Leitsatz (amtlich)
1. Ein im Bergbau über Tage beschäftigt gewesener gelernter Handwerker kann auch auf zumutbare versicherungspflichtige Tätigkeiten außerhalb des Bergbaus (Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung) verwiesen werden.
2. Einem Reparaturschlosser im Bergbau ist die Verrichtung von Tätigkeiten als Magazinarbeiter, Markenausgeber, Lampenstubenarbeiter, Motorenwärter und gleichentlohnten Arbeiten in der Regel nicht zumutbar iS des RKG § 46 Abs 2
3. Die Entscheidung, ob und inwieweit ausnahmsweise ein gelernter Handwerker auf wirtschaftlich und sozial geringer bewertete Tätigkeiten, vielleicht gar auf Hilfsarbeitertätigkeiten, verwiesen werden kann, erfordert eine sorgfältige Prüfung der besonderen Umstände des einzelnen Falles, wobei für die soziale Bewertung von Berufsarbeiten das Verhalten und die Anschauung der beteiligten Berufskreise sowie die erkennbaren Gründe dieser Anschauung einen Anhalt bieten können.
Normenkette
RKG § 46 Abs. 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1246 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts in Gelsenkirchen vom 23. Februar 1961 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger bezieht seit November 1960 wegen Vollendung des 60. Lebensjahres und ununterbrochener einjähriger Arbeitslosigkeit das Knappschaftsruhegeld. Vorher waren ihm Krankengeld und ab 6. September 1956 die Knappschaftsrente (§ 35 des Reichsknappschaftsgesetzes - RKG - aF) - umgestellt seit dem 1. Januar 1957 auf die Bergmannsrente - gewährt worden. Die Beklagte hatte ihn für berufsunfähig im Sinne des damals geltenden § 35 RKG aF angesehen; nach ihrer Auffassung war der Kläger infolge einer starken Erhöhung seiner Blutdruckwerte in Verbindung mit Zeichen einer relativen Herzinsuffizienz und einem Altersemphysem nicht mehr imstande, Arbeiten nachzugehen, die der bisher von ihm verrichteten Tätigkeit als Schlosser gleichwertig gewesen wären. Den Schlosserberuf hat der Kläger in dreijähriger Lehrzeit erlernt und zum Teil bei größeren Unternehmungen ausgeübt. In einem knappschaftlichen Betrieb (Zeche J in H) war er über Tage als gelernter Handwerker von 1918 bis 1931 und von 1933 bis zum Jahre 1956 mit Reparaturarbeiten an Transporteinrichtungen (Seilbahn, Oberkettenbahn), am Wagenumlauf und an der Hängebank beschäftigt gewesen. Zuletzt war er beim bisherigen Arbeitgeber als Tages-(Platz-)arbeiter eingesetzt. Diese Arbeit gab er endgültig im April 1959 auf.
Gegenstand des Streites ist die Frage, ob dem Kläger - wie er es beantragt hat - für die Zeit vom 1. Juni 1959 bis zum Beginn des Knappschaftsruhegeldes (bis 31. Oktober 1960) die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit (§ 46 RKG nF) zusteht. (Den zunächst weitergehenden Antrag auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - § 47 RKG - hat der Kläger inzwischen aufgegeben). Die Beklagte hat den erhobenen Anspruch abgelehnt, weil sie den Tatbestand der Berufsunfähigkeit, so wie dieser Begriff in dem jetzt geltenden § 46 Abs. 2 RKG gefaßt ist, nicht für verwirklicht ansah (Bescheid der Ruhrknappschaft vom 14. Juni 1960, Bescheid der Widerspruchsstelle vom 24. Juni 1960). Nach den eingeholten ärztlichen Schilderungen erschien der Kläger zwar im Gesamtbild als ein frühzeitig gealterter Mann; die erhobenen Einzelbefunde bestätigten hingegen nicht im gleichen Maße die Befürchtung eines Kräfteabbaues. Die Prüfung der Herz- und Kreislauffunktionen ergab eine genügende Anpassungsfähigkeit an körperliche Belastungen. Eine mäßige Lungenblähung ließ keinen Anhalt für einen aktiven spezifischen Prozeß erkennen. Ein durch Unfall im Jahre 1912 hervorgerufener Leber- und Darmriß verursachte keine beachtlichen Störungen. Und schließlich war auch die Greiffähigkeit der linken Hand nur unwesentlich dadurch herabgemindert, daß das Endglied des Mittelfingers fehlte. Bei diesem Zustand glaubte die Beklagte, dem Kläger noch Arbeiten der Lohngruppe IV über Tage, z. B. als Magazinarbeiter, Markenausgeber, Lampenstubenarbeiter zumuten zu können.
Die vom Kläger angefochtenen Verwaltungsakte hob das Sozialgericht Gelsenkirchen auf (Urteil vom 23. Februar 1961) und verurteilte die Beklagte zur Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit für die in Betracht kommende Zeit vom 1. Juni 1959 bis zum 31. Oktober 1960. In seiner Beurteilung stimmte das Sozialgericht mit der Beklagten darin überein, daß die dem Kläger verbliebene Leistungsfähigkeit nicht mehr ausreiche, um den körperlichen Anforderungen des Schlosserberufs gerecht zu werden. Damit - so folgerte das Sozialgericht weiter, und insoweit wich es von der Ansicht der Beklagten ab - sei aber auch die Erwerbsfähigkeit des Klägers unter das durch den Tatbestand der Berufsunfähigkeit umschriebene Leistungsniveau abgefallen. Es sei wohl richtig, daß der Kläger weniger anstrengende Aufgaben wie die eines Magazinarbeiters, Markenausgebers und Lampenstubenarbeiters noch regelmäßig wahrnehmen könne. Doch dürfe nicht allein von dem Grad des körperlichen Leistungsvermögens ausgegangen werden. Vielmehr sei zusätzlich das Regulativ der äußeren Zumutbarkeit in Betracht zu ziehen. Wenn es schon früher nach dem Maßstab der Invalidität im Sinne des § 1254 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF nicht angängig gewesen und als unbillig empfunden worden sei, einen älteren Versicherten nach langjähriger qualifizierter Facharbeitertätigkeit auf einfache Hilfsarbeiterfunktionen zu verweisen, dann müsse die gleiche soziale Bewertung erst recht nach dem Begriff der Berufsunfähigkeit erfolgen. Es sei deshalb nicht gutzuheißen, wenn dem Kläger, der Jahrzehnte hindurch die Tätigkeit eines gelernten Handwerkers, noch dazu immer bei demselben Arbeitgeber und am annähernd gleichen Arbeitsplatz verrichtet habe, nunmehr im Alter ein Arbeitserwerb nach den Gruppen IV und V über Tage der für den Steinkohlenbergbau der Ruhr geltenden Lohnordnung angetragen werde. Damit würden dem Kläger Arbeitsbereiche vorgeschlagen, die ihrer Art nach keine besonderen Kenntnisse und Fertigkeiten verlangten und innerhalb der sozialen Rangordnung nach allgemeiner Anschauung nicht mit der Stufe des gelernten Handwerks vergleichbar seien.
Gegen dieses am 7. März 1961 zugestellte Urteil, durch das die Berufung zugelassen worden ist, hat die Beklagte unter Umgehung des Berufungsverfahrens am 29. März 1961 die Revision unmittelbar beim Bundessozialgericht (Sprungrevision) eingelegt. Der Kläger hat in die Sprungrevision eingewilligt. Begründet hat die Beklagte ihr Rechtsmittel mit dem am 20. April 1961 beim Bundessozialgericht eingegangenen Schriftsatz. Sie meint, das Sozialgericht habe § 46 Abs. 2 RKG unrichtig ausgelegt und angewendet. Es habe die Tätigkeitsgebiete der Lohngruppen IV und V schlechthin und ausnahmslos in einer Weise disqualifiziert, die mit der Vorstellungswelt der beteiligten Arbeitnehmerkreise nicht in Einklang zu bringen sei. In den Augen der Umwelt werde es durchaus nicht als sozialer Abstieg empfunden, wenn ein gelernter Handwerker gegen Ende seines Berufslebens auf eingeengtem Wirkungskreis mit gemindertem Lohnerwerb weiter arbeite, zumal wenn ihm dabei Obliegenheiten anvertraut blieben, die nicht völlig aus dem Rahmen seiner bisherigen Pflichten herausfielen. In diesem Zusammenhang denkt die Beklagte - auf den Fall des Klägers ausgerichtet - an die Aufgaben eines Motorenwärters, Magazinarbeiters und Telefonisten. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts werde zudem eine differenzierende Betrachtungsweise gefordert, die darauf abhebe, ob unter den einfacheren Lohnarbeiten solche seien, die wegen der Eignung des einzelnen, wegen der Anforderung an sein Verantwortungsbewußtsein, wegen seiner Vertrautheit mit der gewohnten Umgebung oder infolge seiner Vertrauensstellung zum Arbeitgeber und wegen ähnlicher Umstände hervorragten (Hinweis auf das "Stahlbetonbauer" - Urteil des 4. Senats vom 23. Oktober 1958, SozR RVO § 1246 Bl. Aa 2 Nr. 4).
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die eingelegte Sprungrevision ist gemäß § 161 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, da das Urteil des Sozialgerichts nach § 150 SGG mit der Berufung anfechtbar war. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen, weil sie nicht kraft Gesetzes eröffnet, vielmehr gemäß § 146 SGG ausgeschlossen war; betrifft doch das angefochtene Urteil nur die Rente für einen bereits abgelaufenen Zeitabschnitt. Die Revision ist ferner form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG). Sie ist mithin zulässig.
Das Rechtsmittel hat auch Erfolg.
Das angefochtene Urteil folgt ohne eigene abwägende, sachliche Würdigung der Beurteilung des von der Beklagten gehörten ärztlichen Sachverständigen. Dieser hatte - unter Bezugnahme auf die Lohnordnung für den Steinkohlenbergbau der Ruhr - erklärt, der Kläger sei während des in Betracht kommenden Zeitabschnitts (von Juni 1959 bis Oktober 1960) nur noch imstande gewesen, Arbeiten der Lohngruppe IV und V über Tage, z. B. als Magazinarbeiter, Markenausgeber und Lampenstubenarbeiter, auszuüben. Hieran knüpft das SG die Folgerung, daß der Kläger als berufsunfähig angesehen werden müsse, weil ihm, der als Schlosser den üblichen Ausbildungsweg zurückgelegt hat, nach einem langen Berufsleben die genannten Tätigkeiten sozial nicht zuzumuten seien. Allein auf diese Erwägung gründet das Sozialgericht sein Urteil.
Diese Darlegungen reichen für eine Verurteilung des Versicherungsträgers zur Gewährung der Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit nicht aus. Die Entscheidung des Erstrichters leidet an einer unzulänglichen rechtlichen Bewertung und deshalb unzureichenden Klärung des Sachverhalts. Der Rahmen des zu ermittelnden und darzustellenden Tatsachenstoffs wird durch den abstrakten gesetzlichen Tatbestand der Berufsunfähigkeit (§ 46 Abs. 2 RKG) abgesteckt. Danach genügt es nicht, daß das Sozialgericht sich hinsichtlich des körperlichen Leistungsvermögens des Klägers und bezüglich des beruflichen Wirkungskreises, der ihm noch offen stand, einfach dem Vorschlag des ärztlichen Gutachters anschloß. Vielmehr hatte es sich selbst ein genaues und anschauliches Bild davon zu machen, in welcher Weise und welchem Umfang sich die erhobenen Krankheitsbefunde einzeln und in ihrem Zusammentreffen auf die Fähigkeit zur Arbeit auswirkten. Vor allem hatte es sich einen umfassenden Überblick über das weite Gebiet denkbarer Betätigungsmöglichkeiten zu verschaffen. Aus den wenigen Angaben, die das angefochtene Urteil hierzu verwertet, ist nicht zu ersehen, warum für den Kläger allein noch Dienstleistungen der Lohngruppen IV und V in Erwägung zu ziehen und weshalb höher entlohnte Funktionen, z. B. die eines Apparatewärters, eines zweiten oder sonstigen Maschinisten, eines Tafelführers oder Verwiegers (Lohngruppe III), auszuschließen waren. Eindringlichere Untersuchungen hätte man vornehmlich auch um deswillen erwarten müssen, weil der Kläger während der Zeit, für welche er die Berufsunfähigkeitsrente beansprucht, an Arbeitsplätzen gestanden hat, die gemeinhin einen nicht unbeachtlichen körperlichen Kräfteaufwand fordern. So war er u. a. als Abschlepper beim Kohlenabschleppen eingesetzt.
Hinzu kommt ein weiteres Moment, das der Tatsachenrichter in seine Überlegungen hätte mit einbeziehen müssen. Er hätte beachten müssen, daß der Kreis der dem Kläger zumutbaren Arbeitsbereiche sich keineswegs nur auf Beschäftigungen in einem bergbaulichen Betrieb beschränkt. Derart eng begrenzt ist der Verweisungsmaßstab des § 46 Abs. 2 Satz 2 RKG nicht zu verstehen. Das wäre wirklichkeitsfremd und mit dem in den Hauptzweigen der gesetzlichen Rentenversicherung einheitlich und weit gefaßten Gesetzestatbestand ("umfaßt alle Tätigkeiten, die ... zugemutet werden können") nicht zu vereinbaren. Nach der Rechtsprechung des Senats (BSG 11, 206, 208) gilt dies selbst für solche Versicherte nicht, die einem spezifisch bergmännischen Berufe nachgehen, die also in unmittelbarem Zusammenhang mit der Gewinnung und Förderung von Mineralien arbeiten. Zu dieser Gruppe knappschaftlich versicherter Personen gehört der Kläger aber nicht einmal. Der sozialrechtliche Status, den er auf Grund seines bisherigen Berufslebens erreicht hat, verbot es nicht, auch auf solche lohnabhängige Stellungen Bedacht zu nehmen, die nicht der knappschaftlichen Versicherung, sondern den Rentenversicherungen der Arbeiter oder Angestellten zuzuordnen sind.
Der Vorentscheidung ist aber auch in ihren rechtlichen Ausführungen nicht ohne Vorbehalt und ergänzende Ermittlungen beizupflichten. Der Satz, in dem das Urteil des Sozialgerichts gipfelt, daß ein Facharbeiter nach abgeschlossener Lehre und langjähriger Berufsbewährung nicht auf solche Erwerbsquellen hingewiesen werden könne, die jedem fachlich unqualifizierten Stellensuchenden zur Verfügung stehen, ist zwar - als Grundsatz ausgesprochen - richtig, aber doch nicht in der Unbedingtheit gültig, mit der sich das Sozialgericht seiner bedient. Ein Absinken vom hochgeachteten Facharbeiterverhältnis zum Gelegenheitsarbeiter wird vom Gesetzestatbestand der Berufsunfähigkeit gewiß nicht schlechthin, sondern nur ganz ausnahmsweise umfaßt. Man kann sich auch nur schwer vorstellen, daß eine Verweisung in der von der Beklagten vorgeschlagenen Weise, nämlich vom berufserfahrenen gelernten Handwerker auf den Lohnerwerb eines Magazinarbeiters, Markenausgebers oder ähnlichen Hilfsarbeiters angängig sein könnte. Die angeführten Arbeiten, einschließlich der in der Revision erwähnten Tätigkeit eines Motorenwärters, zählen zu den unteren Stufen in der sozialen Wertskala und werden entsprechend niedrig entlohnt; auf sie wird regelmäßig für die Frage der Berufsunfähigkeit eines gelernten Handwerkers nicht abzustellen sein, solange nicht gewichtige Sonderumstände hinzutreten, die eine Ausnahme zulassen. Je gleichbleibender und je länger der Versicherte den durch Ausbildung und Berufsweg erreichten sozialen Besitzstand gehalten hat, umso sicherer ist er darin geschützt. Auch das hat das Sozialgericht zutreffend erkannt. Aus diesem Grunde wird die Berufsfähigkeit eines Betriebshandwerkers, dessen Berufsgeschehen - wie das des Klägers - völlig einheitlich und kontinuierlich auf gleichem sozialen Niveau verlaufen ist, das jahrzehntelang keine Abwandlungen zeigt, im allgemeinen allein nach seinen engeren unveränderten Arbeits- und Umweltbedingungen zu beurteilen sein. Im Gegensatz zu anderen Berufssparten, wie vornehmlich den eigentlich bergmännischen Berufen, wird es nicht zum normalen Verlauf des Arbeitslebens gehören, daß der Versicherte lange vor seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsprozeß die berufliche Spitzenstellung aufgeben und sich mit geringer bewerteten Arbeitsplätzen abfinden muß. Eine derartige Abwärtsentwicklung gehört allgemein nicht zum geschlossenen Bild des Schlosserberufs. Dafür, daß dies beim Kläger so war, ist dem bisher bekannten Sachverhalt denn auch nichts oder kaum etwas zu entnehmen.
Gleichwohl stand damit noch nicht fest, daß für den Kläger rundweg jede andere, gegenüber der früheren Handwerkerstellung geringer entlohnte Arbeitsgelegenheit von vornherein ausscheiden mußte. Der Erstrichter hätte nicht bei seinen theoretischen Erwägungen verweilen und sich mit einer Entscheidung an Hand eines vereinfachenden Schemas begnügen dürfen. Die Grenze der Zumutbarkeit im Sinne von § 46 Abs. 2 Satz 2 RKG kann nicht ein für allemal, etwa nach Lohngruppen oder Berufsgruppen, und abgelöst von der Eigenart der jeweiligen Sache bestimmt werden; sie ist fallweise bedingt, konkret zu ermitteln und nicht abstrakt fixierbar. Es gibt je nach den Gewohnheiten und Anschauungen der betreffenden Bevölkerungs- und Berufskreise sowie je nach Eignung und Können des Einzelnen eine beträchtliche Variationsbreite. Der Tatsachenstoff ist deshalb stets bis in alle Verzweigungen hinein aufzuhellen, darzustellen und auszudeuten.
So wäre es hier angezeigt gewesen, daß sich der Tatsachenrichter, wenn ihm ein eigenes ausreichendes Beobachtungswissen fehlte, von früheren Vorgesetzten des Klägers und anderen sachkundigen Personen den üblichen Berufsgang eines Schlossers im Über-Tage-Betrieb des Ruhrbergbaues beschreiben, und daß er sich ferner erläutern ließ, welche Erwerbsmöglichkeiten gerade älteren Betriebshandwerkern für die letzte Zeit vor dem Ende ihres Arbeitslebens im allgemeinen offenstehen. Ohne eine subtile und umfassende Erforschung des Lebens- und Berufszusammenhangs, in den der einzelne Versicherte hineingestellt ist, läßt sich nicht beantworten, ob und wann das Moment des "sozialen Abstiegs" verwirklicht ist. Die Abwägungskriterien für dieses Moment sind nicht unmittelbar dem Gesetz zu entnehmen, sondern der Wirklichkeit des sozialen Lebens abzugewinnen. Es handelt sich um außerrechtliche Tatbestände, auf die das Gesetz mit dem Begriff der "Zumutbarkeit" Bezug nimmt. Die brauchbaren Unterscheidungsmerkmale dieser Tatbestände sind nicht in einer fertigen Regelhaftigkeit vorgegeben; sie hängen von der üblichen Berufsentwicklung sowie dem durchschnittlichen Verhalten und der herkömmlichen Einstellung der beteiligten Personenkreise ab. Die Erfahrung lehrt, daß jeder Beruf zumeist eine verhältnismäßig genaue Vorstellung von seinem sozialen Rang und erst recht von der Stufenleiter seines eigenen sozialen Gefüges hat. Ein Anhaltspunkt für soziale Bestimmungsgrößen ist nicht bloß in der Höhe, sondern auch in der Sicherheit des Arbeitseinkommens zu sehen. Neben dem allgemeinen Bildungsstand und der Berufsvorbildung sowie dem Guthaben des einzelnen an Fähigkeiten und Fertigkeiten, an der Kenntnis der zu bearbeitenden Materialien und an dem Wissen über Betriebszusammenhänge spielen die Verantwortlichkeit für Menschen und fremdes Eigentum, die Autorität gegenüber Untergebenen und Arbeitskollegen, eine bestimmte Kontrollfunktion oder die Vertretbarkeit und Auswechselbarkeit der Arbeitskraft eine bedeutsame Rolle. Alle diese Umstände fallen natürlich nur in die Waagschale, wenn sie nicht bloß an einzelnen Arbeitsplätzen, sondern in der gesamten Berufssparte gewöhnlich oder doch nicht ganz selten anzutreffen sind.
Inwieweit die hier - nur unvollkommen - aufgezählten und ähnliche Faktoren auf den Fall des Klägers einwirkten, läßt sich nach dem festgestellten Sachverhalt nicht abschließend beurteilen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß eine vollständige Sachaufklärung unterblieben und deshalb weitere Erkenntnisquellen nicht erschlossen worden sind. Deshalb mußte das angefochtene Urteil aufgehoben werden.
Die Sache war an das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre, zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 3 Satz 1 SGG). Dieses Gericht wird zunächst in die konkreten Einzelheiten des Berufs- und Arbeitsverhältnisses einzudringen haben, in dem sich der Kläger vor und nach dem Arbeitsplatzwechsel im September 1956 befand. Dabei wird das Berufungsgericht sein Augenmerk vorab auf die Fragen zu lenken haben, wie weit zum angegebenen Zeitpunkt die Leistungsbereite des Klägers noch reichte und es wird weiter klären müssen, wieso der Kläger wohl die einfachen, von der Beklagten angeführten Pflichten, nicht jedoch die Anforderungen des Schlosserberufs erfüllen konnte. In diesem Punkte erscheinen ebenfalls weitere Aufschlüsse erreichbar und angebracht.
Fundstellen