Entscheidungsstichwort (Thema)

Masseschuldcharakter von Verzugszinsen (Säumniszuschlägen)

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wendet der Konkursverwalter gegen den Leistungsbescheid des Sozialversicherungsträgers ein, die Masse reiche nicht zur vollen Befriedigung der geltend gemachten Forderung aus (§ 60 KO), steht ihm insoweit ein Leistungsverweigerungsrecht zu; dies ist in einem Rechtsstreit ggf durch Zwischenurteil festzustellen.

2. Rückständige Winterbau-Umlage und die Nebenforderungen sind gegenüber dem Konkursverwalter durch Verwaltungsakt (Leistungsbescheid) geltend zu machen.

 

Orientierungssatz

Masseschulden sind nicht nur die bis zur Eröffnung des Konkurses angefallenen Verzugszinsen nach § 397a Abs 2 RVO aF (jetzt Säumniszuschläge nach § 24 Abs 2 SGB 4), sondern auch solche, die erst für Zeiten danach wegen rückständiger Beiträge oder Umlagen aus den letzten sechs Monaten vor der Konkurseröffnung angefallen sind.

 

Normenkette

RVO § 28 Abs. 3 Fassung: 1974-07-17; KO § 59 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. e Fassung: 1976-12-23; RVO § 397a Abs. 2 Fassung: 1969-06-25; SGB 4 § 24 Abs. 2 Fassung: 1976-12-23; AFG § 186a; WinterbauUmlV § 3 Abs. 2 Fassung: 1972-07-13; KO § 60 Fassung: 1974-07-17; ZPO § 304 Fassung: 1950-09-12

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 06.06.1980; Aktenzeichen L 9 Ar 122/79)

SG Duisburg (Entscheidung vom 23.10.1979; Aktenzeichen S 6 Ar 3/79)

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Verzugszinsen rückständiger Winterbau-Umlagen aus der Zeit nach Konkurseröffnung Masseforderungen sind.

Am 26. November 1976 wurde in E das Konkursverfahren über das Vermögen der J S GmbH & Co KG und der J S GmbH eröffnet. Mit Bescheid vom 16. August 1978 machte die Beklagte bei dem als Konkursverwalter eingesetzten Kläger als Masseschuldforderung Verzugszinsen von 1.235,66 DM für die Zeit vom 16. Februar 1977 bis zum 30. Juni 1978 geltend. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 1978).

Während des Klageverfahrens machte die Beklagte mit Bescheid vom 17. August 1979 (Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 1979) weitere Verzugszinsen in Höhe von 934,65 DM für den Zeitraum vom 1. Juli 1978 bis zum 6. Juli 1979 geltend, und zwar mit gleichlautenden Bescheiden an den Kläger als Konkursverwalter beider Unternehmen. Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat mit Urteil vom 23. Oktober 1979 die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Es hat entschieden, daß zu den Rückständen iS von § 28 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF nicht die nach Konkurseröffnung entstandenen Verzugszinsen gehören. Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 6. Juni 1980 aus den gleichen Gründen zurückgewiesen.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte, das LSG habe § 186a Arbeitsförderungsgesetz (AFG), § 3 Abs 2 der Winterbau-Umlageverordnung, § 28 Abs 3 RVO aF und § 397a RVO aF verletzt. Zu Unrecht habe es angenommen, Verzugszinsen aus der Zeit nach Konkurseröffnung seien nicht Masseschulden. Grundsätzlich würden nämlich Verzugszinsen als Nebenforderungen das Schicksal der Hauptforderungen teilen, aus der sie hergeleitet seien. Wenn § 28 Abs 3 RVO aF auf die letzten sechs Monate vor Eröffnung des Konkursverfahrens verwiesen habe, sei damit nur eine Abgrenzung der Rückstände beabsichtigt gewesen, nicht aber die Aufspaltung von Verzugszinsen und Säumniszuschlägen in solche aus der Zeit vor und nach Konkurseröffnung. Hätte der Gesetzgeber diesen Nebenforderungen für einen bestimmten Zeitraum - etwa den nach der Konkurseröffnung - einen geringeren Rang als der Hauptforderung zuweisen wollen, hätte es einer ausdrücklichen Regelung im Gesetz bedurft. Allein daraus, daß in § 59 Abs 1 der Konkursordnung (KO) in den Nrn 1, 2 und 4 jeweils erst nach Konkurseröffnung entstandene Forderungen aufgeführt seien, könne nicht gefolgert werden, daß die in Nr 3 aufgeführten Forderungen, die vor Konkurseröffnung entstünden, einer anderen rechtlichen Behandlung hinsichtlich der Nebenforderungen zugeführt werden sollten.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen

vom 6. Juni 1980 und des SG Duisburg vom

23. Oktober 1979 aufzuheben und die Klage

abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben, weil sie rechtsirrig Verzugszinsen zu einer Masseschuld aus der Zeit vor Konkurseröffnung für die Zeit nach Konkurseröffnung nicht als Masseschulden ansehen.

Wie der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) (SozR 4230 § 3 Nr 1) bereits entschieden hat, gehören zu den Rückständen, die nach § 28 Abs 3 RVO in der bis zum 17. Juli 1974 geltenden Fassung das Konkursvorrecht des § 61 Nr 1 KO aF genossen, neben der Winterbau-Umlage und der Pauschale nach § 186a Abs 2 Satz 3 AFG auch die durch die Säumnis entstandenen Nebenkosten wie Säumniszuschläge und Verzugszinsen (§ 379a Abs 1 und 2 RVO aF) sowie die Kosten für Mahnungen. Das folgt aus der Verweisung in § 3 Abs 2 der Winterbau-Umlage-VO vom 13. Juli 1972 (BGBl I 1201) auf § 179 Satz 1 des AFG, wo wegen der Beitreibung rückständiger Beiträge auf § 28 RVO aF verwiesen war. Mit der Neufassung des § 28 Abs 3 RVO durch das Konkursausfallgeldgesetz (Art 2 § 4) ist eine Änderung der Rechtslage nur insoweit eingetreten, als Rückstände für die letzten sechs Monate vor Konkurseröffnung nunmehr Masseschulden wurden. Der Begriff der Rückstände hat sich dadurch inhaltlich jedoch nicht geändert (vgl dazu die eingehende Begründung des 2. Senats in BSGE 49, 276 ff). Der erkennende Senat schließt sich nach eigener Prüfung der Auffassung des 2. Senats (aaO) an. Insbesondere die erneute Änderung des § 28 RVO und der §§ 59 und 61 KO durch das Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften - SGB 4 (Art 2 § 1 Nr 1a; § 10 Nr 1 und 2) stellte klar, welche Ansprüche der Sozialversicherungsträger im Konkurs Masseschulden und bevorrechtigte Konkursforderungen sind. § 28 Abs 3 RVO wurde gestrichen, dem § 59 Abs 1 Nr 3 KO ein Buchstabe e und dem § 61 Abs 1 Nr 1 KO ebenfalls ein Buchstabe e angefügt. Hier sind jetzt ausdrücklich Säumniszuschläge und Umlagen genannt. Materiell-rechtlich hat sich hiermit nichts geändert. Es sollte lediglich das materielle Konkursrecht, soweit es die Ansprüche der Sozialversicherungsträger betrifft, systematisch richtiger aus der RVO in die KO übernommen werden (vgl die Begründung zum Regierungsentwurf in BR-Drucks 300/75 zu Art II § 1 - S 39 - und Art II § 10 - S 41 -). Daß neben den Säumniszuschlägen Verzugszinsen nicht erwähnt sind, hat seinen Grund in der Streichung des § 397a RVO, an dessen Stelle § 24 SGB 4 getreten ist, der nur noch Säumniszuschläge kennt.

Die Einführung der Insolvenzversicherung (§§ 141 a bis m AFG) rechtfertigt es ebenfalls nicht, die vom Gesetzgeber ausdrücklich zu Masseschulden erklärten Ansprüche der Versicherungsträger dahin unterschiedlich zu behandeln, daß einzelne Rückstände nicht das Privileg der Masseschulden genießen, sondern wie der Kläger meint, sogenannte Supervorrecht sind. Es muß dem Gesetzgeber überlassen bleiben, welche Qualität er einzelnen Forderungen im Konkursfall verleiht. Es würde dem jetzt in § 59 Abs 1 Nr 3 e KO deutlich zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen widersprechen, wollte man etwa die Winterbau-Umlage oder die Säumniszuschläge nicht zu den Masseschulden rechnen. Im übrigen treffen die Ausführungen des 2. Senats (aaO, 280 bis 283) in Bezug auf die Beitragsrückstände zur gesetzlichen Unfallversicherung im System der §§ 59 und 61 KO ebenso für die übrigen in § 59 Abs 1 Nr 3 e KO genannten Ansprüche zu. Es widerspricht nicht zwingend der Systematik des Konkursverfahrens, wenn das Gesetz auch alle Ansprüche der Sozialversicherungsträger gleichrangig mit denen der Arbeitnehmer konkurrieren läßt.

Masseschulden sind nicht nur die bis zur Eröffnung des Konkurses angefallenen Verzugszinsen nach § 397 a Abs 2 RVO aF (jetzt Säumniszuschläge nach § 24 Abs 2 SGB 4), sondern auch solche, die erst für Zeiten danach wegen rückständiger Beiträge oder Umlagen aus den letzten sechs Monaten vor der Konkurseröffnung angefallen sind. § 28 Abs 3 RVO idF des Konkursausfallgeldgesetzes spricht zwar von Rückständen für die letzten sechs Monate vor Eröffnung des Konkursverfahrens oder vor dem Ableben des Gemeinschuldners. Hinsichtlich der Nebenforderungen, also vor allem der Verzugszinsen, wird dadurch aber nur die Hauptforderung zeitlich begrenzt. Deutlicher kommt das in der Fassung des § 59 KO durch das SGB 4 zum Ausdruck: "Masseschulden sind: ... 3. wegen der Rückstände für die letzten sechs Monate ... die Ansprüche ... e) der Träger der Sozialversicherung ... einschließlich Säumniszuschläge und auf Umlagen".

Durch die Eröffnung des Konkurses werden die Ansprüche der Gläubiger des Gemeinschuldners insoweit beeinträchtigt, als sie nur in der Reihenfolge und mit den Quoten der Konkursordnung berichtigt werden. War der Gemeinschuldner im Verzug, so wird dieser mit der Konkurseröffnung nicht beseitigt. Auch während des Konkursverfahrens können Verzugszinsen anfallen (Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung, 9. Aufl 1979, § 63 Anm 2). § 62 Nr 3 KO setzt die bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens aufgelaufenen Zinsen an derselben Stelle wie die Kapitalforderung an. Nach § 63 Nr 1 KO können jedoch im Konkursverfahren die seit der Eröffnung des Verfahrens laufenden Zinsen nicht geltend gemacht werden. Das betrifft aber nur Zinsen von Konkursforderungen, nicht auch von Masseansprüchen (Mentzel/Kuhn/Uhlenbruck, aaO). Die von Kilger in: Böhle/Stamschräder, Konkursordnung, 13. Aufl 1981 zu § 63 Anm 2 vertretene Auffassung, Zinsen für Masseschulden iS von § 59 Abs 1 Nr 3 KO seien ebenfalls nicht im Konkurs geltend zu machen, beruht auf seiner Auffassung, die Ansprüche der Arbeitnehmer und der Sozialversicherungsträger seien ihrem rechtlichen Charakter nach Konkursforderungen und lediglich im Rang des § 59 Abs 1 Nr 3 zu befriedigen (aaO § 3 Anm 1b). Wie oben ausgeführt, teilt der erkennende Senat in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des BSG diese Auffassung aber nicht. Hinzu kommt, daß der Gesetzgeber einen Unterschied zwischen sogenannten "echten" Masseschulden (in der Zeit nach Konkurseröffnung entstandene Forderungen gegen den Konkursverwalter und "sonstigen" Masseschulden (in der Zeit vor Konkurseröffnung gegen den Gemeinschuldner entstandene Lohn- und Umlage-Forderungen) nicht gemacht hat. Gerade bei einer solchen Unterscheidung wäre es nämlich notwendig gewesen, etwa den Ausschluß der nach Konkurseröffnung entstandenen Verzugszinsen von der Aufwertung zu Masseschulden deutlich zum Ausdruck zu bringen, wenn dies gewollt gewesen wäre. Denn es ist die Eigenart der Masseschuld, daß bei ihr - im Gegensatz zur Konkursforderung - Zinsen aus der Zeit nach Konkurseröffnung keiner Einschränkung im Konkurs unterworfen sind.

Die hier streitigen Verzugszinsen sind nach alledem von der Beklagten zutreffend als Masseschulden mit den angefochtenen Bescheiden gegen den Kläger als Konkursverwalter geltend gemacht worden (vgl das zur Veröffentlichung vorgesehene Urteil des 8a Senats vom 30. Oktober 1980 - 8a RU 96/79 -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656762

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