Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfolgungsersatzzeit. Zwangsarbeit. Nationalsozialismus. Freiheitsbeschränkung
Leitsatz (amtlich)
Das Heranziehen eines Verfolgten des Nationalsozialismus zu Zwangsarbeiten in unregelmäßigen Abständen erfüllt nicht die Voraussetzungen einer Verfolgungsersatzzeit wegen Freiheitsbeschränkung oder -entziehung.
Normenkette
SGB 6 § 250 Abs. 1 Nr. 4; BEG § 43 Abs. 1-3, §§ 47, 1; RVO § 1251
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung höherer Regelaltersrente ab 1.1.1999 unter Anrechnung einer Verfolgungsersatzzeit von September bis 4.12.1939 im Wege der Überprüfung.
Der 1924 geborene Kläger jüdischer Abstammung ist Verfolgter des Nationalsozialismus. Er bezieht von der Beklagten seit dem 1.3.1997 Regelaltersrente (Bescheid vom 13.12.2000; Neufeststellungsbescheid vom 25.1.2002) unter Anrechnung von Beitragszeiten ab 1.1.1940, die sich an eine verfolgungsbedingte Ersatzzeit vom 5. bis 31.12.1939 anschließen.
Im Februar 2003 beantragte der Kläger, die Rente nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) neu festzustellen, mindestens jedoch die Ghetto-Beitragszeiten in Höhe von sechs Sechsteln anzurechnen. Nach Durchführung von Vergleichsberechnungen erteilte die Beklagte den Rentenbescheid vom 22.10.2003, mit dem sie die Regelaltersrente ab 1.1.1999 neu feststellte, weil sich die rentenrechtlichen Zeiten geändert hätten (Höherbewertung der Zeiten 1940 bis 1942). Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit dem Begehren, die Monate September bis November 1939 als Ersatzzeiten wegen Verfolgung (Freiheitsbeschränkung, Freiheitsentziehung) angerechnet zu erhalten. Er nahm Bezug auf die eidesstattliche Versicherung, die er, sein Bruder S. A. und sein Vetter I. A. am 14.1.1955 abgegeben hatten. Hierin hatte er angegeben, bei Kriegsausbruch in Ciechanow (Zichenau) bei seinen Eltern gelebt zu haben; vom zweiten oder dritten Kriegstag an hätten er, sein Bruder und sein Vetter in seinem Heimatort arbeiten müssen. Sie seien auf der Straße aufgegriffen worden, wann immer die Besatzung Arbeitskräfte gebraucht habe; sie seien auch gleich zu Anfang oft aus den Betten geholt worden, wenn Arbeitskräfte gefehlt hätten. Sie hätten viele polnische Häuser abreißen und auch neue Häuser bauen müssen und außerdem neue Straßen angelegt. Am Anfang seien diese Arbeiten noch nicht so organisiert gewesen. Sie könnten nicht sagen, dass sie in den ersten Wochen nach dem Einzug der Deutschen täglich und regelmäßig hätten arbeiten müssen. Ab 1.1.1940 sei die ganze Sache bereits hoch organisiert gewesen. Der Kläger hat ferner vorgetragen, infolge der unregelmäßigen Zwangsarbeitseinsätze sei er nicht in der Lage gewesen, seine Schulausbildung fortzusetzen oder eine Beschäftigung aufzunehmen.
Die Beklagte lehnte mit Widerspruchsbescheid vom 29.7.2004 die Gewährung höherer Rente ab, weil der Kläger vor dem 5.12.1939 weder Judensternträger gewesen sei noch in der Illegalität unter menschenunwürdigen Bedingungen habe leben müssen; er sei im September 1939 noch Schüler gewesen und habe auch die Schule weiterhin besuchen wollen, sodass auch keine Arbeitsbereitschaft bestanden habe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Anrechnung einer Ersatzzeit wegen verfolgungsbedingter Arbeitslosigkeit vom 2.9. bis 4.12.1939 abgewiesen (Urteil vom 28.11.2005). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 25.4.2007) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: In der Zeit zwischen September und dem 4.12.1939 sei eine Freiheitsentziehung (§ 43 Abs 1 Satz 1 des Bundesentschädigungsgesetzes ≪BEG≫) ebenso wenig festzustellen wie ein nach § 43 Abs 3 BEG gleichgestelltes Leben unter haftähnlichen Bedingungen bzw eine Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen. Denn nach eigenen Angaben sei der Kläger in der fraglichen Zeit nicht laufend behördlich streng überwacht worden und in seiner Bewegungsfreiheit Einschränkungen unterworfen gewesen, die sein Leben dem eines Häftlings vergleichbar gemacht hätten.
Auch ergäben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Annahme von Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen, unter der eine Arbeit unter Beschränkung der Freiheit zu verstehen sei, die über das sich aus der Arbeit selbst ergebende Maß hinausgehen müsse. Die Haftähnlichkeit einer solchen Arbeit müsse grundsätzlich Selbstzweck gewesen sein; es genüge nicht, dass sie lediglich Begleiterscheinung gewesen sei. In der Zeit bis zum 4.12.1939 könne jedoch von haftähnlichen Begleitumständen keine Rede sein. Über die in § 47 BEG genannten Tatbestände hinaus könne geleistete Zwangsarbeit, die nicht unter haftähnlichen Bedingungen erfolgt sei, nicht als Freiheitseinschränkung iS des § 250 Abs 1 Nr 4 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VI) angesehen werden. Dies verdeutliche der Klammerzusatz "§ 47 BEG" in der genannten Vorschrift. Eine Regelungslücke insoweit bestehe nicht. Die sporadische Rekrutierung des Klägers zu Zwangsarbeiten durch "Aufgreifen auf der Straße" bzw durch "Herausholen aus den Betten" lasse keine Freiheitsbeschränkung erkennen, die den Tatbestand des § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI erfülle. Dieses Ergebnis entspreche auch den Angaben, die der Kläger während des Entschädigungsverfahrens gemacht habe.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI; § 43 Abs 3 BEG) und führt zur Begründung aus: Die Argumentation des LSG zeichne sich durch eine auffällig entschädigungsfeindliche Auslegung des § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI aus, obwohl der entschädigungsrechtliche Charakter dieser Vorschrift auf dem Gebiet der Sozialversicherung offenkundig sei. Sowohl Bundesgerichtshof (BGH) als auch Bundessozialgericht (BSG) hätten aber in ihrer Rechtsprechung zur Entschädigung bzw Wiedergutmachung betont, dass die dem Entschädigungsrecht zugrunde liegenden allgemeinen Gedanken bei der Auslegung des Verfolgtengesetzes angewandt werden müssten; dem Prinzip der Wiedergutmachung gebühre gegenüber dem Grundsatz der Bewahrung des sozialversicherungsrechtlichen Systems der Vorrang. Seine, des Klägers, Arbeit zwischen September und Anfang Dezember 1939 sei Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen iS des § 43 Abs 3 BEG gewesen; denn dem "Aufgreifen" sei ein zwangsweiser Charakter immanent, und die Zwangsarbeit habe nach den historischen Erkenntnissen unter haftähnlichen Bedingungen, also unter Bewachung der deutschen Obrigkeit, ausgeführt werden müssen. Zu beachten sei, dass Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen auch dann der Freiheitsentziehung gleich geachtet werde, wenn der Verfolgte außerhalb des Arbeitseinsatzes nicht unter haftähnlichen Bedingungen gelebt habe (BGH vom 25.6.1970, MDR 1970, 1006 = RzW 1970, 546) . Wenn er, der Kläger, mehrfach von der Straße aufgegriffen bzw "aus dem Bett geholt" worden sei, könne ein solcher Zwangsarbeitseinsatz nur in der Weise erfolgt sein, dass er die von ihm geforderte Arbeit unter militärischer oder polizeilicher Bewachung und/oder bei der Androhung bzw Anwendung schwerer Strafen habe verrichten müssen, sodass unter diesen Umständen von einer Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen auszugehen sei (Hauck/Noftz, SGB VI, Stand 5/05, K § 250 RdNr 222 zum Begriff "Leben unter haftähnlichen Bedingungen") . Zu Unrecht gehe das LSG ferner davon aus, dass sich eine Einschränkung der Freiheit iS von § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI nur auf § 47 BEG beziehe, es sich insoweit also um eine Legaldefinition der Freiheitseinschränkung handele. Der Begriff "Freiheitseinschränkung" weise als solcher einen weitergehenden Sinngehalt auf, als ein Verweis auf die beiden Fälle des § 47 BEG ausfüllen könne. Eine aufgrund obrigkeitlicher Anordnung geleistete Arbeit ohne reelle Ausweich- bzw Wahlmöglichkeit werde ohne Weiteres vom Begriff Freiheitseinschränkung umfasst; denn eine Freiheit, die Tätigkeit ohne massive persönliche Konsequenzen abzulehnen, habe nicht bestanden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 25. April 2007 und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 28. November 2005 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 22. Oktober 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juli 2004 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Änderung des Bescheids vom 25. Januar 2002 höhere Altersrente unter Berücksichtigung einer verfolgungsbedingten Ersatzzeit vom 2. September bis 4. Dezember 1939 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die vom Senat zugelassene Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Neuberechnung seiner Regelaltersrente unter Anrechnung einer Verfolgungsersatzzeit von September bis 4.12.1939 im Wege der Überprüfung.
Gemäß § 44 Abs 1 Satz 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) ist - soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind - der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Diese Voraussetzungen sind - wie das LSG zutreffend entschieden hat - nicht erfüllt; denn die Beklagte ist nicht verpflichtet, eine Ersatzzeit gemäß § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI für die streitige Zeit von September bis 4.12.1939 anzurechnen.
Nach dem hier allein in Betracht kommenden - mit der Revision iVm § 43 Abs 3 BEG als fehlerhaft angewandt gerügten - § 250 Abs 1 Nr 4 Fälle 1 und 2 SGB VI sind Ersatzzeiten solche Zeiten vor dem 1.1.1992, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr in ihrer Freiheit eingeschränkt gewesen sind oder ihnen die Freiheit entzogen worden ist (§§ 43 und 47 BEG) , wenn sie zum Personenkreis des § 1 BEG gehören (Verfolgungszeit). Diese Voraussetzungen liegen nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen angegriffen worden und daher für den Senat bindend sind (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) , nicht vor.
1. Eine Freiheitsentziehung iS des § 43 Abs 1 und 2 BEG im fraglichen Zeitraum liegt nicht vor. Der Kläger befand sich während der fraglichen Zeit weder in Haft noch zwangsweise in einem Ghetto.
2. Der Kläger ist in der fraglichen Zeit aber auch nicht iS des § 250 Abs 1 Nr 4 Fall 1 SGB VI in seiner "Freiheit eingeschränkt" gewesen. Unter Zeiten der Freiheitseinschränkung versteht der Gesetzgeber, wie der Klammerhinweis auf § 47 BEG belegt, Zeiten, in denen der Verfolgte den Judenstern getragen oder unter menschenunwürdigen Bedingungen in der Illegalität gelebt hat (§ 47 Abs 1 BEG) . Außerdem stellt § 47 Abs 2 BEG eine Vermutung dahin gehend auf, dass ein Verfolgter, der unter falschem Namen gelebt hat, in der Illegalität unter menschenunwürdigen Bedingungen gelebt habe. Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nach den Feststellungen des LSG, die er mit der Revisionsbegründung bestätigt, ebenfalls nicht.
3. Der Kläger unterlag aber auch keinen Beschränkungen, die es rechtfertigten, die fragliche Zeit von September bis Anfang Dezember 1939 als Leben unter haftähnlichen Bedingungen bzw Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen iS des § 43 Abs 3 BEG der Freiheitsentziehung gleichzustellen. Dass der Kläger in der Zeit von September bis 4.12.1939 in Ciechanow unter haftähnlichen Bedingungen gelebt habe, behauptet er selbst nicht.
Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG lässt sich auch nicht die Annahme von Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen rechtfertigen. Zwar hat der Kläger in der fraglichen Zeit - nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG: gelegentlich - Zwangsarbeiten ausführen müssen. Denn Zwangsarbeit ist jede Heranziehung zu unfreiwilliger Arbeitsleistung (vgl Blessin/Ehrig/Wilden, BEG, 3. Aufl 1960, RdNr 25 zu § 43; Senatsurteil vom 14.7.1999 - B 13 RJ 61/98 R - SozR 3-5070 § 14 Nr 2 mwN) . Sie ist aber nur dann einer Freiheitsentziehung gleichzustellen, wenn sie unter haftähnlichen Bedingungen ausgeübt worden ist. Die haftähnlichen Bedingungen müssen nur während der Arbeitszeit vorgelegen haben (vgl BGH vom 25.6.1970, MDR 1970, 1006 = RzW 1970, 546; Senatsurteil vom 26.7.2007 - B 13 R 67/06 R - Juris RdNr 23) . Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen liegt danach nur vor, wenn die erzwungene Arbeit entweder unter strenger Bewachung in abgeschlossenen Räumen oder außerhalb solcher Räume unter Beseitigung jeder Bewegungsfreiheit und unter ständiger Befehlseinwirkung durch Aufsichtspersonen zu leisten war. Zu fordern ist, dass der Verfolgte wie ein Häftling in einem geschlossenen und bewachten Arbeitskommando arbeiten musste (BVerwG vom 30.5.1973, RzW 1973, 435, 437) .
Hiervon kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Solche Bedingungen hat weder der Kläger geschildert noch das LSG festgestellt. Vielmehr steht - für den Senat bindend (§ 163 SGG) - fest, dass der Kläger vor dem 5.12.1939 nicht täglich und regelmäßig, sondern nur ab und zu zur Arbeitsverrichtung (vornehmlich Häuserabriss- und Straßenarbeiten) aufgegriffen worden ist. Einzelheiten zu einer militärischen oder polizeilichen Bewachung, Absonderung von freien Arbeitern oder Anwendung von Körperstrafen hat weder der Kläger geschildert noch das LSG sonst - etwa auf Grund des Gutachtens Prof. Dr. G. vom 7.12.2005 zu den Verhältnissen im Regierungsbezirk Zichenau (erstellt für die 26. Kammer des SG Hamburg - S 26 RJ 555/04) - feststellen können.
Allein der Umstand, dass die - im streitigen Zeitraum sporadische - Rekrutierung des Klägers zu Zwangsarbeiten durch "Aufgreifen auf der Straße" bzw "Herausholen aus den Betten" erfolgt ist, rechtfertigt die Annahme einer Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen nicht. Denn hiermit wird lediglich die Art der Heranziehung zur Zwangsarbeit beschrieben und kein Sachverhalt, der über die Freiheitsbeschränkung, die jeder Zwangsarbeit immanent ist, hinausgeht. § 43 Abs 3 BEG beschreibt aber als der Freiheitsentziehung gleich zu behandelnde Tatbestände nur solche Maßnahmen, bei denen der Verfolgte einer Dauerbeeinträchtigung ausgesetzt war. Das gelegentliche Heranziehen zu Arbeiten erfüllt diese Voraussetzung nicht.
Soweit in den Behauptungen des Klägers, die Zwangsarbeit habe "nach den historischen Erkenntnissen unter haftähnlichen Bedingungen, also unter Bewachung der deutschen Obrigkeit" ausgeführt werden müssen, und ein Zwangsarbeitseinsatz, wie er vom LSG festgestellt worden sei, könne "nur in der Weise erfolgt sein, dass (er) die von ihm geforderte Arbeit unter militärischer oder polizeilicher Bewachung und/oder bei der Androhung bzw Anwendung schwerer Strafen verrichten musste", die Rüge eines Verstoßes gegen die Denkgesetze erblickt werden könnte, hat er die "Undenkbarkeit" einer anderen Fallgestaltung nicht dargetan. Von einem Verstoß gegen Denkgesetze kann aber nur gesprochen werden, wenn aus den gesamten Gegebenheiten nur eine Folgerung gezogen werden kann, jede andere nicht "denkbar" ist und das Gericht die allein denkbare nicht gezogen hat (vgl BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 19 S 73 f mwN; BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 25/06 R - Juris RdNr 23 ≪zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen≫) . Dies hat der Kläger nicht dargetan. Im Gegenteil hat er in seinem nachgereichten Schriftsatz vom 16.4.2009 ausdrücklich erläuternd vorgetragen, dass auch nach historischen Erkenntnissen zu entsprechenden Zwangsarbeitseinsätzen diese (lediglich) "in der Regel" - nicht also zwingend - unter kontinuierlicher Aufsicht durch deutsche und einheimische Hilfskräfte gestanden hätten. Aus dem Hinweis im Senatsurteil vom 26.7.2007 (B 13 R 67/06 R - Juris RdNr 23) , wonach es einer näheren Begründung bedürfen könnte, wie in Zeiten, in denen noch keine Kennzeichnungspflicht für Juden bestand, ein Zwang zur Arbeit ohne ständige Bewachung der arbeitenden Juden durchgesetzt werden konnte, worin wiederum haftähnliche Bedingungen erblickt werden könnten, folgt nicht bereits ohne Weiteres ein Verstoß gegen die Denkgesetze im Fall des Klägers.
4. Der Klammerzusatz der Vorschrift "§§ 43 und 47 Bundesentschädigungsgesetz" ist iS einer Legaldefinition der freiheitsentziehenden und freiheitseinschränkenden Maßnahmen, die zur Anerkennung der Zeit auch als Verfolgungsersatzzeit führen, zu verstehen. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, wonach § 250 Abs 1 SGB VI (= § 245 des Entwurfs) "dem (zuvor) geltenden Recht entspricht" (vgl Fraktionsentwurf zum Rentenreformgesetz 1992, BT-Drucks 11/4124, S 200 zu § 245) . Nach gesetzgeberischer Intention soll also der Klammerzusatz in § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI nichts anderes ausdrücken als die in § 1251 der Reichsversicherungsordnung/§ 28 des Angestelltenversicherungsgesetzes verwandte Formulierung "Zeiten der Freiheitsentziehung und der Freiheitsbeschränkung im Sinne der §§ 43 und 47 BEG". Damit ist - einfachrechtlich - die Reichweite des Begriffs "in ihrer Freiheit eingeschränkt" in § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI umschrieben; er umfasst nur die in § 47 BEG genannten Tatbestände.
Eine weitergehende Auslegung des § 250 Abs 1 Nr 4 SGB VI aus Gleichheitserwägungen (Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes) kommt jedenfalls für eine Fallgestaltung nicht in Betracht, in der lediglich sporadische freiheitsbeschränkende Maßnahmen von relativ kurzer Dauer mit längeren Zeitabschnitten ohne derartige Einschränkungen wechseln. Denn die in § 47 BEG ausdrücklich geregelten Tatbestände (Tragen des Judensterns, Leben in der Illegalität unter menschenunwürdigen Bedingungen, Leben unter falschem Namen) umschreiben jeweils einen ununterbrochenen Dauerzustand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
FA 2009, 320 |
NZS 2010, 339 |