Leitsatz (redaktionell)
Pauschale Kostenerstattung nach § 19 BVG:
1. Auch bei Anerkennung eines Versorgungsanspruchs schließen die abschliessend nach den §§ 19 und 20 BVG geregelten Erstattungsansprüche der Krankenkasse gegenüber der Versorgungsbehörde einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch für die aus der Krankenversicherung gewährten Leistungen aus.
2. Sieht ein Beschädigter von der Anfechtung eines Bescheides über die Ablehnung eines Versorgungsanspruchs ab, hat die Krankenkasse im Hinblick auf einen Erstattungsanspruch nach § 19 BVG gegen die ablehnende Entscheidung der Versorgungsbehörde über den ursächlichen Zusammenhang zwischen einer Gesundheitsstörung und einer Schädigung ein selbständiges Klagerecht.
Orientierungssatz
Pauschalabgeltung des von der AOK geleisteten Zahnersatzes durch die Versorgungsverwaltung - keine Einzelerstattung des Zahnersatzes - Abschließende Regelung der Ersatzansprüche in §§ 19, 20 BVG:
1. Nach § 19 Abs 1 S 1 und 2 BVG beschränkt sich die Einzelerstattung auf die Aufwendungen für Krankenhauspflege, Haushaltshilfe, Heilmittel und Krankengeld. Hingegen werden die übrigen Aufwendungen für die Krankenpflege versicherter Beschädigter pauschal abgegolten. Mit dem, den Krankenkassen gemäß § 1 der Durchführungsverordnung (DV) zu § 19 Abs 1 BVG zustehenden Pauschbetrag sind auch die Kosten für den Zahnersatz abgegolten.
2. §§ 19, 20 BVG regeln die Ersatzansprüche der gesetzlichen Krankenkassen gegen die Versorgungsverwaltung abschließend (Anschluß an BSG vom 1981-03-05 9 RV 35/80 = SozR 3100 § 19 Nr 12). Nach § 24a Buchst d BVG ist die Bemessungsgrundlage für die Pauschalabgeltung der "übrigen Aufwendungen" (§ 19 Abs 1 S 3 BVG) von der Bundesregierung festzulegen. Sie hat von dieser Ermächtigung durch Erlaß der DV zu § 19 Abs 1 BVG Gebrauch gemacht. Wenn diese Regelung nicht erschöpfend ist, so hat es dabei sein Bewenden.
3. Eine Verpflichtung der Versorgungsverwaltung, die Kosten des Zahnersatzes zu tragen, ergibt sich auch nicht aus § 18c Abs 1, 2 und 6 BVG.
Normenkette
BVG § 10 Abs. 1, § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 4, § 18c Abs. 1-2, 6, § 19 Abs. 1 Sätze 1-3, § 24a Buchst. e, § 20; RVO § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 182c; BVG§19Abs1DV § 1; SGG § 54 Abs. 5; SGB 10 § 12
Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 17.07.1981; Aktenzeichen S 32 (31) V 276/80) |
Tatbestand
Streitig ist ein Ersatzanspruch der klagenden Barmer Ersatzkasse nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) wegen der Übernahme eines Kostenanteils für die Anfertigung einer Zahnprothese.
Der bei der Klägerin pflichtversicherte Beigeladene beantragte mit einem im August 1979 beim Versorgungsamt eingegangenen Schreiben Versorgung nach dem OEG. Er gab hierzu an, im Dezember 1978 von einem Dritten grundlos Schläge ins Gesicht erhalten zu haben; dabei sei die Zahnprothese verlorengegangen. Die Versorgungsbehörde lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Verlust eines Körperersatzstückes - hier der Zahnprothese - bewirke keine Gesundheitsstörung. Gegen diesen Bescheid haben der Beigeladene Widerspruch sowie die Klägerin Gegenvorstellungen erhoben. Der ablehnende Widerspruchsbescheid ist auch der Klägerin zugegangen.
Die Klägerin begehrt mit der Klage, den mit 80 vH von ihr getragenen Kostenanteil für die Neuanfertigung der Zahnprothese in Höhe von 837,78 DM ersetzt zu erhalten. Sie macht geltend, der Beigeladene habe nicht bloß einen Sachschaden erlitten; die Beeinträchtigung der Kauffähigkeit sei als Gesundheitsstörung zu werten.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Es hat ua ausgeführt: Der Beigeladene sei nach § 19 Abs 1 und Abs 3 Satz 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) ersatzpflichtig. Die rechtsverbindliche Ablehnung des Versorgungsanspruchs nach dem OEG sei gegenüber der Klägerin nicht verbindlich. Sie sei nicht Beteiligte des Verwaltungsverfahrens gewesen. Zudem sei der Anspruch nach § 1 Abs 1 OEG begründet; Versagungsgründe lägen nicht vor. Überdies habe der Verlust der Zahnprothese die Kaufähigkeit beeinträchtigt. Dieser behandlungsbedürftige Zustand sei nach der Rechtsprechung dem Begriff der Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung gleichzusetzen. Somit habe der Beigeladene eine Gesundheitsstörung erlitten. Mithin sei die Klägerin sowohl aus eigenem Recht wie auch nach dem BVG verpflichtet gewesen, den Beigeladenen zahnprothetisch zu versorgen.
Mit der Sprungrevision rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 1 Abs 1 OEG; § 10 Abs 1, § 11 Abs 1 Nr 4, § 18c Abs 1 und 2, § 19 Abs 1 Satz 1 und 2 sowie Abs 3 Satz 2 BVG). Ein Aufwendungsersatz stehe - so meint der Beklagte - der Klägerin nicht zu. Sie sei nicht nach dem BVG zur Tragung des Kostenanteils für die Zahnprothese verpflichtet. Selbst wenn dies aber der Fall wäre, wäre sie nach § 1 Abs 1 Satz 2 OEG iVm § 18c Abs 1 BVG allein für die zahnprothetische Versorgung zuständig. § 19 BVG regele iVm § 20 BVG die Ersatzansprüche der Krankenkasse abschließend. Das schließe eine analoge Anwendung sowie das Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches aus. Der Versorgungsanspruch nach dem OEG sei auch gegenüber der Klägerin abgelehnt worden. Somit sei auch gegenüber der Klägerin bindend festgestellt, daß Gesundheitsstörungen nicht als Schädigungsfolgen nach dem OEG anerkannt seien.
Der Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Das SG hat zu Unrecht den Beklagten verpflichtet, der Klägerin den geleisteten Kostenanteil für die Anfertigung einer Zahnprothese zu ersetzen. Das angefochtene Urteil ist demgemäß aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Mit der nach § 54 Abs 5 SGG erhobenen Leistungsklage begehrt die Klägerin den Ersatz der aus Anlaß der zahnprothetischen Behandlung des Beigeladenen übernommenen Aufwendungen. Als Rechtsgrundlage hierfür hält sie § 19 Abs 1 Satz 1 und 2 sowie Abs 3 Satz 2 BVG idF vom 22. Juni 1976 (BGBl I 1633) für einschlägig. Danach ist Grundvoraussetzung für den erhobenen Ersatzanspruch, daß die Krankenkasse nicht nur nach den Vorschriften des BVG verpflichtet ist, Heilbehandlung zu gewähren. Eine solche Anspruchskonkurrenz nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) bzw des BVG komme hier - meint das SG - in Betracht. Die Klägerin sei dem bei ihr versicherten Beigeladenen gegenüber einmal nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zur Heilbehandlung verpflichtet gewesen (§§ 234, 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a und c, § 182c RVO). Zudem sei sie auch im Rahmen der Opferentschädigung tätig geworden (§ 1 Abs 1 Satz 1 OEG vom 11. Mai 1976 - BGBl I 1181 - iVm §§ 10 f BVG). Der Beigeladene sei das Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden; ihm stünde deshalb ein Anspruch auf Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG zu (§ 1 Abs 1 Satz 1 OEG).
Nach den zutreffenden Ausführungen des SG setzt der Ersatzanspruch der Klägerin die Heilbehandlung anerkannter Schädigungsfolgen voraus (§ 19 Abs 1 Satz 2 BVG). Eine Ersatzleistung kommt erst nach der Anerkennung in Betracht (§ 19 Abs 3 Satz 1 BVG). Ist dagegen die Gesundheitsstörung durch die Behandlung beseitigt worden, wird die Anerkennung durch die Entscheidung der Versorgungsbehörde ersetzt, daß ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Gesundheitsstörung und der Schädigung bestanden hat (§ 19 Abs 3 Satz 2 BVG). Dem Anerkennungsbescheid kommt zugleich "Tatbestandswirkung" für den Ersatzanspruch der Krankenkasse gem § 19 BVG zu. Daraus folgert die Rechtsprechung, daß die Krankenkasse zumindest als dem Verfahren Zugezogener (§§ 9 und 11 KOVVfG; seit 1.1.1981: § 12 Zehntes Buch des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - -SGB 10-) selbständig Rechtsmittel gegen den Bescheid einlegen kann und auch nicht dadurch gehindert wird, daß der "Berechtigte" von der Anfechtung des Bescheides absieht (BSGE 34, 289, 290 = SozR Nr 13 zu § 19 BVG; Urteil des erkennenden Senats vom 17.11.1981 - 9 RVg 2/81 -, zur Veröffentlichung bestimmt; Urteil des erkennenden Senats vom 27.1.1982 - 9a/9 RVg 3/81 -). Aus dieser Beteiligung im Verwaltungsverfahren leitet sich ein eigenes Klagerecht ab, um den Krankenkassen die für den Ersatzanspruch erforderliche Anerkennung der Schädigungsfolgen zu ermöglichen (BSG aaO). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Klägerin erhob gegen den Ablehnungsbescheid Gegenvorstellungen. Ihr wurde auch der Widerspruchsbescheid zur Kenntnisnahme zugeleitet.
Indessen kommt es auf die Rechtsfrage, ob der Verlust oder die Beschädigung eines Körperersatzstückes eine Gesundheitsstörung darstellt oder etwa einer solchen gleichzusetzen ist (vgl etwa für das Unfallrecht: § 548 Abs 2 RVO) und sich daraus gegebenenfalls ein Heilbehandlungsanspruch nach dem OEG iVm dem BVG ableiten läßt, nicht an. Der Klägerin steht unabhängig davon ein Ersatzanspruch nicht zu. Die begehrte Einzelerstattung für Zahnersatz ist gesetzlich nicht vorgesehen. Der Gesetzgeber ging zwar bei der Verpflichtung zum Kostenersatz nach § 19 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 sowie Abs 2 BVG vom Grundsatz der vollen Kostenerstattung aus, der sich aus dem Zweck der gesetzlichen Krankenversicherung und dem Versicherungsrisiko ergibt (BT-Drucks IV/1305 S 16 zu Nr 9 - § 19 - und Schriftlicher Bericht des 22. Ausschusses - BT-Drucks IV/831 S 4 zu Nr 15 - § 19 BVG -). Er hat allerdings dieses Prinzip nicht uneingeschränkt für alle tatsächlich entstandenen Kosten durchgehalten (BSG SozR 3100 § 19 Nr 10 mwN). Die Einzelerstattung beschränkt sich auf die Aufwendungen für Krankenhauspflege, Haushaltshilfe, Heilmittel und Krankengeld (§ 19 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 BVG). Hingegen werden die übrigen Aufwendungen für die Krankenpflege versicherter Beschädigter pauschal abgegolten. Nach § 1 Durchführungsverordnung (DV) zu § 19 Abs 1 BVG vom 14. Juli 1977 (BGBl I 1789) erhalten die Krankenkassen, die nicht nur nach den Vorschriften des BVG verpflichtet sind, Heilbehandlung zu gewähren, zur Abgeltung der Aufwendungen, die ihnen durch die ambulante ärztliche und zahnärztliche Behandlung sowie durch die Versorgung mit Arznei- und Verbandsmitteln entstanden und nicht nach § 19 Abs 1 Satz 1 BVG gesondert erstattet werden, einen jährlichen Pauschbetrag für den bei ihnen versicherten rentenberechtigten Beschädigten. Dabei ist für ein Jahr mit ungerader Jahreszahl und für das nachfolgende Jahr jeweils die Zahl der am 31. Oktober des Jahres mit ungerader Jahreszahl versicherten rentenberechtigten Beschädigten maßgebend. Dieses zur Vermeidung eines erheblichen Zeit- und Verwaltungsaufwands modifizierte Abrechnungsverfahren stellt ebenfalls auf den konkreten Kostenaufwand ab (Urteil des erkennenden Senats vom 25.6.1981 - 9 RV 38/80 -), deckt aber nicht zwangsläufig alle Aufwendungen. Damit sind auch die Kosten der Zahnbehandlung abgegolten.
In gleicher Weise bleibt § 20 BVG außer Betracht. Diese Vorschrift betrifft den Ersatz von Leistungen, die ausschließlich nach dem BVG zu erbringen sind. Im zugrundeliegenden Fall ist die Klägerin jedoch nach dem Recht der Krankenversicherung selbst unmittelbar leistungspflichtig. Infolgedessen ist sie nicht allein für die Versorgungsverwaltung tätig geworden.
Ebensowenig können die Vorschriften der §§ 19, 20 BVG auf den gegenwärtigen Fall entsprechende Anwendung finden. Die genannten Bestimmungen regeln, wie der erkennende Senat mit eingehender Begründung bereits entschieden hat (Urteil vom 5.3.1981 - 9 RV 35/80 - zur Veröffentlichung bestimmt), die Ersatzansprüche der gesetzlichen Krankenkasse gegen die Versorgungsverwaltung wegen schädigungsbedingter Aufwendungen abschließend. Nach § 24a Buchst d BVG ist die Bemessungsgrundlage für die Pauschalabgeltung der "übrigen Aufwendungen" (§ 19 Abs 1 Satz 3 BVG) von der Bundesregierung festzulegen. Sie hat von dieser Ermächtigung durch Erlaß der DV zu § 19 Abs 1 BVG Gebrauch gemacht. Wenn diese Regelung nicht erschöpfend ist, so hat es dabei sein Bewenden.
Ferner ist auch ein öffentlich-rechtlicher Erstattungs- oder Abwälzungsanspruch nicht deshalb zu bejahen, weil die Klägerin anstelle der nach § 18c Abs 1 BVG allein für den Zahnersatz zuständigen Versorgungsbehörde einen Kostenanteil aufgewendet hätte. Der erkennende Senat hat dies in den erwähnten Urteilen vom 5. März 1981 - wie überdies schon zuvor in BSGE 49, 250 = SozR 3100 § 19 Nr 11 - verneint, weil eine rechtsgrundlose Vermögensverschiebung nicht stattgefunden hatte. Die Klägerin hatte jedenfalls nach Krankenversicherungsrecht die Kosten anteilig zu tragen (§ 182c RVO). Somit scheidet eine Bereicherung der Versorgungsverwaltung auf Kosten der Klägerin aus. Aus dem gleichen Gesichtspunkt, nämlich daß die Klägerin ein eigenes Geschäft besorgt hatte, ist ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag nicht gegeben.
Schließlich ergibt sich die Verpflichtung des Beklagten zur Kostentragung nicht unmittelbar aus § 18c Abs 1 BVG. Danach hat die Versorgungsverwaltung unter anderem für Zahnersatz Sachleistungen bzw Zuschüsse zur Beschaffung von Zahnersatz zu erbringen. Leistet statt dessen die Krankenkasse, richtet sich der Erstattungsanspruch wiederum nach den §§ 19 oder 20 BVG. § 18c Abs 1 und 2 BVG trifft keine Bestimmung darüber, wer die Kosten einer Heilbehandlung endgültig zu tragen hat. Diese Vorschrift enthält nur eine Zuständigkeitsregelung für das Tätigwerden von Versorgungsbehörde und Krankenkasse (BSG SozR 3100 § 18c Nr 1). Die Neufassung des § 18c Abs 6 BVG durch das 3. Anpassungsgesetz (AnpG) KOV brachte keine Rechtsänderung. Sinn dieser Vorschrift ist es, den Träger der KOV für getätigte Leistungen zu entschädigen, die durch andere öffentlich-rechtliche Leistungsträger ganz oder zum Teil finanziert worden wären oder hätten übernommen werden müssen (BSG SozR 3100 § 18c Nr 2). Dagegen ist der umgekehrte Fall, nämlich daß die Versorgungsverwaltung letztendlich gegenüber der Krankenkasse leistungspflichtig ist, nicht geregelt. Ein solcher Ersatzanspruch ist vielmehr - wie ausgeführt - den §§ 19 und 20 BVG zuzuordnen.
Nach alldem war auf die Revision des Beklagten das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen