Leitsatz (amtlich)

Ein Versicherter, der nicht die Berufsbezeichnung eines Vermessungssteigers führt und nicht das Gehalt eines solchen bezieht, kann nur dann wie ein Vermessungssteiger nach HaVo § 5 Nr 5 zugetragen hat.

behandelt werden, wenn er die Tätigkeit eines überwiegend unter Tage beschäftigten Vermessungssteigers zumindest im wesentlichen uneingeschränkt und ausschließlich verrichtet hat. Maßgebend ist dabei das übliche Berufsbild des überwiegend unter Tage tätigen Vermessungssteigers, wie es sich unter Berücksichtigung der von ihm verrichteten Unter- und Übertagetätigkeit ergibt.

 

Normenkette

RKG § 45 Abs. 1 Nr. 2; HaVO § 5 Nr. 5

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 1961 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Der ... 1905 geborene Kläger war vom 18. November 1922 bis zum 31. Mai 1925 als Schlepper, vom 1. Juni 1925 bis zum 31. Mai 1927 als Gedingeschlepper, vom 1. Juni 1927 bis zum 31. Oktober 1938 als Kettenzieher (Meßgehilfe), vom 1. November 1938 bis zum 31. Mai 1953 als Markscheidergehilfe (Bergvermessungstechniker) und seit dem 1. April 1953 als 1. Bergvermessungstechniker tätig.

Am 30. September 1957 beantragte der Kläger die Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG). Die beklagte Knappschaft lehnte den Antrag durch Bescheid vom 11. Dezember 1958 mit der Begründung ab, der Kläger habe nur 24 Monate Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, er übe seit dem 1. November 1938 als Vermessungstechniker unter Tage die gleiche Tätigkeit wie ein Vermessungssteiger aus. Durch Bescheid vom 7. August 1959 wurde der Widerspruch mit der Begründung zurückgewiesen, der Vermessungstechniker gehöre nicht zu dem Personenkreis, der den Hauerarbeiten gleichgestellte Arbeiten unter Tage verrichte.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben. Er hat eine Bescheinigung der Dortmunder Bergbau AG vom 21. September 1959 überreicht, wonach er seit 1938 in der untertägigen Vermessung der Schachtanlage Fürst Hardenberg tätig ist und im Rahmen seiner Arbeit, die der eines Vermessungsfahrhauers gleichzustellen sei, vermessungssteigerische Arbeiten fast ausschließlich unter Tage im überwiegenden Teil der Schicht durchgeführt hat.

Mit Urteil vom 14. Dezember 1959 hat das SG Dortmund die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, daß die Tätigkeit des Klägers als Vermessungstechniker der eines Vermessungsfahrhauers gleichzusetzen sei. Der Vermessungsfahrhauer sei aber ebensowenig wie der Vermessungstechniker in der Hauerarbeiten-Verordnung (HaVO) aufgeführt.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hat geltend gemacht, für die Anerkennung einer Tätigkeit als Hauerarbeit oder gleichgestellte Arbeit dürfe es nicht allein auf die Berufsbezeichnung, sondern vor allem auf die Art der tatsächlich geleisteten Arbeit ankommen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 14. Dezember 1961 das Urteil des SG abgeändert und hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG seit dem 1. Januar 1957 zu gewähren. Es führt aus, der Kläger habe mindestens einhundertachtzig Kalendermonate Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet. Auch die Tätigkeit des Klägers als Vermessungsangestellter müsse nach § 5 Nr. 5 HaVO angerechnet werden. Es sei zwar richtig, daß der Kläger nicht die Berufsbezeichnung "Vermessungssteiger" geführt habe, sondern als Markscheidergehilfe, Bergvermessungstechniker und 1. Bergvermessungstechniker geführt und besoldet worden sei. Für die Frage, ob eine Tätigkeit der Hauerarbeit gleichgestellt sei, komme es aber nicht auf die Berufsbezeichnung, sondern allein auf die Art der tatsächlich verrichteten Tätigkeit an. Leiste ein Versicherter diese Arbeiten in vollem Umfang, so komme es für die Gleichstellung nicht auf seine Berufsbezeichnung an. Es genüge aber nicht, daß nur eine gewisse äußerliche Ähnlichkeit mit der Tätigkeit des Vermessungssteigers vorliege oder daß nur ein qualitativ abgegrenzter Teil der vermessungssteigerischen Tätigkeit verrichtet werde, vielmehr müsse völlige Identität bestehen. Das gelte allerdings nur für die Tätigkeit unter Tage, da die Übertagearbeit für die Bewertung im Sinne der HaVO ohne Bedeutung sei. Bei einem Vergleich der Tätigkeiten könne es wiederum nicht allein auf die Gleichheit der körperlichen Verrichtungen ankommen, sondern wesentlich auch auf das Ausmaß der mit der Arbeit verbundenen Verantwortung. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe es die Überzeugung erlangt, daß der Kläger, obgleich er nicht zum Vermessungssteiger befördert worden sei, dennoch die Tätigkeit eines Vermessungssteigers in vollem Umfange verrichtet habe. Es sei durchaus glaubhaft, daß eine Beförderung zu diesem Dienstgrad nur deshalb unterblieben sei, weil ihm die Bergschulausbildung fehlte. Der Kläger sei zur Zeit der Sechstagewoche an mindestens 5 Tagen eingefahren, seit Einführung der Fünftagewoche fahre er mit wenigen Ausnahmen täglich ein. Insgesamt verbringe er zwei Drittel bis drei Viertel seiner Arbeitszeit unter Tage. Da der Kläger diese als Vermessungssteigertätigkeit im Sinne des § 5 Ziff. 5 HaVO anzurechnende Tätigkeit am 1. Januar 1957 über 18 Jahre verrichtet habe, lägen die zur Erfüllung der besonderen Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG erforderlichen 180 Monate Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten vor. Der Anspruch des Klägers auf Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG sei, da auch die weiteren Voraussetzungen vorlägen, gegeben. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen dieses - am 27. Februar 1962 zugestellte - Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 16. März 1962, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 19. März, Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Sie rügt, das LSG habe § 5 HaVO unrichtig angewendet. Der Vermessungstechniker könne nicht als Vermessungssteiger angesehen werden. Dem Bergvermessungstechniker könnten nicht die Arbeiten eines Vermessungssteigers voll verantwortlich übertragen werden. Soweit der Bergvermessungstechniker überhaupt in der Grube eingesetzt werde, könne sich seine Tätigkeit deshalb nur auf Hilfsleistungen bei den Arbeiten des Vermessungssteigers beschränken. Aus der von der Dortmunder Bergbau AG mit Schreiben vom 27. November 1961 eingereichten Zusammenstellung gehe eindeutig hervor, daß der Kläger in den Jahren nach 1938 sowohl als Bergvermessungstechniker als auch als 1. Bergvermessungstechniker ausschließlich Hilfskraft des verantwortlichen Vermessungssteigers und nicht des Markscheiders gewesen sei. Wenn das LSG zu dem Schluß komme, der Kläger habe die Arbeiten eines Vermessungssteigers verrichtet, so habe es damit die Grenzen des Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten und § 128 Abs. 1 SGG verletzt.

Sie beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 1961 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Dortmund vom 14. Dezember 1959 zurückzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 1961 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Denn der Auslegung des § 5 Nr. 5 der Verordnung über den Begriff der Hauerarbeiten unter Tage und der diesen gleichgestellten Arbeiten in der knappschaftlichen Rentenversicherung vom 4. März 1958 (BGBl I 137) - HaVO - durch das Berufungsgericht kann nicht in allen Punkten gefolgt werden.

Das Berufungsgericht geht zwar von der richtigen Ansicht aus, daß die HaVO eine abschließende Regelung enthält, so daß es den Knappschaften so wie den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht gestattet ist, den Kreis der in dieser Verordnung aufgeführten Tätigkeiten zu erweitern. Das Berufungsgericht hat im Grundsatz jedenfalls auch zutreffend ausgeführt, daß andererseits die Berufsbezeichnung und die Höhe des Entgelts allein nicht maßgebend für die Einordnung einer Tätigkeit sein können, daß vielmehr auch einem solchen Versicherten die Vergünstigungen der HaVO zu gewähren sind, der weder die Berufsbezeichnung eines in der HaVO aufgeführten Versicherten führt noch das Entgelt eines solchen bezieht, wenn er nur voll dessen Tätigkeit verrichtet. Der Senat kann jedoch der Auffassung des Berufungsgerichts insoweit nicht zustimmen, als dieses davon ausgeht, es komme nur darauf an, ob der Versicherte hinsichtlich der Untertagetätigkeit voll die Tätigkeit eines in der HaVO aufgeführten ausübt. Es ist vielmehr erforderlich, daß der Versicherte eine in der HaVO genannte Tätigkeit in der über und unter Tage üblichen Art voll verrichtet. Der Versicherte mit einer anderen Berufsbezeichnung und einer anderen Gehaltseinstufung kann also m. a. W. nur dann wie ein in der HaVO Aufgeführter behandelt werden, wenn er, abgesehen von Entgelt und Berufsbezeichnung, die Stellung eines in der HaVO aufgeführten Versicherten hat (SozR HaVO Nr. 4 zu § 5). Das Berufungsgericht durfte sich somit nicht nur darauf beschränken, die Untertagetätigkeit des Klägers mit der eines Vermessungssteigers zu vergleichen, sondern mußte prüfen, ob er unter Berücksichtigung der Über- und Untertagetätigkeit uneingeschränkt und ausschließlich die Stellung eines Vermessungssteigers gehabt hat. Dazu gehört nicht nur, daß er die vermessungstechnischen Arbeiten eines Vermessungssteigers ausgeführt hat, sondern er muß auch die organisatorischen Aufgaben und die Verantwortung eines Vermessungssteigers gehabt haben.

Nun hat der erkennende Senat andererseits bereits entschieden, daß ein in der HaVO genannter Versicherter auch dann begünstigt ist, wenn er die genannte Tätigkeit zwar nicht ausschließlich, aber doch zumindest im wesentlichen ausschließlich ausübt, daß also eine bloß unwesentliche Ausübung einer anderen Tätigkeit unschädlich ist (Urteil vom 25. August 1965 i. S. S ./. Niederrheinische Knappschaft - 5 RKn 89/63). Derselbe Grundsatz muß auch dann gelten, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um die Frage handelt, ob ein Versicherter, der nicht die Berufsbezeichnung und das Entgelt eines in der HaVO Genannten hat, doch wie ein solcher zu behandeln ist. Wenn daher aber gesagt ist, daß der Versicherte die Stellung eines in der HaVO Aufgeführten uneingeschränkt und ausschließlich haben muß, so heißt das unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes, daß eine nur unwesentliche Abweichung von dem Berufsbild eines in der HaVO Aufgeführten nichts schadet, wenn der Versicherte zumindest im wesentlichen uneingeschränkt und ausschließlich dessen Stellung gehabt hat.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, daß die Tätigkeit, die der Kläger seit 1938 ausgeübt hat, nur dann als Vermessungssteigertätigkeit anerkannt werden kann, wenn er die Stellung eines Vermessungssteigers zumindest im wesentlichen uneingeschränkt und ausschließlich gehabt hat. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts genügt es also nicht, daß der Versicherte während der streitigen Zeit voll die Untertagetätigkeit eines Vermessungssteigers ausgeübt hat. Es muß vielmehr die Unter- und Übertagetätigkeit eines solchen Versicherten mit der eines Vermessungssteigers verglichen werden. Da in aller Regel Arbeiter und Angestellte die Stellung haben, die ihrer Berufsbezeichnung und ihrem Entgelt entspricht, müssen, wenn man eine Ausnahme hiervon annehmen will, überzeugende Gründe vorliegen, die es verständlich machen, daß der Versicherte eine von seiner Berufsbezeichnung und seinem Entgelt abweichende Stellung gehabt hat. Eine solche Ausnahme liegt z. B. vor, wenn der Versicherte vor dem Zeitpunkt, in welchem überhaupt erstmalig Vermessungssteiger zur Verfügung standen (Herbst 1928), eine solche Tätigkeit ausgeübt hat. Das gilt auch für die folgende Zeit, während welcher auf der Zeche, auf der der Versicherte tätig war, noch keine Vermessungssteiger beschäftigt wurden. Insoweit können der 1. Markscheidergehilfe und der 1. Vermessungstechniker im Einzelfall einem Vermessungssteiger in der Regel gleichgestellt werden. Es wäre aber andererseits ungewöhnlich, wenn eine Zeche nach der Einstellung von Vermessungssteigern, die eine geregelte Ausbildung genossen hatten, einem Versicherten, der die Ausbildung als Vermessungssteiger nicht durchlaufen hat, erstmalig die Stellung eines Vermessungssteigers überträgt. Zuzugeben ist zwar, daß in Einzelfällen von dieser Regel abgewichen worden sein kann, etwa wenn es sich um einen besonders tüchtigen und zuverlässigen Versicherten handelt, der z. B. wegen seines Alters die Bergschule nicht mehr besuchen konnte. Dieser Grund muß aber deutlich erkennbar sein, und außerdem muß erwiesen sein, daß der Versicherte tatsächlich zumindest im wesentlichen uneingeschränkt und ausschließlich die Stellung eines Vermessungssteigers gehabt hat. Die Zeit dagegen, während welcher ein Versicherter nur als Markscheidergehilfe und Vermessungstechniker, nicht aber als 1. Markscheidergehilfe und 1. Vermessungstechniker geführt worden ist, kann in der Regel nicht als Tätigkeit eines Vermessungssteigers anerkannt werden. Jedenfalls sind insofern besonders strenge Anforderungen an den Nachweis zu stellen, daß der Versicherte trotz anderer Berufsbezeichnung die Arbeiten eines Vermessungssteigers verrichtet hat.

Das Berufungsgericht hat bei der Beurteilung der vom Kläger seit dem 1. November 1938 ausgeübten Tätigkeit nur die Untertagetätigkeit des Klägers mit der üblichen Untertagetätigkeit eines Vermessungssteigers verglichen, ohne der Frage nachzugehen, welche Arbeiten er über Tage verrichtet hat und ob es sich dabei um Tätigkeiten gehandelt hat, die sonst von einem Vermessungssteiger verrichtet werden. Die Revision der Beklagten ist daher begründet. Eine eigene Entscheidung konnte der Senat in der Sache nicht treffen, weil es an den erforderlichen bindenden Tatsachenfeststellungen mangelt. Der Senat konnte als Revisionsgericht auch nicht selbst prüfen, ob die vom Berufungsgericht erhobenen Beweise die Feststellung rechtfertigen, daß der Kläger auch über Tage im wesentlichen die Stellung eines Vermessungssteigers gehabt hat.

Da die Revision schon hiernach begründet ist, bedarf es keines Eingehens auf die Verfahrensrügen der Beklagten. Das Urteil des LSG ist vielmehr schon wegen der Verletzung des § 5 HaVO aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Vorhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem den Rechtsstreit abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2296891

BSGE, 82

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