Leitsatz (redaktionell)
1. EheG § 58 enthält nicht mehr die Einschränkungen, die nach EheG 1938 § 66 zu beachten waren, wonach nur eine Erwerbstätigkeit der Frau, "die von ihr den Umständen nach erwartet werden konnte", zu berücksichtigen war. Entscheidend ist nach EheG § 58 nur, daß die Klägerin die für ihren Lebensunterhalt notwendigen und ausreichenden Einkünfte aus Erwerbstätigkeit tatsächlich hatte. Diese muß sie sich nach dem Gesetz anrechnen lassen mit der Folge, daß ihr etwaiger Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten entfallen ist.
2. Überträgt der Versicherte seiner geschiedenen Ehefrau das Eigentum an seinem Wohnhaus, so ist hierin keine tatsächliche Unterhaltsleistung zu erblicken, wenn die Eigentumsübertragung anderen Zwecken diente.
Normenkette
EheG § 58 Fassung: 1946-02-20, § 66 Fassung: 1938-07-06; AVG § 42 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgericht Bremen vom 27. November 1958 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin begehrt die Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes C W Ihre Ehe wurde aus Verschulden des Versicherten im Jahre 1952 geschieden. Der Versicherte ist am 19. Juli 1954 gestorben. Seine Versicherung ist nach dem seit dem 1. Januar 1957 geltenden Recht geordnet.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab; der Versicherte habe zur Zeit seines Todes der Klägerin keinen Unterhalt zu leisten gehabt, weil er seit 1951 bis zu seinem Tode mit kurzen Unterbrechungen arbeitslos gewesen sei (Bescheid vom 22.10.1957).
Das Sozialgericht (SG) Bremen, das die Landesversicherungsanstalt (LVA) O zum Verfahren beigeladen hatte, gab der Klage statt; es verurteilte die Beklagte, der Klägerin die Hinterbliebenenrente aus den Rentenversicherungen der Angestellten und der Arbeiter vom 1. Januar 1957 an zu gewähren (Urteil vom 20.1.1958).
Auf die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen hob das Landessozialgericht (LSG) Bremen das Urteil des SG auf und wies die Klage ab; es ließ in seinem Urteil die Revision zu. Nach seiner Auffassung liegt keine der in § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) alternativ genannten Voraussetzungen für die Gewährung der Hinterbliebenenrente an die Klägerin vor (Urteil vom 27.11.1958).
Die Klägerin legte gegen das ihr am 22. Januar 1959 zugestellte Urteil am 21. Februar 1959 Revision ein mit dem Antrag,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils das Urteil des SG wiederherzustellen.
Sie begründete die Revision, nachdem die Frist hierfür bis zum 22. April 1959 verlängert worden war, am 20. April 1959: Das LSG habe die Vorschriften in § 42 AVG und in § 58 des Ehegesetzes (EheG) unrichtig angewandt. Nach dem Ergebnis des Verfahrens in den beiden Vorinstanzen habe der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des EheG zu leisten gehabt; entsprechend dieser Verpflichtung habe er der Klägerin im letzten Jahr vor seinem Tode auch tatsächlich Unterhalt geleistet. Er habe bis November 1953 der Klägerin die Kosten für Licht, Gas und Wasser bezahlt und ihr Lebensmittel zukommen lassen. Eine Unterhaltsleistung sei auch darin zu sehen, daß die Klägerin im Hause des Versicherten mietfrei wohnen durfte. Auch habe der Versicherte dieses Haus an die Klägerin im Jahre 1953 nur zu dem Zwecke verkauft, um seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht der Klägerin und den Kindern gegenüber zu genügen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragten die Zurückweisung der Revision.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Bei der Nachprüfung des angefochtenen Urteils muß der Senat von den tatsächlichen Feststellungen des LSG ausgehen; sie sind für ihn bindend, weil die Klägerin insoweit keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht hat (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Mit der Revision macht sie allein die Verletzung von materiell-rechtlichen Vorschriften durch das LSG geltend. Soweit sie in der Revisionsbegründung von anderen tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht, als sie im angefochtenen Urteil festgestellt sind, muß ihr Vortrag daher unberücksichtigt bleiben.
Das LSG hat den Rentenanspruch, den die Klägerin für die Zeit vom 1. Januar 1957 an geltend macht, mit Recht nach § 42 AVG beurteilt. Danach wird einer geschiedenen Frau nach dem Tode des früheren Ehemannes aus dessen Versicherung Rente gewährt, wenn er ihr zur Zeit seines Todes Unterhalt zu leisten hatte, oder wenn er ihr im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat; dabei kann die im Gesetz an erster Stelle genannte Unterhaltspflicht entweder auf den Vorschriften des EheG oder auf anderen gesetzlichen oder außergesetzlichen Rechtsgründen beruhen, während die zweite Voraussetzung allein die tatsächliche, nicht auf einer Rechtspflicht beruhende Unterhaltsleistung betrifft. Beide Alternativen des Gesetzes stehen, wie der Senat bereits früher ausgeführt hat, insofern in einer bestimmten Beziehung zueinander, als die tatsächliche Unterhaltsleistung als Anspruchsvoraussetzung nur dann in Betracht kommt, wenn sie nicht auf einer Rechtspflicht beruht. Auch unterscheiden sich beide Alternativen nach dem Gesetz hinsichtlich der Zeit, in der die den Unterhalt betreffenden Tatbestandsmerkmale gegeben sein müssen (vgl. SozR An 4 Nr. 6 zu § 1265 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Das LSG hat den Sachverhalt unter diesen hier in Betracht kommenden Gesichtspunkten eingehend geprüft. Es ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß eine Rechtspflicht des Versicherten, der Klägerin Unterhalt zu leisten, zur Zeit seines Todes nicht bestanden hat. Rechtsgründe, die außerhalb der Vorschriften des hier maßgeblichen EheG von 1946 liegen, können ihn zur Unterhaltsleistung nicht verpflichtet haben. Solche Rechtsgründe sind weder behauptet worden noch lassen sie sich aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG folgern. Auch die Revisionsbegründung enthält hierzu keine Ausführungen. Ebensowenig ist aber die Auffassung des LSG zu beanstanden, der Versicherte sei auch nicht nach den Vorschriften des EheG zum Unterhalt verpflichtet gewesen.
Das EheG 1946 setzt in seinen §§ 58 und 59 für den Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau ua voraus, daß der frühere Ehemann fähig ist, Unterhalt zu leisten, und daß die geschiedene Frau des Unterhalts durch den früheren Ehemann bedarf. Dabei versteht das Gesetz unter "Unterhalt" die Zahlung einer monatlich im voraus zu entrichtenden Geldrente (§ 62 EheG), was allerdings nicht ausschließt, daß auch eine andere Art der Leistung zwischen den Geschiedenen vereinbart werden kann (Palandt, Anm. 2 zu § 62 EheG). Das LSG hat es offengelassen, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes in der Lage gewesen ist, der Klägerin in dieser Weise Unterhalt zu gewähren; es hat nur seine Zweifel hieran geäußert, weil der Versicherte von Mai 1951 bis zu seinem Tode im Juli 1954 (mit Unterbrechungen durch Krankheit, Haft ua) arbeitslos gewesen sei und Unterstützung bezogen habe. Nach der Auffassung des LSG kommt es für die Entscheidung auf die Leistungsfähigkeit des Versicherten nicht an, weil die Klägerin bis zu dessen Tode nicht unterhaltsbedürftig gewesen sei. (§ 58 EheG). Das LSG hat sich dabei auf die eigenen, im Verfahren wiederholt gemachten Angaben der Klägerin gestützt, sie sei seit der Ehescheidung einer Arbeit nachgegangen und habe ihren Lebensunterhalt aus ihrem eigenen Arbeitsverdienst bestritten. Die Schlußfolgerung des LSG läßt keinen Rechtsirrtum erkennen, sie entspricht dem Wortlaut und dem Sinn des § 58 EheG, wonach der geschiedene Mann zum angemessenen Unterhalt der Frau nur beizutragen hat, soweit die Einkünfte aus dem Vermögen der Frau und die Erträgnisse ihrer Erwerbstätigkeit nicht ausreichen. Den Maßstab hierfür bilden nach dem Gesetz die Verhältnisse, in denen die Geschiedenen bis zum Tode des Versicherten gelebt haben. Diese Lebensverhältnisse sind aber durch die Arbeitslosigkeit des Versicherten einerseits und die Arbeitstätigkeit der Klägerin andererseits gekennzeichnet. Die Klägerin bestreitet auch nicht, daß sie bis zum Tode des Versicherten Arbeitseinkünfte gehabt hat; sie macht mit der Revision nur geltend, sie sei zu einer Arbeitsleistung rechtlich nicht verpflichtet gewesen, weil ihr diese angesichts der notwendigen Pflege und Betreuung der Kinder nicht zugemutet werden konnte. Hierauf kommt es aber nach § 58 EheG nicht an. Diese Vorschrift enthält nicht mehr die Einschränkungen, die nach § 66 EheG 1938 zu beachten waren, wonach nur eine Erwerbstätigkeit der Frau, "die von ihr den Umständen nach erwartet werden konnte", zu berücksichtigen war. Entscheidend ist nach § 58 EheG 1946 nur, daß die Klägerin - wie das LSG festgestellt hat - die für ihren Lebensunterhalt notwendigen und ausreichenden Einkünfte aus Erwerbstätigkeit tatsächlich hatte. Diese muß sie sich nach dem Gesetz anrechnen lassen mit der Folge, daß ihr etwaiger Unterhaltsanspruch gegen den Versicherten entfallen ist. Bei dieser rechtlichen Betrachtung brauchte das LSG nicht mehr zu prüfen, ob der Versicherte vor seinem Tode überhaupt fähig gewesen ist, zum Unterhalt der Klägerin beizutragen.
Das Urteil des LSG ist aber auch nicht zu beanstanden, soweit es eine tatsächliche Unterhaltsleistung durch den Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode, d. h. für die Zeit vom 20. Juli 1953 bis 19. Juli 1954 verneint hat. Auch insoweit muß der Senat von den Feststellungen des angefochtenen Urteils ausgehen und die teilweise abweichende Darstellung in der Revisionsbegründung außer Betracht lassen. Dies gilt vor allem für das Vorbringen der Klägerin, der Versicherte habe ihr im Jahre 1953 das Eigentum an dem Wohnhaus D.-weg ... nur zu dem Zweck übertragen, um ihren und der Kinder Unterhalt sicherzustellen. Nach den Feststellungen des LSG deutet im Wortlaut des Kaufvertrags, den der Versicherte mit der Klägerin im Juni 1953 schloß, nichts darauf hin, daß mit dem Verkauf des Hauses eine der Klägerin gegenüber bestehende Unterhaltspflicht erfüllt werden sollte, es ergibt sich vielmehr aus den Akten des Vormundschaftsgerichts, daß mit dem Verkauf des Grundstücks eine drohende Zwangsvollstreckung vermieden werden sollte. Auch standen dem Einheitswert des Grundstücks mit 8.300,- DM erhebliche Belastungen gegenüber, die einschließlich der zur Sicherung des Unterhaltsanspruchs der Kinder eingetragenen Hypothek höher als dieser Betrag waren; diese Feststellungen hat die Klägerin nicht mit Revisionsgründen angegriffen, die zulässig (§ 162 Abs. 1 Satz 2 und § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG) und begründet sind (§ 163 SGG). Darum ist auch die Schlußfolgerung des LSG, daß in der Übertragung des Hauseigentums keine tatsächliche Unterhaltsleistung zu erblicken sei, weil sie anderen Zwecken gedient habe, rechtlich nicht zu beanstanden. Der Verkauf des Wohnhauses an die Klägerin kann auch aus anderen Gründen nicht zur Erfüllung der letzten Alternative des § 42 AVG herangezogen werden. Denn er geschah mit dem notariellen Vertrag vom 9. Juni 1953, also schon vor dem Beginn des nach dem Gesetz maßgeblichen Jahreszeitraums. Mit dem Verkauf gingen nach den Feststellungen des LSG Besitz, Nutzungen und Lasten des Grundstücks sofort auf die Klägerin als Erwerberin über, sie erlangte also bereits bei Abschluß des Vertrags den wirtschaftlichen Wert des Grundstücks. Daß die (durch eine Auflassungsvormerkung gesicherte) Eigentumsübertragung erst später erfolgte, änderte nichts an der Tatsache, daß der Klägerin das Haus praktisch bereits seit Juni 1953 gehörte. Der Erwerb fällt damit nicht mehr in den Zeitraum, in dem nach § 42 AVG der Unterhalt tatsächlich geleistet sein muß. Daß auch die laufenden Mieteinnahmen des Grundstücks für die Klägerin keine besonderen Vorteile bedeuten, die unter dem Gesichtspunkt eines Unterhalts für die Klägerin betrachtet werden könnten, ergibt sich aus ihren eigenen Darlegungen in der Revisionsbegründung. Danach reichen diese Einnahmen gerade aus, um die Lasten des Grundstücks (Steuern und Zinsen) abzudecken. Es kann unter diesen Umständen dahinstehen, ob die Voraussetzungen der letzten Alternative des § 42 AVG - Unterhaltsleistung im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten - durch eine einmalige größere Zuwendung in der Zeit vorher, aber mit künftig daraus entspringenden laufenden Nutzungen überhaupt erfüllt werden können.
Die Klägerin sieht schließlich einen ihr tatsächlich gewährten Unterhalt darin, daß sie im Wohnhaus des Versicherten bis zum Verkauf mietfrei wohnen konnte, daß der Versicherte bis zu seiner Inhaftierung im November 1953 die Kosten für Gas, Strom und Wasser getragen habe, und daß er ihr gelegentlich Lebensmittel und kleinere Barbeträge geschenkt habe. Dieses Vorbringen ist zwar insoweit beachtlich, als unter "Unterhalt" im Sinne der letzten Alternative des § 42 AVG nicht nur Geldleistungen zu verstehen sind, sondern auch andere geldwerte Zuwendungen an die geschiedene Frau, die in der Absicht der Unterhaltsleistung gewährt werden. Dem Unterhaltscharakter solcher Zuwendungen steht auch nicht entgegen, daß die Klägerin ein für ihre Lebensführung ausreichendes eigenes Einkommen gehabt hat. Wie der Senat bereits entschieden hat, können auch über den notwendigen Unterhalt hinausgehende Zuwendungen zur Bestreitung der Lebensführung, die nicht ganz geringfügig sind, begrifflich Unterhaltsleistungen sein (SozR Aa 5 Nr. 7 zu § 1265 RVO). Mietfrei im Hause des Versicherten hat die Klägerin aber nur gewohnt, solange es ihm gehörte, also nur bis zum Verkauf des Hauses an sie im Juni 1953; seitdem wohnte der Versicherte mietfrei im Hause der Klägerin. Wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode, d. h. in der Zeit von Juli 1953 an der Klägerin noch Zuwendungen der behaupteten Art gemacht hat, so stellten sie - wenn man sie nicht überhaupt als nur geringfügig ansieht - keine Leistung für den Unterhalt der Klägerin, sondern eine Gegenleistung für das freie Wohnen im Hause und für die hier erhaltene Betreuung sowie einen Beitrag zur gemeinsamen Haushaltsführung und zum Unterhalt seiner Kinder dar. Diese Zuwendungen des Versicherten hatten (infolge seiner Inhaftierung und des späteren Wegzugs aus dem Hause) schon im November 1953 - also lange Zeit vor seinem Tode - endgültig aufgehört; sie könnten daher schon deswegen und wegen ihrer geringen Höhe nicht als rechtlich erheblicher Beitrag zum Unterhalt der Klägerin im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten angesehen werden, selbst wenn sie ausschließlich dazu hätten dienen sollen.
Weil das angefochtene Urteil hiernach rechtlich nicht zu beanstanden ist, muß die Revision der Klägerin zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen