht, wenn die neue Ehe nach dem Inkrafttreten des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG - (1 ... 1957) aufgelöst oder für nichtig erklärt ist (Art. 2 § 25 Abs. 1 AnVNG); die zweite Ehe der Klägerin ist aber schon im Jahre 1953 geschieden worden.
Die Revision ist danach als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 193 SGG.
Fundstellen